Der Zug, mit dem man drei Mal taeglich von Berlin nach Warschau und umgekehrt fahren kann, ist ohne Zweifel ein kulturelles und soziales Phaenomen. Hier trifft man immer Leute, mit denen man dann Gespraeche fuehrt, ob man gerade dazu Lust hat oder nicht. Die Fahrt dauert sechs Stunden und ganz oft auch laenger; der Zug haelt in neun unterschiedlichen Orten; eine staendige Menschenrotation wird also zu einem Teil der Reise. Es ist immer ein Abenteuer; schlafen ist meistens ausgeschlossen, da die ganze Zeit irgendwas passiert.
Die Fahrkarten werden nach jeder Haltestelle erneut geprueft. Ein netter Herr, der fuer die Speisewagenkette WARS
arbeitet, laeuft durch den Zug mit einem kleinem Wagen und verkauft Kaffee, Bier und zahlreiche polnische Suessigkeiten und macht auch gleichzeitig Werbung (>Guter polnischer Kaffee! Polnisches Bier – Sie denken vielleicht, es sei noch frueh, aber ein Bierchen am morgen ist doch etwas wert!<) Im Sommer ist es im Zug immer zu warm, im Winter frieren alle. Es beschweren sich meistens die Polen, die dann schnell eine Solidaritaet entwickeln und sich gemeinsam ueber Hitze, Kaelte oder Laerm beschweren.
In Wirklichkeit will aber keiner, dass sich hier etwas aendert, denn so haette man weniger Gespraechsthemen. Heute teile ich das Abteil mit zwei Chinesen, die durch Europa reisen. Es sind zwei Maenner, die pausenlos laecheln und die die Fahrt geniessen, was man, unter anderem, an der Anzahl der Photos erkennen kann. Sie sind gleich angezogen, haben Jeans und gelbe Jacken mit >Beijing Expedition Team<-Logo an. Sie bilden ein Expeditionsteam aus zwei Personen. Ihr Ziel besteht darin, innerhalb von zwei Wochen so viele Laender wie moeglich zu sehen.
Denn es ist sehr spannend so viele kleine Laender auf so einer kleinen Flaeche zu haben. Im Plan steht also: zwei Tage Berlin, ein Tag Warschau, ein Tag Riga usw. Sie tragen auch Baseball-Muetzen, mit demselben Logo, natuerlich. Sie vergleichen Karten und Stadtplaene, essen Kekse und Bananen. Wir fangen ein Gespraech an, das sich von Kutno bis nach Warschau zieht (127 km, theoretisch eine Stunde, es gibt aber Verspaetung und so werden es zwei Stunden).
Am Ende wird eine riesige chinesische Fahne aus einem von den vielen Koffern rausgenommen, auf der ich unterschreiben soll. Ich tue es gerne, werde auch waehrend dessen mehrmals fotografiert. Als Geschenk bekomme ich einen Expedition-Team-Aufkleber. Ich werde auch nach Peking eingeladen. In Warschau endet die Zugfahrt. Dort heisst es aussteigen - aus einer aussergewoehnlichen Gemeinschaft, deren Teil ich die sechs Stunden lang war.
5 Kommentare zu
Wie auch immer ich über mehr Informationen über das ohne Frage lohnende Reiseziel gelangen werde, bin ich dennoch gespannt mehr Impressionen dieser Zugreise in Erfahrung zu bringen.
Der Expeditions-Aufkleber haengt auf der Pinnwand in meiner Kueche. Nicht alles, was drauf steht kann ich lesen. Gibt es unter Euch Mandarin-Experten??