Auf dem Parkplatz kämpfe ich mich durch ein Heer halbwüchsiger Fabelwesen aus Japan. Es scheint Kostümzwang zu herrschen. Was mache ich hier nur, auf der Leipziger Buchmesse? Sonst meide ich solche Messen doch wie eitrige Siechenhäuser. Aber ich muss, ich habe eine Mission. Denn auch ich bin verkleidet, als Ritter von der traurigen Gestalt. Innerlich, wenigstens.
Ich tauche rasch in der gewaltigen Menschenmenge unter und haste fiebrig umher – immer auf der Suche nach einem neuen Klang in der Sprache, nach wohlfeilen Prachtbänden, Dichterfürsten und Vers-Prinzessinen, und: nach dem heiligen Satz.
Frontdienst und Teufelspakt
Doch wie soll man inmitten dieses Meeres von Buchdeckeln auch nur eine einzige behende gedrechselte Metapher, geschweige denn ein Meisterwerk entdecken? Ich vertraue meinem Instinkt und meinem Herzen, das in unmittelbarer Nähe des Grals schon schneller schlagen wird. Endlose Reihen müder Kriegsgefangener ziehen mit geliehenen Gesichtern an mir vorüber.
Ich erblicke hektische Verleger mit ihren neurotischen Assistentinnen, bibliophile Eremiten in großväterlich bis zur Brust hochgezogenen Hosen, Polyesterhemden in erstaunlichen Farbkombinationen, meist bebrillt und wirren Blickes. Außerdem Hunderte professoraler Fliegen und vorwitziger Buchregal- krawatten. Man gibt sich alle Mühe dem Klischee Genüge zu tun.
Und ich suche. Ein großer Verlag taucht vor mir auf, eine wahre Fabrik, präzise und kalt und unerbittlich, an dem Autoren ohne Erbarmen zum Frontdienst der Lesung gezwungen werden. Der Buchvertrag als Teufelspakt, den Schwefel konnte man dort schon gut riechen.
Bücher wie alte Frauenbrüste
Sicher würde ich bei den jungen, unabhängigen Verlagen das Ziel meiner heiligen Mission erfüllen können. Ein österreichischer Verlag erweckt mein Interesse mit Buchcovern, die eher an Splatterfilmplakate erinnern und spektakulär amüsant betitelt sind.
Ein flüchtiges Blättern allerdings gerät zum Fiasko. Wie weißes Papier: Nach dreißig Sekunden kann ich mich an keinen Satz mehr erinnern. Literarische Büstenhalter, wenn man sie öffnet, liest man in Hängetitten. Aber immerhin wirkt die Verlegerin amüsant streng. Vielleicht versteckt sie den heiligen Satz nur ein wenig.
Bei einer Lesung lausche ich ihrem jungen Vorzeigeautor. Er breitet eine österreichische Dorfjugend aus, der er sehr augenscheinlich in die große Stadt entkommen ist. Tolle Sache! Doch findet er mit seinem charmant hingestammelten Spätabiturientenjargon auch jene brillante Pointe, die seine Fesselung an den Schreibtisch rechtfertigt? Nein. Schade.
In der Gralsburg
Weiter durch die Hallen gekämpft, die Ohren groß aufgerichtet, größer noch als die angeklebten Hasenlauscher der Mangajünger. Mein Gefühl der Verlorenheit ist wieder da. Doch da die Rettung: Ein neuer Leipziger Autor, bescheiden und weltgewandt, liest aus seinem gefeierten Roman. Darin schildert er das Leben im Süden der Stadt, eine begeisternde Landschaft, die dem Braunkohletagebau anheim fiel.
Und da holt er aus, deutet an bereit zu sein, für den heiligen Satz, der meiner Irrfahrt ein Ende setzt. Er sucht, sammelt sich und findet einen brillanten Begriff für die heimatlichen, baumlosen Ebenen. So unerhört, klar und rein, das man sich fragt, wie er derartige Formulierkraft nur all die Jahre vor dem Antlitz der Welt verbergen konnte.
Er schürzt sanft seine Lippen und flüstert: „Mondlandschaft“! Sofort errötet er ein wenig, ob dieses seltenen Blitzschlages der Genialität. Ich starre ihn an. „Mondlandschaft“, großartig! Ich fange an zu weinen. Ich bin am Ziel.
19 Kommentare zu
Muss allerdings auch gestehen, das ich mir den Namen ignoranterweise nicht gemerkt habe. Das Googlen unterlasse ich wohlweislich, Weinkrämpfe und Dauerheulen bergen die Gefahr einer frühjährlichen Bindehautentzündung!
Namen und Personen spielen hier nun keine wirkliche Rolle, im stumpfen Meer der Oberstufenprosa...
Denn wer liest schon gerne in Hängetitten...