Schreiben wie man spricht. Das ist spontan, eingaengig, das holt den Leser dort ab, wo er ist. In der Tageszeitung kultiviert, in den Blogs adaptiert? Wer sich wie ich jeden Morgen durchklickt, merkt frueher oder spaeter: Hier schreibt kaum jemand wie er sprechen wuerde. So spricht kein Mensch, wie Mensch hier schreibt. Vielmehr laesst sich hier eine Stilisierung des Oralen ausmachen. Es quaekt und bloekt, als haette der Herrgott vergessen in der Krabbelstube den Wecker zu stellen. Konsequenzen so unterschiedlich wie Babysprache und Streetslang. Bezeichnenderweise dort, wo auch anderes drin bzw. zu erwarten waere. Der Gebildete bildet Saetze, die an Nonsense grenzen. Professor Martin Hufner etwa setzt sich innerhalb seines Blogs als Dompteur eines Vokabulars in Szene, das von vermarketicken
ueber Schwitzkasten
bis hin zu Wiedervereinigungsluft
reicht. Hufners linguistische Masse weicht Fragen auf und laesst uns im Dunkeln stehen: Parodiert er Blog-Sprache oder betreibt er poetische Theorie-Praxis, die nicht eindeutig zu erkennen geben will, ob sie aufklaeren moechte oder in erster Linie auf sich selbst bezogene Reflexion ist. Dennoch merken wir: Der ambitionierte Blogger macht das Sprachexperiment zu dem, was seit 1763 durch die Romanuebersetzung des Tristram Shandy
von Laurence Sterne als Lieblingsbeschaeftigung gebraeuchlich wurde – zu seinem Steckenpferd
. Und sobald das Deutsche bewusst debloggt wird, beginnt es biegsam, dehnbar, ja: geradezu innovativ zu werden. Das erinnert mich an die Anfaenge der Berliner Gazette. Damals, vor mehr als 80 Internetjahren… Das Sprachexperiment fand vor allem in der Kolumne des Mini-Feuilletons im elektronischen Briefformat statt. Das Postskriptum – wie gesagt, der Vorlaeufer des Logbuchs – hatte im Vergleich dazu keinen Ehrgeiz. Der Ehrgeiz bestand aber darin, eine Sprache zu finden, die der Lese- und Schreiboekonomie des Internet entspricht. Es ging um eine neue Aesthetik. Eine Aesthetik der Beschleunigung und Vernetzung, wenn man so will. Heute sind diese Anliegen in den Hintergrund getreten. Die Kolumne ist erwachsen geworden. Um so erfreulicher, dass solche Claims und Fragen nun im Logbuch der Berliner Gazette wieder auftauchen.
Oder hat sie Ich bin Deutschland
gesagt? Thomas Ostermeiers neues Stueck >Liebe ist nur eine Moeglichkeit< laesst den Zuschauer mit dieser Frage allein zurueck. Man konnte es nunmal nicht so genau vernehmen. Der Grund: Eine hochgepegelte Geraeuschkulisse gepaart mit der unterentickelten
Artikulationsfaehigkeit der Protagonistin. Sie: Graziella, Ende 20, gerade frisch eingeflogen aus den Philippinen, vermittelt an Bernhard, der sie in irgendeinem Kuppler-Katalog fuer sich entdeckte. Liebe auf den ersten Blick, wird er spaeter seinen misstrauischen Kollegen und Freunden erklaeren. Dennoch Schwierigkeiten miteinander zu kommunizieren. Sprachlosigkeit gar. Im schwarzen Loch der Verstaendigung gefangen, befreien sich die Figuren umgehend, in dem sie traumwandlerisch in konventionelle Rollenverhaeltnisse zurueckfallen. Wo auf sprachlicher Ebene der gemeinsame Nenner fehlt, da stellt er sich auf habituell-sozialer Ebene ein. Gespenstisch. Wie auch die vielen Momente eingefrorener Bewegung auf der Buehne: Stillleben mit Menschen. Tableaux Vivantes. Edward Hopper trifft David Lynch. Und dann wieder hocherhitzte Interaktion, bis hin zum spastisch-moschenden Hirnverlust. Oder wissen sie noch, was sie da tun, wenn sie wie neurotische Anfaenger versuchen Heavy-Metal-Sound in Koerperbewegungen zu uebersetzen? Dezentrierte Choregraphie, Intervall-Theater, Dramaturgie, die atmet und bisweilen kaum noch Luft bekommt. Am Ende bleibt die Frage: Will die Filipino-Braut Deutsch lernen oder Deutschland sein? Rechtmaessig erscheint beides.
In Berlin lauern sie an jeder Ecke: Tafeln, Banner und Leuchtreklamen. Vor allem die Reklame fuer Schnellimbisse und Restaurants setzt sich immer gefraessiger im Stadtraum durch. Oft sind diese hungrigen Blickfaenger jedoch kleine Oasen im eher grauen deutschen Schilderwald. Ich meine Einbahnstrasse
und Stop
hauen einen ja nun wirklich nicht vom Hocker. Aber die Tafeln von Doenerbuden und Gaststaetten ueberraschen mich immer wieder mit eigenwilligen Interpretationen der deutschen Sprache. Bei uns in der Schoenhauser Allee gibt es ein italienisches Restaurant, das ziemlich chic aussieht. Jeden Tag steht vor dieser Lokalitaet eine Tafel mit den Tagesangeboten. Letzte Woche gab es zweifarbig gefuehlte Maultaschen
– ein poetisches Gericht! Und gestern dann Nudeln mit Gemuese und Kroetersauce
. Mmmh, Kroetersauce
Fand ich dann aber doch ein bisschen abschreckend, zumindest die Vorstellung von Sauce, die aus Kroeten gewonnen wird. Kastanienallee Ecke Schoenhauser gibt es ein recht beliebtes Lokal mit indischen Speisen. Die bieten Sheks, Begs und Mango-Lassi
an. Ich musste schon Recherchen anstellen, um herauszufinden, was Sheks und Begs sind. Aber logo: Shakes und Becks. Und zwei Haeuser weiter, beim Kebab-Center gibt es >Chickendoener mit Huehnfleisch<. Und so weiter und so fort. Berlin ist eine internationale Stadt und deswegen ist es auch okay, dass hier so etwas wie ein internationales Deutsch entsteht. Von Verlotterung keine Spur. Eher: Deutsch als Open Source. Den Quellcode kann jeder erweitern, abhaengig davon wie viel Zeit man hat und welches Interesse. Schilderdeutsch zeigt jedenfalls in welche Richtung das gehen kann.
Die Berliner Gazette betreibt seit vier Jahren ein Logbuch. Es ist im deutschen Sprachraum das erste redaktionell betreute Blog, das allerdings niemals ein Blog sein wollte und auch heute kein Blog sein will. Krystian Woznicki erklärt warum. weiterlesen »
Ich bin ein unabhaengiger Filmemacher, Autor und Produzent, der sich in Mexiko-Stadt, dem Distrito Federal
, niedergelassen hat. Ich lebe in der Innenstadt, und zwar in einer Gegend, die Zona Rosa
genannt wird. weiterlesen »
In Alanya, etwa vier Kilometer vom Zentrum und hundert Meter vom Meer entfernt, lebe ich seit 2002. Jeder Tag laeuft anders ab als ich es plane. Unter normalen Umstaenden haelt das kein Mensch aus, sollte man denken. Aber es ist moeglich. Allein nur, wenn ich morgens auf mein Dolmus
, mein Sammeltaxi, warte und das blau-tuerkise Meer sehe und es in vollen Zuegen auch einatmen kann, dann bin ich vollgetankt mit Energie, offen fuer den Tag und das, was er zu bieten hat. Auch die Europaeer, die hier leben, sind von dieser Stimmung infiziert. Im taeglichen Umgang merkt man: Wer stur Termine einhalten will, ist hier am falschen Platz. Wer beim Kunden kurz angebunden nur abkassieren und weiter ziehen will, bekommt den Vorwurf zu hoeren: Wo bleibt die menschliche Beziehung? Sie haben nicht mal Zeit, mit uns einen Tee oder Kaffee zu trinken und zu plaudern.
Deshalb moechte ich an dieser Stelle behaupten, dass die Menschenrechte
im tuerkischen Volk in dieser Hinsicht verwirklicht worden sind. weiterlesen »
Das Licht geht aus, die Zeitschaltuhr auf dem Flur tut ihren Dienst. Ploetzlich im Dunkeln lausche ich mit ganz anderen Ohren der Stimme eines Freundes und staune, welche Raeume sich da auftun. Wie reich eine Sache sein kann, wenn man seine Sinne darauf konzentriert, hat unlaengst der in Kasan geborene Andrej Kobiakow in seinem Protokoll >Haende hoch!< ueber seine Erfahrungen mit der deutschen Sprache fuer die Berliner Gazette beschrieben. Seit vielen Jahren lebt und arbeitet er als Journalist in Deutschland. Zwischen seiner Muttersprache Russisch und derjenigen seiner Wahlheimat eine Bruecke zu schlagen, gehoert zu seinem taeglich Brot. Die beiden Laender kulturell ein wenig naeher zu bringen und fuer Austausch zu sorgen, rief er das Projekt Mediasprut ins Leben. Hier kann man sich auf Deutsch ueber Russland beziehungsweise auf Russisch ueber Deutschland informieren. Wer sich durch den Dschungel der ueppigen Linksammlung wuehlt, duerfte die ein oder andere Perle finden. Vor allem fuer Journalisten bietet das Portal einige interessante Hinweise.
Tourismusdeutsch – dieser Begriff triggert zahlreiche Assoziationen und bietet daher aufschlussreiche Einsichten. Ueber den Zusammenhang von Deutsch und Tourismus. Oder besser noch: ueber unsere
Gesellschaft. Da waeren zunaechst handliche Woerterbuecher im Reisefuehrerformat. Wie macht sich ein Tourist in der BRD verstaendlich? Mit welchen Worten kauft er eine Stecknadel auf dem Oktoberfest, was sagt er, wenn er eine Weisswurst will? Langenscheit etwa, hat dazu zahlreiche Praxiswoerterbucher auf den Markt gebracht, die auch fuer deutsche Touristen im Ausland funktionieren sollten. Wie praxisbezogen jene tatsaechlich jedoch sind, duerfte all jenen fragwuerdig erscheinen, die (a) selbst viel reisen oder (b) im Kino >Man spricht Deutsch< gesehen haben. Darin spricht etwa der italienische Kioskbesitzer Gian Carlo Tourismusdeutsch mit einem deutschen Urlauber: Is sie immer noch aha. Geht nicht die Klo?
Doch auch umgekehrt sprechen die Urlauber Tourismusdeutsch mit ihren Gastgebern: Io…eh… Germania… eh… retour… heim… verstehen?
oder Nein, thank you, wirklich nix…no, no, nix brauchen! Ich nix kaufen! No money, last day, der letzte Tag…
Was fehlt den Sprechern in solchen Momenten? Woerterbuecher, die dem Strandgebrauch der deutschen Sprache angepasst sind? Oder ein paar Unterrichtseinheiten in der deutschen Sprache? Letzteres sagen viele Strippenzieher im internationalen Tourismusmarkt. Vergessen wir nicht: Deutschland ist Reiseweltmeister! Entwicklungen, auf die sich mittlerweile auch so ehrwuerdige Institutionen wie das Goethe Institut eingestellt haben. So hat der Bedarf der Tourismusindustrie an Deutschkenntnissen im weltweiten Netzwerk der Goethe Institute – mehr als 140 gibt es weltweit – einen regelrechten Boom an Kursangeboten in Tourismusdeutsch nach sich gezogen. Deutsch lernen ist hier engstens verknuepft mit dem Wunsch Reiseverkehrkaufmann/frau, Reiseleiter oder Hotelmanager zu werden. Und wer dabei exotisch
bleiben will, macht gelegentlich absichtlich Sprachfehler. Frei nach dem Motto: Der Kunde ist Koenig. Sowas will selbstverstaendlich einstudiert sein. Und zwar so taeuschend echt wie moeglich. Wie alles andere auch im Tourismus.
Joschka Fischer und Peter Sloterdijk haben sich am Samstag im Haus der Kulturen der Welt ueber Diplomatie unterhalten. Nicht gestritten? Nicht wirklich, und zum Teil wuerde ich das auf eine beiderseitige Abgrenzung von den geradezu talkshowhaft stichelnden und zugleich unertraeglich vagen Fragen des Moderators zurueckfuehren: Herr Fischer, Herr Sloterdijk hat eben den Diplomaten und damit Sie einen >Hypokrit
genannt, was sagen Sie dazu?< Professor Sloterdijk, der politische Diskurs in Deutschland als Sandkastenspiel denken Sie, Fischer tut Ihnen damit unrecht?
>Herr Fischer, meinen Sie auch, dass Sie persoenlich nur ein Verwalter waren, kein Akteur?< Sloterdijk fasste in seinem Beitrag einige Begriffsschoepfungen und Ueberlegungen aus seinem letzten Buch >Zorn und Zeit< nachvollziehbar und anregend zusammen. Fischer, der inzwischen in Princeton lehrt, unterschied zwei Arten der Diplomatie: Waehrend die Diplomatie zunaechst vielleicht primaer darauf abzielte, die jeweilige Seite fuer den bereits beschlossenen Krieg in eine moeglichst vorteilhafte Position zu bringen, trat spaeter eher das Krisenmanagement in den Vordergrund, nachdem angesichts der Moeglichkeit eines Nuklearschlags Krieg nicht mehr als Fortsetzung der Politik verstanden werden konnte. Diese zweite Konzeption von Diplomatie geraet Fischer zufolge in der Gegenwart allerdings durch die fortschreitende Proliferation selbst in die Krise. Diese relativ klare Analyse umwob Fischer allerdings mit zahlreichen Andeutungen, die durchaus einer Nachfrage bedurft haetten, und vielleicht sogar einer Gegenstimme. Es blieben viele Fragen und das Gefuehl, nicht eingeweiht zu sein. Wenn, wie Fischer uns beschied, selbst die duemmsten Diplomaten all die hochkodifizierten Aussagen der staatlichen Repraesentanten verstehen, fragt man sich doch, ob ein Diplomat sie nicht auch an seinen Souveraen, die Buergerinnen und Buerger uebermitteln koennte.
Mein Kollege ist ein Englaender. Er passt vollkommen in meine Schublade von einem Englaender. Das einzige, was ich mit ihm gemeinsam habe, ist folgendes: wir beide trinken schwarzen Tee mit Milch. So machen wir es naemlich in Baschkortostan, einer Provinz Russlands. Die hiesigen Tuerken, die mit uns – Baschkiren und Tataren – ethnologisch verwandt sind, trinken Tee ohne Milch. Die Niederlaender, meinte mein Kollege, lachen diesbezueglich die Englaender aus, es sei wohl kindisch, meinen die. Kartoschka
heisst auf Deutsch Kartoffel
, jedoch bei ihm Katze
. Sein Lieblingsspruch auf Russisch ist Budet sdelano!
, was eigentlich die Soldatenantwort Wird erledigt!
auf den Befehl des Vorgesetzten ist. Den Spruch kennt er aus irgendeinem Computerspiel. Befehligt er da russische Soldaten oder kaempft gegen die? Eigentlich ist er ein geiler Typ und wohnt in einem Bauernhof in der Umgebung von Berlin. Dort werden ab und zu Bauernpartys mit Wildschweinerschiessung und anschliessendem Braten veranstaltet. Alle Mitarbeiter unseres Unternehmens sehnen sich zutiefst danach, zu solch einer Party eingeladen zu werden. Sie wollen einen solchen Betriebsausflug unbedingt erleben. In ihrem Namen fuehre ich diesbezueglich Verhandlungen mit dem Kollegen. Bisher vergebens. Einmal hat dieser Landsmann des King James zu mit gesagt, Gott sei eine Katze. Warum kommt denn so was zutage? Warum glauben die Juengeren kaum an Gott? Unmodisch? Altmodisch? Schade. Jetzt aber verstehe ich, wieso die besten Schaetze Aegyptens in London ihren Hauptsitz haben.
Ich lebe in Austin Texas, der Hauptstadt des Staats mit dem Lonely Star
. Ich arbeite in Cedar Creek Texas auf dem Lande, ueber 35 Meilen von Austin entfernt, beim Hyatt Regency Lost Pines Resort and Spa, das am 1. Juni 2006 seine Pforten geoeffnet hat. weiterlesen »
Hans und Karin wohnen in Berlin
so lauten die ersten Worte einer Deutsch-Lernkassette aus unserem Deutschunterricht an meiner Universitaet in Ufa, Russland. Mit diesem Dialog fing ich mein Germanistikstudium an. >Wir kennen Hans und Karin, wir besuchen Hans und Karin<
Inzwischen lebe ich mit meiner Frau seit einigen Jahren in Berlin und habe bisher diese mittlerweile unter uns Berliner Ufaern zum Mythos gewordenen Hans und Karin gar nicht getroffen weder einzeln, noch als Paar. Selbst die Namen sind unter den Deutschen, nach meinem Empfinden, selten. Jedes mal, wenn ich diese Lernsaetze in Erinnerung rufe, fuehle ich das besondere Aroma von 1995 der Anfangszeit meines Studiums. Als ich im Jahre 2000 zum ersten Mal nach Deutschland kam, war der Geruch des Landes, der Erde und der Luft hier anders als heute. Berlin ist da. Aber wo seid ihr, Hans und Karin?