Mittwoch, 7. Juli 2021

Ein kurzes Vorwort

Bonjour und herz­lich will­kom­men auf meinen Webs­eiten! Was Dolmetscher und Dolmetscherinnen umtreibt und beschäftigt, können Sie hier seit 2007 mitlesen. Derzeit finden allerdings coronabedingt wenig Präsenzveranstaltungen statt. Die Arbeit ändert sich.

Solidaritaet ist mehr als Haendewaschen (Plakat)
Am Maybachufer in Berlin
Aktuell werden corona­be­dingt die meisten Kon­fe­ren­zen und alle De­le­ga­tions­rei­sen auf die Zeit danach ver­scho­ben oder ersatzlos gestrichen.
Wir sind indes weiter für un­se­re Kun­din­nen und Kunden da, digital aus dem eigenen Dolmetschstudio oder in hy­briden Formaten, wenn Dol­met­scher, einige Redner und Technik­leu­te vor Ort sind und alle an­de­ren zugeschaltet werden.

Vor Ort sind auch wir Dolmetscher*innen, außerdem werden wir im Stan­desa­mt oder im Kran­ken­haus tätig, bei Werks­be­­sich­ti­gun­gen und Hin­ter­­grund­­ge­­sprä­chen sowie in An­walts­kan­zleien, stets unter Berücksichtigung aller Hy­gie­ne­re­geln.

Gerne finden wir mit Ihnen zusammen das passende An­gebot fürs On­line­dol­met­schen: konsekutiv (in Sprechpausen hinein) oder simultan (nahezu zeit­gleich). Weil diese Art der Übertragung für alle an­stren­gen­der ist, Blick auf klei­ne Mo­ni­tor­bil­der, ge­stauch­te und damit un­na­tür­liche Stimmen, Rauschen, Echos oder Zeit­ver­zö­ge­run­gen, sind diese Einheiten meistens kürzer als normale Ein­sätze.

Wir bieten keine Bü­ro­sprech­stun­den an, können uns aber für Kurzbesprechungen mit Gäs­ten in den Hofgarten setzen. Wir freuen uns auf Ihre An­fra­ge!

Da wir nicht nur Spracharbeiterinnen und Spracharbeiter sind, sondern auch Men­schen, die beobachten und die Zeit dokumentieren, in der wir leben, finden Sie auf den folgenden Seiten mein COVIDiary.

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Foto: C.E.

COVIDiary (337)

Was Dol­met­scher und Über­setzer umtreibt (hier: eine Dol­met­sche­rin­ und Über­set­ze­rin­), be­schreibe ich seit 2007 an dieser Stelle. Meine Branche verändert sich, woran Corona nicht unbeteiligt ist. Aber auch die KI, die Künstliche Intelligenz, spielt eine Rolle. Die allerdings an ihre Grenzen stößt.

Der Stress auf der Baustelle neulich war groß. Aber alle haben es geschafft, die Dinge so anzunehmen, wie sie sind; es wurde sogar hier und da gelacht.

Anschluss diverser "Medien" (Gas, Wasser)
Sich zu ärgern würde an der Lage ohnehin nichts ändern. 

Die Baupreise explodieren, al­lein Edelstahl hat jüngst ein Plus von 50 Prozent ver­zeich­net, was Teil einer langen Ver­ket­tung ist: In der Pan­de­mie gehen die Im­mo­bi­lien­preise durch die Decke, denn die Ban­ken ver­lan­gen für Depots "Ne­ga­tiv­zin­sen", gleichzeitig fluten die Regierungen viele Branchen mit Geld. 

Offenbar landet viel von den sogenannten Coronahilfen einfach nur auf Bank­kon­ten, wird also gar nicht dringend benötigt. Nur bei vielen Solo-Selbstän­digen kommt nichts an, wir hatten's schon davon. (Auch ich kann das als Kon­fe­renz­dol­met­sche­rin mit Schwerpunkt Kunst, Kino, Kultur, Politik und Gesell­schafts­wis­sen­schaf­­ten leider bezeugen. Zum Glück wurde aus meinem "Spielbein", der Arbeit für die Indus­trie, inzwischen mein "Stand­bein".)

Zurück auf die Baustelle: Natürlich wurde trotzdem dort auch ein wenig nach den Schuldigen ge­sucht. Im Anschluss daran gingen Mails hin und her. Der Online­dienst DeepL lie­fert oft eine Grobübersetzung dieser Korres­pon­denz. Zum Glück behalte ich den Austausch im Auge. Hier unsere jüngsten DeepL-Perlen.

Einer der Planer schrieb: "Ich weiße damit alle Schuld von mir, dass ein Bauverzug dadurch entsteht, dass ich nicht die Pläne liefere." Den Schreibfehler "weiße" statt "weise" interpretierte das System wohl als "ich weiß, dass ... " und machte daraus "Je prends toute la responsabilité d'un retard dans la construction parce que je ne livre pas les plans."

8. Die Rohbaufirma könnte daher los bauen. Da das Material aber noch nicht da ist, geht dies nicht. 9. Ich weiße damit alle Schuld von mir, dass ein Bauverzug dadurch entsteht, dass ich nicht die Pläne liefere. // 8. L'entreprise de construction en coquille pourrait donc commencer à construire. Cependant, comme le matériau n'est pas encore là, ce n'est pas possible. 9. Je prends toute la responsabilité d'un retard dans la construction parce que je ne livre pas les plans.

Es ist das Gegenteil dessen, was auf Deutsch gesagt worden war. Denn ohne Kon­text automatisch rückübersetzt, ergibt der in der deutschen Urfassung fett ge­setz­te Satz:

Je prends toute la responsabilité d'un retard dans la construction parce que je ne livre pas les plans. // Ich übernehme die volle Verantwortung für eine Bauverzögerung, weil ich die Pläne nicht liefere.

Gegenprobe: Die Rechtschreibung des Ausgangssatzes habe ich korrigiert nochmal ins System eingegeben, was wiederum ergibt: 

Ich weise damit alle Schuld von mir, dass ein Bauverzug dadurch entsteht, dass ich nicht die Pläne liefere. //  Je décline toute responsabilité pour tout retard dans la construction résultant de mon incapacité à fournir les plans.

Mit dem richtigen Verb wurde der Satzanfang richtig 'übertragen'. Der Mail­schrei­ber hat sich allerdings für die internationale Kommunikation doppelt ungeschickt ausgedrückt: "… dass ich die Pläne nicht liefere" steht hier der Affirmation und nicht als Hypothese. "... da ich an­geb­lich die Pläne nicht liefere“, würde es zum Beispiel auf Französisch heißen, das 'angeblich' könnte im Verb stecken. In diesem Fall wäre die Unterstellung kenntlich gemacht.

Zum Vergleich nochmal das oben erzielte "Ergebnis", das Satzende separat zurück ins Deutsche übertragen. Selbst mit korrigiertem Verb wird die Aus­sage nicht we­ni­ger hässlich und liest sich wie eine Selbstanklage.

... résultant de mon incapacité à fournir les plans. // ...die aus meiner Unfähigkeit resultieren, die Pläne zur Verfügung zu stellen.

Dass hier kein falscher Eindruck entsteht: Es ist garantiert nicht meine Art, hoch­qua­li­fi­zier­ten Menschen mangelnde Schreib­fä­hig­keit vor­zu­wer­fen, im Gegenteil, das ist gar nicht ihr Beruf. Was diese Damen und Herr­­en leisten, könnte ich nie: Bau­vo­lu­mi­na berechnen, Luft­ab­zugs­men­gen oder die Statik des Gebäu­des. Und ge­nau­so­­wenig müssen die mei­nen Beruf beherrschen. 

Die künstli­che Intelli­genz aber auch nicht. Sie kennt keinen Kontext, ahnt nichts von Schuld und Unschuld, von Rechtschreibfehlern und Dialekten, vom Impliziten, der Anlass der Mail war, von Hierarchien und Rechtfertigungen. Das sind alles zu­tiefst mensch­liche Dinge. Einsen und Nullen, die Welt der Rechner, sind indes kalt, ge­fühl­los und weder emotional noch intelligent. KI ist eine Wortlüge.

 

Vokabelnotiz
Medienanschlüsse (wie oben) — les attentes [wörtlich "die Erwartungen"]

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Illustrationen:
C.E. und DeepL

Dienstag, 6. Juli 2021

COVIDiary (336)

Sie sind auf den Sei­ten eines digitalen Ta­ge­buchs aus der Welt der Sprachen ge­landet. Seit 2007 blog­ge ich hier über das Be­rufsle­ben der Über­set­zer und Dol­met­scher, und seit März 2020 gibt es kaum Konferenzen, hat sich unsere Arbeit stark verändert.

Diverse Baubeteiligte
Neulich auf einer Baustelle: 20 Leute ste­hen mit mir im Halbkreis in einem Bü­ro­ge­bäu­de aus Holz, es ist noch ein Roh­bau. Wir spre­chen über Kabel­schä­chte, Ablauf­rinnen, Entlüftungs­kanäle, eine Zwi­schen­decke, Roll­gerüste, die Bo­den­plat­te mit darunterlie­gendem Rohrsystem und ähn­liche Schman­kerl mehr.

Der Kopf rödelt, ich dolmetsche simultan für einen Fran­zosen, der neben mir steht, und konse­kutiv in die Runde hinein. Manche(r) spricht zu leise, mehrfach bitte ich um etwas mehr Laut­stärke. Die Span­nung ist zum Greifen nahe. Wir haben deut­li­chen Bau­verzug, die ein­zel­nen Gewerke müssen sich koordinieren.

Zwischendurch denke ich: Jetzt ein Foto von den Füßen im Kreis schießen. Aber wir stehen so weit aus­einander, je­mand hätte meh­re­re Tor­ten­stück­fotos machen und dann an­ein­and­erlegen müssen. In der Kon­zen­trier­theit entfällt sogar ein Beispielfoto vom Tortenstückchen vor meinen eigenen Füßen.

20 Menschen sind wir im Büro­ge­bäude, an­dere warten im Pau­sen­raum auf uns oder richten einen Imbiss an, wie­der ande­re bauen hier und da weiter. So viele Men­schen auf einem Hau­fen habe ich seit an­dert­halb Jahren nicht er­lebt. Mich schüch­tertet die Situation ein. Aber nur ein bisschen.

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Fotos:
C.E. (gesehen in München)

Sonntag, 4. Juli 2021

COVIDiary (335)

Will­kom­men bei mei­nem Blog aus der Ar­beit­swelt. Wie wir Dol­metscher*innen und Über­set­zer*innen ar­beiten, ist oft nicht gut be­kannt. Seit die Pan­demie aus­ge­bro­chen ist, fin­den kaum noch Konferenzen statt (normalerweise arbeite ich mit den Sprachen Französisch und Englisch). Meine Mehr­spra­chig­keit erlebe ich seit lan­gem wieder zusammen mit anderen Menschen. Sonntagsbilder!

Endlich Sommer!

Abendessen im Restaurant mit Freunden in Zusammenhang mit einem neuen Film: Wir sitzen zum ersten Mal seit einem Jahr drinnen, ein wenig fremdele ich, es ist so un­ge­wohnt. Die­ser An­blick ist be­son­ders: Über ei­nem wun­der­schönen Par­kett schwe­ben Plexiglas­wände über Füßen aus ro­hem Bau­holz. Wir sitzen an of­fe­nen Fens­tern beim Edel­chinesen.

Unsere Her­kunfts­­län­­der sind Ge­or­gien, Deutsch­land, Türkei. Frankreich spielt hier auch eine große Rolle, denn es ist für ei­ni­ge von uns die Bil­dungs­heimat.

Wie oft im internationalen Kontext erweist sich zunächst Englisch als die zentrale Umgangssprache. Aber immer wieder geht es in alle möglichen Richtungen, in Win­des­eile wechseln wir die Idiome und dolmetschen auch Nuancen. Das über­rascht die Servicekraft, die am Ende nur noch in Gesten mit uns kom­mu­ni­ziert, weil sie nicht weiß, welche Sprachen die Person spricht, die sie jeweils vor sich hat.

Familienübel: zerstreut danebengestellte Tasse beim Warten
Auf dem Nachhauseweg dann an der Bushaltestelle über Wer­bung sinniert, mit er ein Groß­un­ter­neh­men sich einen Öko-Anstrich ver­pas­sen will. Den in Deutschland oft ver­wen­de­ten Begriff Green­washing habe ich mal kurz mit "Öko­tün­chen" übersetzt. Klappt leider nur be­dingt im mi­gran­ti­schen Milieu, da das "Tün­chen" für "Fär­ben" geho­bene Spra­che ist. "Öko­lo­gi­sche Augen­wischerei" schlägt der Mit­mensch mit mi­gran­ti­schem Hintergrund vor, ja, schön, aber lang. Alibi-Öko-irgendwas ... Hm. Weiter­denken.

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Fotos:
C.E.

Samstag, 3. Juli 2021

COVIDiary (334)

Bonjour und guten Tag! Hier bloggt ei­ne Dol­met­sche­rin. Was Kon­fe­renz­dol­met­scher und Über­setzer machen, und na­tür­lich auch wir Frau­en im Be­ruf, wie sie bzw. wir arbeiten, ist hier seit Mitte der Nuller Jahre re­gel­mä­ßig Gegen­stand in Form kleiner Be­richte aus dem Alltag. Der Blog wurde zum COVIDiary, heute folgt mein Link der Woche!

Rückenfreundlicher Ar­beits­platz

Nach ihren Lieblings­tools hat eine deut­sche Kollegin aus Frankreich neulich einige Über­set­zerinnen und Über­setzer gefragt. Sie dachte dabei an allerlei elektro­nischen Kram, der unsere Arbeit erleichtert.
Bei mir sind diese Werk­zeu­ge indes aus Holz, Leder, Stahl und irgendwas Weichem, das hat mit der Sitzarbeit zu tun und der vielen Re­cherche im Vorfeld von Dol­metsch­ein­sätzen. 

Hier entlang: "Die besten Tools für Übersetzer*innen und Texter*innen" — und ich habe mal wieder das letzte Wort.

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Foto:
C.E. (Archiv)

Montag, 28. Juni 2021

COVIDiary (332)

Was Dol­met­scher und Über­setzer umtreibt (hier: eine Dol­met­sche­rin­ und Über­set­ze­rin­), beschreibe ich seit 2007 an dieser Stelle. Meine Sprach­kennt­nis­se (Fran­zö­sisch, Englisch) trai­niere ich täg­lich, Covid-19 hat unsere Arbeit jedoch enorm ein­ge­schränkt. Wir sind weniger auf Konferenzen tätig, sondern auch im privaten Kon­text, in Behörden und auf Baustellen.

Neulich, ich war mit einer Privatkundin unterwegs, reißt diese diese plötzlich die Augen auf. Sie macht eine Geste, beobachtet mich bei der Arbeit, lacht mir kurz darauf ins Gesicht. Die Kundin: "Ich hatte ja noch nie mit einer Dolmetscherin zu tun. Aber ich glaube, Du über­trägst auch meine Gesten mit!" 

Ich ahne, was sie meint. Ja, das wurde mir wie­derholt berichtet, das ist vor allem Film­mitarbeiterInnen aufgefallen: Wenn einen bestimmten Inhalt eine bestimmte oder sogar ausladende Geste begleitet hat, über­tra­ge ich diese oft mit.

Glaswände in Wohnungen, Beispiele
Verrière d'intérieur
Das hat meiner Meinung nach mit dem Ab­spei­chern des Gesagten zu tun. Mein gan­zer Körper ist mnemotechnisch daran beteilgt. 

Hier ging es um die Ein­rich­tung einer Woh­nung, eine offene Küche, die vom Rest des Raumes ol­fak­torisch und auch visuell auf elegante Weise getrennt worden ist. In Frank­­reich sind in­nen­lie­gen­de Fenster derzeit schwer in Mode, auf Französisch la verrière d'intérieur oder la verrière d'atelier. Mir gefallen sie gut.

Später sendet mir eine andere betei­lig­te Person ein Zitat zu. Es stammt aus "Mein Herz so weiß", von Javier Marías. In diesem Buch gibt es eine höchst un­wahr­schein­liche Kennenlernszene eines Liebespaars: zwei Dolmetscher, die eine übertägt ur­plötzlich einen anderen Sinn, der andere hört schweigend zu. (Sinn­ent­stel­lend dol­metschen! Der Autor hat wohl nicht genug recherchiert!)

Diese Stelle hier ist aber gut getroffen: Wir SpracharbeiterInnen neigten "dazu, alles verstehen zu wollen, was gesagt wird und mir zu Ohren kommt, so­wohl bei der Arbeit als auch außerhalb, sei es aus der Ferne, sei es in einer der zahllosen Sprachen, die ich nicht kenne … Ich kann es nicht vermeiden, au­to­ma­tisch im Geist in meine eigene Sprache zu übersetzen. Oft übersetze ich sogar das Mienenspiel, die Blicke und die Gebärden …" 

Und da wir jetzt wegen der Pandemie alle Masken tragen, ist vielleicht der Aus­druck der Hände wichtiger geworden.

 

                       Aus dem französischen Fernsehen

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Illustration und Film: La Maison France 5

Freitag, 25. Juni 2021

COVIDiary (330)

Als Kon­fe­renz­dol­metscherin in der Politik arbeite ich oft für die Spitzen des Staates. Durch Corona hat auch unser oberstes Personal öfter mit Di­gi­tal­kon­fe­renzen zu tun, die festan­ge­stellten Dolmet­scher:innen stehen öfter zur Verfügng, da sie jetzt weniger reisen, wir Freien werden seltener nachgefragt. Vorgestern habe ich trotz­dem die oberste die politische Garde gesehen. Und das kam so.

A
n Plakatwänden oder Litfasssäulen fällt mir öfter auf, dass die Aus­stel­lungs­an­kün­di­gung von November 2020 neben der Konzertankündigung für den Juli '21 hängt. Auch im Wartebereich des französischen Konsulats in Berlin gibt es solche Co­ro­na­bil­der. Dorthin wurde ich Mittwoch als Dolmetscherin für eine junge Frau ein­be­stellt, die demnächst hei­ra­ten möchte. 

Arte-Programmheft von Juni
Ihre Eltern sind 1990 aus Ost­eu­ro­pa vor dem Krieg geflo­hen, sie ist Deut­sche und beendet ge­ra­de ihr Stu­dium. Die Fa­­mi­lie des Bräuti­gams ist aus dem gleichen Land ge­flo­hen, einige Jah­re später und nach Fran­kreich. Vor fünf Jah­ren sind die jungen Leute einander zufällig im Internet be­geg­net. Tausende Anrufe, Mails, Kurz­nach­richten und Be­su­che später ist klar: Sie wollen heiraten.

Während die junge Braut in Ber­lin geboren und Deut­sche geworden ist, hat der junge Mann in Frank­reich als Flüchtlings­kind nur kurz die Schule be­sucht und dann ein Hand­werk gelernt. Aus verschiedenen unwichtigen Gründen hat er nie die französische Staatsbürgerschaft angenommen. 

Die Eheschließung soll in Paris statt­finden, dann will der Bräutigam nach Berlin zie­hen. Doch zunächst werden beide ausgiebig befragt, er in Frankreich, sie in Deutsch­land. Audience, heißt das, Anhörung, eine Excel-Tabelle mit Dutzenden Fra­gen will ausgefüllt sein, am Ende werden wir ein zehn­seitiges Dokument pro­du­ziert haben. Frage — Verdol­metschung — Antwort — Verdolmetschung — Frage — Verdolmetschung ...  so gehen die Stunden ins Land. Schließlich wird ausgedruckt, und ich dolmetsche das französische Protokoll zurück ins Deutsche. Wir kor­ri­gie­ren, ändern, ergänzen. 

Die Mobilte­lefone hatten wir am Eingang ins Schließ­fach packen müssen. Wir mer­ken nicht, wie die Zeit verfliegt. Ab und zu setzen wir die Masken ab, nehmen einen Schluck aus der Was­ser­pul­le. Am Ende sind alle müde und hungrig, wir zwei sowie die Protokol­lantin und eine Dame, die sich nicht vorgestellt hat, die aber im Protokoll als Beisit­zende aufgeführt wird. 

Die Punkte sind ebenso er­schöpfend wie banal: Kennen­lernen, Per­so­nen­be­schrei­bung, Zeitvertreib, Urlaubsreisen, Familien- und Wohn­situation, Lebenspläne, lauter Details, die Vater Staat interessieren, um Scheinehen zu vermeiden, an den Film "Green Card" erinnern sich sicher viele. Mich wundert die Genauigkeit dieser Be­fra­gung, der große Aufwand, der heilige Ernst, mit dem sich alle der Sache wi­dmen. Es ist meine erste Amtshandlung dieser Art. An der Wand schaut der ak­tu­elle Be­woh­ner der Liegenschaft 55, Rue du Faubourg Saint-Honoré auf uns herab. Ich merke, dass ich das erste Mal auf das Bild eines Präsi­denten sehe, der jünger ist als ich.

Und ich denke an das deutsche Stan­desamt. Ausländer müssen in Deutschland ein sogenann­tes "Ehefähig­keits­zeug­nis" beibringen, ein Dokument, aus dem hervor­geht, dass sie nicht schon in der Heimat verhei­ratet sind und das es nicht in allen Ländern gibt. Verständliches Anliegen, aber den Be­griff fand ich schon immer grenz­wertig, ebenso die Frage nach dem Schei­dungs­grund, sofern es eine solche gab, bei einem erneuten Aufgebot, vor einigen Jahr­zehnten erlebt. Das hat sich auch grenz­wertig angefühlt.

Nach vier Stun­den verlassen wir die Botschaft. Ich stehe auf dem Pariser Platz und sehe in Rich­tung Westen. Bald wird die Sonne über Charlot­ten­burg untergehen. Der Platz ist leer, es ist kein großer Touristen­sommer. Ich eile ins fran­zö­si­sche Kaufhaus Galeries Lafayette an der Frie­drich­straße, optiere für Zutaten für ein französi­sches Abendessen. An der Kasse stehe ich mit Frau Merkel zusam­men, die am Tag danach ihre letzte Reigerungserklärung zur Europa­politik halten wird. (Falls da am Tag drauf schräge Töne gegen­über Frankreich zu hören sein sollten, ist die salzige Butter aus der Nor­man­die schuld.)

Note to self: Eine Notfall­ration Ka­lo­rien in den Ruck­sack packen, wie das vor der Pan­demie üblich war.

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Foto:
C.E.

Donnerstag, 24. Juni 2021

COVIDiary (329)

Will­kom­men bei mei­nem Blog aus der Ar­beit­swelt. Wie wir Dol­metscher*innen und Über­set­zer*innen ar­beiten, ist oft nicht gut be­kannt. Seit die Pan­demie aus­ge­brochen ist, fin­den kaum noch Konferenzen statt (normalerweise arbeite ich mit den Sprachen Französisch und Englisch). Ab heute bin ich in der aktiven Sommerpause, erreichbar und aktiv.

Gestern war in Berlin der letzte Schultag vor den großen Ferien, und obwohl ich nicht mehr in die Schule muss, habe auch ich heute so richtig ausgeschlafen.

Richtig ausschlafen heißt bei mir immer, sich die Träume zu merken: Ich war auf einem Dokumentarfilmfestival, das zu­gleich eine Buchmesse war (in der Pan­de­mie­­atem­pause wird ja viel zu­sam­men­ge­feiert, z.B. EM und Berlinale), und ich ha­be in einer Zei­tungs­re­dak­tion ge­ar­bei­tet da­­bei und am Rande mitbekommen, wie sich eine mir bekannte Person, die sich im­mer wieder als Dolmetscher:in ausgibt, an der Übelsetzung eines Live-Interviews mit einer berühmten Fran­zö­sin krachend gescheitert ist.

Dankbar bin ich aufgewacht. Auch das darf mit auf die Liste der Dinge, die mir in den Coronajahren erspart blei­ben: unlauterer Wettbewerb, der von der werten Kundschaft stumm hin­ge­nom­men wird, als würde es nicht ge­ben: Fach­kent­nisse, Respekt anderer Berufe, Qua­li­tät. Meine Coronagewinnliste dürfte kurz aus­fal­len. Die übliche Win­ter­grip­pe zählt da­zu, übervolle Züge, Anhetzen gegen die Uhr, auf dem Hö­he­punkt der Konferenzsaison feuchte Wäsche in den Koffer zu packen.
Später steht Buchhaltung auf dem Pro­gramm. Dann will ich noch no­tie­ren, was bei meinem gestri­gen Dol­metsch­ein­satz so an­stren­gend war. 

Heute ist der Johannistag, traditionell wäre das der letzte Spargel­tag des Jah­res. Das Früh­jahr hatte al­ler­dings 2021 einen Zeitverzug von min­des­tens vier­zehn Tagen — ob das auch für die Spar­­gel­­ernte gilt?    

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Fotos:
C.E.

Mittwoch, 23. Juni 2021

COVIDiary (328)

Bon­jour, hier bloggt ei­ne Linguistin. Ich ar­beite mit den folgenden Spra­chen: Deutsch, Englisch, Französisch, Film. Derzeit leben wir in einer Welt der Um­brü­che, meine Kleiderkammer wurde zur Dol­metscher­kabine. Vor jedem Si­mul­tan­dol­metsch­einsatz müssen wir aller­dings viel lernen und wieder­holen. Blick auf den Schreib­tisch.

Gästezimmer und Kleiderkammer
Auf dem Schreibtisch:
⊗ Filmvokabular wiederholen (Dreharbeiten!)
⊗ Naturgarten als Zu­kunfts­mo­dell
⊗ Schwammstadt (Was­ser­wirt­schaft)
⊗ Arbeitsvertrag
⊗ "Ehefähigkeits­zeug­nis"
⊗ Ver­än­de­rung der Arbeits­welt
⊗ Urban Gardening
⊗ Buchhaltung
 

Literatur:
⊗ "Natur & Garten", Zeitschrift, Sommer 2020
⊗ Friedrichs, Julia: Working Class, 2021
⊗ Risse/Zimmermann: Berlin bewegt sich schneller, als ich schreibe / Das Neue Berlin aus französischer Sicht, 2020

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Foto:
C.E. (Archiv)