Wer hat etwas zu verbergen? Auf Terroranschläge folgen üblicherweise Forderungen nach mehr Sicherheit und Transparenz. Dies setzt gegenwärtig ungeahnten Druck frei. Immerhin geht es um die Mitte unserer Gesellschaft. Doch ist das landläufige Transparenz-Modell überhaupt für eine Demokratie gemacht? Berliner Gazette-Herausgeber Krystian Woznicki macht sich Gedanken.
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“Und man kann in Deutschland einfach so untertauchen?” Diese ungläubige Frage stellte Günter Jauch der Expertenrunde in seiner Sendung “Terror von rechts – haben wir die braune Gefahr unterschätzt?”. Ein wenig provokationslustig hatte Jauch auch gefragt: “Auf dem rechten Auge blind?”
Nach Terroranschlägen richtet sich der Verdacht normalerweise gegen die Bevölkerung. Im Augenblick richtet sich ein Teil-Verdacht gegen den Verfassungsschutz: Hätten die Täter tatsächlich ohne die stille Mitwisserschaft der Obrigkeit solange im Untergrund agieren können? Aber dieser Verdacht erlöst die Gesellschaft nicht davon, selber in den Mittelpunkt bohrender Blicke zu geraten.
Forderungen nach mehr Sicherheit werden laut. Oder nur im Hinterzimmer für politische Entscheidungen herbeizitiert. Das Allheilmittel ist Überwachung. Was im Zuge dessen gesellschaftlich hergestellt wird, nennt man Transparenz.
Deaktivieren durchsichtige Bürger die Terrorgefahr?
Die Diskussion über Rechtsterrorismus erinnert uns: Deutschland ist transparent. Soll es zumindest sein. Und wenn wir etwas nicht sehen, dann liegt das nicht an unseren Möglichkeiten, sondern an unseren politischen Interessen. Fazit: Wir können, wenn wir wollen, alles sehen. Wir müssen nur “wollen” lernen. Dies ist ein politischer Prozess: weg von der braunen Rest-Basis, hin zu mehr Demokratie.
Freilich, bei der Debatte um die Döner-Morde und die braune Armee-Fraktion geht es vordergründig nicht um Transparenz. Aber das zentrale Motiv in der aktuellen Phase der digitalen Revolution spielt auch hier eine wichtige Rolle. Auch hier dreht es sich unterschwellig um die demokratische Frage der Gegenwart: Wie soll in Deutschland die transparente Gesellschaft aussehen? Nicht zum ersten Mal gibt uns dies ein terroristischer Akt zu denken. Zum ersten Mal jedoch entspringt der Terror im neuen Jahrhundert einer mythisch verklärten Mitte Deutschlands.
Zuvor, bei linkem oder islamistischem Terror etwa, sagte man: Wir nehmen die staatlich verordnete und verwaltete Transparenz in Kauf, keine Frage. Denn: Wir wollen diesen Terror nicht. Jetzt steht dieses Wir und dessen Wille in Zweifel. Wer in Deutschland kann sich insgeheim mit dem rechten Terror gegen Einwanderer identifizieren? Sind es wirklich nur 10% wie Bayerns Innenminister Joachim Herrmann bei Jauch mutmaßte? Zweifel sind angebracht. Die Zweifel, die ich an dieser Stelle jedoch vertiefen möchte, richten sich gegen etwas anderes. Gegen die Annahme nämlich “Wir können, wenn wir wollen, alles sehen.”
Die Transparenzmaschine übt Druck aus
Wer ist dieses Wir? Es steht für eine Mehrheitsgesellschaft, deren Interessen deckungsgleich sind mit den Interessen des Staates. Eine Mehrheitsgesellschaft ferner, der die panoptische Erfahrung (alles zu sehen) durch die technologischen Mittel des Staates zuteil wird. Das Opfer, das diese Gesellschaft dafür erbringen muss: Sie muss dem Staat ihre Privatsphäre und die Entscheidung darüber überlassen, wann, wie und wem Einblicke in diese Sphäre gewährt werden. Dann ist alles ganz einfach: Der Staat sieht alles, sichtet alles und gibt zum rechten Zeitpunkt den Blick auf alles frei.
Die Bereitschaft der Bürger, das gesellschaftliche Spiegelkabinett zu betreten, muss damit einhergehen. Es reicht nicht, sich durchleuchten zu lassen. Man muss sich auch zeigen und andere sehen wollen. Wer das nicht will, der hat etwas zu verbergen. Der will dieses dunkle Etwas im Zweifelsfall nicht bei anderen wiedererkennen müssen. Diese Transparenzmaschine übt in Zeiten der “braunen Armee-Fraktion” in gänzlich neuer Weise Druck aus. Denn man kann jetzt nicht so einfach sagen: “Ich habe doch nichts zu verbergen”.
Das Lachen über einen “Ausländerwitz”, das Wegschauen bei einem rassistischen Übergriff in der U-Bahn, das stillschweigende Beobachten einer neo-faschistischen Kundgebung – all das könnte unversehends eben jene “Leiche im Keller” zu Tage fördern, die um jeden Preis verborgen bleiben soll. So bietet die braune Gefahr in der Mitte der Gesellschaft den Forderungen nach totaler Transparenz einen neuen Nährboden. Es scheint, als komme die Gesellschaft dabei zu sich selbst, als müsse sie sich selbst und ihre geheimen (“braunen”) Gelüste überwinden, um diesen Forderungen stattzugeben.
Wie soll die transparente Gesellschaft aussehen?
Das Potenzial für eine derart emanzipative Entwicklung ist derzeit sicherlich gegeben. Nur das Problem dieses gesamtgesellschaftlichen Experiments besteht darin: Der Versuchsaufbau wird von oben verordnet – wie bei früheren Reaktionen auf Terror auch. Die Asymmetrie zwischen Staat und Bürger kommt nicht zuletzt in dem Transparenz-Modell zum Ausdruck. Auf die Frage “Wie soll in Deutschland eine transparente Gesellschaft aussehen?” lautet die Antwort: Der Staat will alles über den Bürger wissen, der Bürger soll nur das über den Staat wissen, was der Staat für richtig erachtet.
Man könnte folgern: Transparenz – das ist nicht umfassende Demokratie, das ist quasi-totalitäre Herrschaft. Diese Fundamentalkritik bekommt jetzt einen neuen Drall: Wenn eine Gefahr für die Gesellschaft in der Mitte derselben verortet wird, dann lauert die Gefahr nicht nur in der Mitte der Bürgerinnen und Bürger, sondern auch in der Mitte des Staats.
Das traditionelle Transparenz-Modell hat somit einen Tipping Point erreicht: Es hat den Anschein, als erlange die herkömmliche Asymmetrie einen neuen Grad der Unbedingtheit. Tatsächlich müssen die BürgerInnen erkennen: Sie sind jetzt nicht noch mehr als zuvor dem Staat und seinem Big-Brother-Anspruch ausgeliefert. Vielmehr muss sich die Mehrheit, ja, nach Möglichkeit Gesamt-Deutschland, das Recht erkämpfen, die transparente Gesellschaft gemeinsam zu gestalten. Nur wenn Transparenz demokratisch verhandelt wird, kann auch der braunen Gefahr die politische Existenzgrundlage entzogen werden.
10 Kommentare zu
So schreibst du:
"Auf Terror folgen üblicherweise Forderungen nach mehr Sicherheit und
Transparenz."
Mehr Sicherheit ja, aber Transparenz - wird gefordert wo? Von wem? Beispiele?
"Doch ist das landläufige Transparenz-Modell überhaupt für eine Demokratie
gemacht?"
Was ist denn das "landläufige Modell" von Transparenz?
Du führst selber Wikipedia an, da ist der Begriff eindeutig der Politik
zugeordnet, also geht es um Transparenz politischer Organisationen und
Entscheidungen, also eine Forderung des Bürgers gegenüber der staatlichen
Organisation.
Im Kontext der braunen Zelle kann man Transparenz vielleicht für die Arbeit
der Sicherheits-Dienste fordern - Polizei, BKA, Verfassungsschutz - weil ja
erstaunlich ist, dass diese Leute so viele Jahre unbehelligt agieren konnten.
Die aktuelle Debatte scheint mir eher dahin zu gehen, dass man diesen Diensten
unterstellt, auf dem rechten Auge schlecht zu sehen. Dann wäre Transparenz
eher ein Euphemismus für "Tendenz".
So oder so, eine Anwendung des Begriffes auf a) Gesellschaft oder b) soziale
Systeme oder c) Individuen wäre etwas ganz anderes - und ich habe diese
Forderung auch in der öffentlichen Debatte nicht gehört, oder in den
Sozialwissenschaften (aber ich bin gern bereit zu lernen).
" 'Wir' .. steht für eine Mehrheitsgesellschaft, deren Interessen
deckungsgleich sind mit den Interessen des Staates."
Gesellschaft ist ein Begriff der Soziologie. Was soll "Mehrheitsgesellschaft"
sein? Es wird in Gesellschaft ja nicht gezählt, abgestimmt o.ä. Ist das eine
Teilmenge der (ganzen) Gesellschaft?
Und deren Interessen sind dann "deckungsgleich" mit denen des Staates?
Wenn ich hier von Transparenz spreche, dann im Kontext der digitalen Revolution - ein Prozess, in dem Firmen wie Facebook mit dem Staat um das Monopol auf asymetrische Transparenz (allumfassendes Wissen über die Bürger) konkurrieren.
Nach Terror richtet sich der Verdacht normalerweise gegen die Bevölkerung. Im Augenblick richtet sich ein Teil-Verdacht gegen den Verfassungsschutz. Aber dieser Verdacht erlöst die Gesellschaft nicht davon, selber in den Mittelpunkt des Verdachts zu geraten. Die asymetrische Konstellation bleibt: Wenn ich also von Terror als Auslöser für Forderungen nach Sicherheit spreche, die qua Überwachung garantiert werden soll, dann wird im Zuge dessen mehr Transparenz herstellt. Die Bürger sollen durchsichtiger werden.
All dies hatte ich im Text vorausgesetzt. Deine Fragen zeigen mir, dass das nicht gut war. Ich habe einige Details im Text modifiziert/ergänzt. Er dürfte jetzt voraussetzungsfreier sein.
Ich korrigiere jetzt auch den eingangs erwähnten Link.
"Stell Dir vor es gibt Terror und keiner kriegt's mit"
http://www.misik.at/sonstige/stell-dir-vor-es-gibt-terror-und-keiner-kriegts-mit
gut, also reden wir darüber, wie man den Begriff "Transparenz" verstehen will.
"Wenn ich hier von Transparenz spreche, dann im Kontext der digitalen Revolution - ein Prozess, in dem Firmen wie Facebook mit dem Staat um das "Monopol auf asymetrische Transparenz (allumfassendes Wissen über die Bürger) konkurrieren."
Der Begriff macht IMHO Sinn nur im Bezug auf gestaltete (soziale) Prozesse, wo dann die Wege und Motive für Struktur oder Entscheidungen offener gelegt werden sollen. Das bedingt auch, sie _liessen_ sich wirklich offen legen und es sei dann nur eine Frage Von Politik, oder Macht, oder Organisation, wieweit das geschieht.
All dies gilt für Menschen nicht, sie können zwar auf konkrete Fragen hin Gründe für ihr Handeln formulieren, aber die Vielzahl von Rollen, Identifikationen, Motiven nicht (selbst) abstrahieren, und die genannten Gründe sind dann immer nur Ausschnitte.
Anders gesagt, die Komplexität von Mensch und den von ihm betriebenen Gebilden (sozialen Systemen, Gesellschaft) ist zu groß, um - selbst beim besten Willen (oder mit "aller Macht") - einen Menschen "transparent" zu machen, ihn also komplett zu durchschauen.
Es gibt daher nie ein "allumfassendes Wissen" über Menschen, und auch nicht über "Bürger", sondern immer nur Ausschnitte, Aspekte, Bezüge.
Das denke ich mal haben auch jene begriffen, welche Daten sammeln, Facebook hier, der Staat dort - und daher wird der Wunsch nach einem "transparenten Konsumenten" oder "transparenten Bürger" dort auch nicht formuliert.
Umso wichtiger ist IMO, klar zu formulieren, welche Interessen diese Stellen denn tatsächlich haben, ohne zu überzeichnen.
Es reicht dabei aus, dass dort Daten gesammelt werden, woraus eine Änderung des Verhaltens der Betreffenden entsteht, allein weil sie wissen, dass ihre Aktionen irgendwo verfolgt, aggregiert, interpretiert werden. Diese Verhaltensänderung ist eine (erst einmal selbst-) Einschränkung von Freiheit - und für den Erhalt solcher Freiheit geht es bei Datenschutz und Bürgerrechten.
Wenn man dagegen immer nach der großen Mission fragt - "Totale Transparenz", "Totale Sicherheit", "Totale Irgendwas" - dann kommt man in ein Fahrwasser des Totalen, siehe auch "Post Privacy" etc., und das ist nicht gut.
"Nach Terror richtet sich der Verdacht normalerweise gegen die Bevölkerung."
Sorry, das kann man doch so auch nicht sagen, der Verdacht richtet sich doch gegen (unbekannte) Terroristen. Ein einzelner Bürger, der zB in eine Raster-Kontrolle gerät, der steht dann ggf. unter Verdacht, aber keine "Bevölkerung".
".. erlöst die Gesellschaft nicht davon, selber in den Mittelpunkt des Verdachts zu geraten. ..."
Sorry, wie kann Gesellschaft in Verdacht geraten? "Gesellschaft" als Analogie zu "Bürger" macht IMO keinen Sinn, daher gibt es da auch nichts zu verdächtigen.
Die tatsächliche Frage lautet im Kontext von Terrorismus (und anderen Verbrechen) stets, wieviel Freiheit man für mehr Sicherheit opfern will. Gut, diese Frage wurde ja seit der RAF-Zeit immer wieder gestellt, und unterschiedlich beantwortet.
"... Wenn ich also von Terror als Auslöser für Forderungen nach Sicherheit spreche, die qua Überwachung garantiert werden soll, dann wird im Zuge dessen mehr Transparenz hergestellt."
Sorry, nein, ganz konkret wurde ja durch die Rasterfahndung der 1970er viel Material gesammelt, das nutzlos war, und auch bei 9/11 war die Vielzahl von Sicherheits- und Geheimdiensten in den USA nach allem was man erfuhr eher ein Hindernis für die Erkennung der Terrorpläne.
Bei den Sicherheitsdiensten ist offenbar stets auch Fantasie, Projektion, Verantwortungsdiffusion, Datenmüll oder Arbeitsbeschaffung im Spiel - also ist mitnichten klar, dass im Ergebnis mehr Durchschaubarkeit von Irgendwas entsteht.
Gruß /
--
Bernd Brincken - Berlin
http://public-process.de
"So bietet die braune Gefahr in der Mitte der Gesellschaft den Forderungen nach totaler Transparenz einen neuen Nährboden. Es scheint, als komme die Gesellschaft dabei zu sich selbst, als müsse sie sich selbst und ihre geheimen (“braunen”) Gelüste überwinden, um diesen Forderungen stattzugeben. Forderungen wessen?? die Gesellschaft komme zu sich selbst?? müsse sich selbst überwinden? welches Selbst um Himmels willen? das gesellschaftliche Gesamtselbst???? Hä?
das eine ist m.E. die Forderung des "Staates" nach Kontrolle und Offenlegung der Angelegenheiten der Bürger (gläserner Mensch), das andere gegenläufig die Forderung auf Transparenz durch Offenlegung der Entitäten und Machenschaften des "Staates" seitens der Bürger. Ist der Begriff Transparenz wie Du ihn benutzt, um den -wie Du ja auch beschreibst- asymetrischen Kontrollwunsch des Staates "gegen" seine Bürger zu bezeichnen, in dieser Weise gebräuchlich, verwendet, hilfreich? Anders gesagt: ich versteh wirklich die Stoßrichtung Deines Artikels nicht.
Gruß,
Heike
Das andere sind die Unentschiedenen: "Ich bin immer mit der Mehrheit" oder "das ist Sache des Staates, wofür haben wir den Verfassungsschutz!" Ja, wofür eigentlich,
könnte man mit Erich Kästner fragen
Diesen Verfassungsschutz jedenfalls brauchen wir nicht, Ihre Stellen, nicht die Schützer (!) sollte man den Schulen geben!
Thomas Deecke