Penn Station, New York City, ein Zug nach Long Island. Es ist rush hour, alle wollen nach Hause, in die idyllischen kleinen Suburbs vor den Toren der Welthauptstadt. Ich schaue hinaus auf den überfüllten Bahnsteig. Plötzlich betritt ein Mann den Zug.
Er stellt sich mit einem breiten Grinsen in die Tür, schmeißt sein Jacket lässig über die Schulter und ruft “Hey guys, what’s up? How are you? Nice to meet you!” Ich denke, “bestimmt kennt er jemanden”, aber er sieht alle an und von allen kommen langsam freundliche “Nice to meet you, too”-s zurück.
Während ich noch rätsele, was hier eigentlich gerade passiert, setzt sich der Mann bereits zu einer Vierergruppe, und als würden sie sich seit Jahren kennen, beginnen sie Poker zu spielen, um echtes Geld, und sich über ihre Arbeit zu unterhalten. Und ich sitze mit herunter geklappter Kinnlade da.
Beerdigungen im ÖPNV?
Würde das jemand in einem Zug der Deutschen Bahn machen, würden sich alle fragen, ob er gerade aus der Psychiatrie entflohen ist oder schlechtes Gras geraucht hat. Man ist froh, wenn man in Ruhe gelassen wird. Keine überflüssigen Gespräche, nur böse Blicke. Man kommt in Deutschland in keinen Zug voller Menschen, sondern in eine Gefrierkammer, es herrscht Beerdigungsstimmung.
In New York erlebte ich eine entspannte, gelöste und höfliche Atmosphäre, wie ich sie noch nie gesehen habe. Wo auch immer ich hinkam, überall wurde ich freundlich begrüßt, gefragt, wie es mir geht. Man wollte sofort wissen, wie es mir in den USA gefalle, und erzählte mir von seinem ersten Urlaub in Deutschland.
In der U-Bahn beobachtete ich Gespräche zwischen Wildfremden. “Wie heißen deine Kinder? Wie alt sind sie? Wo kommst du her? Was arbeitest du?” Wer Lust auf Schläge hat, sollte das mal in Berlin in der S7 versuchen.
Fassade mit Anstand
Meine Cousine, die in New York lebt, sagt zwar, dass diese Freundlichkeit oft nur gespielt ist. Aber: “…wenigstens versucht man hier nett zueinander zu sein!”
In Deutschland verkriecht sich jeder hinter seiner Zeitung, blockiert leere Sitze mit Taschen oder starrt sinnlos aus dem Fenster. Man ist froh, wenn man nicht angesprochen wird. Fremde sind nun einmal Fremde und sollen es auch bleiben.
Ich habe mir eine kleine Mutprobe ausgedacht, um ein bisschen US-amerikanischen Frohmut ins kühle Deutschland zu bringen: Bei der nächsten Bahnfahrt grüße ich einfach mal meinen Sitznachbarn. Ist es nicht einen Versuch wert?
7 Kommentare zu
Jeder macht seine eigenen Erfahrungen und meine sind nun einmal diese...
Aber ich freue mich, dass es außer mir noch ein paar wagemutige Menschen auf der Welt gibt ^^
Bei S-Bahn-Fahrern stimme ich allerdings zu: in den letzten 5 Jahren in Hamburg habe ich gelernt, sehr genau zu überlegen, ehe ich aufmerksam gucke oder kommentiere. Dennoch gibt es immer wieder auch Gespräche. Britta