MINIMUM
In einem medialen Klima, welches von Rhetoriken der Inklusion und Exklusion geprägt ist und welches zunehmende Polarisierungen innerhalb der Gesellschaft spürbar werden lässt, ruft die Berliner Gazette im Jahr 2008 dazu auf, das Gemeinsame zu definieren. Also das, was uns gleichermaßen verbindet und unterscheidet und das, was uns politisiert. Und zwar grenzübergreifend. Dies wäre das „minimum“. Diese Hypothese ist der Ausgangspunkt für Fragen, welche die Redaktion Intellektuellen stellt, so unterschiedlich wie AktivistInnen, WissenschaftlerInnen, KünstlerInnen, IntendantInnen und MedienproduzentInnen.
  • Literaturmasochismus

    Ich bin in den Achtzigerjahren aufgewachsen. Eigentlich war das eine recht angenehme Zeit. Zumindest herrschte selbst in einer niedersaechsischen Kleinstadt kein Mangel an identitaetsstiftenden Angeboten fuer Jugendliche. Die Popkultur und ihre angeschlossene Verwertungsindustrie stellten eine feindifferenzierte Matrix aus Musik, Mode und maschinellen Technologien zur Verfuegung, auf der jederzeit spontane Verknuepfungen moeglich waren. Hier ging es allerdings weniger um Freundschaft und Gemeinschaft als um lose Bindungen: Ein neues Album von U2 konnte auf dem Schulhof intensive, aber zeitliche beschraenkte Allianzen schaffen, genau wie der rege Tauschhandel mit gewaltverherrlichenden Computerspielen und indizierten Videofilmen. weiterlesen »

  • Zum Zeichen der Freundschaft

    >Freundschaft< ist soziologisch gesehen ein komplexer, aber uebersichtlicher Begriff. Wie >Liebe< kennzeichnet er eine Beziehung, die um ihrer selbst willen besteht. In manchen Beziehungen wird der der >Freundschaft< genutzt, um ganz andersartige Beziehungen zu entspannen oder sie in ein Licht zu stellen, in dem der Zweck nicht mehr so aufdringlich sichtbar ist. Auch Geschaeftsbeziehungen verlangen Vertrauen, das nach aussen hin mittels >Freundschaft< begruendet werden kann. weiterlesen »

  • Das Sein verstimmt das Bewusstsein

    Die tiefsten und bestaendigsten Freundschaften haben sich in der Tat dort ausgepraegt, wo die lebenstilistischen Uebereinstimmungen hinter die Uebereinstimmung in politischen und weltanschaulichen Fragen zurueckfielen. Irgendwann wurde die Diskussion ueber Marx, dieses zunaechst konturlose und im Laufe der Jahre (auf unterschiedliche Art und Weise) konkretisierte >Linkssein< wichtiger als die Frage, ob man die gleiche CD mag oder die gleiche Kleidung traegt, was ja wohl das genaue Gegenteil der Diagnosen ist, die in der >Generation Golf< aufgestellt wurden. Natuerlich werde ich immer >Opfer< meiner sozialstrukturellen Disposition, immerfort jene Menschen zu treffen, die mir habituell ohnehin nahe stehen und das zu moegen, was ich habe, weil ich habe, was ich mag. weiterlesen »

  • Gleichheit vs. Gemeinsamkeit

    Ich moechte mich im Folgenden auf das Nachdenken ueber das >Gemeinsame< konzentrieren. Zum Einen gehe ich der Ueberlegung nach, was eigentlich Gemeinsamkeiten mit anderen Menschen ausmacht, sei es beruflich oder privat. Dieses >Gemeinsame< liegt meiner Ansicht nach weder in geteilten Kindheitserinnerungen noch ist es in abstrakten Interessen auszumachen. weiterlesen »

  • All-gemeine Relativitaetstheorie

    Dass sich die Gesellschaften polarisieren, das mag vor allem ein Wahrnehmungsphaenomen sein. Bislang habe ich keine Statistik gesehen, die das zweifellos belegt. Zeugt der Zweifel daran, ob man nun Teilhaber oder Ausgeschlossener ist, nicht davon, dass viele in einer Maximalmischung leben? weiterlesen »

  • Aesthetische Erregung

    >Da ist es wieder, dieses Deutschland<, dachte ich, als ich im September letzten Jahres von der Schweiz aus mit dem Zug nach Darmstadt fuhr und beim Umsteigen in dem von Frittierfett geschwaengerten Untergeschoss des Mannheimer Hauptbahnhofs einen ueberbruehten Kaffee trank. Ich spuerte im Freudschen Sinne des Wortes etwas Unheimliches, es war das Wiedersehen mit etwas >Heimlich-Heimischen<, sprich: einem verdraengten Bekannten. weiterlesen »

  • Unsere Grundausstattung

    Die Interessen, die ich in meiner Teenagerzeit entwickelte, hielt ich damals fuer wenig vermittelbar und fand das auch nicht weiter schlimm. In der zehnten Klasse fragte mich einmal eine Mitschuelerin, was fuer Musik ich so hoere, und ich sagte wahrheitsgemaess: im Moment hoere ich immer eine Bachkantate, bevor ich zur Schule fahre. Das war es dann mit dem Kontakt. Ich las mich durch Philosophie, Kulturgeschichte und Weltliteratur, mochte Spinoza und Bartok und japanische Literatur undsoweiter, aber ich fuehlte mich vor allem wie ein Elefant im Porzellanladen. Ich hatte ja auch Pickel und benutzte komische Woerter. Zum Glueck fand sich eine Freundin, die ein paar Jahre aelter war und Theologie studierte, dann zum Judentum konvertierte und heute in den USA lehrt. Das war die Rettung. weiterlesen »

  • Gemeinsamkeit beunruhigt

    Ich war gepraegt durch die Einsamkeit des Aufwachsens in einer Kleinstadt an der Grenze zur damaligen DDR und zur Tschechoslowakei, einer intellektuell ziemlich trostlosen Gegend. Meine erste intellektuelle Freundschaft hatte ich waehrend der Zeit des Ersatzdienstes, den ich im Rahmen von Aktion Suehnezeichen in Chicago absolvierte. Mit Rudolf, der sich in der gleichen Situation befand, ging es um alles: Lebensentwuerfe und Lebensformen (Alternativen zur Kernfamilie), Gesellschaftsvisionen (wie ist ein nicht autoritaerer Marxismus moeglich?). Es war eine Zeit, bei der jede Woche neue Ideen ueber moegliche Studienfaecher aufkamen und wieder verworfen wurden. Rudolf brachte schliesslich die Sozialpaedagogik ein, ich die Ethnologie. Wir studierten beide beides. Der gemeinsame Traum war Entwicklungshilfe. weiterlesen »

  • Im verbauten Terrain

    Freundschaft basiert fuer mich in erster Linie auf einer persoenlichen Verbundenheit, die staerker ist als eine thematische. Darin unterscheidet sich eine persoenliche Freundschaft von einem beruflichen Kontakt. Freundschaft ist eine Art Beziehung, die auf Zuneigung, Verbundenheit, und Respekt basiert. Fuer mich ist auch eine >gemeinsame Sprache< sehr wichtig, was nicht heisst, dass man sich in allen Dingen einig ist. weiterlesen »

  • Eure Armut heisst Mangel

    Was einen mit Leuten verbindet, sind ja nicht Themen (Idealismus), sondern Interessen (Materialismus), also Taten, nicht Gedanken. Mich und meine Leute verband bald die Freude daran, die Erwachsenen zu verstoeren (fliegende Untertassen; LPs aus dem Elternplattenschrank auf 45 abspielen und dazu rumtoben; die Bibel mit Aenderungen auf den Stufen der Kirche neben dem Kinderhort nachspielen), zu aergern und zu schaedigen. weiterlesen »

  • Parka, Jeans und lange Haare

    >Jugend< ist ja ein hoechst schillernder Begriff geworden. Bei manchen dauert sie bis Ende dreissig, bei anderen bis fuenfzig oder gar bis ans Lebensende. Es war und ist bekanntlich unsere Generation gewesen, die den Jugendlichkeitswahn fuer sich entdeckt und ihn dann kultiviert hat, von der Mode ueber Stilfragen und Ernaehrungsgewohnheiten bis hin zur Rock- und Popkultur. weiterlesen »

  • Keine Beruehrungsaengste

    Da ich in einem spanischsprachigen Land aufgewachsen bin, hatten die fesselndsten Themen, um meine ersten Gespraeche mit anderen Intellektuellen (Aktivisten, Schriftstellern, Kuenstlern, Akademikern) ausserhalb meines Heimatlandes aufzubauen, fuer mich mit Literatur zu tun. Ich nahm Kontakt zu einer Gruppe aus San Diego auf, die sich >Taco Shop Poets< nannten und gleichzeitig sprach ich mit Cyberpunks, die mit dem Internet arbeiteten, sowie DJs vornehmlich aus der elektronischen Musikszene Sand Diegos. weiterlesen »