B.L.’s 20.8. – mitten ich im Leben

14:54
Nein, soll kein Anknüpfungspunkt an die —> Ungaretti-Variationen sein, auch wenn sich das Bild des „Mitten wir im Leben sind wir vom Tod umfangen“ (Martin Luther) als ein Davor anbietet. Nachdem ich heute Nacht durch irgendein idiotisches Feuerwerk (um 2 Uhr!) und das konsequente Hundebellen wach geworden war, ließ mich ein gewisses leicht schmerzendes Kribbeln im unteren Teil des rechten Unterschenkels nicht los. Schließlich fürchte ich immer, langsam zu somatisieren, was anders nicht zur Lösung schreitet. Noch nicht. Dabei kam mir eine Nachbarin meiner mittlerweile gestorbenen (ich hasse das Wort „verstorben“) Schwiegereltern in Erinnerung, der man erst ein Bein amputierte, dann das andere, und die dann gar nicht mehr lange lebte. Als wollte mir mein Körper meine Unfähigkeit des Fortgehens vor Augen führen (oder mich auf diese Weise aus dieser Unfähigkeit herausführen?). Das Sinnbild war grausig genug: Ich, gefesselt an den Rollstuhl, noch bevor ich in die Tat umsetzen konnte, was schon lange als „vorrei e non vorrei“ (Mozart, Don Giovanni) vor sich hin brodelt und sich immer mehr zu einem „voglio“ kondensiert. Bewegungsunfähig, vom Mitleid meiner Frau abhängig. Um alles bitten müssen. Grausig. Grausig. Das Ende der Illusion vom freien Willen. Na, ein letzter Willensakt bliebe dann doch. Aber ich will hier nicht die Problematik des Wortes „Wille“ diskutieren: sie ist mir bewußt.
Am vormittag wieder die Bilder vom vorletzten Abend. ein Stürzen, ein Krachen, ein Schubsen, ein Schreien, ein Weinen, ein Weh. Ob ich sie umbringen wolle? Nein, ich meinte durchaus den Stuhl. Hübsche Details. Eines außer Kontrolle Geratenen.
Und endlich fortgeduscht den ganzen Schweiß, die Weinspritzer in den Haaren. Morgen fährt sie dann für einige Tage nach N. (war schon vorher geplant).