Etwas klaffte zwischen ihr und ihren Gefühlen, als hätte der Instinkt, den das Unbewußte speist, eine Lücke. Oft saß sie abends, hatte sie sich aus dem Infoskop herausgeschnallt, in einer Ecke und weinte. Daß aber nur Broglier nichts davon merkte! Sie weinte wirklich heimlich. Und wirklich bekam Broglier nichts davon mit. Nichts von ihrem Schmerz, nichts davon, wie hohl sie sich fühlte, zumal ihr der Mann ja gar nichts zurückgab. Eigentlich hatte er erst, als Dorata II erschien, um Dorata I zu trauern begonnen. Und ließ nun nicht mehr darin nach. Im ersten Jahr nahm er die zweite Frau kaum einmal in den Arm, ja man konnte den Eindruck haben, er stehe ihr feindlich gegenüber, phylogenetisch feindlich, heißt das. Sie war hier nicht daheim, aber fühlte, daheim sein zu müssen. Ihr Programm sah nicht vor, den Mann nicht weiter zu lieben, es gab keinen Ausweg. Zwar war sie intelligent, zwar dachte sie ständig darüber nach – und ihr war sehr schnell bewußt, daß sie an diesen Mann niemals rührte. Und sie zog auch den richtigen Schluß: Es ist für uns beide besser, wenn ich ihn verlasse. Aber eine unfaßbar intensive Kraft ließ sie bleiben, ihn umsorgen; sie versuchte sogar, ihn zu trösten. Wofür sie, als holomorpher Ersatz, ganz sicher die Falsche war.
Daß das auf sie zukäme, wußte sie also noch nicht an diesem Morgen, noch sah sie Broglier grundauf glücklich an. „Hallo, Schöner“, sagte sie. Und Willis, nach dem ersten Fluch, stieß den zweiten Ruf aus: „Dat is ja’n Ding!“ Dolly wandte sich zu ihm: „Guten Tag“, sagte sie. „Sie sind ein Freund von John?“ Sie war vor der Bekanntschaft der Freunde programmiert worden, deshalb kannte sie Willis noch nicht. Auch von ihrer Krankheit hatte sie nichts wissen sollen. So mußten beide einander neu vorgestellt werden. Sehr zögernd nahm Willis ihre Hand, blickte dabei mit jetzt ernsten Augen zu Broglier, als hätte er ihm entsetzt vorgehalten: So etwas konntest du tun?! Der reagierte darauf nicht, saß nur starr, zu erschreckt war er selbst. Nicht, daß Dorata II etwas Irritierendes oder auch nur Unangenehmes gehabt hätte, als sie, weiterhin lächelnd, vor den beiden Männern stand, sondern gerade ihre völlige Normalität war es, und daß sie sich so gar nicht von der Verstorbenen unterschied, was John Broglier, obwohl er ja sitzenblieb, sofort abrücken ließ. Er erlaubte ihr nicht einmal eine Berührung, sondern wehrte sie von sich, drehte den Kopf weg, schlug sogar, wenn auch leicht, ihre eine Hand von seiner Schulter, als sie auf ihn zugegangen war, leichten, elastischen Schrittes, wie eine bezaubernde, federschmale Tänzerin, die geführt werden möchte, und jede Figur macht sie dann mit. Als sie sich zu ihm hinabgebeugt hatte, um ihm den Begrüßungskuß auf den Mund zu geben und vielleicht ein wenig und, des Gastes eingedenk, nur kurz an seiner Zungenspitze zu saugen. Die Flüssigkeit nehmen, den Speichel tauschen, damit der Körper weiß, wir sind verbunden. Nichts davon b e k a m Dorata II, würde es niemals bekommen, verhungern ließe sie dieser Mann. Das füllte fortan die Wohnung Wurmbachstraße 6. Denn wiederum besaß Broglier nicht die Kraft, auf die Dolly-Illusion zu verzichten; er schaltete die Holomorphin immer wieder her, als suchte er nach einem Gefühl, seinem, ihrer beider Gefühl, als brauchte er, um es einmal so auszudrücken, die ständige Enttäuschung und als ließe er, erlitt er sie, ebendas an seiner Holomorphin aus. Man kann sagen, er wiederholte, wie unter Zwang, den Schmerz seiner Trennung, um sich, vielleicht, nicht trennen zu müssen, um die erste Dorata wenigstens in diesem Schmerz zu erhalten.
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