In den zehn Jahren nach der Zerstörung des New Yorker World Trade Centers hatte der heute 27-jährige Imam Khalid Latif mit den Vorurteilen von andersgläubigen US-AmerikanerInnen zu kämpfen. Dabei predigte der erste islamische Geistliche der New York University nie Hass gegenüber den USA. Als Verfechter eines offenen Islam ist Khalid Latif vielmehr ein Vermittler zwischen seiner Religion und der westlichen Welt. Der Berliner Gazette-Autor Alexander Krex hat ihn in New York getroffen.
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Im Souterrain der katholischen St. Joseph Kirche, hinter einer feuerwehrroten Metalltür, liegen nach Osten ausgerichtete Gebetsteppiche. Hier befindet sich das Islamische Center der New York University (NYU). Der Raum hat weiße Wände, eine niedrige Decke und schmale Fenster. Im Stockwerk darüber ein ganz anderes Bild: Der Saal wölbt sich hoch über den Betenden, sie sitzen auf Holzbänken, nicht auf Teppichen.
Die religionsübergreifende Zweckgemeinschaft in der 6th Avenue hat profane Gründe, Quadratmeterpreise in Manhattan sind kaum bezahlbar. Die Symbolik des Ortes ist dennoch ganz nach dem Geschmack von Imam Khalid Latif. Der junge Mann hat sich einem offenem Islam verschrieben. Man könnte sagen, einem amerikanischen Islam.
Latif ist gerade dabei sein kleines Büro aufzuräumen. Vor dem Raum stapeln sich Bücher, Magazine und andere Dinge, die er zu lange aufgehoben hat. Zum Gespräch bittet er auf einen der Gebetsteppiche. Es dauert keinen Augenblick, da hat Latif seine Schlappen abgestreift und sitzt im Schneidersitz da. Der Imam trägt zerschlissene Jeans und weiße Sportsocken, vor ihm auf dem Boden liegt ein schwarzes BlackBerry. Ständig zeigt es surrend an, dass eine neue Mail zu lesen ist.
In New Jersey geboren, in New York studiert
Vor fünf Jahren wurde Khalid Latif offiziell zum ersten islamischen Geistlichen der NYU ernannt. Seitdem steckte er viel Arbeit in den Aufbau des pluralistischen Gemeindezentrums, das längst auch jenseits des Campus einen Namen hat. Eine besondere Auszeichnung erfuhr er 2007, als ihn Bürgermeister Michael Bloomberg zum Imam der New Yorker Polizei machte. Im Alter von 24 Jahren war er damals der jüngste Imam des größten Polizeidezernats der USA.
Heute ist Latif 27 und zählt laut einer Rangliste der Georgetown Universität zu den 500 einflussreichsten Muslimen der Welt. Der Islam ist mit rund 1,5 Milliarden Anhängern die zweitgrößte Glaubensgemeinschaft. Seine exponierte Stellung verdankt Latif seiner Rolle als Vermittler zwischen der westlichen Welt und einer Religion, deren Ansehen dort zuletzt sehr litt. Als US-Amerikaner – Latif ist in New Jersey geboren, hat selbst an der NYU studiert – lebte er von jeher in beiden Sphären. Die Eltern kamen vor seiner Geburt aus Pakistan in die Vereinigten Staaten.
Genauso ungezwungen wie das Auftreten des Imams in Sportsocken ist die Atmosphäre im Islamischen Center. Junge Araber, Indonesier und Afrikaner scherzen auf Englisch, dabei angeln sie salzige Cracker aus einem großen Glas, das auf dem Tisch steht. In einem Nebenraum leuchten Computer-Bildschirme, an denen gelernt und gechattet wird. Eine weiße Tafel kündigt die nächste Predigt an und den Termin eines Seminars über die Geschichte des Islam.
Suche nach dem amerikanischen Islam
Mit Muslimen aus aller Welt lotet Latif im Islamischen Center immer wieder eine Frage aus: “Wie kann ein Muslim in den USA seinen Glauben leben?”. Latifs Islam, für den auch das Islamic Center steht, bietet eine pragmatische Antwort. “Das Prozedere muss hier Sinn machen“, sagt er, “nicht Tausende Kilometer weiter“. Der junge Mann reflektiert damit auch seine eigene Vita. Pakistan, Ursprung des Glaubens seiner Eltern, ist fast 12.000 Kilometer entfernt.
Sechs fromme Männer sind in ein Gebet vertieft. Einer von ihnen, in weißem Gewand und Turban, zitiert im Singsang Verse aus dem Koran. Vom Treiben ringsum lassen sie sich nicht stören. Am Rand der Gebetsteppiche stehen neben Sandalen und Turnschuhen rosafarbene Badelatschen: Sie gehören einer der Frauen, die im Islamic Center Gott anrufen. Ein Paravent mit chinesischen Drachen trennt den Bereich der Frauen von dem der Männer. “Wir bieten einen pluralistischen Zugang zum Islam“, erklärt Latif. Das gebietet allein der Zustrom an immer neuen muslimischen Studenten, mit ihren je eigenen religiösen Hintergründen und Praktiken.
Die St. Joseph Kirche ist wie so viele Gebäude an der Ostküste einem griechischem Palast nachempfunden. Die Fassade ist hell gestrichen, das Satteldach wird von weißen Säulen getragen. Von der Querstraße aus steigt man die wenigen Stufen zum Eingang des Islamic Centers hinab. Das zweigeteilte Gotteshaus liegt in Greenwich Village, dem Künstler-Viertel im Süden Manhattans. Eigentlich geht es hier tolerant zu, wie überall im Melting Pot New York.
Die Last des 11. Septembers
Trotzdem ist das Verhältnis von Muslimen und New Yorkern anderen Glaubens seit dem 11. September 2001 angespannt bis feindselig. Latif erinnert sich gut an die Beschimpfungen und die Gewalt gegenüber Glaubensbrüdern in den Tagen nach der Katastrophe. Erst kürzlich wurde heftig über den Bau einer Moschee nahe der Ruinen des World Trade Center gestritten. Manche nutzten die Gelegenheit, um gegen den Islam zu hetzen.
Die Erinnerungen an den 11. September sind noch präsent. Dass das besonders für die Muslime in der Stadt gilt, schilderte Latif kürzlich in einer Rede in der New Yorker Bibliothek: Auf Bitten seiner Eltern, die nach dem Schock um seine Sicherheit fürchteten, verzichtete er zunächst auf die gehäkelte Kopfbedeckung, deren Tragen er eigentlich als religiöse Pflicht ansah. Auch den Bart schnitt er kürzer, vor allem seiner Mutter zu Liebe. Er war nicht mehr er selbst.
In dieser Zeit saß Latif in einem Arabisch-Lehrgang einer jungen Frau gegenüber, die ganz selbstverständlich ihr Kopftuch trug. Da fragte er sich, warum ausgerechnet dieses Mädchen in diesen schweren Zeiten die Last allein schultern sollte. Fortan setzte auch er seine Kappe wieder auf.
Ein Imam kämpft für sein Heimatland – die USA
Doch Latif kämpft nicht nur gegen Vorurteile gegenüber Muslimen. Es gibt Länder, in denen USA ein anderes Wort für Teufel ist. Wenn er auf Reisen ist, wie vor kurzem in Nordafrika, macht er sich dort für das Ansehen seines Geburtslandes stark. Man höre ihm immer zu, sagt Latif. “Die Leute wollen diese Schilderungen über die USA aus erster Hand erfahren.” So wirkt er in beide Richtungen, nach innen und nach außen.
Khalid Latif ist ein Glücksfall, er ist jung, und er ist eloquent. Einer wie er kann die kulturelle Verständigung vorantreiben. Mit jeder Predigt lernte er, Worte abzuwiegen, Sätze zu intonieren, Geschichten zu erzählen. Er ist ein Vermittlungs-Profi, der es versteht, Vorurteile auszuhebeln. Das wichtigste: Latif ist ein “Native“ – im Islam, wie in New York. Damals in der High School war er Captain des Football-Teams.
20 Kommentare zu
kurz: hat der "open islam" etwas mit all diesen unterschiedlichen bewegungen der netzkultur im zeichen des "open" zu tun?
http://bit.ly/gMOD2s
besonders das hier:
“Die Leute wollen diese Schilderungen über Amerika aus erster Hand erfahren.” So wirkt er in beide Richtungen, nach innen und nach außen.
In dem Zusammenhang empfehle ich den Roman "The Reluctant Fundamentalist" von Mohsin Hamid.(http://www.mohsinhamid.com/)
Typisxh nyc
Gut
Das Zusammenwachsen der Welt zwingt zur Öffnung nach außen und der Revision nach innen. Darin liegen ungeahnte Chancen verborgen.
Jeder Fortschritt gründete bisher auf wechselseitiger Inspiration, nicht auf Abschottung, die lediglich zu Frontenverhärtung und Flügelextremisierung führt.
@Manuel Di Caminu:
"Wer was ändern will STIRBT!"
Interessante Selbst-Beschränkung...
Und so schön ein-deutig...