Assange und Zuckerberg – Trivialmonumente der postfaustischen Arroganz

von Kusanowsky

In der welt-online wurde in einem längeren Artikel über den „Herrenreiter-Mythos des frei schwebenden Genies“ nur ganz nebenbei, und wohl ohne, dass es der Autor selbst merkte, eine entscheidende Überlegung mitgeteilt: „Assange liefert Daten, aber keine Ideen“ – und zunächst würde man zustimmen wollen, wenn man darüber nachdenkt, was eigentlich Werk und Tat des Julian Assange ausmacht, könnte doch, nach althergebrachter Denkweise, seine Prominenz nicht allein darin bestehen prominent zu sein. Etwas Vergleichbares gilt umgekehrt für Zuckerberg, dessen Werk und Tat darin bestehen, dass man ihm bereitwillig Daten enthüllt und beide miteinander lassen sich auf die selbe Falle ein, dass nämlich beide etwas zu verbergen haben: Daten. Der eine Daten über die Herkunft der enthüllten Daten, also Informanten und Informationswege; der andere ihre Weiterverwendung. Denn wenn Datensätze ein handelbares Gut sind und entsprechende Geschäfte ertragreiche Gewinne versprechen, müsste die Weitergabe von Datensätzen ähnlichen Inklusions- und Exklusionsmechanismen unterworfen sein wie alle anderen Waren auch. Aber in beiden Fällen werden diese Zusammenänge höchst fraglich: Weder kann der Leaker sich davor schützen, selbst geleakt zu werden, was auch für den Daten-Dealer gilt, noch kann man Daten wie Waren hergeben. Man kann sie nur kopieren. Deshalb stellt sich doch die ernsthafte Frage, wer sie eigentlich noch hat, wer sie verwenden und weitergeben darf oder nicht.
Schwierig werden solche Überlegungen insbesondere dann, wenn man gleichzeitig beobachten kann, dass die Rechtsprechung sich mehr und mehr von ihren ehemaligen und heute bereits altertümlich wirkenden Idealen verabschiedet und sich gezwungen sieht, der Kontingenz aller Sachverhalte in der Weise Rechnung zu tragen, dass sie – wie dieses Urteil zeigt – in Fragen der Datenenthüllung von „gerechtfertigter Rechtsverletzung“ sprechen muss. Dieses Beispiel zeigt, dass Recht und Rechtsprechung bald verschiedenen Systemen zugeordnet werden müssten. Es dauert also nicht mehr lange, bis Wettbüros Wetten über die Aussagen von Gerichtsurteilen anbieten, da auch die Rechtsprechung in Sachen Datenschutz einem Glücksspiel ähnlich wird. (Und wer meint, eine solche Überlegung sei nur eine spöttische Bemerkung wird festfestellen können, dass manches schneller kommt, als man spotten kann.)
All das zeigt, worin Werk und Tat von Assange und Zuckerberg bestehen: Sie liefern Daten. Analog zu Marshall McLuhans Devise „the medium is the message“ müsste es eigentlich heißen: der Datensatz ist die Idee, oder konsequenter: auf Ideen kommt es nicht mehr an, sondern allenfalls auf Methoden, womit wohl nicht mehr Methoden des Datenschutzes und des Datenhackens gemeint sein können, sondern Methoden der Irrführung. Denn wer will noch glauben, man könne Daten verheimlichen? Aber, und das scheint mir der springende Punkt zu sein: Eben dies wird wohl noch, gegen alle Warscheinlichkeit, geglaubt. Wohl darin besteht das Heldentum des in der modernen Gesellschaft trivialisierten faustischen Subjekts, das, wie das literarische Vorbild zeigt, immer ein tragisches Heldentum ist. Der mit sich selbst und der Welt ringende Doktor Faustus, eingesperrt in der Höhle seines Selbsts, welche in der gotischen Architektur als Sinnbild einer überlieferten und marode gewordenen mittelalterlichen Gesellschaft die Notwendigkeit der Selbstbefreiung gegen die platonische Vorstellung vom Philosophenkönig stellt. Nicht mehr der von Wahrheit erleuchtete Führer weist, wie im platonsichen Höhlengleichnis erzählt, den Weg aus der Höhle, vielmehr unterliegt das moderne Subjekt der Notwendigkeit zur Selbstbefreiung durch Überhebung, Überwindung, durch Wendung zum Übermenschentum aus eigener, ihm genauso ursprünglich wie unheimlich innewohnender Kraft – die Schaffung eines Befreiungswerkes aus sich selbst heraus, der Urheber, der Alleskönner, Weltversteher und Weltbezwinger. Geblieben davon ist nur eine rechercheaufwändige Vorstellung dessen, was damit ehemals gemeint war. Und da ein solcher Rechercheaufwand selbst Literaturwissenschaftlern zu mühselig wird, bleibt das faustische Subjekt nur als gesunkenes Kulturgut zurück, und sein Heldentum als einfache Form der Arroganz. Wie traurig dieser Gedanke schon nicht mehr ist, sondern eigentlich nur noch zum Spott anregt, wird in dem Maße klar, in welchem bald beobachtbar wird, dass nicht mehr Politiker zur Zielscheibe von Karikaturisten werden, sondern der Internetuser: der ameisenfleißige Troll und Hacker, der – gemäß einer anderen Parabel, die auch von Goethe stammt – die Geister bekämpft, die er ernährt.
Dass Assange und Zuckerberg  – aus welchem nachvollziehbaren Gründen auch immer – zu Helden erkoren und als solche der Kritik unterzogen werden, spricht nicht nur von der Arroganz der so Gerühmten wie Verfehmten, sondern auch von der Arroganz der Kritiker, die selbstredend den gleichen altgewordenen und angestaubten Habitus des faustischen Subjekts pflegen. Sie können das nicht einfach ändern. Aber sie werden sich ändern, sobald ihnen ein Datensatz enthüllt, was sie vor sich selbst noch verheimlichen können. Solange also noch Auswege möglich sind, erscheinen Assange und Zuckerberg als Monumente dieser Uneinsichtigkeit. Und als Monumente eigentlich schon nur noch lächerlich.