Einst kamt Ihr alle an einem Ort zusammen und ersannt dank Eurer gemeinsamen Sprache ein grenzdebiles Grossprojekt – einen Turm, statt meiner Weisung “Seid fruchtbar und mehret Euch und fuellet die Erde” nachzukommen. Ich hatte keine andere Wahl als Euch die Sprache zu verwirren, auf dass Ihr einander nicht mehr verstuendet.
Da zerstreutet Ihr eure Siedlungen in alle Winkel der Welt. Spaeter gruendetet Ihr Nationalstaaten. Das resultierende kontinuierliche Massaker war verdammt noch mal nicht meine Schuld! Schliesslich toetetet Ihr mich, so wie es der Syphilitiker gesagt hat.
Doch zeigt Ihr meinen Schatten noch immer in Hoehlen . So muss mein Geist von schwachsinnigen Schreibern Besitz ergreifen und zu Euch sprechen, statt endlich Ruhe zu finden. Aber das Wichtigste ist, Ihr seid nun allein verantwortlich. Ich bin tot und bleibe es auch! Ihr habt Euch die Erde nicht nur Untertan gemacht, sondern Sie noch dazu voellig ruiniert: >Berlin, Dezember 2006, 15 Grad, das Klima sitzt<. Nun muesst Ihr wieder eine Sprache sprechen, wenns sein muss, baut auch Euren idiotischen Terror-Turm. Aber vor allem – globalisieret Euch! Globalisierung ist toll!
Ein Zeichen? Nach dem ersten Weltkrieg wandtet Ihr euch vom Internationalismus ab, den Ihr heute Globalisierung heisst, und zogt Euch in den Protektionismus zurueck. Und was hattet Ihr davon? Das Wachstum des Pro-Kopf-Einkommens sank von 1913-1950 auf unter ein Prozent. Globalisierung ist das Ergebnis menschlicher Innovation und technischen Fort- schritts. Nur vernetzt und gemeinsam koennt Ihr Euch noch retten. Eure Ideen werden Fluegel haben. Wissen und Technologie, in den entlegendsten Ecken der Welt in sekundenschnelle abrufbar, Meinungs- und Ideenaustausch ohne Grenzen, fast kostenfrei.
Vergesst auch die Armen nicht, allein der Protektionismus der Reichen kostet sie 100 Milliarden Dollar im Jahr, doppelt so viel wie die gesamte Nord-Sued-Entwicklungshilfe. Durch meinen Tod haben sie das Himmelreich verloren, umso mehr haben sie nun Eure Hilfe verdient, zu Euer aller Bestem. Macht aus dem UN-Sicherheits- einen Globalisierungsrat, Mehrheitsentscheide statt Vetomaechte, ein Abgeordneter fuer 12,5 Millionen Menschen statt fuenf Mitgliedern. Dann fuehrt endlich die Tobinsteuer ein. Und: >Fuck the borders!< Vor allem die in Euren Koepfen. (Anm. d. Red.: Der Autor ist Studtent an der FU Berlin)
13 Kommentare zu
1 - die ersatz-religion-these: interessant in diesem Zusammenhang ein artikel, den ich nach der Begegnung mit dem Autor von "One Market Under God: Extreme Capitalism, Market Populism, and the End of Economic Democracy" schrieb: http://www.heise.de/tp/r4/artikel/9/9948/1.html
Philosoph Joachim Koch sagt in diesem Zusammenhang:
"Im Mittelalter prägte die Kirche Denken und Verhalten, seit der Aufklärung galt die Vernunft als Maßstab allen Handelns. Heute spielt diese Rolle die Ökonomie: Sie prägt unsere Vorstellungen von Glück, Liebe und Lebenssinn."
und in diesem Zusammenhang die Transformation der kirche in ein dienstleistungsunternehmen, wie ich mal in einem anderen Kontext notierte:
Spätestens seit dem 2. Weltkrieg haben sie an gesellschaftlicher Relevanz eingebüßt. Seit geraumer Zeit bröckelt ihre Existenzgrundlage. Erst neulich berichtete die Süddeutsche Zeitung einmal mehr über die lähmende Finanzkrise des Erzbistums und McKinseys Rat, einen härtest möglichen Stellenabbau durchzuführen und zu verkaufen, was sich verkaufen lässt. Mit der administrativen Transformation dieses Sektors geht allerdings auch die Transformation der spirituellen Domäne in einen Dienstleistungssektor einher.
2 - die kolonisierungs-these: vielleicht interessant in diesem zusammenhang ist das jüngste buch des spanischen philosophen eduardo subirats (viaje al fin del paraiso), in dem er auf die "ursprünge der Globalisierung" verweist (spanische Eroberung des Paradieses / der Neuen Welt im Namen Gottes) und in dem argumentiert, dass Globalisierung die Kolonisierung fortschreibt, weil der christliche Wertekanon derselben als Subtext zugrunde liegt. Mit dem Kapitaluismus als gemeinsamen Nenner lassen sich beide Thesen als zwei Seiten ein und der selben Medaille lesen.
Zu deinem zweiten Kommentar: Interessant, was du so alles in dem Text liest, wusste weder, dass ich von Ersatzreligionen, noch von Kirchen als Dienstleistungsunternehmen, noch von Kolonialisierung sprach. So kann einen der eigene Text noch überrachen....
In Zeiten, in denen es kaum mehr Fixpunkte gibt, ist auch sowas wie der klassische Gott ein Modell, das funktionieren kann, weil er einen Fixpunkt darstellt und weil der Glaube an ihn etwas Transzendentales impliziert, das heute durch den ewigen Wandel quasi begraben worden ist.
Viele Menschen wollen wieder glauben. Am liebsten an etwas, das nichts mit Kapitalismus zu tun hat.
Wir brauchen auch keinen Gott mehr für Moral oder Ethik, der kategorische Imperativ reicht doch völlig, um moralisch korrektes von immoralischen Verhalten zu scheiden. Menschen, die Orientierung suchen, machen es sich viel zu leicht, wenn sie auf etwas zurückgreifen, was längst überwunden sein sollte.
Mein "Credo" lautet also "Fuck Religion!"
Das hat alles von vorne bis hinten nichts mit Gott zu tun, der kann nichts dafür, der war immer schon der Dumme ohne Administrator-Rechte, jetzt aber wird er auch noch ver-event-tet wie z.B. auch der G8-Protest. Das ist toter als tot. Armer Gott. Sein wir seiner Seele gnädig.
Wie der französische Philosoph Jean Luc Nancy anmerkt, fordert das Christentum von seinen Anhängern den Glauben an eine Absenz, eine Abwesenheit ab, was den Gläubigen in unmittelbare Nähe zum Atheisten setze.
"Das bedeutet, dass der Atheismus, der nunmehr das Abendland bestimmt und der dessen Art zu wissen und zu existieren innewohnt, selbst das realisierte Christentum ist."
so geht es auch bei der bestandsaufnehme dessen, was für katastrophen der christentum und der glaube an gott auch heute noch verursacht, darum, auch unter der oberfläche zu graben. hinter bilder(-regimes) zu schauen und im nicht-repräsentierbaren die manifestationen von macht auszumachen. amen ; )
niemand bespricht unsern Staub.
Niemand.
Gelobt seist du Niemand.
Dir zulieb wollen
wir blühn.
Dir
entgegen."
[Paul Celan - Psalm]