Unser europaeisch-abendlaendisches Zeitverstaendnis beruht auf der Vorstellung der Linearitaet. Demnach spult sich eine einzige gerade Zeitlinie ohne Umwege gleichmaessig ab. Zeit hat demzufolge auch einen Anfang. Zunaechst aufgrund der Bibel und der darin geschilderten Generationenfolge noch in der fruehen Neuzeit auf 4000 Jahre vor Christi Geburt berechnet, uebernahm nach der Aufklaerung (einer Zeitepoche, die en passant auch unsere Zeitvorstellungen aenderte) die Wissenschaft die Rechnungspruefung
und schickte die Astronomie und Archaeologie ins Feld, um den Beginn der Erde und den Beginn der Menschheit zu bestimmen. Wenn die Zeit einen Anfang hat, dann muss sie theoretisch auch ein Ende haben. Die Bibel erklaert das mit der Ewigkeit. In ihr ist die lineare Zeit aufgehoben und ein zeitloser Gluecks- oder Elendszustand im Himmel oder in der Hoelle steht am Ende unserer messbaren Zeit. Das juengste Gericht, von den Ur-Christen noch zu ihren Lebzeiten erwartet, leitet diese Nicht-Mehr-Zeit ein. Die Naturwissenschaften erklaeren das Ende der Zeit mit dem Vergluehen der Sonne und dem Verschwinden der Erde in der Bedeutungslosigkeit des Sternenstaubs. weiterlesen »
Ich habe mich schon im Studium Anfang der 90er Jahre mit den islamischen Bewegungen und dem Politischen Islam beschaeftigt. Und dann tauchte da ploetzlich eine neue Richtung auf: Junge, sehr modebewusste, sehr erfolgsorientierte Muslime, die zugleich tiefreligioes sind. Viele der Jugendlichen kommen aus der Mittelschicht, oder sogar die Kinder der Oberschicht in den arabischen Laendern sind dabei. Die Jugendlichen also, von denen wir
, der Westen, immer dachten, dass es nur eine Frage der Zeit ist, bis sie ganz so werden wie wir. Zunaechst erscheint diese Bewegung unpolitisch. Sie setzt darauf, dass jeder einzelne Muslim etwas aus seinem Leben macht, ein besserer Mensch und ein besserer Muslim wird und dadurch im Endergebnis die Gesellschaft besser, also islamischer wird. So soll dann auch die islamische Ummah aus ihrer derzeitigen Krise gezogen werden. Wichtig fuer die Bewegung sind Prediger wie Amr Khaled oder Musiker wie Sami Yusuf. Das Phaenomen ist sehr global: Junge Muslime in Kairo, Dschidda, Tokio und Berlin hoeren die gleiche Musik, sehen die gleichen religioesen Talk-Shows und tragen sogar das Kopftuch nach aehnlicher Mode gebunden. Der Terror im Namen des Islam und der Kampf dagegen bestaerkt sie eher in ihrer muslimischen Identitaet – nach dem Motto: Ihr seht mich als anders, ich bin auch anders und das ist cool. weiterlesen »
Das alte kapitalistische Sprichwort Zeit ist Geld
ist nie zutreffender gewesen als heute. Allerdings ist die Zeit, von der da die Rede ist, die zukuenftige und nicht die jetzige. In unserer postmodernen Zeit ist es die Zukunft, die zaehlt. Sie ist allerdings keine, die wir uns selbst durch Hoffnungen und Kaempfe geschaffen haben, sondern eine Zukunft des Konsums, in der wir erst konsumieren und spaeter den Preis dafuer bezahlen. weiterlesen »
Bis zu einem gewissen Grade laesst sich das erstaunliches Mass an Religiositaet in den USA auch auf die Angst zurueckfuehren, unter den gegebenen Umstaenden der Beschleunigung, den Anschluss zu verlieren. Allerdings darf man es sich hier mit vorschnellen Erklaerungsansaetzen nicht zu leicht machen. Die spezifische Form der Froemmigkeit in den USA, die calvinistisch gepraegte Erweckungsfroemmigkeit, kann teilweise auf vormoderne Traditionslinien zurueckgreifen und ist dadurch eng mit der Frage nach dem Proprium amerikanischer nationaler Identitaet verknuepft. weiterlesen »
Ich weiss nicht, ob es in meinem Alltag Bescheunigungszwaenge
gibt. Es gibt allerdings Zeitdruck und das in gleich doppelter Form. So muss ich zum einen am Programm des Verlages arbeiten, und fuer die Buecher, die neu erscheinen, werden weit im Voraus Erscheinungstermine festgesetzt, an diese sollte man – glaubt man als Verleger zumindest – sich auch halten. Die Messen sind ebenfalls Stichdaten. Nun kann man aber nicht an jedem Tag gleich gut lektorieren, nicht an jedem Tag in gleicher Weise geistig arbeiten. Da baut sich in Monaten wie diesem – drei Wochen vor der Buchmesse Frankfurt – schon ein ziemlicher Druck auf. Zugleich muss ich, um mir meine Verlagsarbeit leisten zu koennen, als Journalist arbeiten – denn der Verbrecher Verlag wirft noch keine nennenswerten Ertraege ab, obschon er sich gut entwickelt hat. Da kann es schon mal dazu kommen, dass man zehn bis zwoelf Stunden am Tag arbeitet, oder an jedem Tag des Wochenendes. Dann aber gibt es auch wieder Tage, da arbeitet man nur zwei bis drei Stunden. weiterlesen »
Philosophie ist Widerstand gegen den Zeitgeist, gegen die Beschleunigungszwaenge, gegen die Verlangsamungsappelle ihrer Zeit. Philosophie ist nicht anachronistisch, sie ist diachronistisch, das heisst sie durchquert ihre sozial, politisch, oekonomisch, kulturell etc. kodierte Zeit. Die Philosophie kennt ihre eigene Geschwindigkeit. Manchmal liegt ihre Beschleunigung in der Zurueckhaltung, in einer gewissen theoretischen Distanzierung und Abstinenz im Verhaeltnis zu den Problemen der Zeit
. Manchmal beschleunigt die Philosophie, indem sie verlangsamt, indem sie sich entschleunigt oder sich tot stellt. weiterlesen »
Mozart komponierte so schnell, dass einer aus unserer Zeit nicht einmal schneller seine Noten abschreiben kann. Japanische Postboten vor dreihundert Jahren brauchten keine Woche, um von Tokio bis Kioto zu Fuss zu gehen. Wir sind langsam geworden und denken, dass wir uns nur deshalb langsam vorkommen, weil die technische Entwicklung unmenschlich schnell ginge. Ich teile nicht die Nostalgie nach der guten, alten Zeit, in der alles langsamer gewesen sein soll. Es ist dennoch wahr, dass es heute einen Zeitdruck gibt: das Gefuehl, immer schneller mehr, oefter, groesser und billiger produzieren zu muessen. weiterlesen »
Sprache laesst sich nicht am Massstab von Zeit und Geschwindigkeit verstehen. Sie ist, vor allem in Schriftkulturen, ein Element gesellschaftlicher Stabilitaet und sorgt fuer Kontinuitaet. Kollektive und individuelle Identitaeten sind auf diese Stabilitaet angewiesen. Aber die Zeit geht an Sprachen nicht vorbei. Sie wandeln sich, und dafuer brauchen sie Zeit. Gegenwaertig kann man in mancher Hinsicht von einer Beschleunigung solchen Wandels sprechen. So gibt es offenbar eine Beschleunigung des Sprachensterbens. Es gibt Berichte, dass in Australien, Lateinamerika und einigen Regionen Asiens mit verschwindenden kleinen ethnischen Gruppen gegenwaertig Sprachen mit einer nicht bekannten Geschwindigkeit sterben
. Aber es ist zweifelhaft, dass es einen direkten Zusammenhang dieses Sterbens mit der Globalisierung gibt. Die Gleichzeitigkeit duerfte eine blosse Koinzidenz sein. weiterlesen »
In unseren Zeiten ist die Beschleunigung aufs Engste mit der zunehmenden Geschwindigkeit der Informationsuebermittlung verknuepft. Informationen, die uns erreichen, veraendern die Richtung, in die wir uns bewegen und dies verwandelt sich in Informationen, die wiederum die Richtung derer modifizieren, die uns umgeben. Es ist offensichtlich, dass die Beschleunigung, die durch die neuen Medien hervorgebracht wird und die eine zunehmend grosse Informationsmasse in Umlauf bringt, sich in jeder Kleinigkeit unseres Alltags bemerkbar macht. weiterlesen »