• Der Welt muss geholfen werden

    Es war einmal… vor nicht ganz zweihundert Jahren erblickte die erste aufgrund ihrer Verbreitung nennenswerte Plansprache das Licht der Welt: Solresol. Dicht gefolgt von einigen anderen Kunstwerken, von denen uns Esperanto bis heute wohl das Vertrauteste geblieben ist.

    Plansprachen sind aber nicht einfach nur Plansprachen: sie sind vor allem Welthilfssprachen. Da, wo in der Weltgesellschaft hoffnungsloses Koepfeschuetteln beginnt, bieten sie sich als Bruecke an. Diego Marani, der als Uebersetzer im Europaeischen Ministerrat in Bruessel arbeitete, hat das juengste Plansprachenkind zur Welt gebracht: Europanto. Sein Baby ist ein echter Mischling geworden: 42 Prozent Englisch, 38 Prozent Franzoesisch, 15 Prozent anderer EU-Sprachen und 5 Prozent Fantasie. Zu lesen am besten in Maranis 1999 erschienenem Buch Las adventures des Inspector Cabillot. Der Held der kleinen Kurzgeschichtensammlung, Detektiv Cabillot, kaempft darin als erster absolut europaeischer Held gegen das Unrecht unseres Kontinents.

    Cabillots Sprache? Es ist allein jene Sprache, die einem absolut europaeischen Helden angemessenen ist: Europanto. Der Protagonist verkoerpert damit ein bisschen von jedem und zudem das hehre Ziel der Einheit in der Vielfalt, das als Credo der Europaeischen Union fungiert. Selbstverstaendlich, in seiner Welt plagen den Menschen keine Sorgen mehr. Vielleicht gehen irgendwann aber doch die ein oder anderen Sprachgeister auf die Barrikaden…

  • Jedem sein McDeutsch

    McDonaldisierung der deutschen Sprache, kam es wie aus der Pistole geschossen, als wir eine polnische Studentin nach ihrer Meinung zum Berliner Gazette-Projekt >McDeutsch< fragten. Diesen Slogan verstuenden auch die Buerger Polens. Also baten wir sie eine polnische Uebersetzung der Presseunterlagen anzufertigen. Einer jungen Russin, die mit der Aufgabe betraut wurde, dafuer das kyrillische Alphabet zu bemuehen, schmeckte das Ganze gar nicht: Wird hier nicht der alte Nazitraum von der Weltsprache wiederbelebt?

    Ein niederlaendischer Medientheoretiker schickte uns einen Leserbrief mit dem Wortlaut: Rette Deutsch / Rettet den Deutsch / Rettet das Deutsch / Save Deutsch / Rettet German. Es war seine Reaktion auf unseren Kommentar des Spiegel-Titels zur deutschen Einheit. Ein Musikolge aus Regensburg fuehlt sich offenbar ebenfalls zum dekonstruierendem Dichten befluegelt: MrDeutsch vielleicht oder DrDeutsch oder ProfDeutsch. Und er kennt die Steigerungsform: AmMcDeutschesten. Oder eine Slawistin, die, in einer Bibliothek stehend, in recht unangemessener Lautstaerke rief: McDeutsch, McDeutsch, McDeutsch! – als Reaktion auf das schleichende Sterben der deutschen Sprache. Fuer Buchpreistraeger Ilja Trojanow ist es dagegen das Endprodukt einer kosmetischen Verschoenerung, die den Namen Anglisierung traegt.

    Der Kantonsschule Reussbuehl erscheint es wiederum als Schlagwort aussagekraeftig genug, um als Ausgangspunkt fuer einen Aufsatz herzuhalten. Was uns, die Initiatoren des McDeutsch-Projekts, jedoch am meisten amuesiert: Ein in Kanada lebender Deutscher hat unter dem Namen McDeutsch einen Blog gestartet. Alles in allem eindeutige Zeichen: Das Projekt hat einen Grad der Verselbstaendigung erreicht, den man sich nur wuenschen kann. Es ist in aller Munde. Frei nach dem Motto: Mein McDeutsch ist nicht Dein McDeutsch. Oder besser noch: Jedem sein McDeutsch.

  • Unbedarfte Anti-Inszenierungen

    Die Generation der Chat-Kids ist erwachsen geworden, zumindest auf dem Papier. Miri-Sternchens und Warteschleifenpianisten sucht man in den neuen Internet-Kontaktboersen vergeblich, Chiffren sind aus der Mode gekommen. Mitglieder gaengiger Foren legen neuerdings eine Offenheit an den Tag, die Aussenstehende befremden muss.

    Ob im >Studiverzeichnis<, einer Internetplattform, auf der sich angehende Akademiker tummeln, oder auf den Seiten des >Open Business Club<. Der amerikanische Soziologe Erving Goffman beschrieb Ende der 1950er Jahre das Theater des Alltags in all seinen Facetten: Die soziale Welt als Buehne, auf der sich einzelne Akteure in Szene setzen und Ensembles dem Publikum sozial erwuenschte Bilder von der Wirklichkeit vermitteln. Persoenliche Seiten vieler StudiVZ-Nutzer zum Beispiel muten dagegen wie unfreiwillige Anti-Inszenierungen an.

    Die angehende Juristin, die sich freimuetig als einkaufssuechtig bezeichnet, der Germanistik-Student, der seinen Freunden den Da Vinci Code von Dan Brown als Ferienlektuere empfiehlt. Politikwissenschaftler, die sich als Gruenenwaehler outen. Und all dies mit Vor- und Zunamen, Foto und Geburtsdatum. Zu viel Big Brother geschaut? Diese Unbedarftheit scheinbar intelligenter Menschen ist jedenfalls nicht zu toppen.

  • Killerspiele, echte Waffen

    Head Shot blinkt mal wieder in roten Buchstaben auf dem Computerbildschirm vor mir auf. Nicht etwa weil mein virtuelles Ich getroffen wurde, sondern weil ich schon wieder einen Gegner kalt gemacht habe. Doch schon im naechsten Augenblick befoerdert mich eine Rakete direkt ins Jenseits. Macht aber nix, denn ich werde gleich wieder neugeboren. Die Opfer eines Amoklaufs im wirklichen Leben aber nicht. Vor vier Jahren geschah es in Deutschland zum erstenmal in Erfurt und nun vor gut zwei Wochen in Emsdetten.

    Es koennte auch in Pritzwalk passieren, wo ich die dreizehnte Klasse einer Gesamtschule besuche. Warum ist das wichtig? Fuer Medien und Politiker scheint der Fall klar zu sein. Schuld sind allein Ego-Shooter wie Counter-Strike oder Unreal Tournament, in denen das Ziel darin besteht, andere Menschen zu toeten. Ich spiele auch ab und an Ego-Shooter. Allerdings denke ich nicht einmal im Traum daran, mir eine Waffe zu kaufen oder gar einen Menschen im real life, wie es so schoen heisst, zur Strecke zu bringen. Auch Robert Steinhaeuser sowie der letzte Taeter konnten zwischen der virtuellen Spielewelt und Alltagsrealitaet unterscheiden. Sie waren sich ihrer Taten voll bewusst. Warum also haben sie ihren Mitmenschen so etwas angetan? Meiner Ansicht nach ist das ganz klar: Sie haben es aus Angst, Verzweiflung, Wut und sogar aus Hass heraus getan.

    Doch diese negativen Empfindungen wurden nicht durch Killerspiele hervorgerufen sondern durch ihr Verhaeltnis zur Gesellschaft. Es waren Mitschueler, die damals Robert Steinhaeuser gemobbt haben. Lehrer und Eltern, die damals nicht gesehen haben wie es um ihn stand. Ich will damit nicht sagen, dass die Spiele keine Rolle in den Gewalttaten einnehmen, aber der Ausloeser sind sie bestimmt nicht. Sie dienen vielleicht eher als Mittel zum Zweck, wie die Waffen, die bei der Tat benutzt werden. Wieso denkt man in Deutschland also an ein Produktions – und Verbreitungsverbot von Computerspielen aber nicht an eines fuer Waffen?

  • Der arabische Raum

    Er hat keine Fenster und meistens ist die Luft nicht sonderlich gut. Klein ist er zudem und in der Ecke liegen immer kaputte Tische und Stuehle herum, die woanders wohl niemand mehr haben wollte. Oft ist er vollkommen ueberheizt. Nicht selten jedoch auch eiskalt. Die Waende sind aus Beton, grauem Beton. Es gibt keine Tapete und keine Bilder. Der Boden ist von einem braun-grauen Teppich bedeckt und uebersaet von Flecken. Vielleicht sind es sogar Blutflecken? Licht verbreitet in diesem Raum eine surrende Neonroehre. Es ist ein kuehles, unnatuerliches Licht von dem jeder Winkel erfuellt wird und das alle ziemlich schlecht aussehen laesst. Ach ja, es gibt auch Menschen in diesem Raum. Sie stehen herum und schuetteln sich gegenseitig die Haende, dabei sagen sie andauernd: >Marhaba<; an einer Wand haengt eine Tafel mit arabischen Schriftzeichen. Niemand kann in diesem Raum etwas verbergen, man versteht einfach jeden, auch wenn er nur fluestert. Hier lerne ich jeden Mittwoch abend die Sprache des Korans!

  • Im Strom der Migration

    Viele meiner Graduierten-Kurse an der Universitaet von Texas werden entweder komplett oder wenigstens teilweise auf Deutsch unterrichtet, und auch die zu lesenden Artikel und Buecher sind auf Deutsch. Zusaetzlich nehme ich am Texas-Deutsch-Dialekt-Projekt teil, fuer das ich Interviews mit Leuten in Zentral-Texas fuehre, die teils in der vierten, fuenften oder sogar schon sechsten Generation Sprecher des Texas-Deutschen sind. weiterlesen »

  • Nachbarschaftliches Durchdringen

    Zur Zeit unterrichte ich Kunstgeschichte an einer Akademie in Suedboehmen in der Stadt Cesky Krumlolv, zu deutsch Boehmisch Krumau. Diese wunderschoene Stadt am Ufer des Flusses Vltava, zu deutsch der Moldau, gehoert zu den bedeutendsten Baudenkmaelern Europas. Hier stehen lauter Renaissance- und Barockhaeuser, es gibt ein Renaissanceschloss und ein weltberuehmtes Barocktheater aus dem 18. Jahrhundert. Aufgrund dieses Erbes wurde Cesky Krumlolv im Jahre 1992 ins Verzeichnis der Denkmaeler des Kultur- und Naturwelterbes der UNESCO aufgenommen. Fuer die deutschsprachigen Besucher wurde im Zuge dessen ein umfassender Informationskatalog erstellt, der auf mehr als 2.000 Seiten die Geschichte und Gegenwart der Stadt und der Region schildert. Ich habe an seiner Vorbereitung teilgenommen. weiterlesen »

  • Charlotte Chronicles.18

    Obwohl ich bei einer deutschen Firma beschaeftigt bin, habe ich nur wenige deutsche Kollegen hier in Charlotte. Haeufiger als Gesichter aus der Heimat begegnen mir deutsche Woerter, die auch von Amerikanern hin und wieder verwendet werden. Als ich kuerzlich an einem dessert buffet erlaeuterte, dass der dort angebotene >German chocolate cake< mit seinem unglaublich suessen, mehrere Zentimeter dicken >frosting< nichts mit deutschen Kuchen zu tun habe, erhielt ich als Gegenfrage: >So what would a typical German cake be? A bratwurst cake?< Die >Bratwurst< – meistens in der Kurzform >brat< verwendet – ist tatsaechlich einer meiner treuesten deutschen Begleiter hier in den USA, doch es gibt viele weitere dieser >Germanismen<. So wird mein Landsmann, der Basketballstar Dirk Nowitzki, von amerikanischen Reportern haeufig als >the German wunderkind< tituliert.
    Deutschland ist zwar Exportweltmeister im Bereich der Waren und Gueter, der Dienstleistungssektor wird jedoch traditionell von den USA beherrscht, und wenn man den Export von Woertern als Dienstleistung fuer andere Sprachen definiert, so laesst sich auf dem Sprachsektor ein aehnliches Kraefteverhaeltnis ausmachen. Dennoch gibt es eine betraechtliche Anzahl deutscher Woerter, die mehr oder weniger regelmaessig in anderen Sprachen verwendet werden. Die Duden-Redaktion suchte vor zwei Jahren nach den >erfolgreichsten deutschen Woertern<, sozusagen den deutschstaemmigen Kosmopoliten der Sprachwelt, die sich in einer Vielzahl anderer Sprachen zu Hause fuehlen. In zehn weiteren Sprachen und damit am meisten verwendet werden demnach die Bezeichnungen der chemischen Elemente >Nickel< und >Quarz<, dicht gefolgt von Begriffen wie >Marschall< oder >Schnitzel<. Eine umfassende Bestandsaufnahme startete der Deutsche Sprachrat, deren Ergebnisse jetzt in Buchform publiziert wurden. Neben einigen Kuriositaeten wie dem >butterbrot<, das im Russischen ein Sandwich – allerdings ohne Butter – bezeichnet, ist mein persoenlicher Favorit der kiswahilische Begriff >nusu kaput<, wobei >nusu< kiswahili fuer >halb< ist. >Nusu kaput< bedeutet daher >halb kaputt< und wird als Bezeichnung fuer >Narkose< verwendet.

  • Woerterbuch ins Paradies

    Barranquilla, die Stadt in der ich lebe, ist die viertgroesste Stadt Kolumbiens und hat ungefaehr zwei Millionen Einwohner. Sie ist sechzehn Stunden mit dem Bus und eine Stunde mit dem Flugzeug von der Hauptstadt Bogota entfernt, liegt an der Kueste und ist sehr bekannt fuer ihren Karneval. Hier arbeite ich hauptberuflich als Deutschlehrerin. Meine Leidenschaft ist allerdings der Tanz. Ich tanze seit acht Jahren, zuerst Folklore, mittlerweile nur noch Ballett. weiterlesen »

  • Mehr Geld fuer die richtige Sprache

    Mit dem Goethe-Institut hat sich die Bundesrepublik Deutschland viel Ansehen in der Welt erworben. 129 Zweigstellen in 80 Laendern sind beauftragt, die Kenntnis der deutschen Sprache zu foerdern und ein umfassendes, zeitgemaesses Deutschlandbild zu vermitteln. Doch die erwuenschte Staatsferne des Instituts hat im Laufe der Zeit auch mancher Deutschland-Verdrossenheit Vorschub geleistet. Deutschland? Das wollten manche Institutsleiter in fernen Laendern nicht mehr vertreten muessen und seine Sprache nicht mehr sprechen. Finanziell arg gerupft wurde das Goethe-Institut in den vergangenen Jahren. Damit soll jetzt Schluss sein. Doch das Auswaertige Amt gibt nicht einfach mehr Geld. Die Rueckkehr zu den Kernaufgaben des Goethe-Instituts wird gefordert. Deutsche Sprache und Identitaet, so in schoenster Uebereinstimmung Peter Gauweiler (CSU) und Monika Griefahn (SPD) als Verfasser einer entsprechenden Bundestagsvorlage, werden draussen nachgefragt. Europas Staerke ist seine Vielfalt – was im Umkehrschluss bedeutet, die eigene Besonderheit zu betonen und zu vermitteln. Spracherwerb ist eine unabdingbare Grundlage fuer lang anhaltende gute Beziehungen, zwischen Menschen wie zwischen Staaten, zumal inmitten des rasanten globalen Wandels. Nur gut, wenn sich das Goethe-Institut darauf besinnt, wer sein Namenspatron ist: einer der groessten Dichter und Denker deutscher Sprache.

  • Buenos Aires spricht Deutsch

    Ich lebe und arbeite in Buenos Aires, der Hauptstadt von Argentinien, wo ich geboren bin. Buenos Aires ist eine Grossstadt mit allen Bequemlichkeiten und den ueblichen Risiken. Hier herrscht ein angenehmes Klima, es gibt eine ordentliche Infrastruktur und intensiven Vehikelverkehr. weiterlesen »

  • Schwarzfahren im pluralen Europa

    Dienstagmorgen in Freiburg: Guter Dinge besteige ich den Zug in Richtung Schweiz, denn heute ist wieder Baseltag. Dank des Eucor-Projekts der Europaeischen Konfoederation der Oberrheinischen Universitaeten kann ich naemlich auch dort an der Uni problemlos Scheine erwerben. Waehrend ich an der Station Basel Badischer Bahnhof noch daran erinnert werde, gueltige Grenzuebergangspapiere mit mir zu fuehren, und spaetestens beim Kauf der begehrten Schweizer Schokolade die Verkaeuferin auf Schweizer Franken besteht, herrscht sprachlich ein buntes Mit- und Durcheinander auf den Strassen: Franzoesisch, Schwizer-Duetsch und ein paar Brocken Italienisch tummeln sich in den Ohren.

    Auf kleinstem Raum also das, womit sich Europa (oder soll man sagen: die EU?), so eifrig beschaeftigt: Sprachenvielfalt. Oder ­ was im Uebrigen immer gilt und immer richtig klingt: Einheit in Vielfalt. Die Uni Basel ist eine der 19 europaeischen Universitaeten, die an dem Forschungsprojekt Dylan arbeiten. Das Motto: Language dynamics and management of diversity. Ziel des Unterfangens ist eine Analyse der sprachlichen Pluralitaet Europas, die von Indogermanisch ueber Turksprachen bis hin zu Dravida reicht.

    Dabei stellt sich die Frage, ob die Sprachenvielfalt eher eine Chance oder ein Hindernis fuer den Kontinent ist. Als ich bei der Rueckkehr wieder am Grenzuebergang bin, merke ich einmal mehr, dass das Nebeneinander keinesfalls ein mueheloses Fliessen ist. Sprachen verbinden zwar, aber die Verbindung kennt Grenzen. Bei einer Zugfahrt durch das plurale Europa ist das fuer gewoehnlich anders. Morgen ist wieder Dienstag, in der Fruehe steige ich wieder ein.