Filme, Musik und Texte werden im Internet hin- und hergeschoben wie Muscheln am Meeresgrund. Herkömmliche Geschäftsmodelle sind durch solche Netzkulturen obsolet gemacht worden. Während viele darüber klagen, entwickeln sich längst neue ökonomische Ansätze. Einer der vielversprechendsten davon ist flattr. Dies ist zwar keine Pauschallösung, aber das ist auch gut so, denn das kommt dem dezentralen Charakter des Netzes entgegen, meint Felix Stalder, seines Zeichens Medientheoretiker und Aktivist.
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Flattr stellt einen sehr konstruktiven Ansatz dar die ökonomischen Verhältnisse des Copyright-Regimes neu zu ordnen. Im Zentrum dieses Modells steht nicht mehr die Ideologie des knappen Guts, zu dem ein Nutzer sich Zugang erkaufen muss, sondern die Vision der positiven emotionalen Beziehung zwischen dem Produzenten und Rezipienten. Diese entsteht, wenn dem Nutzer das Werk gefallen hat. Flattr verlagert die ökonomische Transaktion vom Moment vor auf denjenigen nach der Werknutzung.
Dies ist der Ökonomie der Kulturgüter angemessen, denn sie sind sogenannte Erfahrungsgüter, bei denen sich der persönliche Wert erst nach der Nutzung bemessen lässt. Erst nach dem ich einen Text gelesen habe, weiss ich, ob er für mich interessant war.
Die Innovationen von flattr
Der Wert dieser emotionalen Beziehung ist natürlich schwer zu quantifizieren, aber – und das ist die zweite wesentliche Innovation von flattr – diese Frage stellt sich für den Nutzer gar nicht. Er drückt sein Gefallen aus, in dem er den entsprechenden Button anklickt und der Rest übernimmt der Algorithmus im Hintergrund. Damit wird das klassische Problem der Micro-Payments umgangen, dass es sehr mühsam ist, sich dauernd fragen zu müssen, ob man nun einen kleinen Betrag bezahlen will oder nicht.
Insofern ist flattr eine wirklich innovative Lösung. Die Frage ist allerdings, für welche Bereiche der Wissensökonomie dieser Ansatz gut passt. Im Moment sind es primär Blogs und Podcasts. Ob sich das noch ausweiten wird, wird man sehen.
Botschafter der Dezentralisierung
Werden in der “Copyright-Ökonomie” lediglich einige “lucky few” begünstigt, so scheint sich das Problem in der flattr-Ökonomie zu reproduzieren – siehe flattr-Charts, in denen die bereits bekannten “Indie-Artisten” auftauchen, wohingegen die Vielen des Internet leer ausgehen. Das ist nicht verwunderlich, denn flattr widerspiegelt die Aufmerksamkeitsökonomie, in der Stars überproportional viel Aufmerksamkeit auf sich ziehen. Der entscheidende Unterschied: Es handelt sich zumeist um “Stars” im Verhältnis zu ihrer jeweiligen Nische.
Es geht also nicht nur um wenige globale Stars, sondern um viele eher lokale Starlets. In diesem Sinne ist flattr eher ein Modell der Dezentralisierung als eine weitere Verstärkung des kulturindustriellen Starsystems. Aber, es ist auch ein System, das nicht für alle gut funktionieren wird.
Es findet heute ganz allgemein eine Fragmentierung des kulturellen Raums statt. Das klassische kulturindustrielle Verwertungsmodell (Investition in die erste Kopie, Einnahmen durch Verkauf weiterer Kopien) skaliert aber nicht nach unten. Für kleinere Nischen war es nie relevant, und ist es heute noch viel weniger. Solche Nischen wurden zumeist indirekt finanziert – oder durch öffentliche oder private Förderungen.
Flattr ermöglicht nun diesen meist schwach finanzierten Nischen zusätzliche Einnahmen zu generieren. Das dürfte sie wohl stärken und ihre Existenz nachhaltiger machen. Insofern tragen solche Modelle zur Erosion des Mainstream und zur Blühte der Nischen bei. Kulturell gesehen eine positive Entwicklung.
Pluralismus der ökonomischen Modelle
Flattr zeigt, dass es innovative Lösungen geben kann, die den Bedingungen des Netzes (sprich: seiner Kommunikations- und Konsumkulturen) gerecht werden können und dass es auch bei freiem Zugang einen Geldfluss vom Nutzer zum Produzenten geben kann. Es zeigt aber wohl auch, dass auch das innovativste Modell nicht für alle Bereiche des Netzes gleich geeignet ist. Notwendig ist vielmehr ein Pluralismus der ökonomischen Modelle. Umfassende Pauschallösungen sind deshalb sehr kritisch zu betrachten.
Sei es die alte kulturindustrielle Betonung des Urheberrechtskontrollle als Basis aller Wertschöfpfung, aber auch neuere Ansätze wie die Kulturflatrate. Statt one-site-fits all, geht es darum, den Raum zu schaffen, bzw. offen zu halten, damit eine Vielfalt an Modellen experimentell getestet werden kann. Flattr ist eine sehr interessante Option, im besten Fall: eine von vielen.
17 Kommentare zu
ein schöner Artikel, aber: Schon flattr krankt an seiner Nischenhaftigkeit. Durchsetzen wird sich wohl nur etwas, das Nischen und Eilande miteinander verbinden kann. Das spricht dann wiederum sehr für Konzepte zur Pauschalvergütung wie die Kulturflatrate, gerne auch in Kombination mit Micropayment wie bei der Kulturwertmark des CCC. Hätte sich Ted Nelsons Idee eines von vorneherein integrierten Micropayments für Hypertextinhalte doch nur durchgesetzt, müssten wir aber darum nicht streiten.
Viele Grüße,
Sebastian
die Frage ist allerdings, ob flattr für Blogs und Podcasts tatsächlich gut funktioniert... die wenigsten Projekte finden Anerkennung, weil die wenigsten Projekte in diesem Bereich überhaupt wahrgenommen werden... wir hatten das vor flattr und ich frage: wird sich das mit und nach flattr ändern?
http://piratecinema.org/screenings/20050424
"multitude" ist ja auch nicht zufällig kritisiert worden als neo-liberales konzept ---
The big news – Now you can flattr almost anyone. Since the beginning of Flattr times you, our users, have asked us for more great content to flattr. So we’ve brought you the whole internet. Or almost the whole internet, since we’re starting with enabling flattrs to Twitter user names. Almost everyone who’s someone has a Twitter account, so it’s tens of millions of creators you can show your support to now.
http://blog.flattr.net/2011/05/flattr-almost-anyone/
"Es gibt keine falsche Ebene, Netzpolitik zu diskutieren: Das Thema geht alle an. Die Politik hat mehrere Probleme, das Phänomen zu fassen. Zunächst sitzen kaum Digital Natives an den entscheidenden Positionen. Zweitens betrachtet Politik vor allem den Rechtsrahmen, also Datenschutz und Datensicherheit, und weniger das Lebensgefühl und den Prioritätenkanon, der sich im Netz entwickelt hat und ständig verändert. Parteien wiederum halten es für digitale Avantgarde, wenn die Wahlkandidaten bis zum Abend der Wahl Banales twittern und dann umgehend damit aufhören. Ein fundamentaler Fehler: Nachhaltigkeit ist auch und gerade für das fälschlicherweise als flüchtig angesehene Medium Internet ein zentraler Wert. Am Ende gilt wieder mal die Faustregel, dass gesellschaftliche Entwicklungen mit einer Generation Verspätung in der Politik ankommen. Die Regierung debattiert also derzeit auf dem Level der Neunziger Jahre."
http://politik-digital.de/hajo-schumacher-demokratie-ein-schuetzenswertes-gut
flattr kommt aus der Blogosphäre, adaptiert deren sozialen Regeln und leistet da mMn auch gute Dienste. Frag aber mal bei journalistischen Medien wie der taz nach, wie sich die flattr-Einnahmen entwickeln... Die haben nicht umsonst weitere Bezahloptionen mit "taz zahl ich" aufgenommen.
Nichts gegen den von Felix vorgeschlagenen Pluralismus bei den technischen Lösungen, aber das sind bisher alles kleine Ökonomien, mit denen man keine Zeitung am laufen halten kann.
Schon bei flattr muss man immer noch early adopter-mäßig drauf sein, um das wirklich zu nutzen. Für die breite Netzbevölkerung braucht es was anderes.
"Aber das interessante daran könnte sein, dass mit einen solchen Modell andere Erfolgreich sein können, als diejenigen, die es in den anderen Modell bereits sind."
wenn ich jetzt recht besser verstehe, dann ist flattr deiner meinung nach v.a. eine intervention in die bestehende ökonomische ordnung, die auf ganz bestimmten hierarchien (sprich: tradierten ungerechtigkeiten) ruht.
flattr bringt diese hierarchien ins wanken --- ist dabei aber auch an einer herstellung von hierarchien beteiligt --- ermöglicht eine un-ordnung, die nicht ideal ist, aber entscheidend ist, dass sie neuen, bislang ungemünzten akteuren münze trägt.
wenn man also flattr als intervention in die ungerechtigkeiten des kapitalismus begreift, muss man dann nicht auch anerkennen, dass es sich hierbei eher um eine temporäre sache handelt, etwas dass für den moment, quasi als ereignis funktioniert, das un-ordnung stiftet.
ohne den anspruch erheben zu können, tatsächlich ein tragfähiges ökonomisches modell zu sein. oder ist gerade dieses ereignishafte (samt interventionscharakter) gerade das modell, dass du im auge hast im hinblick auf die dezentralität des netzes?