Reformpädagogik ist ein schon lange diskutiertes Thema. Die Wahrheit liegt wahrscheinlich irgendwo zwischen der radikalen Autoritätskritik, die in die Modelle selbstbestimmten Lernens der “demokratischen Schulen” mündet und einem verantwortungs- ethischen Autoritätsansatz, der die Selbstkritik der Autorität selber zuspitzt. Für unsere Diskussion heißt das erst einmal, dass dialogisches Lernen nicht Anarchie im Klassenzimmer meint.
Der Unterricht muss Schülerinnen und Schülern, den Freiraum geben, ihre eigenen Fähigkeiten und auch ihr eigenes Wissen in den Unterricht einzubringen. Sie müssen Gelegenheit haben, ihre Ideen zu entwickeln und mit anderen zu teilen. Ein solches – projektorientiertes, interaktives – Lernen braucht durchaus Anleitung und Moderation der Lehrerinnen und Lehrer.
Gegenseitiger Respekt
Den Respekt ihrer Schüler verlieren Lehrer eher in einer Situation, wie sie die Anekdote von ccm nicht besser hätte auf den Punkt bringen können: Das Gefühl, das Initiative und Wissbegierde nicht gefördert, sondern bestraft werden. Wenn Lehrer ihre Schüler aber mit ihren Fähigkeiten und auch Schwierigkeiten ernst nehmen und es schaffen, sie für ein Thema zu begeistern, werden umgekehrt auch die Schüler ihre Lehrer als solche anerkennen.
Aber natürlich setzt das auch voraus, das Schüler etwas von ihren Lehrern lernen können. Der Befund, dass Lehrer ihren Schülern schon nach der Einführung jeden neuen Mediums im 20. Jahrhundert in diesem Bereich “hinterherkinkten”, ist da sehr hilfreich. Er zeigt meiner Ansicht nach aber auch, dass wir es mit einem strukturellen Problem zu tun haben – und es nicht darum geht, eine neue Form der Autorität im Internetzeitalter zu finden. Autorität ist schließlich nicht mit einem bestimmten Medium verbunden.
Vielmehr geht es grundsätzlich darum, dass die dialogische Lernsituation voraussetzt, dass Lehrer einen Zugang zu den Alltagsgewohnheiten und -problemen ihrer Schüler haben. “Die haben keine Ahnung, die verstehen gar nichts” ist eine der häufigsten Klagen Jugendlicher gegen Erwachsene. Internet, Social Media und Computerspiele sind heute nun einmal fester Bestandteil der Alltagskultur Jugendlicher. Die Forderung an Lehrer lautet daher ganz einfach, dies zur Kenntnis zu nehmen, sich mit diesen Medien vertraut zu machen – und dabei durchaus den Erfahrungen ihrer Schüler zuzuhören.
Luxus oder Notbehelf?
Und ist das “Modell Autodidakt” nun Luxus oder Notbehelf? Einerseits wird zum Autodidakten, wer mit gewohnten “Standardbildungssituationen” nicht ausgefüllt oder unzufrieden ist. Andererseits setzt Selbstlernen natürlich Zugang zu anderen Quellen voraus und die Fähigkeit, sich diese zu erschließen. Aber: nicht nur Unzufriedenheit mit der vorgefundenen Bildungssituation kann Triebfeder zum Selbstlernen sein, sondern andersherum auch die geweckte Lust, noch mehr lernen zu wollen.
Genauso sollte Schulunterricht funktionieren: er entfacht Begeisterung für ein Thema, befähigt die Schüler, sich selbst weiterzubilden und lässt ihnen dann auch den Raum, um die so gesammelte Erfahrung zum Thema auch wieder einzubringen – damit die Begeisterung am Lernen erhalten bleibt. Aber letztlich ist die Frage aus der Perspektive des Autodidakten ohnehin überflüssig. Denn ihm geht es eigentlich nur noch um Selbstermächtigung oder Neudeutsch Empowerment – und das ist im Prinzip Selbstbefreiung sowohl von Luxus als auch von Notbehelf.
(Anm.d. Red.: Mit diesem Beitrag kommentiert Thomas Krüger die Diskussion im Anschluss an sein Protokoll “Modell Autodidakt”, das vergangene Woche in der Berliner Gazette im Rahmen des Jahresschwerpunkts BILDUNG erschien.)
15 Kommentare zu
Das perfekte Lehr oder Lernverfahren schlechthin, gibt es meiner Meinung nach nicht. Was in einer Klasse oder auch in einem bestimmten Jahrgang, in einem bestimmten Jahr funktioniert, muss nicht unbedingt für jetzt und immer perfekt wirksam sein. Das was der einer verdammt, Frontalunterricht etc. kann durchaus gezielt eingesetzt Sinn machen. Genauso kann eine Stück Kreide und eine Tafel spontane Ideen genauso effektiv verdeutlichen, wie die ausgeklügelste Medienpräsentationim Unterricht oft nur ein müdes Gähnen hervorruft.
Meine Vorbilder stammen zum Teil aus einer Zeit, in der es noch gang und gäbe war, Schüler von Lehrerseite her zu prügeln. Selbst zu diesen Zeiten gab es Pädagogen, die soetwas nicht nötig hatten, weil sie Charisma hatten und mit ihrem Unterricht neugierig und Wissensdurstig machten.
Lernen war und ist meiner Meinung nach nur dann wirklich wirksam und effektiv, wenn es freiwillig und aus einem inneren Antrieb heraus geschieht. Lernen macht nur dann Sinn, wenn ich als Lehrender immer wieder darum ringe, den betroffenen Schülern zu zeigen, welche Fähigkeiten in ihnen stecken, wenn ich ihnen helfe, trotz Beschränkungen jeglicher Art, Selbstbewußtsein zu entwickeln.
Wenn ich mich so gegenüber Schülern verhielte, wie es zu meiner Schulzeit bei vielen Lehrern die Regel war, dann hätte ich das Beispiel absoluten padagogischen Versagens vor mir, nämlich den Lehrertyp, der seinen Schülern immer nur sagt, was sie falsch machen. Das war und ist, heute wie damals, Frust hoch drei, aber es ist, darauf möchte ich hinweisen, nicht nur ein Zeichen vergangener pädagogischer Zeiten. Der Frust wird auch aus dem sklavischen Befolgen von pädagogischen Heilslehren jeder Art generiert. Ein Zuviel jeglicher Art, auch an Freiheit, kann letztendlich als pädagogisches Konzept scheitern.
Pädagogisch zu arbeiten heißt für mich, jeden Tag voll Respekt für meinen Gegenpart, mit offenen Sinnen, für alle Dialogformen sensibel, in einem Beruf, der die Liebe zum Menschen voraussetzt, tätig zu sein.
Hermann -J. Stumm
Selbstständiges Denken und nicht das unkritische Konsumieren von industriell gefertigten Denkstrukturen und Beschäftigungsformen, solten Priorität auf dem Weg zu einer sinnvollen Bildung haben.
Hermann - J. Stumm