Blicken wir auf die gegenwärtige Krise, so wird folgendes deutlich: Es ist offenkundig keine Krise, die – innersystemisch, in der Politik, der öffentlichen Meinung oder auf der Straße – das Prinzip kapitalistischen Wirtschaftens als solches ernsthaft infrage gestellt hat. Das kann man bedauern oder begrüßen, es lässt sich zunächst aber erstmal feststellen.
Die bisherige Reaktion der Politik auf die Krise entspricht ziemlich genau dem neoliberalen Staatsverständnis: einen Ordnungsrahmen für das erträumte Funktionieren des Marktes herzustellen und realpolitisch jeweils ad-hoc und ohne langfristige Veränderungsperpektiven auf die Krise zu reagieren, die damit letztlich eine Krise der Politik selbst ist.
Grundlegende Krise
Eine andere Reaktion der Politik ist durchaus vorstellbar. Und zwar im Sinne der Terminologie einer “grundlegenden Krise”. Die Politik hätte eingestehen können, dass die kapitalistische Eigentumsordnung nicht imstande oder unfähig ist, die aktuellen Probleme zu lösen. Welche gesellschaftlichen, politischen und ökonomischen Veränderungen kämen in diesem Eingeständnis zum Ausdruck? Was zeichnet sich schon seit längerem ab?
Legen wir den Fokus auf Grenzverschiebungen des Kapitalismus, so lenkt dies wiederum die Aufmerksamkeit auf die gesamtgesellschaftlichen Veränderungen der Produktionsweisen. Andererseits impliziert dies auch, dass Grenzen immer auch durch soziale Auseinandersetzungen und Kämpfe definiert, verschoben und infrage gestellt werden.
In diesem Zusammenhang erscheint es mir wichtig den Fokus weiter einzuengen. Es ist interessanter und vielleicht auch realistischer, das Augenmerk auf kleinere und auch subtilere Aushandlungen, Veränderungen und Kämpfe zu legen. Darauf bezieht sich übrigens die (foucaultsche) Bezeichnung “mikro-logische Kräftelinien”.
Widerstand des Alltags
Veränderungen gehen in diesem Sinne nicht immer nur vom Widerstand im Großen aus. Sondern resultieren etwa auch aus der eigensinnigen oder auch kreativen Logik des Alltagshandelns. Dabei denke ich weniger an Protestformen im Netz, sondern an bestimmte Verweigerungshaltungen (etwa am Arbeitsplatz), die nicht unbedingt große Formen des Widerstands sind, aber mitunter doch etwas, was aufsummiert Veränderungen hervorrufen kann.
All dies lässt sich als unartikulierter Widerstand begreifen, da es zwar keinen direkten Aufstand, so doch aber sehr wohl ein widerständiges oder eigensinniges Moment gibt. Der Widerstand ist in dem Sinne unartikuliert, als dass er nicht unbedingt verbalisiert werden muss – was bei den klassischen Widerstandsformen normalerweise immer mitgedacht ist.
Vielleicht ist dies auch das typische Problem der gegenwärtigen Protestformen: Sie vermögen sich nur selten zu breiten Allianzen zusammenzuschließen, bleiben vereinzelt und nehmen damit auch kaum die unmittelbare Aktionsform des Widerstands an.
(Anm.d. Red.: Mit diesem ersten Beitrag kommentiert Lars Gertenbach die Diskussion im Anschluss an seinen Beitrag “Globalisierungskritik, wie weiter? Antwort #92“, der kürzlich in der Berliner Gazette erschien.)
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