Oh Gott, das Internet bedroht den Journalismus – mal wieder. Die Apokalypse wird dieses Mal von Markus Reiter in Worte gekleidet und zwischen zwei Buchdeckel gepackt. Leider hat der Profi-Journalist selbst keinen Überblick und bekämpft die bösen Blogger mit exakt jenen Mitteln, die er selbst verpönt.
Das Buch Dumm 3.0 ist ein Plädoyer für den Erhalt tradierter journalistischer Grundwerte. Der Autor Markus Reiter sieht die für eine Demokratie und (Hoch-)Kultur notwendige Arbeit von Journalisten durch Kostenlos-Kultur, inhaltliche Verknappung und unqualifizierten Bürger-Blog-Journalismus gefährdet.
Der Journalist sei ganz in publizistischer Tradition “Gatekeeper” und “Kropf” schlechter Informationen. Seine Ausbildung ermögliche ihm die strukturierte Aufbereitung und verifizierende Recherche.
Im Blog-Stil gegen Blogger
Verstörend an Reiters Buch sind nicht die konservativen Thesen. Ein Diskurs zu Web 2.0 und neuen Entwicklungen im Internet ist notwendig und polarisierende Meinungen sind an dieser Stelle vielleicht sogar hilfreich.
Doch die Aufbereitung des Stoffes konterkariert die Thesen vollkommen. Denn Reiter führt eine Generalkritik der oft stark persönlich eingefärbten Blogs an und benutzt dabei selbst den Schreibstil eines Blogs.
In der ersten Person wird hier von persönlichen Erlebnissen berichtet, andere Meinungen werden weitgehend unsachlich als “großkotzig” abgetan und diskursive Gegner fortwährend als “Apologeten” tituliert. Das kann man in einer Glosse schreiben. Ein Buch, das die “journalistischen Grundwerte” verteidigt, bekommt hier aber plötzlich einen faden Beigeschmack.
Kant grotesk
Dieser Beigeschmack bleibt, wenn Reiter der neuen Internetkultur die journalistische Reife zur Quellenrecherche entsagt, zugleich aber dringend notwendige Quellenangaben unterlässt. Studien werden angeführt, Bücher zitiert, Webseiten genannt, ohne selbst nach gängigen Standards entsprechende Nachweise zu liefern.
Dass ausgerechnet einige Quellen im Web-Dienst Delicious zusammengetragen wurden, macht weder Reiters Standpunkt moderner, noch hilft es bei der Lektüre des Buches.
Reiters Thesen versuchen sich im Stile Kantscher Kritik. Etwas grotesk erscheint hierbei das Wechselspiel von Reiters Anspruch, dem Journalisten die Rolle des vor-denkenden und strukturierenden Gatekeepers von Informationen zu überlassen und Kants Aufruf, sich gerade seines eigenen Verstandes zu bedienen. Dies ist natürlich zugespitzt, dennoch ist eben jener eigene Verstand des lesenden Publikums der zentrale Angriffspunkt Reiters: Er vertraut ihm nicht.
Meckern kann jeder
Verlässliche und richtige Informationen liefert nur der geschulte Journalist, alles andere sind im besten Fall Glückstreffer. Reiter ist an dieser Stelle nicht bereit einen Strukturwechsel hinzunehmen, der von einem hierarchisch gefilterten Informationsfluss zu einem breit aufgestellten Prozess übergeht.
Die unabstreitbare Tatsache, dass in der Wikipedia falsche Informationen stehen können, wird hier pauschalisiert und Reiter kann nicht nachvollziehbar erklären, warum Fehler in redaktionell gepflegten Lexika das geringere Übel sind.
Reiter wird in Dumm 3.0 jenem Anspruch nicht gerecht, den er selber erhebt. Im Gegenteil: Das Buch wirkt mit der heißen Nadel gestrickt. Genau wie in vielen Blogs, die Reiter so verteufelt. Neue Perspektiven darauf, wie Journalismus in Zukunft aussehen kann, werden nicht entwickelt. Schade.
11 Kommentare zu
http://www.indiskretionehrensache.de/2010/07/die-mangelnde-qualitat-der-online-angebote/
Was den Titel angeht: Wer würde schon ein Buch lesen wollen wie "Emergenz digitaler Öffentlichkeiten im Web 2.0", alles schön mit Fußnoten und im akademischen Stil?
Die zentrale These lautet übrigens nicht, dass das Internet dumm mache. Insofern ist es nicht klug, sich eine Meinung über ein Buch aufgrund auschließlich aufgrund seines Titels zu bilden. ("Dr. Faustus"? - ach, das muss so ein trivialer Arztroman sein).
Es geht vielmehr darum, dass es bestimmte Werte in die Welt 3.0 hinüber zu retten gilt. Und diese Werte (Journalismus, Bildung, Urheberrecht und demokratischer Diskurs) verteidige ich.
An sich bin ich in das Theam leider noch zu wenig involviert, dass ich das richtig beurteilen könnte, aber eins hat Caspar Clemens Mierau geschafft, nämlich trotz seiner Kritik das Buch so spannend klingend zu lassen, dass man es lesen möchte und das ist jedensfalls schon mal was. Kritik ist immer gut egal ob positiv oder negativ ^^