“Hochschulreformen aus osteuropäischer Perspektive” oder “Uni 2.0”. Berliner Gazette-Autorin Sarah Curth hat sich beim tazLAB umgeschaut und ihre Eindrücke nebenbei im Minutentakt getwittert.
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Die Stühle in Raum 3 sind bis auf ein paar wenige leer geblieben. Offenbar ist das Thema “Hochschulreformen aus osteuropäischer Perspektive” im Programm des tazLABs kein Publikumsmagnet. Nebenan wiederum geht es hoch her. Dort wird über die Campus-Maut diskutiert. Das weiß ich, weil ich es lese. Bei Twitter. Unter dem sogenannten Hashtag #tazlab bekomme ich alle Tweets geliefert, die andere tazLAB-Besucher schreiben. Ich selbst twittere auch. Unter berlinergazette verfasse ich im Minutentakt Updates aus Raum 3.
Um 11 Uhr wechsle ich zu Uni 2.0, ein Podium mit Bildungsbloggern und anderen Gästen aus dem Bildungssektor, die Web 2.0-Tools in ihre Lehre einbinden. So nutzt Christian Spannagel, Blogger-Professor an der PH Heidelberg, Weblogs, um das bisher nach außen hin geschlossene Seminar zu öffnen. Melanie Unbekannt, Lehramtsstudentin und Bildungsbloggerin berichtet über ein aktuelles Schulprojekt, bei dem von Schülern verfilmte Gedichte in einem Blog veröffentlicht wurden.
Auch in der Universität bietet sich das Verwenden von Wiki, Blog und Co. an. Das zeigen Praxiserfahrungen von Spannagel, der in sogenannten “aktiven Plena” Twitter zum Einsatz bringt, um die “Gehirne der Studenten untereinander zu vernetzten” und um das Wissen von vielen nutzbar zu machen. Bettina Michl wiederum berichtet von positiven Erfahrungen im Umgang mit Web 2.0-Werkzeugen, die sie als Konzepterin für die HPI School of Design Thinking, einer akademischen Zusatzausbildung für Uni-Absolventen aller Disziplinen, gesammelt hat.
Bildungslabor 2.0
Das tazLAB selbst bedient sich diverser Werkzeuge der Vernetzung. Alle Veranstaltungen sind per Livestream mitzuverfolgen; hinter dem “Uni 2.0”-Podium projiziert ein Beamer eine Twitterwall an die Wand. Die Tweets mit dem Stichwort #tazlab sind dort für alle sichtbar. Auf manche von ihnen geht der Moderator ein, während einige Redner ihre Links twittern.
Im Laufe der Veranstaltung äußern Besucher die Angst, dass die sich pausenlos aktualisierende Website von der echten Diskussion ablenken könnte oder sie missbraucht werden könnte, um Nonsens zu publizieren. Das passiert nicht. Die Befürchtung einiger, die Studenten der Uni 2.0 während Seminar und Vorlesung nur hinter Bildschirmen versteckt anzutreffen, bleibt trotzdem im Raum stehen.
Schockstarre ohne Twitter
Gegen 14 Uhr sitze ich im Theatersaal. Mein Platz ist weit vorn, ich sehe und höre perfekt, bin bereit für die dritte Runde Twittergewitter. Doch dann das: Ich empfange kein Netz, das WLAN scheint außer Reichweite. Die Diskussion ist längst im Gange, doch ich höre nur mit einem Ohr zu. Ich klicke und starte neu, es bringt nichts.
Ich muss den Platz wechseln. Doch auch ganz hinten ist nur sporadisch Netz vorhanden. Jedes Mal wenn ich auf Enter drücke um den Tweet abzuschicken, schicke ich gleichzeitig ein kleines Stoßgebet. Und schon ist die Veranstaltung vorbei. Und ich war abgelenkt – weil Twitter fehlte.
In den Stunden davor, in denen ich mich eifrig über das Geschehene ausließ, war ich immer gebannt und gespannt auf das nächste starke Zitat, dass es wert ist, noch einmal gesagt oder paraphrasiert zu werden. Ich passte auf, war nicht abgelenkt, sondern konzentriert auf das, was vorne geschah.
Twitter diente mir als Notizbuch, als Gedankenabladestelle, als Filter. Twitter zerstreute mich nicht, sondern brachte das Geschehen im Minutentakt auf den Punkt oder fügte einen Punkt hinzu. Redner und Twitterer dachten zusammen und kreierten so einen kollaborativen Notizblock.
Anm.d.Red.: Das Foto oben stammt von Melinda Seckington; cc by 2.0.
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