Jan Komasas Film „Suicide Room” erzählt vom Aufwachsen zwischen apathischen Eltern, Facebook-Mobbing und Suizid im Second Life. Unsere Autorin Karolina Golimowska hat ihn gesehen.
Sie sind gerade 18 geworden, wohnen in einer polnischen Großstadt und haben reiche Eltern. In 100 Tagen schreiben sie ihre erste Abiklausur, sie sprechen mindestens zwei Fremdsprachen, sind weltoffen und cool. Alle haben Smartphones und Laptops, filmen sich auf Partys, stellen die Aufnahmen auf Facebook, markieren sich gegenseitig, kommentieren. Schnell, immer erreichbar, immer vernetzt, immer gut angezogen. So leben sie, leicht dekadent: Emos im Polen des einundzwanzigsten Jahrhunderts.
Dominik, der Hauptprotagonist des Films „Suicide Room” ist so einer. Seine Mutter arbeitet auf einer sehr hohen Position in einer Werbeagentur, sein Vater im Ministerium. Sie wohnen in einem Haus am Stadtrand, Dominik (gespielt von Jakub Gierszał) wird jeden Tag von einem Fahrer zur Schule gefahren. Er sieht gut aus, ist intelligent und populär.
Alles ändert sich allerdings mit einem für Dominik sehr peinlichen Unfall während des Sportunterrichts, von dem natürlich sofort auf Facebook berichtet wird. Er wird ausgelacht und schikaniert. Er schämt sich so sehr, dass er nicht mehr zur Schule gehen will. Er sperrt sich in seinem Zimmer ein und verlässt es zehn Tage lang nicht, was seine Karriere-Eltern nicht mal merken.
Dominik flieht ins Second Life, wählt sich einen Avatar aus, der ihm ganz ähnlich sieht und der so gestikuliert wie er – großartige 3D-Animationen von Adam Torczyński. Er lernt dort eine Frau namens Sylwia (Roma Gąsiorowska) kennen, die ihn zu einem sehr exklusiven Teil dieser virtuellen Welt einlädt, dem „Suicide Room”. Darin wird alles aufs Spiel gesetzt; die Grenze zwischen Leben und Tod wird dünn und uneindeutig. Die Kombination aus Faszination und Angst macht süchtig.
Und nun vermischen sich die Welten; ein Blatt Papier, das im Second Life zerrissen wird, fällt, zerstückelt auf den Boden in Dominiks Zimmer, also im realen Leben. Alles wird krank, aber auch nachvollziehbar: Dominiks Beziehung zu seinen Eltern, ihre absurden Reaktionen, der hilflose Psychiater, die angstvolle Welt von Sylwia, die im Film nur als Animation oder per Skype-Kamera gezeigt wird.
Suicide Room bewegt, berührt, bleibt im Gedächtnis und macht schlaflos. In jeder Familie könnte sich die Geschichte abspielen, sie ist gewissermaßen erschreckend universell. Gezeigt wird eine Generation, die nicht weit von meiner eigenen entfernt ist – aber doch komplett anders lebt: in Web 2.0-Sucht, auf der Suche nach Aufmerksamkeit und Bewunderung. Im polnischen Kino hat sich sehr viel getan.
„Suicide Room” (Polen, 2010) hatte am 12. Februar 2011 Premiere im Berlinale-Panorama.
20 Kommentare zu
Die Autorin der Filmkritik möchte ich fragen:
Versteht man nach dem Film die Jugend von heute besser?
http://www.dw-world.de/dw/article/0,,6440667,00.html
"Anstatt eine Kritik an den Funktionen und Kommunikationsmethoden des Internets im konservativen Sinne zu machen, entschlüsselt [der Film], Ursache und weitere Folge der Gedanken und Handlungen des jungen Protagonisten innerhalb der Familie."
http://www.uncut.at/movies/forum.php?movie_id=6346
@Roland: ich habe eher festgestellt, dass es eine komplett andere Generation ist, dass ich möglicherweise zu wenig über sie weiß, und dass es sich schon wahnsinnig viel geändert hat seitdem ich meinen Abi an einem Gymnasium in einer polnischen Großstadt gemacht habe (2003).
@doa: ich kann nicht pauschal von allen osteuropäischen Länder sprechen, aber Polen wird oft unterschetzt, da passiert vieles sehr schnell, z.B.das Establishment einer starken Middle Class, die Einführung von Kredit- und Debitkarten (in Warschau habe ich oft das Gefühl kaum noch jemand zahlt mit Baargeld) usw. Gerade durch die Vergangenheit scheint die Bevölkerung viele "Neuigkeiten", sowohl was technische Geräte, als auch Lebensstill angeht, sehr schnell aufzunehmen.
Auf der Berlinale Seite (verlinkt im Text) kann man sich auch die Pressekonferenz mit Jan Komasa, Adam Torczynski und den 2 Hauptdarsteller anhören - sehr empfehlenswert!
Ich selber bin 16 Jahre alt, also 2 Jahre jünger als die Hauptperson.
Im Allgemeinen würde ich sagen, dass die Eltern an dem Verlauf der Handlung nicht ganz unschuldig sind. Das Internet (Facebook) spielt darin zwar auch eine große Rolle, aber as ist eigentlich erst das i-Tüpfelchen, das das Fass zum Überlaufen bringt.
Im Prinzip ist die Handlung gut, ich fand nur das Ende am schlimmsten. Weil mit einem solchen Ende habe ich nicht gerechnet. Wenn man von den kleinen Filmfehlerchen absieht ist es ein guter Film und es lohnt sich echt, den anzuschauen.
Vorallem ist der Film realistischer als irgendwelche "normalen" Lovestories (ja, es gibt dort auch eine Liebe .. Auch wenn die von Selbstmordgedanken und anderen Problemen überdeckt wird und erst zum Schluss richtig sichtbar wird), denn man kann es glauben oder nicht, solche Vorkommnisse wie in "Suicide Room" gibt es wirklich. Auch in Polen. Leider.
Ich hoffe echt, dass der Film auch in Deutschland in die Kinos kommt, dann würde ich mir den definitiv nochmal anschauen, auch um dann die letzten sprachlichen Unklarheiten zubeseitigen. ;)
Der Film bleibt im Gedächtnis und ich bezweifel, dass ich heute Nacht schlafen kann ohne davon zu träumen.
Laut Komasa, eine von den Hauptinspirationen waren Briefe einer Mutter, deren Tochter sich umgebracht hatte, und die er in irgendeiner polnischen Zeitung gelesen hat. Er hat sich dann mehrmals mit der Frau getroffen - vermutlich sind die filmischen Eltern eine Entspiegelung der Erfahrung dieser realen Frau.
wieschon gesagt: Icg LIEBE Emos <3 :D
Mobbing, Zwang, Homosexualität, Familie, Zukunftängste, Abhängigkeit, Suizidgedanken - ein Film, in dem so gut wie alle Probleme der heutigen Jugend aufgefasst sind und trotzdem keine Dokumetation ist unn mit Liebe und Dunkelheit gleichsam fasziniert.