• Paquito Chocolatero

    Nein, das ist nichts Leckeres zu essen, sondern das wohl bekannteste Lied in Suedwestfrankreich. Es wurde vor mehr als 60 Jahren von dem nahe Alicante geborenen Gustavo Pascual Falco komponiert und wird bis heute vor allem auf Strassenfesten, Ferias und Fetes gespielt. Manchmal jedoch sogar in Teenie-Discos! Jeder dort kennt den Paquito. Doch viel wichtiger als der Wiedererkennungswert der Melodie ist der Effekt, den das Lied auf die zuhoerenden Menschen hat.

    Sobald die ersten Toene erklingen, jubelt die Menge und ein unglaubliches Szenario entwickelt sich: Alle, ob jung oder alt, setzen sich hintereinander in einer langen Schlange auf den Boden – dabei ist es egal, ob man sich im Club oder auf einer verregneten Strasse befindet. Alle werfen ihre Arme in die Luft, wiegen sie im Takt nach rechts und links, vorne und hinten und singen dabei lautstark mit. Doch damit noch nicht genug: Diejenigen, die nicht auf dem Boden sitzen, reihen sich nun vorne vor dem Ersten auf und werfen sich dann stagediving-maessig auf die ausgestreckten Arme der anderen.

    So schweben sie die gesamte Schlange entlang, bis sie am Ende erschoepft auf den Boden fallen, waehrend die naechsten bereits nahen. Eine voellige folie, wie der Franzose sagen wuerde. Die Stimmung aber ist unglaublich und alle feiern gemeinsam wie gute Freunde. Fuer mich eine unvergessliche Erfahrung. Jedesmal, wenn das Lied anklingt, fuehle ich mich zurueckversetzt in das sommerliche Suedwest- frankreich des vergangenen Jahres.

  • Traeume auf’m Spiel

    Frueher – da war alles besser! Meine Kindheit war gluecklicher als die der verzogenen Goeren von heute, die suechtig nach allem sind, was digital oder gleich HDReady ist. Oder glaube ich das nur… und bin vielleicht nur neidisch auf die verzogenen Kids, die heute eine Playstation II haben, wo ich vor zehn Jahren nur mit einem Gameboy aufwarten konnte? So geht es mir staendig. Frueher, heute, Zukunft. Staendiges reflektieren macht einen wahnsinnig, aber man macht es trotzdem und es ist auch gut so. Zum Beispiel um festzustellen, dass man Stueck fuer Stueck seine Ideale und Traeume verspielt.

    Frueher – da war manches besser und vieles einfacher. Die Erwachsenen waren die Boesen, die immer nur arbeiteten und sich ueber den hausgemachten Stress aufregten. Ich selber wollte nie so werden… ein Workoholic…, der seine Traeume vergisst ueber den vielen Aufgaben, die ihm das Leben und er sich selbst jeden Tag stellt. Jetzt mit 23 bin ich der, der ich nicht sein wollte: erfolgreich, beschaeftigt, dem Prekariat entkommen; Eventmanager bei Multitask und ehrenamtlicher Redakteur bei der Berliner Gazette. Jemand, der sich vor allem ueber seine Arbeit definiert. Oder wollte ich das alles doch sein – nur ohne den Faktor Arbeit?

    Wieder ein Jahr aelter und nicht schlauer. Nur mit mehr Fragen beschaeftigt. Ich sollte mir einen Mentor suchen, der mir buddhistische Weisheiten einfloesst und damit ich wieder mehr Spass am Leben habe. Ich glaube mein sechs oder sieben Jahre alter Neffe kann mir die Antworten geben, die ich suche. In seiner Sprache. Und danach battlen wir uns auf seiner neuen Playstation II.

  • Kopfnuesse und Kuesse

    2006 hatte zweifelsohne viele Highlights – vielleicht war es eines der besten Jahre meines Lebens! Wenn ich nun, ein bisschen Sekt-vernebelt, zurueckblicke, fallen mir viele besondere Momente ein. Der absolut beste Fernsehguck war sicherlich Zidanes >Head-Butt< beim WM-Finale. Ich erlebte diesen historischen Moment im Bistro La Famiglia in der Bronx, umgeben von Italo-Amerikanern, die vor lauter Aufregung sofort anfingen, selbst ihre Koepfe ueberall hinein zu stossen! Das leckerste Eis in diesem Jahr war ein >Dulce de Leche< in Eisform in einem Cafe in Madrid. So suess, dass mir die Zunge gefror.

    Die schoenste Unterhaltung hatte ich mit meinem dreijaehrigen Cousin Julius in Cincinnati. Sie war deshalb so schoen, weil wir uns anderthalb Stunden in seiner Fantasiesprache unterhielten, zu deren Lautrepertoire auch unzaehlige Grunz-, Schmatz- und Roechelvarianten gehoerten. Den allerschoensten Ausblick genoss ich in London. Mein Freund und ich besuchten dort eine Freundin, die in einem riesigen Hochhaus in East London wohnt. Die Aussicht am Morgen ueber die im Nebel liegende Stadt war ueberwaeltigend. Doch kein Ort auf der Welt ist so schoen wie Berlin! Das hat sich in diesem Sommer mal wieder bewahrheitet.

    The best place to be: Ganz klar, das Strandbad Weissensee! Prickelnd kuehles Alster, verhuschtes Knutschen mit dem Liebsten, einmal um die Fontaene in der Mitte des Mini-Sees schwimmen und ansonsten nur faul rumliegen. Ach, Weissensee!

  • Aus Zelluloid gemacht

    Auch wenn ich als Kind mit dem Wissen aufwuchs, dass es die deutsche Sprache gibt, so wurde diese doch erst waehrend meiner College-Zeit greifbare Realitaet fuer mich. Es war das Kino, das mir eine folgenreiche Begegnung mit dem Deutschen einbrachte. In den fruehen 1980er Jahren wuchs meine Faszination fuer das Neue Deutsche Kino und fuer Regisseure wie Werner Herzog, Alexander Kluge, Werner Schroeter, Rosa von Praunheim und Margaretha von Trotta. Neben meiner Begeisterung fuer das Visuelle im deutschen Film musste ich mich mit der Materialitaet der Sprache als gesprochenes Wort versoehnen, denn Deutsch war eine merkwuerdige Sprache fuer mich. Es war ein Hindernis nicht nur fuer mein Verstaendnis, sondern auch in meiner Wuerdigung der deutschen Filme, die ich mir anschaute. weiterlesen »

  • Popstar der Blogosphaere

    Ein Berliner mit typischem Dialekt, verrauchter Stimme und einer selbst gedrehten Zigarette im Mund: Toni Mahoni. In seiner Wohnung hat er sich in einer Ecke ein Mini-Studio aufgebaut: Webcam und PC. Zweimal woechentlich geht er im Internet auf Sendung. Begleitet von einem zwitschernden Wellensittich und einer Gitarre singt und sinniert er ueber seinen Alltag. Zuletzt: den Horror vor dem Xmas-Shopping und seine Unsicherheit beim Schenken. Grosse politische Ereignisse beschaeftigen ihn weniger als kleine gesellschaftliche Veraenderungen. Wie zum Beispiel die Verunglimpfung der deutschen Sprache, die >aggressive Gemuetlichkeit< und warum niemand mehr so richtig verscheissert wird oder jemand anderen verscheissert.

    Aber auch die Werbung, die sich durch TV und Radio Eingang in seine vier Waende verschafft, bleibt von ihm nicht unkommentiert. Mediamarktwerbung mit einem Lied von Rio Reiser? Dann aber mit richtiger Playlist. Mahoni singt mit seiner Whiskey-Kratz-Bassstimme: Alles Luege, Mediamarkt. Zeitweise kommt er der Kamera so nahe, dass es auf mich wirkt, als komme er aus dem Monitor direkt in mein Zimmer. Doch dann faellt er wieder zurueck in seinen Stuhl und ich entspanne mich und lausche seinen Ausfuehrungen. Mahoni mag nicht gerade das typische Idol eines 19-jaehrigen Brandenburgers sein, aber er hat mich gut vorbereitet auf das kommende Jahr. Trotz oder vielleicht gerade wegen seiner ansteckenden Jahresendgemuetlichkeit.

  • Japanische Netzwerkschule

    Eigentlich komme ich aus Otsu Stadt in der Shiga Praefektur. Das ist in der Naehe von Kioto. Im Jahr 2002 bin ich nach Tokio gezogen und habe dort zunaechst vier Jahre lang in Hachioji gelebt, einer Universitaets- und Schlafstadt am westlichen Rand der Agglomeration Tokio. Neulich bin nach Fuchu Stadt gezogen, eine andere Vorstadt von Tokio, etwa 30 Minuten entfernt von der Innenstadt. Alles ist ganz neu fuer mich, nur langsam gewoehne ich mich an die unvertraute Umgebung. Ganz anders als im Zentrum ist es hier sehr ruhig. Das gefaellt mir sehr. weiterlesen »

  • Mein Musiker des Jahres

    Ein Konzertbesuch, vor allem in klassischen Gefilden, kann zuweilen den Charakter einer musikwissenschaftlichen Vorlesung oder einer emotionalen Offenbarung annehmen, wenn Veranstalter, Komponist und Interpret das dringende Beduerfnis verspueren, erklaeren, begruenden, kommentieren zu muessen. Rettend in diesem Zusammenhang ist der Gedanke an ein Konzert von Bob Dylan. Bei ihm geht Zeit in Musik ueber und Worte werden, wenn ueberhaupt, nur fuer das Noetigste gebraucht – zur Begruessung, Vorstellung der Band und zur Verabschiedung. Am 24. Mai diesen Jahres wurde Dylan 65 Jahre alt. Aus diesem Anlass stellten WDR und BR Martin Scorseses No Direction Home vor, eine 225 Minuten waehrende Dokumentation ueber den Kuenstler.

    Mit einer Fuelle von Archivaufnahmen und einem den Film begleitenden Interview zeichnet Scorsese Bob Dylans Werdegang nach: von den musikalischen Anfaengen bis zum Jahr 1966, als er sich fuer laengere Zeit aus der Oeffentlichkeit zurueckzog. Die Ausfuehrungen Dylans erlauben intime Blicke auf dessen musikalische Wurzeln, seine Art und Weise zu arbeiten und, eine Quintessenz des Films, auf das Problem, welches entsteht, wenn es nicht mehr nur noch einfach um Musik geht: Der Kuenstler und das Publikum, die Medien, die >Interpreten<; die Kunst und die Politik. Gerade diese Beziehungen werden von dem Hollywood-Regisseur eingehend thematisiert und kulminieren in den Interviews mit der Presse. Analyse, Interpretation, Gespraeche - liesse man Musik einmal Musik sein, haette man manchmal weit mehr davon. Was soll man schliesslich sagen, wenn man nach den surrealen Botschaften seiner Songs gefragt wird?

  • Aufwachsen ohne TV

    Seit etwa einem Jahr gibt es keinen Alltag mehr in meinem Leben: Reisen, Lesungen und Recherche, Stipendien (momentan in der Villa Aurora in Pacific Palisades), und Einladungen ins Ausland (Bahrain und China, Paris und Prag). Bis September 2005 lebte ich in Kapstadt und arbeitete am Weltensammler, meinem neuen Buch, ganz nuechtern und diszipliniert, taeglich von acht in der Frueh bis fuenf am Nachmittag. weiterlesen »

  • Gefraessiger Sohn von

    Sie haben es sicherlich schon bemerkt. Der Mc-Virus ist auf dem Vormarsch. Mittlerweile ist so gut wie jeder auf die eine oder andere Art mit einem MacIntosh-Computer verbunden und auch in ihrer Nachbarschaft hat sicherlich schon laengst eine McDonalds-Zweigstelle eroeffnet. Doch dem nicht genug. Gefraessiger ist die neuste Variante, in der Gestalt des Namenskuerzels allein: Mac oder effizienter noch die Kurzform Mc – beide bekanntlich aus dem Schottischen kommend und so viel bedeutend wie der Sohn von. Branchenuebergreifend greift er Raum und findet seinen Wirt im Camping- und Outdoorausruester, Reisemobilvermieter, Online-Webshop, Dental-Discounter, Anbieter von Reinigungs- oder Sicherheitsservice, etc. Seine Erscheinungsformen sind im Grunde nicht zaehlbar: McTramp, McTrek, McCamp, McZahn, McClean, McRent, McSafe, McOffice, McBuero, McMoney, McFit, McShirt, McGarden, McBowl, McPaper, McCrash usw usf.

    Alle verfallen dem Virus, im Glauben an die Macht der Marken MacIntosh und McDonalds, die zweifelsohne ein unschlagbares Image haben: Erfolg im Weltmassstab und Qualitaet fuer jedermann. Letzteres ist ueberigens alles andere als unwesentlich in diesem Zusammenhang. Bewusst das an schottischen Geiz appellierende Mc-Kuerzel nutzen wollen, ist ein Argument fuer viele, den Sohn von zu bewirten. Mit den Risiken und Nebenwirkungen dieser preisbewussten Medizin beschaeftigen sich viele. Christina Bastl etwa, Geschaeftsfuehrerin der Muenchner Increon-Agentur fuer Namensfindung sagt: Das >Mc vermittelt einen jugendlichen, etwas flapsigen, aufgeschlossenen Anstrich<. Und jenseits der Oberflaeche? Dort wird der Wirt anders als ihm lieb sein duerfte, aufgestellt. Qualitaet fuer jedermann - dieser Imagetranfer klappt vermutlich bei den meisten. Studien zufolge denken fast alle an billig und preisguenstig, wenn Mc sein Unwesen treibt. (Und dass die Ware qualitativ okay ist, versteht sich ja von selbst.) Doch Erfolg im Weltmassstab? Um es vorwegzunehmen: Mit dem Sohn von ist jener nicht zu haben. Zu beliebig die Markennamen, die mit ihm gebildet werden. Und schlichtweg zuviele dieser Art. Unter Markenschutz koennen sich die meisten infolge dessen nur innerhalb nationaler Grenzen stellen lassen. Nicht jedoch international. Der Mc-Virus geht also in eine neue Phase: Nachdem er den Globus grenzuebergreifend erschlossen hat, beginnt er nun den Planeten innerhalb der Landesgrenzen auszuhoehlen. Ob das jetzt auch die Tochter von aus der Reserve lockt?

  • Deutsche Weltweit

    In der Ferne sehnt man sich oft mehr nach der Heimat, als wenn man vor Ort ist. Dies gilt sogar fuer die Nachkommen von Auswanderern, die selber nie die alte Heimat kennen gelernt haben! Und so ist es nicht verwunderlich, dass sich im Ausland lebende Deutsche suchen und finden, sie ihre Braeuche weit weg von Deutschland zum Teil sogar mehr pflegen als Landsleute zu Hause, nach Informationen aus und Verbindungen zur alten Heimat suchen und, nicht zu unterschaetzen, sich nach den heimatlichen Genuessen sehnen. weiterlesen »

  • kannst du die deutschen ausmischen

    Seit einigen Wochen ziert ein Graffito den U-Bahnhof Eberswalder Strasse. Immer wenn ich daran vorbei gehe, muss ich kurz schmunzeln. kannst du die deutschen ausmischen steht da, Schwarz auf sandfarbenem Beton. Es ist nicht gerade ein kuenstlerisches Graffito, im Grunde nur hingekrakelte schwarze Schrift. Anscheinend geht es hier mehr um die Botschaft, als um die Aufmachung. Aber was hat der ominoese Spruch zu bedeuten – diese aneinander gereihten Worte, ohne Interpunktion und ohne Beruecksichtigung der Gross- und Kleinschreibung? Ich versuche mich mal an einer Interpretation – von hinten nach vorn. Das Wort ausmischen laesst zunaechst daran denken, dass der geheime Poet hier aufmischen und ausmischen verwechselt hat. Dann noch ein Fragezeichen dran und alles waere perfekt. Doch das waere zu einfach.

    Vielleicht will sich hier ja jemand in die aktuelle Migrationsdebatte einmischen. Oder ist dieses seltsame Verb ausmischen eine Anspielung auf die deutsche Gesellschaft? Wer kann da schon die richtigen Deutschen ausmischen? Sie finden, dass das zu weit hergeholt ist. Gut, doch der Mittelteil der Geheimbotschaft ist nicht minder verschluesselt. die deutschen, klein geschrieben. Also ein Adjektiv? Wohl kaum, denn der ganze Satz ist ja klein geschrieben und ein Substantiv gibt es auch nicht. Auch der Anfang gibt Raetsel auf. Die direkte Ansprache des Lesers in Frageform, allerdings ohne Fragezeichen. Also letztlich eher als verkappter Imperativ lesbar. Sie merken schon, eine lupenreine, eindeutige Aufloesung laesst diese Zeile nicht zu. Das macht sie so anregend. Absicht oder nicht – die Botschaft regt zum Nachdenken an, schreit foermlich danach, in einem groesseren Zusammenhang gesehen zu werden: Wenn man im U-Bahnhof ein paar Meter weiter geht, ergaenzt die naechste Wandnachricht: Tee wird kalt, schrei halt.

  • Architekten der Vielsprachigkeit

    Europa ist und bleibt fuer das Gros der EU-Buerger vorerst ein Konstrukt, da es die europaeische Oeffentlichkeit bislang nicht gibt. Debatten um eine europaeische Identitaet oder um die Zukunft Europas werden zwar in Feuilletons immer wieder gefuehrt – man erinnere sich etwa an die Initiative fuehrender Intellektueller vom Fruehjahr 2003. Juergen Habermas, Jacques Derrida und andere hatten in europaeischen Zeitungen zeitgleich ihre Vorstellungen ueber die kuenftige Rolle Europas dargelegt. Doch erreichte auch dieser Vorstoss wohl eher das traditionelle Feuilleton-Publikum, als den skeptischen Durchschnitts-Europaeer. Anders >Cafe Babel<, die erste frei zugaengliche Internet-Zeitung mit europaeischem Format. Mehrmals woechentlich berichten junge Europaeer in sieben Sprachen ueber aktuelle Entwicklungen in ihren Laendern oder beleuchteten in gemeinsamen Dossiers ein bestimmtes Thema jeweils aus nationaler Perspektive. Welche Konzepte haben etwa Belgien und Frankreich gegen haeusliche Gewalt entwickelt, wie halten es die Spanier? Wie bewerten junge Journalisten aus Polen, Deutschland und Frankreich das Treffen des Weimarer Dreiecks? Die Beitraege werden jeweils in die anderen Sprachen uebertragen. Cafe Babel bietet damit nicht nur jungen Journalisten eine virtuelle Plattform, sondern auch kuenftigen Uebersetzern.