Abseits der aktuellen Katastrophen an US-amerikanischen und europaeischen Boersen, spielt sich in Russland ein hoechst interessantes Debakel in Sachen Globalisierung ab. Weitgehend unbeachtet von deutschen Medien, wurde dort ein gross angelegtes russisches Roulette unter Oligarchen aufgedeckt. Ein sehr verwobenes, mustergueltiges Beispiel, wie komplex unsere Welt nun geworden ist und wie schwer zu handhaben. Kurzum: Seit seinem Hoechststand Ende Mai 2008, verlor der russische Aktienindex bis heute ungefaehr 60 Prozent seines Wertes. So weit so theoretisch. Die Auswirkun- gen dieses Verfalls sind weniger trocken: Man schaetzt das 60 bis 70 Prozent aller Milliardenschweren Oligarchen dieser Tage nun circa die Haelfte ihres Vermoegens verlieren.
Es gibt kaum frisches Bargeld auf dem russischen Markt. Zur Stuetzung des Geldkreislaufs sollen nun durch Wirtschaftsminister Kudrin die Ruecklagen der staatlichen Pensionskassen angezapft werden. Man koennte nun meinen, dass sei alles der Weltwirtschaftslage geschuldet. Weit gefehlt. Dahinter steckt eine Wildwest-Raeuberpistole ersten Ranges. Es stellt sich heraus, dass ein Grossteil der Oligarchen und Millionaere ein hochriskantes und unserioeses Boersenroulette spielten, das auch einige Zeit wunderbar funktionierte. Man lieh sich bei russischen Banken grosse Summen Geldes, um auf internationalen Maerkten zu spekulieren. Dazu belieh man Aktienpakete von russischen Gesellschaften, wie Gazprom und anderen Rohstoffunternehmen sowie eigene Banken.
Dies alles wuchs sich zu einem Pyramidengeschaeft aus. Boersenprofis wie der alte Bernecker vermuten, dass dieses russische Kapital hinter der Preistreiberei beim Erdoel, Gas und weiteren Rohstoffen stand. Bis zum Erreichen des Hoechstpreises dieser Stoffe im Juli ging alles gut, doch dann platzte die Blase und der Erdrutsch begann. Man hatte versucht von der momentanen Schwaeche der westlichen Wirtschaft zu profitieren. Selten war es so billig, in serioese Weltunternehmen einzusteigen. Jetzt werden diese Schwaeche und die eigene Politik zum Bumerang. Mit Beginn der Georgienkrise zog die Weltwirtschaft immer mehr Kapital aus Russland heraus, Putin legte sich mit einem der groessten russischen Stahlproduzenten an und drohte mit Eingreifen, quasi Verstaatlichung.
All das minderte das Vertrauen westlicher Investoren, viele Milliarden flossen aus dem Land, der Oelpreis verfiel, mit ihm die Boersenkurse der entsprechenden Unternehmen, eben jene, deren Aktien man so grosszuegig mit Krediten beliehen hatte. Und nun sind diese Kredite faellig! Das fuehrt zum Beispiel dazu, das ein Oleg Deripaska, vormals reichster Mann Russlands mit einem Vermoegen von 26 Milliarden Dollar, nun auf 14 Milliarden Dollar Schulden sitzt, die er zu begleichen hat.
Dafuer wurde in Moskau schon Zwangsvollstreckung angeordnet. Solche Dinge reichen am Ende bis Deutschland, da eben jenen Oligarchen auch grosse Anteile z.B. an der TUI oder HochTief gehoeren. Nun beginnt eine grosse Umverteilung des Kapitals in Russland, was immer auch zu einer weiteren Umverteilung der Macht fuehrt. Und wie es scheint, hat Genosse Putin seine Finger tief im Spiel dieser Globalisierungsposse.
Einige ihm eher nahe stehenden Oligarchen, veraeusserten schon vor dem Georgienkonflikt und Kurssturz geflissentlich ihre Anteile, um ihre Spekulationsschulden begleichen zu koennen. Jelena Baturina zum Beispiel, reichste Frau des Landes und Ehefrau des Moskauer Buergermeisters Luschkow, veraeusserte Aktien und scheint damit relativ unbeschadet davon zu kommen. Endergebnis des Trubels: Grosse Teile der wichtigsten russischen Unternehmen sind wieder mehr in der Hand des Staates und seiner Banken wie der Sberbank.
Diese Sberbank ist so etwas wie die russische Sparkasse und Postbank zusammen. Jede Babuschka des Landes holt sich dort allmonatlich ihre karge Rente ab. Seit Jahresbeginn ist der ehemalige Wirtschaftsminister und Putin-Vertraute German Gref dort Chef. Er vergab zunaechst grosszuegig jene fatalen Gluecksspiel-Kredite, die nun unbarmherzig wieder eingefordert werden. So sieht ein Grossreinemachen in einer globalisierten Welt aus. Spannender als jede Fiktion, komplex, voller menschlicher Schicksale, inklusive weltweiter Verstrickungen und Auswirkungen.
5 Kommentare zu
Trotzdem leisten wir immer noch zuviel Entwicklungshilfe nach Russland.