Literatur ist eine sehr schoene Sache. Sie bildet, unterhaelt, stillt Neugier, ist gleich der Natur eine inspirierende Welt fuer sich und gehoert trotz einer Vielzahl kontemporaerer Medienopportunisten zum weiten Feld der deutschen Kultur. So auch im Ruhrgebiet, in Bochum. Die 1905 gegruendete Literarische Gesellschaft ist stolz darauf, zu den aeltesten kulturellen Einrichtungen der Stadt zu gehoeren. Sie hat sie es sich zur Aufgabe gemacht, “das Interesse an der Literatur zu foerdern, Orientierung ueber Neuerscheinungen zu erleichtern, Gespraeche mit Autoren zu ermoeglichen sowie Lesungen und Rezitationen zu praesentieren” – richtige Literaturprofis also. Genau solche hatte der Protagonist des folgenden Szenarios bitter noetig.
Schon als Grundschueler liest unsere rein exemplarische Figur liebend gerne. Er verblutsbruedert sich im Geiste mit Winnetou und fiebert bei den packenden Abenteuern verschworener Jugendcliquen mit. Durch den Deutschunterricht findet er zum spannenden Gerhart Hauptmann, dann zu einem belehrenden Schiller und laesst sich einnehmen von dem hoechsten, was deutsche Literatur zu bieten hat: dem stuermenden und draengenden Werther aus Goethes Feder. Er laesst sich durch Hesse inspirieren, verschlingt gebannt einiges vom Blechtrommler, ist fasziniert vom humanistisch-romantischen Geist der Werke Humboldtscher Geognosie und landet ueber Boell bei Joyce, in deren Werken er immer oefter ein Spiegelbild seiner selbst findet.
Doch irgendwann wird das, was seine Glueckseligkeit ausmacht, wieder der Quell seines Elends. Zu viel Ungelesenes stapelt sich in seinen Regalen, zu viel Wirklichkeitsfernes liegt in den Texten kurzum: Er ist orientierungslos. Um sich neuen Anschluss zu verschaffen, besucht er auf den Rat eines in den Diskursen literarischer Kultur bewanderten Freundes das erste Mal in seinem Leben eine Autorenlesung und eine Literaturpreisverleihung. Doch der lesende Autor laesst von seiner Empore aus seine arrogante Stimme ertoenen und gibt sich allzu ueberwaeltigt von seinen eigenen immens schlechten prosaischen Erguessen.
Auf der Preisverleihung fuer den neuesten deutsch-deutschen Wende-Roman schlafen avantgardistisch ausschauende Mittfuenfziger in den Sitzreihen, andere lachen wissend an ziemlich unlustigen Stellen. Der Laudator und Vorsitzende der preisverleihenden Literarischen Gesellschaft
ist eingangs besonders erfreut, einen Gast aus der DDR begruessen zu koennen
und beweisst im Laufe der monologischen Publikumsdiskussion profunde weltliterarische Kenntnisse, als er den sympathischen Autor mit Fragen zu Marxschen (man redet ja ueber die DDR!) Einfluessen in die Ecke treibt.
Ein Ekel ueberkam daraufhin unseren Lesefreund. Er scheute sich fuer lange Monate, ein Buch anzufassen und verschloss sich in einsame Zurueckgezogenheit. Das haben sie ja toll hinbekommen, unsere Bochumer Literaturprofis. Ein Blik von Pulver, das soll allerdings noch gesagt werden, bekam kein Nachbar je zu sehen.
4 Kommentare zu
dein freund darf sich das nicht so zu herzen nehmen. man kann ja, um literatur zu geniessen, auch auf theorie verzichten, oder - noch besser - sich einfach die theorie suchen, die sich ihrer klugschißerei bewusst ist. gibts schon auch...
Das heißt ein bisschen ausführlicher?