Das Ungeheuer Muse (7). Orpheus & Eurydike. DIE ZWEITE PROBE: Mittwoch, der 27.1.2010. Direkt aus dem Konzerthaus Berlin.

>>>> Umbesetzung:
DIE PARTIE DER EURYDIKE WIRD NUNMEHR VON >>>> BRIGITTE PINTER GESUNGEN.






Arbeitsbemerkung zuvor:

Um bis zur >>>> Premiere am 5. Februar den Rhythmus Der Dschungel-Hauptseite einigermaßen zu erhalten, steht während der Křenek-Probenzeiten immer nur e i n, nämlich der jeweilige Probentag auf ihr; die je vorhergegangenen Probeaufzeichnungen sind über den untenstehenden Link zu erreichen und finden sich entweder im >>>> Arbeitsjournal oder in der >>>> Opernrubrik; dort kann man sie dann auch über die allgemeine Suche ansteuern.

6.37 Uhr:
[AUSSPIELEN VOM VORTAG:<% file name="Ausspielen-vom-Vortag" %>]

Ein Wort zuvor der Musiker. „Sieh Dir mal diese Noten an”, klagte der Bratschist Matthias Benker, der >>>> das Horenstein-Ensemble gegründet hat… und es geht nicht um die Dirigenten-Partitur, sondern um die ausgeschriebenen Notenhefte der einzelnen Stimmen, „das passiert immer wieder, wenn wir sie von der Universal Edition aus Wien…” „New York”, wirft Friedemann Ludwig ein, einer der beiden Solocellistin des Orchesters, „New York steht auf der Partitur”, „aber Wien”, sage ich, und Benker: „…. auch egal, aber aus diesen Noten kann man nur sehr schlecht lesen, die sind richtig alt,” „… wie für ein Schülerorchester”, klagt jemand Drittes, ich weiß nicht mehr, wer, und Benker: „jedenfalls kann man damit nur irre schwer arbeiten. Es wäre wirklich gut, wenn man so etwas a u c h einmal schreiben würde.” Getan. Bei unbekannten Stücken ist solch eine Materiallage ganz besonders heikel, denn es geht ja nicht nur darum, einem Publikum die Ohren für diese Musik zu öffnen (diese Art Musik, hätt ich jetzt fast geschrieben), sondern die Musiker selbst müssen gewonnen werden. Es ist immer Begeisterung, was künstlerisch trägt… Überzeugung, auch Glaube.
Jedenfalls habe ich den Musikern gestern nacht noch, weil während der >>>> Proben gestern so deutlich wurde, wie wenig sie von diesem Křenek-Orpheus wußten und (noch) wissen, das Libretto kopiert, das ich selbst bei der Vorbereitung zu meinem Gespräch mit Zagrosek >>>> vor bald einem Jahr aus dem Klavierauszug abgetippt hatte, weil es das Libretto sonst nirgendwo gibt; zwei Ausdrucke hab ich gemacht. Wer Interesse hat, wird sich davon sicherlich im Konzerthaus eigene Kopien fertigen können. Ich frag mich im übrigen auch, ob nicht sowas schon zur Arbeit eines Opernregisseurs sowieso gehören müßte: man inszeniert doch alles, nicht nur die Darsteller, die auf der Bühne zu sehen sind. Aber vielleicht ist das auch greenhornig gedacht und geht an den Realitäten vorbei – so, wie >>>> Karsten Wiegand offenbar angenommen hat, die Sänger sängen auswendig; ich hätte ganz dasselbe angenommen, eigentlich sogar vorausgesetzt. „Das ist gar nicht möglich in dieser kurzen Zeit, bei dem Etat”, erzählte Zagrosek noch gestern; also habe das eigentliche Konzept umgekrempelt werden müssen. Dennoch, die Musiker auf die Seite des Stückes zu bringen, ist unabdingbar, meine ich, denn das Orchester trägt die Seelenzustände der Figuren aus – das Unbewußte, um es s o zu sagen; die Protagonisten selber, als Opernfiguren, agieren. Musikalische Erkenntnis wird, wenn beides zusammenklingt: Erkenntnis kommt durchs Ohr des Hörers in sein Herz. Musikalische Erkenntnis meint dabei auch, was >>>> Daniela Danz schreibt: „Geblendet zu sein kann mehr Bedeutung haben als jedes Verstehen.” Blendung aber braucht Glut.

______________________________________________

9.44 Uhr:

[Konzerthaus, Großer Saal.]Die Probe beginnt pünktlich um halb zehn, ich schaff’s grad so, mein Zeug aufzubauen: zuerst den DR2, der sich nunmehr als vortrefflich und flexibel erweist, dann den Laptop. Es gibt keine Tische… nun also.
Wir sind bei Takt 131. Der Klang insgesamt schon, Friedemann gibt vor, sahnig, bisweilen hat Křenek hier eine weanerische Süße, unter der es aber permanent brodelt, auch wo’s wie auf einem Gemälde der Galanten Ära geziertschrittig (Eurydike) wird. 149 jetzt. 161, mit den Bratschen.

„Hier find ich’s jetzt ein bißchen… vielleicht ein ganz klein wenig schneller… zweimal…“: Zag.

„196 bitte, die Posaunen müssen etwas deutlicher kommen.“ Dann noch einmal den Übergang zu 196. es sind jetzt deutlich feste Schritte.
„Also es ist so: Ich geh auf ganze Takte auf 299, das heißt, die Takte bleiben dann absolut gleich.“ Er blättert zurück, Stimmen, kurzer Austausch im Orchester. „Bitte noch mal von Takt 215 weg…“ Eine Geige probt ein wenig, zweidrei Musiker folgen nach. „So, bitteschön, 215.“ Geradezu organisch entwickelt sich aus dem kleinen Probeflirren das Thema, nach Abbruch übt es sich weiter, „bitte nochmal, 215“: (die Stelle füge ich später als kurze mp3 ein). „Da kommen Sie eine Spur zu spät, das war schon vorher ein kleines Problem…“ jetzt deutliches, überbetontes Dirigat, um in den mood kommen zu lassen, während in mir Eurydike-Fetzen, eigene Unterwelterleien, den Kopf besetzen. „Den Schluß der Bratschen müssen wir besser hinkriegen… 221, noch mal…“ Die Celli laufen drunter, „235 jetzt, tutti“….





Schnell erklommen sie nun durch Todesstille den Fußsteig
Jäh empor, und düster, umdrängt von dumpfigem Nachtgraun;
Und nicht waren sie ferne dem Rand der oberen Erde.
Jetzo besorgt, sie bleibe zurück, und begierig des Anschauns,
Wandt‘ er die Auge voll Lieb‘; und sogleich war jene versunken.
Streckend die Arm‘, und ringend, gefaßt zu sein und zu fassen,
Haschte der Unglückselige nichts, als weichende Lüfte.
Wieder starb sie den Tod; doch nicht ein Laut um den Gatten
Klagete. Konnte sie wohl, so geliebt zu sein, sich beklagen?
Fernher rief sie zuletzt, und kaum den Ohren vernehmlich:
Lebe wohl! Und gerafft zu der vorigen Wohnung entflog sie.
Ovid.

9.44 Uhr:

„Der Hintergrund ist der, hier wird der Orpheus von den Bauern aufgehängt… deshalb… bitte?“ „–“ „Ja, da spielen zwei, ja…. ja, das klingt furchtbar. Das will Křenek hier auch, bei der Szene. Das ist der Hintergrund.“ Dann die Geigen, in höchsten Flageoletts… es bekommt etwas wirbelnd Schiefes, als drehte man sich zu oft im Kreis. Applaus der Musiker mit den Füßen, dann g a n z elegisch bis in die Geigen Zag: „Und… halten. Ja! Ja! Dann… dingdangdingdang“… Dingdangdingdang vom Xylophon. „Das muß ein schöner lyrischer Steigeklang sein hier vorne.“ Ich mach in der Pause bestimmt zweidrei mp3s für Sie fertig; lesen Sie also später noch mal nach.

„Kann ich bitte mal die Hörner haben? 396… wer hat da das cis….? Gegenreaktion, zu mir herunter nicht zu verstehen. Zag verstand aber: „So klingt’s auch… ja, auch das Xylophon ist mir etwas zu spät. Bitte jetzt tutti 394…“

„Geht jetzt immer so weiter, das ist leicht… Denken Sie daran: der Orpheus singt da die ganze Zeit… wir gehn aufs Appassionato mosso, 468… — d a , ja…. bißchen langsamer… tschuldigung, da müßte einfach Pause dazwischen sein…“

P A U S E.

11.10 Uhr:
Vor der Tür mit einigen Musikern gesprochen. „Im Moment, von wegen Seele, machen wir reine Büroarbeit.“ „Büroarbeit?“ „Na guck Dir die Noten an…“ Gemeint sind die Noten für die einzelnen Stimmen. „Mein Blatt stammt von 1936, steht da drauf.“ Oft stimmen diese Auszüge nicht, „wir müssen die völlig durchkorrigieren.“ „Sie übertragen dann aus der Partitur in die Einzelstimme nach?“ „Ja. Das ist ein Wahnsinnsaufwand. Bevor wir da überhaupt dazu kommen, daß wir Seele spielen können, wie du sagst, ja, da ist die meiste Zeit nur mit diesem unnötigenn Zeug draufgegangen.“ Und dann bei einer Musik, die eben auch Berufsmusikern durchaus nicht grundsätzlich vertraut ist, gegen die es auch inneren Widerstand gibt, selbst bei Neugier. „Die Universal Edition ist bekannt für sowas… als gäbe es insgesamt immer nur ein Exemplar, na, vielleicht zweie… aber ich muß rein, es ist furchtbar kalt.“ Stimmt, zehn Grad minus, schätze ich und rauche auf und folge.

H Ö R E N: >>>> <% file name="Take-4-270110-" %>

Es gehört aber a u c h zu solch einem Riesenapparat wie Orchester und Verwaltung des Konzerthauses, daß sich manches gar nicht herumspricht, auch nicht angesprochen wird; und so gab es dann auch wieder – wie seinerzeit bei >>>> der Spanientour – große Fragezeichen meinetwegen, vielleicht auch Unbehagen. Also, nach Absprache mit Zag, eine kleine Ansprache meinerseits ans Orchester direkt nach der Pause. Was mir a u c h wichtig ist: daß das Orchester fast wichtiger als die Sänger ist in einer modernen Oper („modern“ meint alles mit und nach Wagner; in einigen Fällen auch Kompositionen von zuvor), daß s i e, die Orchestermusiker, die entscheidende Vermittlungsinstanz zum Hörer sind und nicht die Vokalsolisten, einfach, weil bei denen – es ist ein wechselseitiges Verhältnis – das „Star“sein im Vordergrund steht – selbst da, wo sie es nicht wollen; das Publikum trägt es ihnen an. In einem Orchester aber ist der einzige Star – der Klang dieses Orchesters. Von ihm lebt es, von ihm leben ganze Opern.


Epilog. Largo. „706, viel Ausdruck“:

_______________________________
ERSTE SZENE (4)
Eurydike Ich blase dir den Feldstaub weg und sehe mein Gesichtchen,
das so spät heut heimgefunden hat.
Orpheus Laß mich zu deinen Füßen dulden, daß du,
wie die Engel, besänftigst mich – oder Gespenster winkst.
Oh deine Anmut! Meine Tollheit! Nein, laß mich reden,
ich liebe dich, liebe dich mehr als Glück!
Eurydike „Mein Glück ist ihr Herz dort,
nun faß ich’s.“ Meinst du?
Orpheus Eins, wieder eins, wem ich die Pulse zähl‘,
stiehlt sich mein eigenes Schlagen in deines ein. Eins! Zwei!
Ausseufzt, Süße, Orpheus sein Leben!
Eurydike Du bist ausschweifend, Geliebter.
Orpheus Liebe ist so aberwitzig: Stirb! Stirb! Lockt es.
Lachend im Versteckenspiel Liebe diesen Ort ersänn?
Da wird meine Leyer schlagen; hinterm Flieder wird Orpheus
Eurydike sehn.
Eurydike Möge dir’s lange dauern, Gieriger,
bis sich das Glück dir in einer Wolke entzieht. Wenn du
mich lächeln siehst, ist’s über die Göttin, in die ein Kentaur
sich verliebte und ihrer Wolke noch eine Umarmung abdringt.
Liebe! Ohne Gegenstand! Nur Verlangen! Küß mich ohne Ende.
Schließ mir den Mund!
Orpheus Ein Wölkchen wie Rauhreif der Atem hier entflieht.
Euydike Weiß nicht, ob ich’s selber bin, die hier entflieht –
Orpheus Glück! Jedes Wort, das Eurydike gesprochen, mir ein Gedächtnis –
Eurydike Unglück, vergoldet ist’s, falsch ist auch Glück,
falsch diese Lust? Denn der Kentaur kam um im Feuer!
Orpheus Unke vor Unglück warnt. Falsch ist nicht Glück!
Eurydike Bin ich nicht meinem Herrn zur Redlichkeit verpflichtet?
Wie der Kentaur; Glück fühl ich in deiner Hitze, einst,
eine Hand voll Asche zusammenzusinken?
_______________________________________________________
Oskar Kokoschka. © Gladys Křenek