Hermann und Clärchen Baus (Hanjo).]

Gleichwohl ist, insbesondere bei jungen Menschen, das Bedürfnis nach bleibender Einheit nach wie vor virulent; nach wie vor schwört man sich ewige Treue, ja die traditionellen Liebes-Vorstellung, wiewohl sie geschichtlich sehr jung ist, nämlich aus dem 19. Jahrhundert stammt, scheint in einer Art Retro-Bewegung eine neue HochZeit zu erfahren. Also stoßen die Begehren, Bedürfnisse, Träume der einzelnen und die schließliche Realität fast unentwegt aneinander. Genau dies zeigt Richters Stück.
Richter hat sieben Komponisten gebeten, zum Thema und zu seinen Texten Musiken zu schreiben, keines länger je als sieben, vielleicht zehn Minuten. Durch sein geschicktes Zeit-Arrangement heben sich diese Stücke gegenseitig in ihrer Wirkung ausgesprochen an, zumal sie durch das eingeschobene originale, allerdings auf ein Kammerensemble transponierte Onegin-Vorspiel zusätzlich kontrastiert werden; schon so wird eine „Langweiligkeit“ ausgeschlossen. Mit tiefstem Theaterinstinkt weiß Richter Wirkungen einzuschätzen und zu konstellieren; das betrifft ganz besonders seinen Umgang mit dem teils atemberaubend starken Ausdruckstanz – besonders in dem von mir schon in meiner >>>> Besprechung der Presse-Probe vom 7. Juni hervorgehobenen Pas de Deux, der auf Franz Schuberts durch eine zunehmend lauter werdende Geräuschmusik „Gute Nacht“ getanzt wird und in wenigen Minuten vor unseren Augen eine Paarbeziehung ablaufen läßt, vom ersten Kuß über den ersten, schnell gewaltsam werdenden Streit bis zum schließlichen, erschöpften AneinanderEinschlafen:
Ähnlich, und ebenfalls „anders anders“, als ich nach der Probe gedacht und geäußert hatte, „funktioniert“ das Puccini-Motiv: es wird durch die vorhergehende Erzählung völlig organisch in den Gesamtfluß eingefügt; mein vermutender Vorwurf von Beliebigkeit ging hier tatsächlich fehl.
Großartig aber bereits der Anfang des Stücks. Erst denkt man, wenn Jónsson singt, meine Güte, was ’ne Schnulze, aber dann wird das sofort durch einen Dialog gebrochen, den die beeindruckende Ursina Landi mit „ihrem“ Onegin am Telefon führt – schon sind wir mittendrin im Thema, und die Schnulze ist tatsächlich Ausdruck der Sehnsucht dieser Frau – wobei später das Motiv ein bißchen überdehnt wird, daß es in Partnerforen schwierig sei, alleinstehende vierzigjährige Akademikerinnen mit zwei Kindern an den, im Wortsinn, Mann zu bringen. Da bedient Richter dann doch mal tüchtig ein Klischee. Auf den gesamten Abend hin erlebt, nimmt man das aber gerne hin, sozusagen als einen running gag.
Sehr schön die höchst variable, auch sie an Oehrings Stück erinnerndes Bühne; auch hier ein perfekter Umgang mit Videoprojetionen, bzw. Rückprojektionen, geschickt arrangierte Einspielungen von Ton und Klang aus dem Off, bewegend die auf ein tatsächliches Erlebnis Richters zurückgehenden Kommunikationsversuche einer alten Sängerin der achten Reihe, worin sie auf dem Notsitz sitzt und hofft, endlich einmal auf die Bühne zu dürfen, mit ihrer ihr nachvereinsamenden Tochter. Hinreißend aber schon die Hereinnahme der modernen Kommunikationstechnologie, Facebook, SMS, Singleforen im Netz usw. Falk Richters Einfallsreichtum sprüht hier geradezu, und man merkt allen Beteiligten an, mit welchem Spaß sie ihre abstrusen, leider eben realistischen Parts gestalten – ein Spaß, der unmittelbar ins Publikum hinüberspringt. Auch wenn er letztlich bitter ist.

Falk Richter
TO THE DISCONNECTED CHILD
Text, Regie und Choreographie: Falk Richter
Mit Kompositionen von Malte Beckenbach, Achim Bornhoeft,
Oliver Frick, Helgi Hrafn Jónsson, Jan Kopp, Jörg Mainka
und Oliver Prechtl
Franz Hartwig – Ursina Lardi – Stefan Stern – Tilman Strauß
Luise Wolfram
Steven Michel – Franz Rogowski – Jorijn Vriesendorp
Helgi Hrafn Jónsson – Borjana Mateewa Gyula Orendt
Maraike Schröter
Staatskapelle Berlin, Orchesterakademie bei der Staatskapelle Berlin.
Wolfram-Maria Märtig
Die weiteren Vorstellungen:
Heute, am 25.6., sowie am 29. und 30.6.2013,
jeweils um 20.00 Uhr.
>>>> Karten.
Von einem allerdings noch einmal ganz anderen Kaliber, das die bereits erwähnte „Glätte“ bei Richter fast ein bißchen schmerzhaft spüren läßt, ist nun aber >>>> Toshio Hosokawas auf der No-Tradition gegründetes, gleichwohl mit westlichen Opernkonzepten vermitteltes Musiktheater „Hanjo“ – eine wenn auch relativ kurze, so doch um so konzentriertere Oper auch in musikabsolutem Sinn, die ihre Berliner Premiere am Sonnabend abend, dem 22., hatte, bzw. hatten wir sie, die wir im Publikum dabeisein durften. Nicht „nur“ der Musik wegen war es ein Ereignis, sondern frappierend, wie ausgerechnet der für Skandale – je nach Perspektive: – berühmte oder berüchtigte Calixto Bieito auf jegliche Regietheater-Einfälle verzichtete. So sehr offenbar ließ er sich auf das konzentrierte, halb surreale, halb geradezu griechisch-tragische Geschehen dieses Stückes ein („Du hast deinen Ort“, sagt es: „sinnlos, ihn verlassen zu wollen“). Auch des Mannes häufige Kritiker – erinnern Sie sich bitte an >>>> die in Der Dschungel geführte Auseinandersetzung um seine Freischütz-Inszenierung an der Komischen Oper Berlins – werden seine Regiearbeiten von hieraus noch einmal ganz anders betrachten müssen; ich selbst habe ernsthaft mit einiger Nacktheit gerechnet, schon insofern die Protagonistin eine Geisha ist, bzw. war, die aus ihrer Profession von einer lesbischen Malerin ausgelöst wird. Bieito hätte hier satt zuschlagen können. Aber nein. Er behält Hanaos entrückte Ver/rückung im Auge, ohne sich auch nur irgendwie regietheatralisch vorzudrängen und ohne den sich schließlich in ein Glück des beiderseitig gewollten Verzichts ausbalanzierenden ferneren Alltags mit gewaltsamen Mitteln zu illustrieren, auf den das Stück – anders als in >>>> Mishimas Vorlage – schließlich hinausläuft.
Die erzählte Geschichte ist einfach.
Hanako, noch als Geisha, verliebt sich in Yoshio und er sich in sie. Als er sie verlassen muß, tauschen sie die Fächer; er trägt fortan den ihren bei sich, sie den seinen. Nachdem die Liebende ihre Tätigkeit schließlich aufgegegeben hat, begibt sie sich jeden Tag zum Bahnhof, um dort, seinen Fächer immer bei sich, die Rückkehr des lange, immer länger ausbleibenden Geliebten zu erwarten. Finanziert wird ihr das von der japanischen >>>> Geschwitz Jitusko, der sie, quasi als Gegenleistung, Modell steht. Wobei Bieito aus den Fächern Tattoos macht, die am Bauch, bzw. auf der Brust getragen werden. Da es in Japan aber nur >>>> Yakuza sind, die sich tätowieren lassen
Zunehmend aber schon vorher entrückte sich Hanako in ihre Vorstellungswelt, in der sich der reale Geliebte in einen imaginären „wahren“ verwandelte, der für sie schließlich mehr Gegenwart hat als die wirkliche Erscheinung des Zurückgekehrten. Ja, die Menschen aus Fleisch und Blut werden ihr insgesamt zu Gespenstern, indes das Reich der Geister sich ins Reale schiebt. Eben dies garantiert zugleich die Beziehungs-Stabilität der entsagenden Lesbe und der ihre Erfüllung allein im hoffenden (Er)Warten findenden Liebenden. In diese Ausbalanziertheit, die schon die erste Szene charakterisierte, führt die Musik in der letzten zurück: Man kann von einer magisch stabilierten Negativen Harmonie sprechen. Genau der gibt Hosokawas oft flirrende, gleitend schwebende und immer wieder im Wind des Lebens klingelnde Musik den Ton.
Dies alles heißt nun aber nicht, daß das Stück undramatisch wäre; sogar das Gegenteil ist der Fall. Die hier gerade zwischen der Malerin und ihrem, sagen wir einmal, Nebenbuhler aufwallenden Emotionen stehen der europäischen Hysterie-Tradition in keiner Weise nach, nur daß es den gewohnten Schmelz nicht gibt, mit dem sie aufgeedelt wird
Fasszinierend zugleich puppenhaft wie traumwandelnd Ingela Bohlins Hanako. „unschuldig“, würde ich sagen, wäre nicht die Stimme derart präsent; und Ursula Hesse von den Steinen gestaltet ihre Frau Honda beinah wie eine Lady Macbeth, der es um die Macht des Beherrschens ebenso geht wie dem Yakuza Yoshio, den Georg Nigl mit angemessener Würde erst, dann zunehmend wütender Forderung, schließlich – all dies auch in der Stimme – in einer Niedergeschlagenheit präsentiert, die dem Gesichtsverlust entspricht, derart abgewiesen zu werden. Daß er auf allen Vieren davonkriecht schließlich, ist kein bieitosches Bühnenmätzchen, sondern entspricht der japanischen Mentalität, die, wenn die Ehre verlorenging, sich selbst noch ganz besonders kleinmacht. In meiner obwohl nur sehr kurzen Tokyozeit habe ich das zweidreimal erleben müssen.
Dennoch eine winzige Einschränkung: nach Ankunft des Zuges – enorm filmisch, wie die Scheinwerfer ins Publikum gleißen – hätte Bieito mit dem Rauch etwas weniger verschwenderisch umgehen können, einfach, weil das Mittel schon so ausgelutscht ist und es völlig gereicht hätte, Hosokawas Klängen zu vertrauen.

Toshio Hosokawa
HANJO
Oper in einem Akt.
Inszenierung Calixto Bieito – Bühnenbild Susanne Gschwender
Kostüme Anna Eiermann – Licht Reinhard Traub – Dramaturgie Xavier Zuber.
Ingela Bohlin – Ursula Hesse von den Steinen – Georg Nigl
Staatskapelle Berlin, Günther Albers.
Noch eine Vorstellung:
30. Juni 2013, 19.30 Uhr.
>>>> Karten.