di fedeltà, immortale.
Montale
„Unauslöschlich“, Sìdhe,
in der Tat möchte ich meinen, dem nimmt auch manches in diesen Briefen fallende Wort nichts, das Dich hart dünken wird. Andere Worte, Dir zärtlich verfallene oft, stehen entgegen.
6.45 Uhr bei heulendem Wind.
„Um meiner selbst geliebt werden“: Immer habe ich mich gefragt, was damit denn gemeint sein solle. Was ist dies meiner selbst über das Amalgam physiologischer Determinanten hinaus? Hier wählt man das Wort „Seele“ (auch ich tu‘s immer wieder). Denn die Achselhöhle, in die ich mich sehne, ist eben Kapelle und nicht die anatomisch-fleischliche Konstruktion für biologische Abläufe, die freilich dennoch ihre, der Kapelle, Voraussetzung sind. Deshalb setzt mein Hohelied bei der Chemie an, nicht beim Geist, der eines ihrer, sagen wir, Ergebnisse ist; gemeint ist die Chemie aber n i c h t.
Ich allegorisiere insofern die Körper, Dich deshalb auch. Darin war unser beider Bewegung identisch, war wirklich miteinander, nur daß ich solche Gebilde in die Weltlichkeit ziehe, von der wiederum Du zu fürchten scheinst, daß sie‘s zerstört. Ich hingegen, weil zwischen meiner Kunst und mir kaum ein Unterschied besteht, bin sogar angewiesen darauf, sie und das Leben engzuführen und ineinanderzuknoten, andernfalls ich eben gar nichts wäre außer einem hilf- wie ziellosen Strudeln. An eine sonstige Basis läßt mich nichts glauben. Letztlich sind wir, was wir schaffen.
Genau deshalb hat Lenz mit den Briefinstallationen und mit der Mauer begonnen. Dort, auf seinem Karst, verlangte die ihm durch Deinen, nein, der Lydierin Verlust gewordene Leere danach, daß er sie füllte. Es mag sein, daß so etwas am Beginn einer jeden Kunst steht, die sich nicht als Hobby begreift; aber selbst einem solchen geht es darum, über die Leeren Brücken zu legen. Erinnere Dich, Geliebte, der kindlichen Langeweilen, die wir wohl alle kannten, manche öfter, manche seltener; wie wir uns quälten, wurden die Weilen zu lang. Wir kamen dann keinen Schritt weiter, weil es, fühlten wir, nichts gab, daß wir ihn daraufsetzen konnten, geschweige so, um einen nächsten ihm folgen zu lassen. Es waren leere, in beiderlei Sinn grundlose Weilen: „Leerweile“ träfe als Wort darum eher. Und wir schwebten erkühlend im Raum.
Dies wiederholte sich nun, kam aus der Kindheit zurück, doch m i t Grund diesmal, nur eben einem, dem er, Lenz, beim Verschwinden zusehen mußte, beim Davonsacken, sichAuflösen, >>>> Chandos‘ modrige Pilze – nur daß ihm, Lenz, nicht die Sprache zerfällt, sondern sein Lieben, des zu-liebens Möglicheit-an–sich. Da es außerhalb seiner Möglichkeiten ist, das als Sprache zu erfassen und damit sich bewußt zu machen, kann er, anders als ich, so quasi einfach B a u e r werden. Die Stumpfheit, die man an ihm empfindet, rührt daher. Mich hingegen, Liebste, hast Du in einen Prozeß der Selbstunterzweiflung zurückgesperrt, dem ich alleine mit Kunst antworten kann. Zerfiele auch sie mir, zerfiele ich mit.
Gestern war mein Putzmann hier, ein junger Spanier, der schon zum zweiten Mal kam und seine Arbeit sehr umsichtig tut; ich habe ihn jetzt fest für alle zwei Wochen >>>> gebucht. Das wird Dich nicht interessieren, aber ich erzähle es Dir, weil mich dieser Umstand zu einer Entscheidung gebracht hat.
Eigentlich hatte ich den Vormittag, an dem sich denn nicht arbeiten ließe, weil gesaugt und gewischt, auch der Schreibtisch gereinigt und poliert wird, für meine Wäsche nutzen wollen, auch die des Bettes. Noch wie vor, seit dem 11. November, schlafe ich in denselben, den für u n s aufgezogenen Bezügen. Hygienisch ist das bedenklich. Also hatte ich mir ein Herz gefaßt, ebenso, wie ich mir vornahm, den Sport wieder aufzunehmen. Unterdessen, seit diesem 11. November, bringe ich vier Kilogramm mehr auf die Waage; ich habe wirklich wie eine Entscheidung erwogen, den Körper so auseinanderfließen zu lassen, wie meine, siehe Chandos, „Seele“ in meiner von Dir entgrundeten Leereweile zerfloß. Aber, was soll ich sagen?, der Gürtel kneift, es wird unangenehm, die Hosenbünde schneiden sich an der Taille ein. Ich habe nie dazu tendiert, mich selbst, mit Messerchen, zu schneiden; so etwas ändert man nicht mehr. Außerdem ist es so, daß der unmittelbare, der sich wölbende Verlustschmerz gleichsam ruhig geworden ist, hinabsaugendes Meer zwar noch immer, indes nicht mehr aufgewühlt vom Sturm. Da sind die zu eng gewordenen Hosen wie eine Entäußerung dieses Schmerzes, ein Hinübergehen ins Objektivierte; und das, in der Tat, läßt sich behandeln.
Also mit dem Sport hab ich nun wieder begonnen: ein erster Schritt, vielleicht, ins Gesunden. Der Muskelkater heute fühlt sich gut an. Wobei „gesunden“ selbstverständlich ein ganz falsches Wort ist, denn ich war – bin – ja nicht krank, sondern trauere um eine, als die, die Du mir warst, nun Tote. Lenzens Mauer begrenzt das poundsche Gefängnis, von dem ich Dir in meinem >>>> sechsten Brief geschrieben habe; dieser Meeresgrund der Dichtung bleibt wahr. Doch sänke ich auf ihn zur Gänze hinunter und löste mich selbst auf, wem wär geholfen? Nicht einmal diesem Roman.
So b l e i b t das Bettzeug – und es bleibt eine Vornahme: Ich werde so lange darin weiterschlafen, bis das Buch zuende ist, in erster Fassung fertiggeschrieben. Also statt in den Waschsalon begab ich mich zum Sport. Und habe heute nacht erneut an Dir geschlafen.
Betrunken.
Oh, ich war betrunken! Meine liebe Amélie, erneut, lud mich zum Essen ein. Wir sprachen lange, auch über Dich. Auch für sie ist das nicht ohne Schmerz, wie allgegenwärtig Du bleibst. So harren alle des Momentes, in dem ich den letzten Punkt hinter diese Briefe setze und die Phase des Michtrennens, daß eben i c h mich trenne, beginnen wird – schlagartig, übrigens, nämlich mit derselben Radikalität wahrscheinlich, die mich dies Trauern gestalten läßt, das sich an der Nähe festhält und s i e festhält, Getrenntsein nicht akzeptiert, sondern gegen es nach wie vor anrennt, ja jetzt selbst wieder das Stürmen sein muß, von dem das zwischenzeitlich – der anderen Arbeit halber, also wegen des >>>> Hörstücks – beruhigte Trauermeer neu aufgepeitscht werden wird. Seit je geht‘s meiner Kunst um Intensität. Das heißt auch: um Psychologie.
Ich weiß, daß das verpönt ist, nicht nur in der Literatur, auch auf dem modernen Theater. Amélie, gestern, beklagte das sehr. „Die Leute haben Angst vor den Gründen.“ Dichtung, die‘s sein will, hat sie dagegen ins Auge zu nehmen, darf ihre Auflösung ins Abstrakte nicht zulassen wollen, in entsubjektivierte, sagen wir es zeitgenössisch, „Module“. Jede Objektiverung auch als „Strukturen“ ist eine verdrängende Abwehrbewegung, die einem personengeschichtlich frühen, nämlich magischen Bannversuch gleichkommt: Schaffe ich noch die nächste Ampel bei Grün, wird mich Wiebke nicht verlassen (wird die Unterschrift unter der verhauenen Lateinarbeit als Fälschung nicht erkannt werden; werde ich diesmal in Mathe wenigstens eine Drei geschrieben haben: So sind wir als Kinder über die Pflasterquadrate des Schulwegs gehüpft). Eine umfassende und deshalb bestimmende Richtung der gegenwärtigen Kunst betreibt genau das, verschiebt ins Uneigentliche. Auch deswegen meine Brotbackerei, Lenzens Gartenbau. Was wiederum Gerald finden wird, weiß ich noch nicht, während sich Wiebke, nachdem ihr Mann sie verlassen hatte, an ihrer Mutterschaft festhält. Nun kann Gerald so flehende Entschuldigungsbriefe schreiben, wie ihm nur möglich, sie wird ihn nicht mehr an sich heranlassen. Du mußt Dir das vorstellen, Sìdhe! Denn tatsächlich hat sie, ihn zu lieben, niemals aufgehört. Sie liebt ihn immer weiter. Doch eine neue Realisierung? Nein.
Übrigens weiß Gerald, daß sie ihn weiterliebt. Sie macht auch keinen Hehl daraus, zum Beispiel, wenn sie sich an Elternabenden treffen. Die Dinge sind ungeheuer verbogen. – „Dinge“…
Was aber noch einmal mein Bettzeug anbelangt, so kann ich mit Gewißheit nicht mehr sagen, ob in Deinem Schlafhemdchen, das Du Dir allnachts über die Augen legtest, überhaupt noch eine Spur von Duft ist. Ich rieche ihn dennoch. Und ebenso wenig bin ich mir sicher, ob es sich, als ich vom Sport zurückkam, nicht nur abermals um eine Halluzination handelte, die der Schmerz bewirkt hat, als ich Dich gestern nunmehr in Höhe des alten Bötzowbetriebes sah, an der unteren Prenzlauer Allee, doch dummerweise auf der anderen Fahrbahnseite, wo man, der Tramschienen wegen, nicht einfach so hinüberkommt, schon gar nicht mit dem Rad. Aber Du gingst da, warst in Begleitung eines Freundes, einer Freundin. Ich hörte Euch lachen, hatte sofort gebremst, sah erstarrt in halber Schräge hinüber. Doch selbst, wenn ich gerufen hätte, wären die Flüsse Verkehrs zu laut gewesen, um Dich mich hören zu lassen. – Ja, Du hast recht, ich hätte wenden können und bis zur Ampel zurückfahren, hätte Euch doch im Auge behalten. Dann hinüber.
Ich hatte einfach Angst vor dem Irrtum einer Verwechslung. Aber selbst, wäre es keine gewesen, hätt ich die pochende Angst behalten; vielleicht wär sie sogar noch größer geworden. Was hätte ich denn sagen sollen, fragen können? „Du bist in Berlin und gibst nicht Bescheid“?
Ich nehme an, Du warst eines Lehrauftrags wegen auf dem Weg zur Humboldt-Uni. Was Du allerdings auf dem Prenzlauer Berg wolltest… Freilich habe ich Dich da schon einmal gesehen, sogar ganz nahe bei mir, Danziger Straße. Ich müßte nachschlagen, schrieb es in einem früheren Brief. Du warst bei einem Freund untergekommen. Die e r s t e meiner Visionen. Es ist ungeheuerlich, wie lebensecht sie sind.
Lenz hat sowas übrigens nicht, ich weiß nicht warum. Er ist wohl der Erde zu nah, schon selbst fast zu Erde geworden, selbst fast Lehm, oder ein Feldstein, den manchmal was rollt. Auch dies wohl eine Objektivierung: Lenz-selbst als die Mauer. Das ist sinnbildlich, Liebes. Er schottet sich nicht ab, nein, ist das Schott. Eben deshalb brennt er nicht mehr. Aber Gerald brennt, lodert geradezu, nachdem ihn seine Stone-Sìdhe hat wieder fallen gelassen. Lodernd steht er vor seiner ehemaligen Wohnung, der Ehewohnung, klingelt. Er klingelt sogar Sturm. „Wer ist da?“ „Bitte laß mich herein!“ – Er bekommt nicht einmal Antwort, kann über die Wechselsprechanlage aber vernehmen, wie Wiebke oder wer immer sonst einfach den Hörer auflegt. Das Knacksen geht ihm durch den ganzen Körper.
Nun fängt ein ziemlich ungutes Kapitel dieser Geschichte an. Täglich läßt Gerald Wiebke eine Rose schicken, auch an ihren Arbeitsplatz. Ihre Kollegen beginnen zu munkeln, egal, ob sie, was sie tut, jede dieser Rosen sofort in den Papierkorb wirft. Ein halbes Jahr lang geht das so.
Es kommt auch vor, daß Gerald seine Exfrau verfolgt, hinter ihr hergeht oder in Cafés platzt, in denen sie sich mit Freundinnen trifft und mit Freunden, auch mit fremden Männern. http://Parship.de. Wütend geht er auf die los…
Wohlgemerkt, sie liebt ihn weiter. Aber die Verletzung. Haben Frauen sich entschieden, stimmt sie nichts mehr um, auch nicht – oder erst recht nicht – ihr eigenes Gefühl. Sie wissen nicht nur, was das ist, sondern sind sie: Irreversibilität.
Schließlich geht die restlos entnervte Frau zum Anwalt. Es kommt zu einem Strafbeschluß, einem offiziellen Verbot, ihr auch nur ungefähr nahezukommen. Über dieses hinaus verliert Gerald das Sorgerecht für ihrer beider Tochter. – Habe ich Dir schon erzählt, daß sie ein gemeinsames Kind bekommen haben, anderthalb Jahre, bevor die Stone-Sìdhe in Geralds Leben einbrach? Nasrin… Gewissermaßen haben die beiden Dianamaria bekommen, also Lenzens und der Lydierin Tochter, an deren Stelle… Das hat gar nichts geschützt.
Betrogen, während noch das Kleinkind um die Frau war. Derart verlassen plötzlich. Das heilt nicht mehr, auch wenn sich‘s manchmal noch kittet.
Wiebke will keinen Kitt. Auch ihre parship-Versuche sind imgrunde nichts, als irgendwie nach Atem zu schnappen. Alle ihre folgenden Partnerschaften, als bürgerliche Lebensgemeinschaft, gehen schief. Wiebke wird völlig autark, hat dann schließlich einen neuen Gefährten, aber läßt ihn nicht wirklich in ihr Leben. Doch sie besucht ihn gern, an Wochenenden. Da ist Nasrin schon groß oder, als sie noch jünger ist, besucht ihren Vater, in vierzehntägigem Turnus. Gerald hingegen bleibt allein. Die Frage ist weiter, was e r denn findet anstelle des Brotes, anstelle der Mauer. – Ich fürchte, Geliebte, wir brauchen wirklich noch ein viertes Paar – wenigstens e i n e s, dem die Liebe gelingt. – Ich will es für Dich finden.
Meine Hand auf Deinem flachen Bauch. Zu meinem, Liebste, ersten Mal –
immortale, schönste Frau,
in un gorgo di fedeltà:
Alban
>>>> Neunundzwanzigster Brief nach Triest
Siebenundzwanzigster Brief nach Triest <<<<
(Nun hab ich, anders als >>>> gestern angekündigt, d o c h geschrieben. Ich kann und kann nicht anders. Morgen werd ich vom „Du!“ erzählen, einem wieder und wieder zwischen den beiden gehauchten.)
Wer Dich kennt ANH wie ich, der versteht was hier gerade passiert. Und es ist ein Privileg dabei zuschauen zu dürfen, wie es in gleichem Maße verstörend ist, weil sich so viel mischt – mir scheint sein Eigenleben aufnimmt. Auch wenn Du schützen willst, es wird nicht ohne Schrammen abgehen, das ist klar und von Anadyomene weiß ich, dass es schmerzhaft sein kann in den künstlerischen Prozess zu geraten oder dazwischen. Sie beschrieb es damals wie eine Naturgewalt, grausam und schön. Sie wusste es gab nichts entgegen zu setzen, musste es laufen lassen und sich entfernen. Die Dschungel beherbergte von da an Großkatzen, ob das artgerechte Haltung war? Meine Zügel schießen gerade, es ist mehr als eindeutig und ich wehre mich gegen Interpretation.
Allen Kritikern und weinenden möchte ich zurufen: es ist ein Schöpfungsprozess!
Ich erlaube mir anzuregen, die Kommentarfunktion zu schließen.
@Textflüsterer. Ich habe auch schon darüber nachgedacht, so, wie ich es schließlich auch >>>> dort gehalten habe. Doch hier hat, in welch angemessenem oder unangemessenem Ton auch immer, „Halle Luja“ quasi eine Grundfrage gestellt, von der die Künste seit jeher begleitet sind und die auch immer wieder zu sogar hart-rechtlichen Auseinandersetzungen geführt hat, über Verbannungen (Ovid) bis zu Buchverboten (Klaus Mann). Ich habe >>>> da versucht, die Diskussion ein wenig zu versachlichen. Vielleicht wird das ja noch einmal aufgenommen und ohne Abscheubekundungen und Schlammwürfe weiterdiskutiert. Das möchte ich abwarten und werde dann morgen entscheiden. Dennoch danke für Ihre Sensibilität.
Nach Monaten … … schalte ich mich hier mal wieder ein.
1. Ich kenne Alban Nikolai Herbst.
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2. Ich kenne inzwischen fast alle seine Werke. Damit meine ich, dass ich sie gelesen habe, zum Teil mehrfach.
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3. Ich weiß, das ANH, selbst wenn er schwerst besoffen sein sollte, sekundengenau aus dem Ärmel tausendfach bessere Prosa produziert, als jeder, der hier seinen Speichel verspritzenden Kritiker.
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4. Ich bin ganz sicher, dass ANH der gewaltigste Prosaist und Lyriker ist, den die deutsche Sprache gegenwärtig besitzt. Mich selbst eingeschlossen.
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5. Seine Ausssagen ob in Prosa oder Lyrik über seine letzte Liebe sind seine Sache und als solche nicht kritisierbar, doch teile ich nicht seine Anmaßung, sie hier öffentlicht vorzuführen.
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6. Ich finde es sogar höchst problematisch, da er die Frau, die ich nicht kenne, damit beschädigt und ihre weiteren Lebensverhältnisse vermutlicht zerstört. Möglicherweise ist das seine Absicht.
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7. Autoren neigen dazu, sich zum Skandalon zu machen, vor allem, wenn sie den Eindruck haben, dass ihr Eigentliches, ihr Werk, nicht wahrgenommen wird. DAS ist das eigentlich Problem. Das ist das eigentliche SKANDALON. Denn natürlich gehörte das Herbstsche Werk seit Jahren in den Kanon der überall gelesenen deutschen Literatur. Aber dafür müssten wir einen anderen Kanon haben, dafür müssten wir ein anderes Bewusstsein von Literatur und vom Erzählen haben. Darauf habe ich keinerlei Hoffnung.
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8. Darum gilt wohl auch für Alban Nikolai Herbst das, was Hubert Fichte vor Jahrzehnten schrieb, als er sagte, er schreibe für eine Zeit, die keine Sprache mehr besitze und wohl auch keine Augen mehr.
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9. Ansonsten bitte ich alle Wandervögel/innen, die hier vorbeischauen, dass sie mal einfach ein halbes oder ein ganzes, wenns möglich wäre, Jahr, die Schnauze halten und den ANH einfach schreiben lassen sollen. Er wird dann nämlich weiter produzieren und uns am Ende tausendefach mehr schenken, als wir uns in unseren Alltagsgehirnen überhaupt träumen lassen. Er ist nämlich ein Zauberer! Ob Ihnen nun seine Genitalien gefallen oder nicht.
Es lebe Mozarts krume Nase!
Ihr
PHG
@PHG, durchaus beschämt. Lieber Peter H. Gogolin,
einerseits danke (dafür die Scham); andererseits werde ich auf Deinen Vorwurf der Anmaßung und die Folgerung, die Du hier öffentlich gezogen hast, im heutigen, dem bereits sechsten Triestbrief detailliert eingehen, indem ich die Vorhaltungen – Deine und die meiner andern Kritiker – mit ihr, der Sìdhe, bespreche. Da sie eine Figur meiner Phantasie ist, dürfen die Leserinnen und Leser das teilen.
A.
(Steht nun drin, >>>> der sechste Brief.)
Niemand, der in Die Dschungel öfter liest und der darüberhinaus ANH kennt, zweifelt nur im mindesten daran, daß den Briefen an Sìdhe eine, nun ja, reale Begebenheit zugrunde liegt, an der uns Leser:innen ANH teilhaben ließ und läßt; man muß ja, wenn man ein wenig näher am Geschehen ist, nur einen Blick auf die realen Auswirkungen tun, um das zu erkennen. Außerdem gäbe es, das sollte bedacht werden, Die Dschungel schließlich so in dieser Form nicht, wenn dem nicht als Konzept ein Leben, das Leben als Roman zugrunde läge. Ebenfalls keinem Zweifel zugänglich ist die Tatsache, daß es sich bei den Briefen an Sìdhe um eine dichterische Arbeit handelt, mit Stärken und Schwächen, der sich die Lesenden annähern, um ihren Teil beizutragen und sie sich selbst zu verlebendigen. Unerheblich dabei, daß es sich um Texte auf einem Blog handelt, denn ob Schriftrolle, mündlicher Vortrag, Buch, Bildschirm: Dichtung bleibt Dichtung. Was tat denn Novalis in seiner Trauer um die verstorbene Geliebte: er dichtete. (Hölderlin allerdings wurde wahnsinnig, gemütskrank der Unerreichbaren wegen, aber das war das Risiko der Liebe wohl wert gewesen.) Aus der realen Geliebten aus Fleisch, Blut und manchem anderen wird eine Figur der Phantasie, manch eine solche taucht bereits in den antiken griechischen Dramen auf, wie zu vermuten ist, und es ist weiterhin zu vermuten, daß nicht alle verlorenen Geliebten tot waren, als sie Grundlage, Ausgangswesen wurden für Gedicht, Drama, Roman, Lied. Die von Peter H. Gogolin gestellte Frage, wie denn die immer noch Geliebte mit der öffentlichen Darstellung umgehen soll, umgehen kann, ist rein menschlich gesehen deswegen berechtigt und aktuell. Die Anmaßung liegt allerdings meiner Ansicht nach tatsächlich in der Annahme, die so in Beschlag Genommene würde in jedem Fall Schaden nehmen, was nicht auszuschließen ist, aber auch nicht zwingend sein muß. (Wer sagt, daß sich reale Geliebte nicht wohl fühlen können in ihrer noch anderen Rolle?) Das unter Punkt 6 von Gogolin Gesagte („Ich finde es sogar höchst problematisch, da er die Frau, die ich nicht kenne, damit beschädigt und ihre weiteren Lebensverhältnisse vermutlicht zerstört. Möglicherweise ist das seine Absicht“) entmündigt somit die Gemeinte mehr als eine vielleicht mitunter mißlungene, zu weit gehende Beschreibung ANHs – denn, nicht zu vergessen, wir alle kennen diese Frau nicht und sie deswegen auch „nur“ als die in den Briefen! Wäre es da nicht angemessener, die Briefe als Dichtung zu lesen (Wolf Wondratscheks „Kelly-Briefe“ sind ja auch Literatur, oder etwa nicht?) oder sie auch nicht zu lesen (niemand wird gezwungen, hier reinzusehen) und sich aller Spekulationen zu enthalten, ob diese erwachsene Frau Schaden oder Nutzen hat oder beides nicht, wenn Alban das tut, was seines Berufes ist? Nämlich zu dichten, zu schreiben, seine Phantasie spielen zu lassen, die zwar aus einem „Nichts“ kommt, welches allerdings nie leer ist, ganz und gar im Gegenteil?! (Wie hieß es doch gleich im später so bezeichneten ältesten Systemprogramm des deutschen Idealismus, verfaßt von den Studenten Hölderin, Schelling und Hegel: “Die erste Idee ist natürlich die Vorstellung von mir selbst, als einem absolut freien Wesen.” Und weiter: “Mit dem freien, selbstbewußten Wesen tritt zugleich eine ganze Welt – aus dem Nichts hervor – die einzig wahre und gedenkbare Schöpfung aus dem Nichts –”.)
Das Nichts ist aber die blanke Wirklichkeit, und aus dieser tritt das Kunstwerk heraus. Die Dschungel ist so eine Raffinerie. Das Produkt ist gelungen, indem man ihm den Prozess seiner Herstellung nicht mehr ansieht: Im Brote soll das Korn aufgegangen sein; die messerscharfe Klinge das krude Eisen vergessen machen. Alle Kunst ist solch Transformation. Durch geöffnete Fenster zeigt Herbst manchen Kunstgriff (wenn auch nicht alle) und die sperrige Unbill der Werkstatt für allen (wenn auch nicht für jedem) vor. Er ist nicht der erste Dichter, der dies tut, und er wird auch nicht der letzte gewesen sein, den dessentwegen die Häme der Banausen trifft.
Das „Nichts“ @tom ist von den Herren kantlesenden Studenten als ein solches angesehen worden, weil sich nicht zwingend „Etwas“, etwas Schöpferisches aus ihm ergibt, sondern nur durch das willentliche Ausschöpfen dieses Potentials. Insofern haben Sie natürlich recht. Auch das Chaos, das wäre mein Begriff für „blanke Wirklichkeit“, ist ja imgrunde der leere Raum, der Abgrund zwischen Etwas, und auch wenn Nietzsche sagt, man könne sich das Fliegen nicht erfliegen: doch, kann man!
Was Die Dschungel als Raffinerie angeht, naja, so gefiele mir nach wie vor das Bild der Werkstatt besser, so wie Jean Paul in seiner „Vorschule der Ästhetik“ sein Schaffen ganz und gar zeitgemäß zeigte und sich zugleich neu erschrieb.
Was Sie alle nicht verstehen, ist, dass alles was hier geschrieben wird eine Melange aus Vielen ist. Eine Vielzahl Ereignisse, echte Personen, Anekdoten und Imaginiertes fließen hier mit ein. Das scheint sehr indiskret- nur versuchen Sie doch zu verstehen, das sind nicht alles Erlebnisse mit der Elbin, der echten Frau, Sie als Leser werden nie unterscheiden können was Wahrheit und was Dichtung ist. Nur sie kann das. Nur sie. Und nur sie hat das Recht Einspruch einzulegen, dazu stehen Ihr alle Kanäle offen. Ansonsten muss hier ja niemand lesen.
ich wollte es gerade sagen, dies ist teil eines werks, wer das nicht kapiert, hat vielleicht noch recht wenig kapiert, was den wandel der literatur durch neue medien betrifft.
@diadorim, Schlinkert, Gogolin. Das Problem der Dichtung im Netz, besonders einer Liebesdichtung nach der Liebe, besteht in der zeitlichen Dichte. Niemand wird daran zweifeln, daß nahezu allen großen Liebeserzählung reale Begebnisse vorausgegangen sind, oder nur sehr Dumme werden das bezweifeln. Allein, wenn die entsprechenden Bücher erschienen, als Bücher, war oft zumindest ein Jahr vergangen, und öfter noch waren’s Jahre. Da hatten die Hitzen sich meist längst gelegt, und der Blick auf sie war schon bei Erscheinen quasi ein historischer.
Das hat sich geändert, so, wie sich auch unsere Kommunikation völlig verändert hat. Eine Literatur, die zeitgenössisch sein will, muß das widerspiegeln wollen; imgrunde hat sie die Verpflichtung, zumindest in Teilen auch im Netz zu erscheinen. Deshalb wiederum müssen Formen versucht werden, die sich auch der Probleme bewußt sind, sie möglicherweise expressis verbis mitdiskutieren. Einige Dschungelleser:innen wissen, daß ich das seit langem versuche.
Ich würde diese Diskussion aber nicht so gern hier, sondern lieber unter dem neuen Brief, >>>> dem sechsten, fortsetzen, weil in ihm einiges schon direkt beantwortet wird, was unter diesem fünften Brief zum Kommentarthema wurde.
„Nicht glücklich“, nämlich – als Postskriptum – Eine akustische Kreuzfahrt 9.
Meine Redakteurin, die sich nun die ihr zugesendete Erste Mischung angehört hat, schrieb mir bereits am Freitag abend, sie sei nicht glücklich. Das begründete sie nicht, vielmehr wolle sie am Montag noch einmal hören und sich erst dann ausführlich äußern.
So etwas versetzt mich selbstverständlich in eine ziemliche Nervosität, zumal dann auch die Löwin Einwände formulierte, die denen Chohans erschreckend ähneln. Sie haben mit den Sprecherhaltungen zu tun, nicht mit dem Stück selbst. Sollte die Kritik meiner Redakteurin in dieselbe Richtung gehen, werde ich handeln müssen.
Mehr erzähle ich jetzt schon deshalb noch nicht, weil die Hintergründe problematisch sind; sie gehören in der Tat nicht öffentlich genannt. Zuzugeben ist allerdings, daß ich einen Fehler gemacht habe, offenbar… auch dann, wenn ich ihn jederzeit wiederholen würde. Unterm Strich hat mein, sagen wir einmal, Verfahren (es ist vielmehr eine prinzipielle H a l t u n g) bislang zu ausgesprochen guten Ergebnissen geführt; es wäre diesmal, falls meine Ahnung recht hat, zum ersten Mal schiefgegangen. Das kann ich, bilanzierend, tragen, müßte halt nur in klar künstlerischem Sinn durchgreifen, auch gegen eigene, nun ja, „Interessen“.
Diese Hörstückproduktion hat jedenfalls nicht nur e i n e n Verhinderungsteufel gesehen. An die möglicherweise Folgen für zukünftige Stücke mag ich besser gar nicht denken.
>>>> Eine akustische Keuzfahrt 10
Eine akustische Kreuzfahrt 8 <<<<