• Politisch korrekte Polackenwitze

    Die Art von Humor, die wir als ethnisch bezeichnen, hat eine lange Tradition. Betrachten wir beispielsweise das Buch Philogelos, dessen erstes Manuskript im 10. Jahrhundert entstanden ist. Neben Scherzen ueber Scholastiker, Doktoren, Barbiere und Wahrsager, gibt es darin Witze ueber die Einwohner Abderas, Sidons (heute Saida) oder Kyme. Bei diesen Witzen macht man sich ueber die Dummheit der Charaktere lustig – eine Art von Humor, die heutzutage immer noch weit verbreitet ist.

    Witze sind Fiktionen. In dieser Eigenschaft verschluesseln sie die Meinung und Intention des Autors oder Erzaehlers – wie das bei anderen fiktiven Formaten eben auch der Fall ist. Ebenso gilt: Ein Witz ist nicht davon abhaengig, ob eine Situation oder ein Charakter echt oder real sind. Merkmale dieser fiktiven Form des Witzes sind: Wortspiele, Uebertreibungen, Tautologien, Automatismen oder Fehler.

    Wie aber funktioniert ethnischer Humor?

    Er wird gemeinhin als rassistisch betrachtet. Eine Tendenz, die auf Sigmund Freud zurueckgeht. Seiner Meinung nach konnten antisoziale Impulse (sexuelle und feindliche) in feinen Gesellschaften lediglich als Witz geaeussert werden. Da auf einen Witz Gelaechter folgt, scheint die (sexuelle oder feindliche) Energie entlastet zu werden. Humor fungiert demnach primaer als emotionale Katharsis. Dementsprechend muss sexueller Humor als Ausdruck unterdrueckter Sexualitaet und rassistischer Humor als Ausdruck von unterdruecktem Rassismus angesehen werden.

    Weniger Aufmerksamkeit ist dem kognitiven Aspekt von Humor beigemessen worden – beispielsweise der Idee, dass ethnischer Humor als sozialer Kommentar dienen kann.

    Als sich in den 1960er Jahren massenweise polnische Witze (>Polackenwitze<) in Amerika verbreiteten, hat es keine spezielle Antipathie gegenueber polnischstaemmigen Amerikanern oder polnischamerikanischen Gemeinschaften gegeben. Zuvor hatte keine demografische oder soziale Veraenderung stattgefunden, durch die amerikanische Polen zur einer Bedrohung fuer die dominante Mehrheit geworden waeren. Trotzdem waren Journalisten, Akademiker und einige Humorgelehrte vernarrt in die Hypothese der unterdrueckten Anfeindung. Sie behaupteten, die Witze wuerden mit boesartiger Intention verbreitet und ihre Folgen seien schaedlich - obwohl auch amerikanische Polen diese Witze untereinander austauschten. Fast 30 Jahre spaeter zeigte Christie Davies von der University of Reading, dass die Scherze ueber polnischamerikanische Dummheit, Teil eines weltweiten Trends war. Bei dieser Entwicklung wurden unterschiedliche ethnische oder regionale Gemeinschaften in Witzen als dumme Menschen charakterisiert, weil sie geografisch, sozial oder oekonomisch als marginal wahrgenommen wurden.

    Der Grund: Es schien, als wuerden diese Gruppen es nicht schaffen, sich die Moeglichkeiten der modernen Gesellschaft zueigen zu machen. Polnischstaemmige Amerikaner wurden in den sechziger Jahren als Zurueckgebliebene wahrgenommen: Als wuerden sie in ihrer traditionellen ethnischen Nachbarschaft verweilen und darauf beharren, als Arbeiter beschaeftigt zu sein. Polackenwitze waeren demnach als Kommentar zu den Werten der arbeitenden und der mittleren Schicht lesbar – und kein Ausdruck von ethnischen Feindseligkeiten.

    In der gleichen Dekade war unter weissen Studenten folgender Witz beliebt (viele von ihnen waren uebrigens aktiv bei der Bewegung zugunsten der Buergerrechte fuer Afroamerikaner beteiligt):

    Q: What do you call a Negro with a Ph.D.?
    A: Nigger!

    Ob der Witz die Information transportiert, dass es unzaehligen Generationen nicht gelungen ist, die fundamentale Degenerierung (Rassismus) zu ueberwinden. Oder, ob der Witz als kritischer Kommentar zu einer Gesellschaft verstanden wird, in der es Menschen schwarzer Hautfarbe nicht moeglich ist, erfolgreich zu sein – so oder so kann die Bedeutung des Witzes nicht alleine vom Text her erschlossen werden.

    Wobei die zweite Interpretation durch einen weiteren Witz unterstuetzt wird, der fast reflexartig nach dem zuerst genannten erzaehlt wurde:

    Q: What do you call a seven-foot-tall Negro with a bullwhip?
    A: Sir.

    In diesem Witz wird ein Afroamerikaner respektvoll adressiert, sowohl wegen seiner physischen Groesse als auch wegen dem Besitz einer Lederpeitsche. Es wird suggeriert, dass Menschen schwarzer Hautfarbe ausschliesslich durch Andeutungen oder durch eine uebertriebene Zurschaustellung von Gewalt Respekt erlangen koennen; und nicht wegen Leistung oder wegen ihres Charakters.

    Diese Witze sind als zynischer Kommentar zu in den USA kursierenden Vorurteilen aufgetaucht. Die Moral liesse sich wie folgt zusammenfassen: Menschen sind Rassisten und sie werden sich dementsprechend verhalten ­ solange sie wissen, dass sie damit durchkommen. Menschen verhalten sich nur dann hoeflich, wenn sie dazu gezwungen werden.

    Natuerlich wird ethnischer Humor auch durch Rassisten belebt. Aber wenn dies der Fall ist, dann handelt es sich um ein generelles Attribut zu rassistischen Ideologien und anderen Ausdrucksformen. Immerhin: Rassismus lebt durch Obszoenitaeten, Manifeste und verbrecherisches Verhalten – ebenso durch Witze.

    Solange ethnischer Humor in Situationen auftritt, in denen keine anderen Ausdruecke von Rassismus zu erkennen sind, oder in denen Rassismus ausdruecklich verneint wird, muss er in einem Kontext analysiert und interpretiert werden, der losgeloest von Feindseligkeit und Hass ist. Die Polackenwitze der 1960er bleiben der beste Beleg fuer diese These.


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