Soziale Netzwerke sind überall. Doch sind sie wirklich „sozial“? Was wären die Alternativen? Und wie lässt sich Pseudonymität als Waffe gegen die Facebook-Maschine einsetzen? Der Medientheoretiker und Berliner Gazette-Autor Geert Lovink antwortet auf diese grundlegenden Fragen.
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Die Art und Weise wie Facebook, LinkedIn und andere soziale Netze dein Umfeld definieren, ist bewusst begrenzt gehalten. Es geht im gewissen Sinne nicht um Vernetzung, sondern um Abgrenzung.
1. Soziale Netzwerke sind nicht sozial
Der Kern des Problems geht zurück auf die Idee, dass sich existierende Gruppen von den stetig wachsenden Onlinemeuten fernhalten. Man ist eben unter Freunden und Kollegen und hält sich auf den Laufenden. Aus künstlerischer und politischer Sicht ist das natürlich eine besonders konservative, langweilige Sicht.
Spaß macht die Vernetzung erst, wenn man nicht bloß informiert ist und andere über sich informiert, sondern die wunderbaren Technologien für etwas Neues benutzt, etwas, das einen überrascht. Oder wie es im Businessjargon heißt, disruptiv wirkt. Facebook ist deswegen so konservativ, weil es das Soziale nicht sprengt sondern einfach reproduziert. Natürlich kommen immer neue Freunde dazu… die Firmen müssen ja wachsen. Aber die Idee ist steng genommen nicht, dass wir anfangen, etwas gemeinsam zu machen.
2. Die Utopie der totalen Vernetzung ist nicht revolutionär
Ich mag Utopien nicht und bin kein Fan totalitärer Ideen. Das gehört zu meiner “No Future” Generation. Wir waren radikal, aber nie naive Träumer. Wir sind keine Hippies, die beim Ausverkauf mitmachen. Enttäuschungen und notwendige Dekonstruktionsrituale kann man sich ja sparen. Ich liebe die unfertige Welt. Klar habe ich Wünsche. Alternativen für Facebook sind diejenigen Projekte, die die automatische Vernetzungstechnologie ignorieren.
Was mir immer auffällt ist, dass wir das offene, globale Potenzial von Facebook überhaupt nicht nutzen. Was könnte es bedeuten, wenn wir direkt in Kontakt treten mit all den Arbeitern in China und anderswo, die unsere Produkte herstellen? Das wäre einfach zu arrangieren, wir tun es aber trotzdem nicht.
Die Welt ist daher nur ansatzweise vernetzt und unter diesen Gesichtspunkt nicht viel weiter als im 19. Jahrhundert. Wir leben noch in der kleinen Welt der Nationalstaaten. In der Nachbarschaft setzen wir das Dorf fort. Der Schock der Großstadt, so wie sie Anfang des 20. Jahrhundert erlebt wurde (als Angriff auf die Sinne), und demgemäß künstlerisch verarbeitet wurde, ist abgeflacht, auch weil es nach dem zweiten Weltkrieg bewusst neutralisiert wurde.
Jetzt erleben wir den Schock der Informationsrevolution (die genauso auf die Nerven geht). Die Utopie der totalen Vernetzung, 24/7, im Bett und im Fahrstuhl, im Zug und Flugzeug, im Klassenzimmer und am Strand, hat für mich kein revolutionäres oder subversives Potenzial. Das kriegt es nur, wenn wir die Möglichkeit einer sozialen Bewegung a priori setzen. Da liegt die große Verwirrung dieses Jahrhunderts. Information als solche setzt nichts in Bewegung. Das war der große Fehler der siebziger Jahre (und der Linken insgesamt). Bewusstwerdung der gesellschaftlichen Verhältnisse soll nicht als erster Schritt angesehen werden. Der Anfang liegt nicht in der Information, sondern im Ereignis (ich bin aber kein Heideggerfan…).
3. Soziale Medien verändern bestehende Hierarchien nicht
Zu unterscheiden wären hier die sogenannten ‘sozialen Medien’ und das Internet insgesamt. Leider ist in der mediatisierten Öffentlichkeit das Bild der Internetnutzung verzerrt. Soziale Medien nehmen derzeit etwa 20-30% des gesamten Verkehrs ein. Bestehende Institutionen wie z.B. Universitäten sollten daher Facebook und Twitter einfach ignorieren und weiterhin das Internet als öffentliches Netz der Netze ausbauen und sich nicht auf diese und jene Privatdienste einlassen.
Wenn wir offene und freie Netze verteidigen hat das ja Konsequenzen, auch für die Art und Weise, wie öffentliche Institutionen ‘sozialen Medien’ in den Netzalltag integrieren. Es ist durchaus möglich, soziale Medien zu tolerieren (oder rede ich zu sehr als Hollanski?). Email kann als offizieller Kanal benutzt werden, Facebook aber nicht. Diese informelle Position der sozialen Medien kann man sehr gut mit den alten Chatrooms wie IRC und ICQ vergleichen. Sie rauschen vor sich hin im Hintergrund. Das ist an und für sich nicht böse. Zum Problem wird es erst, wenn sie in der kollektiven Betrachtung mit dem ganzen Internet gleichgesetzt werden.
4. Durch Pseudonymität der Facebook-Maschine widerstehen
Ob Pseudonymität im Moment verboten oder umgekehrt als Lösung vermarktet wird, sollte uns nicht besonders beschäftigen. Die juristische Lage ändert sich wahrscheinlich ständig. Ich plädiere aus pragmatischen Gründen für Pseudonymität, einfach weil ich nicht (mehr) an absolute Anonymität glaube. Alle Identitäten im Netz sind auf Dauer zu knacken. Das kann einen durchaus depressiv machen.
Kryptografie hat nun mal viel mit Kriegsführung zu tun und viele taktische Waffen funktionieren entweder gar nicht oder ganz kurz oder nur an bestimmten Orten, in bestimmten Fällen. Worum es geht ist, nicht auf den Druck von Mark Zuckerberg einzugehen. Auch wenn man seinen Vor- und Nachnamen nicht fälschen möchte gibt es noch viele andere Möglichkeiten, sein Profil zu ändern und nicht überall die Wahrheit einzugeben.
Das kann durchaus ein Spiel sein: Ändere dein Geburtsjahr, ziehe mal um in ein anderes Land und schaue, was passiert. Das ist was die Deleuzearmee immer mit ‘becoming’ meinen. Hört auf mit dem langweiligen Dasein. Langeweile ist sowieso der Feind Nummer 1 der sozialen Medien.
Anm.d.Red.: Mehr zum Thema finden Sie in unserem Dossier NETZ-GIGANTEN. Das Foto stammt von Henry Lydecker und steht unter einer Creative Commons Lizenz. Der Beitrag basiert auf einem Interview, das Geert Lovink Julian-Dominik Seysen gegeben hat. Das Gespräch ist hier erschienen.
7 Kommentare zu
So gibt seine alte Starndard-Technologiebegeisterung (Kathrin Passig) mit dem Älterwerden um in eine Standard-Technologiekritik (ebenfalls Passig).
Darin ist er zutiefst konservativ und hat nichts zu sagen, außer "man müsste mal...".
Viel spannender ist es doch, sich anzuschauen, was tatsächlich passiert und warum.