III, 265 – Im Neunerquersummenklub

Dreimal der Greisin begegnet, die oft durch die Gassen schlurft, über den Platz, sich auch mal hinsetzt in die Sonne. “Die Sonne scheint.” sagte sie, als ich zum Auto ging. Setzte sich in die Sonne und schaute mir beim Manövrieren zu. Daß die Sonne scheine, sagte ich auch zur Tabaccaia, als sie sich die Hand vor den Kopf schlug, weil sie vergessen, außer den panisch gesuchten Geldscheinen zum Wechseln, die sie sich aus ihrem eigenen Portemonnaie fischen mußte, wobei sie ständig im Kopf rechnete, auch noch die Wechselmünzen hinzulegen. “La testa!”
Gestern hatte ich mehr Gedanken als heute. So eine Art Abendsterne vor einem noch kobaltblauen Himmel kurz vor der Düsternis. Sah auch einen, als ich neulich am Fenster stand mit dem Telefonhörer in der Hand. Man muß immer irgendwo hinschauen oder hin und her gehen, wenn man einen Telefonhörer in der Hand hat, um auch beschreiben zu können, was man sieht, weil das Hören der anderen Stimme, die plötzlich lebendig geworden, immer auch ein “Wegholen” ist. Darum schaute ich gebannt auf den einen Abendstern. Auch wenn der unbestimmte Artikel unangebracht ist. Es ist ja immer derselbe. Auch liegen genug weiße Zettel herum, um etwas darauf zu notieren.
Auf dieselbe Weise begegnete ich dem Mond: heute ein Mond, gestern ein Mond. Und je mehr ich zurückgehe in der Zeit, desto voller wird er. Wie ja auch die vergangenen Tage voll gewesen sind. Gestern ging die Konzentration bis an den Rand ihrer Möglichkeiten. Vorgestern erreichte die Kommunikation den Rand ihrer Möglichkeiten. Nämlich den Rand der Welt, in der einer aufgehoben. So am Ende die Empfindung. Nachdem ich am Morgen noch die Schultern gezuckt wegen der neuen Quersumme der Jahre, die lautlich einem “Nein” sehr nahe stand. Auch das steht auf keinem Zettel.
Tullias Besuch von vorvorgestern (ihr Sohn wahr dabei) kommt mir in den Sinn. Ob ich eine Putzfrau brauche. “Theoretisch ja.” Antwortete ich. Und sie fing an, ihre Tochter wegen ihres Ordnungssinns zu loben, und daß sie ja doch mal anfangen könne, sich etwas dazu zu verdienen. Was ich sehr merkwürdig fand. Nie könnte ich mir die noch nicht mal erwachsene Tochter als Putzfrau vorstellen. Die solle lieber schreiben, meinte ich. Denn neulich las ich einen feurigen Text von ihr, der ein Plädoyer für die Jugend gewesen.
Und so kommt die Greisin zum Mädchen, ganz ungewollt:
Wie es mir mit der Unsterblichkeit ergeht, so ergeht es mir mit der Ehe: Ich brauche sie augenblicklich nicht, aber der Tag wird kommen – falls ich alt werde -, da ich sie brauchen werde, und ich will mich nicht der Gefahr aussetzen, dass ich in dem Alter, da ich unsterblich sein will, ohne die Liebe einer Frau dastehe, so dass ich mich in ein Mädchen – oder eine Greisin – verlieben müsste, die die Ruhe gefährden würde, die mir in meinen letzten Tagen wohl bliebe. >>>> Pujols, Der Herbst in Barcelona
Es stimmt, daß ich sie augenblicklich nicht brauche, aber nicht, daß ich sie brauchen werde. (Und dauernd ist auch vom Tibidabo in Barcelona die Rede, ich aber wohne auf dem Tibidedi). Außer dem Mädchen und der Greisin stimmt nichts an dem Satz. Denn beide sind Chimären des Neunerquersummenklubs. Ich könnte dem Erzähler höchstens darin zustimmen, daß es ganz hübsch ist, über Selbstmord nachzudenken. Aber weil es so hübsch ist, daran zu denken, sollte man es nicht tun. Es sei denn, man tut es, um es hinterher (!) zu beschreiben, wie in diesem bzw. jenem Text. Man lese ansonsten Montaigne zu diesen Thematiken.

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