McDEUTSCH
In Deutschland diskutiert man im Parlament, in der Popmusik und in den Schulen über den richtigen Gebrauch der deutschen Sprache sowie über ihre Bedeutung als nationale Identitätsprothese. Doch ist aus dem vermeintlich deutschen Kulturbesitz nicht längst ein globales Gemeingut geworden? Der Berliner Gazette e.V. befragte dazu im Jahr 2006 Kulturschaffende aus über 20 Ländern im Rahmen des durch die Kulturstiftung des Bundes geförderten Dialogprojekts „McDeutsch“.

Die gleichnamige Buchpublikation, erschienen im Kulturverlag Kadmos, bündelt sowohl in deutscher als auch in englischer Sprache 24 der insgesamt 50 Protokolle, die im digitalen Mini-Feuilleton berlinergazette.de erschienen. Auf dieser Grundlage werden in Kooperation mit diversen Institutionen Konzepte entwickelt, um die Fragestellungen des Projekts einer internationalen Öffentlichkeit zugänglich zu machen.
  • Das Wortspiel als Lebenssinn

    Ich wurde 1967 in Dresden geboren. Meine Mutter war Bulgarin und mein Vater Ungar. Beide waren Stipendiaten und haben an der TU in Dresden studiert. Mein Vater lebte seit elf Jahren in Dresden, meine Mutter seit neun. Sie haben sich hier kennen gelernt und schliesslich 1963 im Rathaus Pankow geheiratet. Da mein Vater kein Bulgarisch sprach und meine Mutter kein Wort Ungarisch, ist die deutsche Sprache die Sprache ihrer Liebe gewesen und wurde auch zu unserer Familiensprache. Als ich geboren wurde, kamen meine Grosseltern aus Sofia nach Dresden um zu helfen. Sie wohnten zwei Jahre lang in einer kleinen Wohnung im gleichen Haus. Hier war die Windelwaescherei und hier wurde der Brei fuer mich gekocht. Mit meinen Eltern sprach ich Deutsch, mit meinen Grosseltern Bulgarisch. Als ich zweieinhalb wurde fiel die Entscheidung, nach Budapest zu ziehen. Obwohl ich Ungarin war, sprach ich bis zu diesem Zeitpunkt noch kein Wort Ungarisch. weiterlesen »

  • Subtiler Sprachsalat

    Soweit ich mich an meine Kindheit erinnern kann, hiess es bei uns zu Hause – in einer industriellen Stadt der spanischen Kueste am Atlantik – vor dem Schlafengehen immer: Gute Nacht! Schlaf gut! Erst spaeter habe ich begriffen, warum meine Freunde, die bei uns uebernachtet haben, diese vier Woerter komisch gefunden haben. Es kam ihnen wahrscheinlich Spanisch vor. weiterlesen »

  • Maschinen sprechen eigentlich Deutsch

    Meine Muttersprache ist zwar Niederlaendisch, aber im Laufe der Jahre kamen immer mehr englische Woerter hinzu – bei uns Zuhause waren immer viele internationale Gaeste zu Besuch. Popmusik hat dabei auch eine wichtige Rolle gespielt, vor allem die fremden Klaenge der Schallplattensammlung meiner Eltern. In Amsterdam Mitte und Ende der 1960er Jahre als Kind aufzuwachsen, war etwas Besonderes: Die ganze Politik-, Drogen- und Sexrevolution vor der eigenen Tuer mitzuerleben, war schon sehr praegend. Mein Vater war damals viel unterwegs und lernte in dieser Zeit Russisch und Italienisch. Ich dagegen interessierte mich fuer Deutsch. weiterlesen »

  • Rhymen ohne Buecher

    Ich bin in Berlin geboren und jetzt 14 Jahre alt. Mein Vater kommt aus Martinique, das ist so ’ne Kolonie von Frankreich gewesen und meine Mutter ist Deutsche. Ich hab zuerst Deutsch Zuhause gelernt. Mein Vater hat mit mir am Anfang immer auf Franzoesisch gesprochen und irgendwann nach ’ner Weile gar nicht mehr, dann nur noch auf Deutsch. Aber trotzdem hab ich Franzoesisch nicht vergessen. Ich hab oft meine Grosseltern in Frankreich besucht und ich war im Sommer immer im franzoesischen Ferienlager. Diesen Sommer werde ich meine Oma in der Karibik besuchen. Ich bleibe fuer’n paar Monate und werde da die ganze Zeit Franzoesisch sprechen. Dann geh ich noch fuer’n Jahr zu meiner Tante nach Frankreich und bekomm noch mehr Sprachpraxis. Im Augenblick sprechen wir Zuhause eigentlich nur Deutsch. Ausser mit meiner kleinen Schwester, mit der spreche ich manchmal auch Franzoesisch. weiterlesen »

  • Fremd im eigenen Land

    Linguist, das bin ich. Sprache ist meine Leidenschaft, mein Daseinszweck. Meine Begegnung mit Hip Hop fand ueber Sprache statt. Meine Arbeit als Sprachwissenschaftler und Autor ist ganz stark durch meine Erfahrung als Wortkuenstler gepraegt. In meiner Arbeit als Menschenrechtsaktivist fuehre ich das Wort als Waffe. In Verhandlungen mit stoerrischen Regierungsbeamten, schmierigen Weltbankvertretern oder boesartigen Landbesitzern, die mittellosen Bauern das Land wegnehmen. weiterlesen »

  • Aus dem Leben eines Anpassschuelers

    Ich bin als Sohn iranischer beziehungsweise persischer Eltern in Berlin geboren. Meinen ersten direkten Kontakt mit der deutschen Sprache hatte ich im Alter von zweieinhalb Jahren als ich zum ersten Mal in den Kindergarten gegangen bin. Wie ich Deutsch gelernt habe, daran kann ich mich nicht mehr erinnern. Zuhause wurde Persisch, Farsi, gesprochen und im Kindergarten und spaeter in der Schule Deutsch. Also bin ich gewissermassen ohne irgendwelche Probleme zweisprachig aufgewachsen. Von einem Integrationsprozess in der Kindheit kann nicht die Rede sein. In welcher Sprache ich mich heute an meine Kindheit erinnere, kann ich nicht genau sagen aber ich glaube, dass es beide Sprachen sind. weiterlesen »

  • Hände hoch!

    Die deutsche Sprache gehoerte immer zu unseren Familienwerten. Mein Grossvater las Werke von Heine und Goethe im Original; meine Mutter arbeitete ein paar Jahre lang als Deutschlehrerin. Meine ersten Worte auf Deutsch waren leider – wie bei Tausenden russischer Kinder meiner Generation – Haende hoch! Wir spielten sehr haeufig Krieg, der Zweite Weltkrieg war unser Spielthema. weiterlesen »

  • Die Stunde des Auto-Examens

    Es war Zufall, dass ich nach Deutschland kam. Ich wollte einen Erasmus-Austausch ueber meine Kunstakademie in Helsinki machen und eine neue Sprache erlernen. Zu den nicht englischsprachigen Austauschmoeglichkeiten zaehlten Paris und Frankfurt. Mit 21 Jahren habe ich noch ganz anders gearbeitet – ich malte damals und hatte eine ganz eigenwillige Vorstellung von der Kunst in Deutschland und Frankreich. Aus irgendeinem Grunde dachte ich damals, dass man in Frankreich sehr konzeptuell mit der Arbeit umgehe und Deutschland daher besser fuer mich sei, weil die Kunst hier mehr Gefuehl habe. weiterlesen »

  • Migrationsgeschichten

    Mein Vater ist Schriftsteller, Dichter in erster Linie, also bin ich zu grossem Respekt vor der Sprache erzogen worden. Aber die Sprache funktioniert auf unergruendliche Weise … weiterlesen »

  • Erkämpfte Muttersprache

    Ich bin 1970 in der Tuerkei geboren und lebe seit meinem dritten Lebensjahr in Deutschland. Damals habe ich nur ein paar Brocken Deutsch von Nachbarskindern aufschnappen koennen. Ich hatte nicht die Moeglichkeit, in den Kindergarten zu gehen und habe Deutsch somit erst in der Grundschule gelernt. weiterlesen »

  • Stressfaktor Sprache

    Nach Berlin kam ich zum ersten Mal auf einer dieser typischen Eurail-Touren. Zu der Zeit, 1993, war ich mit drei alten Freunden aus New Mexico unterwegs und ich muss sagen, niemand von uns hielt damals sehr viel von der Stadt. Es war nur irgendein Ort auf dem Weg zu dem, was wir fuer ein weit fantastischeres Ziel hielten: Prag. Fuenf Jahre spaeter kam ich wieder nach Berlin und dieses Mal sah ich die Stadt mit ganz anderen Augen. weiterlesen »

  • Jenseits der Fremde

    Mein Alltag, sprachlich gesehen, ist ueberwiegend von Arabisch und Deutsch gepraegt, aber Hebraeisch und Englisch gehoeren auch dazu. Zuhause, in der Naehe von Bayreuth, spreche ich mit meiner Familie Arabisch und Deutsch, ebenso bei meiner Arbeit als Dozent fuer die arabische Sprache. So spaziere ich regelmaessig auf den Bruecken beider Sprachen, ohne genau festzulegen, mit welcher Sprache ich denke, traeume oder liebe. Entscheidend ist nur die Situation, in der ich mich gerade befinde, dann schaltet sich blitzartig die eine oder andere Sprache ohne Vorwarnung ein – und das ist gut so. weiterlesen »