MINIMUM
In einem medialen Klima, welches von Rhetoriken der Inklusion und Exklusion geprägt ist und welches zunehmende Polarisierungen innerhalb der Gesellschaft spürbar werden lässt, ruft die Berliner Gazette im Jahr 2008 dazu auf, das Gemeinsame zu definieren. Also das, was uns gleichermaßen verbindet und unterscheidet und das, was uns politisiert. Und zwar grenzübergreifend. Dies wäre das „minimum“. Diese Hypothese ist der Ausgangspunkt für Fragen, welche die Redaktion Intellektuellen stellt, so unterschiedlich wie AktivistInnen, WissenschaftlerInnen, KünstlerInnen, IntendantInnen und MedienproduzentInnen.
  • Sich zu den Verhaeltnissen verhalten

    Der Schriftsteller Dietmar Dath sagt mit Blick auf die Jugend, eine Freundschaft werde erst dann richtig interessant, >wenn man gemeinsame Interessen hat, die ein bisschen abstrakter sind als Schwimmbad, Grillen mit den Eltern und Lego<. Ich denke: Das hat auch sehr mit den jeweiligen Beduerfnissen zu tun. So wuerde ich meine erste bewusste Phase von Gemeinschaft zum Beispiel als eine zwangslaeufige bezeichen, als Zusammenschluss von einzelnen die erst in einer Gruppe aufgehoben waren. weiterlesen »

  • Gemeinsam schwingen

    Als Kind einer Mutter, die seit ihrer fruehen Kindheit wusste, dass sie Schauspielerin werden wollte, wuchs ich mit dem Komplex auf, dieses eine, alles ueberragende Interesse, nicht zu haben. Stattdessen oszillierten meine Berufswuensche zwischen Juristin, Punk und Kunsthistorikerin. Das ich mich der Anthropologie zuwandte, verdanke ich Stephan, meinem Mann, der mir als Neunzehnjaehrige begeistert von dem Ethnologen Laszlo Vajda erzaehlte. Bei dem besuchte ich fortan Vorlesungen ueber Hexerei und Schamanismus – wobei mich die Details der Seelenreise sibirischer Schamanen an sich weniger interessierten, als Vajdas bohrender Geist und Enthusiasmus. weiterlesen »

  • Kultur und Kaeuflichkeit

    Als Jugendlicher war ich an konkreten Dingen – wie Sport, Action und Vergnuegen – interessiert und weniger an abstrakten. Dieses Interesse kam erst im Uebergang zum Erwachsen werden. Ich fing an Buecher und Zeitschriften zu lesen, die meine Freunde nicht wirklich interessierten und mithin wurde es zunaechst einsamer um mich. Anders wurde dies erst, als ich nach Berlin ging. Hier traf ich Leute mit denen ich ueber Politik, Wirtschaft und Gesellschaft reden konnte. Hier gab es unzaehlige Moeglichkeiten sich zu engagieren und Gleichgesinnte zu finden. weiterlesen »

  • Der kommunikationale Imperativ

    Relevant ueber eine regressive Identitaetsarbeit hinaus wird die Rueckschau auf die eigene Jugend wohl nur, wenn diese nicht zur Ursuppe der Eigentlichkeit verklaert, sondern als eine Etappe von Kaempfen und Widerspruechen begriffen wird. Diese Phase ist eher von Mangel denn von idyllischer Fuelle gepraegt. In meinem Falle gehoerte dazu auch, dass ich mich alleine, historisch zu spaet dran und am falschen Ort waehnte. Ich hoerte, damals in Stuttgart 1982, gerne >Das war vor Jahren< von den Fehlfarben und imaginierte mich ins Duesseldorf des Jahres 1978. weiterlesen »

  • Grund oder Gewicht

    Christine ist heute Fotografin, sie ist Mutter von drei oder vier Kindern, eine erfolgreiche, schoene Frau. Nach mehreren Jahren in Indien lebt sie seit einigen Jahren wieder in ihrer Heimatstadt. In unserer Heimatstadt. Wir hatten uns schon frueher aus den Augen verloren, liefen uns auf einer Vernissage ueber den Weg: Da war grosse Freude auf meiner Seite, ein bisschen Aufregung fast, als ich sie ansprach. Nach ein paar Saetzen sagte sie dann: Dass du den Laden hier leitest, wundert mich gar nicht, du warst schon als Kind ziemlich ehrgeizig. weiterlesen »

  • Wer sind wir, und wenn ja, wie einzeln?

    Die Auseinandersetzung mit >Freundschaft< begleitet mich seit meiner Kindheit, als Realitaet, als Begehren, als Irritation. Auch wenn es vielfaeltige Interessensueberschneidungen unter Freunden geben kann, kann man Freundschaft nicht weit genug fernhalten von der Politik eines gemeinsamen Interesses. Freundschaften sind keine Interessensgemeinschaften zur Optimierung eigener oder gemeinsamer Projekte. Deshalb ist der inflationaere Gebrauch des Begriffs Freundschaft zur Beschreibung von Netzwerk-Geschaeftsbeziehungen ein sicheres Indiz dafuer, dass es sich nicht um Freundschaft handelt. Die eigenstaendige Kraft der Kategorie liegt aus meiner Sicht vielmehr darin, dass sie in einem bestimmten Sinn keine Gruende kennt. Und eben darin liegt ihre Irritation. weiterlesen »

  • Das Klima braucht Sozial-Hilfe

    Jugendfreundschaften koennen auf ganz unterschiedlichen Interessen begruendet sein. Viele Freundschaften basieren auf gemeinsam ausgeuebten Hobbys wie sportlicher oder musikalischer Betaetigung. Wenngleich gemeinsame Hobbys auch bei meinen Freundschaften eine Rolle spielten, so waren und sind diese staerker davon gepraegt, wie ich etwas mit einem anderen Menschen mache als was wir machen. Ein Mensch, mit dem ich gut gemeinsam wandern koennte, wuerde mir dennoch bald langweilig werden, wenn ich mich mit ihm nicht auch interessant unterhalten koennte. weiterlesen »

  • Logik des Lachens

    Leider sind alle meine Freunde aus der Schulzeit verschwunden. Die einzige Ausnahme ist mein Freund D., der in Innsbruck trotz eines Doktorates in Psychologie nie so richtig die Kurve gekriegt hat. Mit ihm stehe ich regelmaessig via Skype (Chat und Messages) in Verbindung, ich lebe ja seit 18 Jahren in New York City. Die anderen haben die Kurve gekriegt, sind also entweder verheiratet, ver-job-ed, vergeben oder vergangen. Ich komme aus den Vorarlberger Bergen und meine Interessen fuer die Welt, die Literatur, die Kunst, die Politik und das Leben, die wurden von Mitschuelern im besten Falle ignoriert, aber nicht von vielen geteilt. weiterlesen »

  • Integralrechnung der Exklusivitaet

    Das Abstrakte wird gerne kulturkritisch verdaechtigt, die sozialen Bande zu durchtrennen und alle Beziehungsverhaeltnisse der Logik des Tauschwerts zu unterwerfen. So als ob die sozialen Bande von Familien und feudalen Ordnungen nicht selbst schon abstrakt genug waeren und die Konkretheit von abhaengigen Nahverhaeltnissen etwas irgendwie Besseres darstellen wuerden als die Tauschwerte. An ihnen weiss man wenigstens, was man hat. Insofern hat Dietmar Dath zweifellos Recht, dass es auf genau die Bande[n] ankommt, die solche Konkretheit ueberschreiten helfen. weiterlesen »

  • Gemeinsam durchmachen

    Taten also, nicht Gedanken verbinden Menschen eher – sagt Dietmar Dath und das ist in der Tat eine schoene Umschreibung fuer das, was bei den Projekten meiner Performance-Gruppe Rimini Protokoll oft passiert: dort finden sich die unterschiedlichsten Menschen ein, die alles, was sie von ihren Leben oder ihren jeweiligen politischen Position erzaehlen, eher trennt als eint. Es ist mir immer ein schoenes Gedankenexperiment mir vorzustellen, wie diese Menschen – ohne sich zu kennen – mit einander in dem Grossraumwagen eines ICEs aussehen wuerden, wie scheel die Blicke waeren, wie laut das Echauvieren, wie heftig der Zungenschlag oder das unglaeubige Gaffen. In den wenigsten Faellen wuerden sie sich aber oeffnen und miteinander ein Gespraech fuehren, Gedanken austauschen. weiterlesen »

  • Lange Harren

    Fuer einen Punkt geben die von anfaenglich kleinen Studentengruppen ausgeloesten Proteste und Revolten, die vor allem in Frankreich 1968 einen konkreten Hoehepunkt erreichen, in anderen Laendern, wie Deutschland, jedoch bloss in der geschichtlichen Erinnerung ein ueberragendes Datum bedeuten, ein sehr gutes Beispiel ab: Ein tiefgreifender, ansteckender Drang nach gesellschaftlicher Aenderung muss nicht mit einer oekonomischen oder auch nur sozialen Krise einhergehen. Das Ende der 1960er Jahre bildet mit Ausnahme vielleicht Englands (wo die Proteste ironischerweise auch noch gemaessigt ausfallen) noch nicht das Ende einer Phase enormen wirtschaftlichen Wachstums und technologischer Expansion, die in den USA mit, in Westeuropa nach dem Zweiten Weltkrieg einsetzt. weiterlesen »

  • Feindliche Uebernahme

    Die Frage danach, welcher Generation ich selbst mich zugehoerig fuehle, ist natuerlich nicht beantwortbar. Nicht nur, weil jede Selbst- oder Fremdzuweisung zu einer Kohorte oder einem Label zugleich eine Kraenkung von eigenen Identifizierungs-, Originalitaets- und Lebensgestaltungsanspruechen ist. weiterlesen »