Das tragische Unglück bei der Loveparade in Duisburg reißt tiefe Wunden in das Selbstverständnis der Spaßgesellschaft. Doch man sollte nicht nur die Moral des Raves und die zu Grunde liegenden Sicherheitskonzepte hinterfragen. Sondern die Idee der steuer- baren Masse. Es bedarf hier keines autoritären Blicks vom Feld- herrenhügel, stattdessen eines Blicks ausgehend vom Individuum, das sich in der ekstatischen Masse befindet.
Wer selbst schon einmal auf einer Massenveranstaltung bis zum Abwinken gefeiert hat, weiß: Ordnung und Harmonie hängen an einem seidenen Faden. Jederzeit könnte die Stimmung kippen. Die Kehrseite des Ecstasy-Raves ist Chaos und Paranonia. Und diese Kehrseite ist immer präsent – natürlich nur in den Köpfen von Menschen, die das wahrhaben wollen. Ein solches Bewusstsein erlangen jene leichter, die selbst mal dabei waren.
Pathologie der Masse
Was wäre also die richtige Vorbereitung auf die Loveparade in Duisburg gewesen? Sicherlich, es wurde ein viel zu kleiner Veranstaltungsort gewählt. Sicherlich, es wurden falsche Daten der überwachten Menschenmassen ausgewertet (Hubschrauber- statt Tunnel-Kameras), etc. Doch egal wie gut das Sicherheitskonzept ist, egal wie durchdacht die Koordinaten der Durchführung, die Veranstalter können nie ausreichend gut vorbereitet sein. Absolute Kontrolle ist eine totalitäre Illusion.
Es geht mir an dieser Stelle noch nicht einmal um Details, die natürlich auch entscheidend sein können: Brauchen wir kirchliche Seelsorger oder Psychologen, die auf der Höhe der Zeit sind? Also Leute, die Erfahrungen haben mit Raves und Drogenkonsum? Brauchen wir individuelle Experten oder ganze Schwärme von intelligenten, hochspezialisierten Betreuern? Sollten jene draußen auf den Ausbruch der Katastrophe warten oder von vornherein dabei sein und mitfeiern?
Nein, mir geht es hier um etwas anderes. Besser gesagt: Etwas grundsätzlicheres. Es geht um die Annahme, die allen Vorwürfen, die jetzt an die Veranstalter der Loveparade laut werden, zu Grunde liegt. Die Annahme, ein solches Event könne, wenn man es richtig macht und die Massen entsprechend steuert, kontrolliert werden. Im Kalkül der Sicherheitsstrategen besteht das fast schon pathologische Problem (pathologisch im Sinne einer Zivilisationskrankheit) darin, dass Massenveranstaltungen zum Ziel haben unüberschaubar viele Menschen zu hypnotisieren oder gleichzuschalten.
Mündig in der Masse
In diesem Sinne liegt jeder Massenveranstaltung ein totalitäres Menschenbild zu Grunde. Die Loveparade ist dafür nur ein Beispiel unter vielen. Fanmeilen während der Fußball-WM und Kundgebungen von Politikern arbeiten auf demselben Boden. Während Menschen dazu eingeladen werden, Teil eines größeren Körpers zu werden, um im Zuge dessen sich selbst aus der Hand zu geben – der Preis, den man zahlt für ein Bad in der Menge vermeintlich identisch fühlender Egos – planen Sicherheitsstrategen die richtigen Bewegungen dieses Körpers.
Die Grundsatzdebatte, die nach dem tragischen Vorfall in Duisburg hoffentlich entbrennt, sollte für meine Begriffe nicht die optimale Steuerung von Massen zum Gegenstand haben. Sondern sie sollte eben diese Idee der Steuerung in Frage stellen. Natürlich könnte man noch tiefer ansetzen und fragen, ob wir Massenveranstaltungen jeglicher Art in Zukunft noch zulassen sollten. Aber soweit werden sich der Event-fixierte Staat (der nicht Bürger, sondern Zuschauer adressiert) und seine massenkulturellen Industrien nicht aus dem Fenster lehnen.
Ein Appell an die Idee des mündigen Bürger und wie er/sie in der Spaßgesellschaft auch im Rahmen von Massenveranstaltungen in Erscheinung treten kann – dieser Appell sollte zuallererst an die Sicherheitsstrategen adressiert und darüber hinaus in den Reihen der Moralapostel vom Staatsfernsehen zu Gehör gebracht werden. Sie hatten bei Sonderberichterstattungen am Sonntag einen zynischen Blick für Raver übrig. Insbesondere für jene Raver, die die Opfer ihrer Feier noch nicht registriert hatten und Andeutungen auf einen Unfall scheinbar unberührt aufnahmen: “Das sind wohl die traurigen Begleiterscheinungen.”
23 Kommentare zu
Ich habe diesen Titel gewählt, weil mir Ectasy als einerseits stark mit Raves konnotiert wird und für die absolut positiven Vibes der Sache steht (die negativen Aspekte der Droge an sich idylisch ausblendend) andererseits, weil es mir hier um Ekstase in der Masse an sich geht.
Doch ob Raver Drogen nehmen oder nicht: die Betreuer sollten Erfahrungen damit haben, denn selbst wenn nur ein Bruchteil der Raver "drauf" ist, bedarf es hier an kompetenten Helfern.
das tier mensch mag es einfach mit artgenossen beisammen zu sein. er mag es aber nicht, wenn sich die ihn umgebende masse so verdichtet, dass er keine luft zum atmen mehr hat. dann setzt ganz automatisch der fluchtinstinkt ein und wenn der nicht befriedigt werden kann, wird er panisch und kennt keine raver und keine liebe mehr. er trampelt alles nieder was zwischen ihm und dem weg aus dieser lebensbedrohlichen situation steht.
das ist nichts neues und sollte jedem veranstalter und allen beteiligten in den genehmigungsbehörden bakannt sein. nicht umsonst gibt es vorschriften hinsichtlich flucht- und rettungswegen. wenn diese nur wegen eines imagegewinns für den veranstaltungsort und um dem veranstalter eine gefallen zu tun außer kraft gesetzt werden, ist das mehr als grob fahrlässig.
der mündige bürger in der genehmigungsbehörde hätte eigentlich schon im vorfeld eingreifen müssen, um es gar nicht soweit kommen zu lassen. leider stehen in aller regel über diesem 'mündigen' bürger noch viel mündigere bürger, die ihn versetzen oder sonstwie unter druck setzen können.
in diesem falle gilt dann leider: wer sich in die masse begibt kann darin umkommen. leider. die 20 toten hätte man verhindern können, allerdings um den preis die veranstaltung so an diesem ort nicht durchführen zu können. dem verantwortlichen schien dieser preis wohl zu hoch, das ist die schuld mit der sie leben und für die sie sich verantworten müssen.
Ich denke, ergänzend, solche Dinge sind letzten Ende überhaupt nicht zu verhindern, man kann sie nur durch Meiden vermeiden. Der Kronleuchter im morschen Gebälk des Opernhauses, das Loch, das sich durch Ausspülungen unter einem Haus bildet, die resistenten Keime im Krankenhaus. Immer findet man auch irgendwo eine "Ursache", jemanden, der das Übel verursacht oder mitverursacht. Die philosophische Politik nennt das anheimelnd Kollateralschaden. "Man muß also zugeben, daß die Zerstörung eine wesenhaft menschliche Sache ist und daß es der Mensch ist, der seine Städte über Erdbeben oder direkt zerstört, der seine Schiffe über Wirbelstürme oder direkt zerstört", schreibt einmal Sartre und fährt fort: "Zugleich muß man aber auch zugeben, daß die Zerstörung ein präjudikatives Verständnis des Nichts als solchen und ein Verhalten gegenüber dem Nichts voraussetzt. Außerdem ist die Zerstörung, obwohl sie dem Sein durch den Menschen geschieht, ein objektives Faktum und nicht ein Denken."
Nun wäre es fatal, daraus den Schluss ziehen zu wollen, man entgeht der Masse besser vor Vereinzelung. Denn das stimmt nicht. Den Einzelnen treffen die Unglücke nur allein. In der Masse, die nicht kritisch ist, ist es allerdings genauso. Auch dort trifft es einen allein. Nur mehrere zugleich.
So nur ein Ansatzpunkt, zu mehr komme ich zur Zeit einfach nicht, was wenisgtens ich selbst bedauere.
Die Gier Einzelner und das Versagen des Staates kommen nicht vor.
Die BG befindet sich so kaum noch auf der Höhe
der Zeit - oder vielleicht doch - als Büttel mieser
Bürgermeister? Gelaber - Gelaber ----
Man muss die Gesamtheit vom Einzelnen her denken, von seiner Singularität --- und wer muss diese Herausforderung annehmen? Natürlich der Staat, der hier vertreten ist durch Bürgermeister und andere Funktionäre in Duisburg und darüber hinaus.
Der Chirurg muss schneiden. Und ist ein Büttel der Waffenindustrie am Ende.
Von alldem scheint der Beitrag ja nichts wissen zu wollen; Wirklich ärgerlich daran ist aber, dass die Verantwortlichen für die Massenpanik auch noch durch Gemeinplätze aus der Rubrik "Ornament der Masse" entschuldigt werden: "Ein Unglück liegt immer in der Luft"; Massenveranstaltungen seien nun mal nicht "steuerbar" - Das ist in diesem Zusammenhang, wo wir nicht von Naturkatastrophe reden, schlicht zynisch.
Völlig unhaltbar ist nun wirklich die Aussage, jeder Massenveranstaltung liege "ein totalitäres Menschenbild zugrunde": Wie kommt man denn zu so einem Satz? Masse im Sinne der Love-Parade heißt doch nichts anderes, als: viele Menschen auf einem Raum.
Der Begriff der Masse ist hier doch rein arithmetisch zu verstehen - Mitnichten bedeutet er irgendeine politische oder soziale Gleichschaltung! Es geht eben gerade nicht um Faschismus oder Kulturrevolution - Daneben ist die implizite Gleichsetzung von Sicherheitsbemühungen (die hier sträflich unterlassen wurden) mit einer Ideologie der "Steuerbarkeit der Masse" begrifflich auch ein bisschen unsauber...
Auf die Gefahr hin, mich zu wiederholen:
Ich plädiere für ein anderes Sicherheitskalkül: man sollte sich der Assoziation von Menschen im Zuge einer Massenveranstaltung und ihrer sicherheitspolitischen Erfassung von Innen her nähern, von den Menschen, die dabei sind, von ihrem Erlebnishorizont und ihren Erfahrungen her.
Man muss die Gesamtheit vom Einzelnen her denken, von seiner Singularität.
Davon abgesehen: Was bedeutet es denn in diesem Zusammenhang, die "Gesamtheit vom Einzelnen her zu denken"? Mit welchem Ziel? Und was macht dich so sicher, dass das im Allgemeinen nicht schon längst passiert? Das macht der Beitrag leider nicht verständlich.
Mir geht es um etwas Grundsätzlicheres:
Wie versucht das Sicherheitskalkül die Menschenmasse zu begreifen?
Es sollte nicht das Bild des kollektiven Körpers sein. Es ist von Außen gedacht, es unterliegt der totalitären Illusion der absoluten Kontrolle.
Die Menschenmasse sollte vom MÜNDIGEN Einzelnen her konzipiert werden und von seiner Singularität, die niemals im besagen Körper aufgeht.
So gedacht, können die gültigen Standards der Sicherheit bei nicht nur überprüft, sondern auch erweitert werden.
Einige kl. Andeutungen habe ich in meinem Text gemacht, als ich Fragen aufwarf:
"Brauchen wir kirchliche Seelsorger oder Psychologen, die auf der Höhe der Zeit sind?" (und Rave-Erfahrungen haben sowie in Schwärmen kommen und mitfeiern?)
Ich schreibe das, weil wie ich sage, die Katastrophe bei solchen Massenveranstaltungen immer in der Luft und es in Duisburg hätte deutlich schlimmer kommen können.
Es heißt, man lernt aus Fehlern. Aber es gibt zwei Probleme:
1) Was lernt/verpasst man nach einem Unglück, wenn man auf der Symptomebene repariert, aber die Grundannahmen niemals in Frage stellt?
2) Was lernt/verpasst man bei einer vermeintlich glücklich endenden Veranstaltung, wenn man einfach nur Glück hatte, aber bei Weitem davon entfernt war, alles richtig gemacht zu haben?
Ich spiele damit u.a. auch auf die bisherigen Loveparade-Veranstaltungen an.
PS: Ich habe übrigens meinen Text nochmal leicht modifiziert bzw. ausgebaut. Stellen, die ich nachträglich eingebaut habe, sind kursiv gesetzt. Ich denke, jetzt wird mein Standpunkt weniger missverständlich durch diesen Text transportiert.
Was mich persönlich wundert ist, dass Diskussionen im Internet häufig so geführt werden, als wurden sie noch nie geführt. Ganz feine Beobachtungen, die das berücksichtigen hatte übrigens ganz unverdächtig und harmlos der Patrick Hahn in der neuen musikzeitung kürzlich verfasst: http://www.nmz.de/artikel/der-triumph-des-minimalismus - Ist ja nur Singen. Und nicht so spektakulär eher wie Kirchentag.