Szene 1 Timon: Endlich Fakten und Überlegungen. Nach langer Bedenkzeit ein transdisziplinärer Rahmen für mythologische Arbeit an der Gesellschaft. Dabei dachte ich mir Ubu als ´pataphysisches Instrument einer menschlichen Aura, bestehend aus einer schweren silikonhülle mit metalleinlagen und Lederriemen. Der zweck des Instrumentes ist es durch das Gewicht und die eingeschränkte Bewegungsfreiheit zu verstärken. Lampe, Tisch, etc. wären dann sozusagen die ersten Versuchsanordnungen Thea:
Schlecht gekleidete Menschen mit beschränkter Aufmerksamkeit. Mit mindestens einem Ohr telefonierend, mit leerem Blick durch eine Scheibe starrend, von Außen mit großformatigem, halbdurchsichtigen Werbematerial beklebt.
Timon:
Der private Raum drückt sich von allen Seiten in das Öffentliche. Slogans und Botschaften auf den Plakatwänden und Durchsagen im Kaufhaus; überall Musik
Thea:
Da nun ja jeder Mensch Zugang zu den selben Informationen hat kann Kultiviertheit, als Widerstand der jungen Eliten gegen den egalitären Proll gelesen werden, der dies natürlich mitbekommt und sich in Folge dessen von der Teilhabe ausgeschlossen sieht.
Timon:
In Zeiten in denen Kommunen, Vereine, Staat einen hohen Stellenwert im Sozialgefüge einnahmen war diese Zuschreibung sinnvoll, da niemand persönlich angegriffen, sondern eine Struktur als provinziell und deshalb dem Fortkommen hinderlich entlarvt wurde. Der heute bestehende Individualismus aber macht eine solche sinnvolle Verwendung unmöglich da sich ein als provinziell deklariertes Individuum nur reaktionär verhalten kann.
Thea:
Mit anderen Worten: eine Gruppe oder ein Individuum als provinziell zu bezeichnen bedeutet sie/es erst recht zu provinzialisieren, einen Kulturkampf zwischen vermeintlicher Fortschrittlichkeit und der zugeschriebenen Rückwertigkeit herzustellen. Es entstehen Fronten. Um dem entegegenzuwirken müssen wir unserem Widerstand gegen die absichtliche Selbstprovinzialisierung künstlerisch Ausdruck verleihen. „Es ist also vielleicht an der Zeit die Wahrnehmung des je eigenen Ortes als besonders provinziell, „das sagenhaft zurückgebliebene Bewusstsein im Verhältnis zu dem, was gedacht vorliegt“, die ja von Erzählung zu Erzählung fortgeschrieben wird bis man sie für ein historisches Faktum hält, selber provinziell zu nennen.“ Diedrich Diedrichsen
Timon:
Wenn Ubu vor hundertzwanzig Jahren ein derber, verrückter Freak war, also ein Nonkonformist der sich als größtmögliche differenz zu den damaligen Sitten positionierte so müsste er heute ein höflicher, langweiliger Intellektueller sein um dem heutigen Sittenbild nicht zu entsprechen.
Thea:
Das ist vielleicht zu einfach gedacht, aber dennoch, es bedarf eines neuen Nonkonformismus um zu begreifen wovon man sich befreien will.
Timon:
Und es geht darum anderen davon zu erzählen um sich dem kollektiven Minderwertigkeitskomplex entgegenzustellen. Aus unserer Perspektive könnte Beispielsweise behauptet werden dass beinahe die gesamte theaterproduzierende Hochkultur provinziell ist, da sie von rückständigen Formen nicht loskommt.
Thea:
Diese Zuschreibung ist aber nur aus unserer individuellen Sicht aus haltbar da es keinen gesellschaftlichen Konsens darüber gibt welches Theater fortschrittlich ist.
Timon:
Wenn wir alle Spezialisten sind müssen wir erkennen dass wir in 99.9% der Fälle keine Meinung haben dürfen, da wir ausschließlich Spezialwissen angehäuft haben;
Thea:
Die Kommunikation leidet darunter. Wer sich im Denken nicht von dieser Gegenwart distanziert ist nicht in der Lage Rückständigkeit zu erkennen. Darin liegt auch der Grund für unsere Entscheidung uns mit der griechischen Mythologie als größtmöglicher Distanzierung zur gegenwärtigen Kultur zu beschäftigen. Aus der offensichtlichen Sehnsucht der Menschen zu einem Miteinander, egal ob urbane Gartengruppen, gemeinschaftlicher Wohnbau oder die Faszination für Künstlerkollektive, kann man schließen, dass unserer Gesellschaft eine Phase der Vergemeinschaftung unmittelbar bevorsteht. Die Menschen setzen sich zunehmend wieder komplizierten sozialen Prozessen aus um der simplen Vereinzelung zu entgehen; der urbane Single in seiner Garconniere ist sich seiner Provinzialität bewusst geworden.
Viktor:
ihr sagt, dass in gewisser weise alles und jeder provinziell ist, da es keinen Konsens darüber gibt was als fort/rückschrittlich gelten soll; das sehe ich auch so, denn Provincia bedeutet Herrschaftsbereich, amtlicher Wirkungs/Geschäftsbereich, Obwerbefehl/Kommando; bezeichnet also vorerst einen bestimmten Standpunkte, ohne diesen zu werten; insoferne sind wir alle provinziell, denn wir alle haben einen bestimmten Standpunkt, müssen selektiv vorgehen, müssen ausklammern. wahrnehmen funktioniert ja nur so, selektiv: selbst wenn wir generalistisch denken, also nicht den Standpunkt einer Provinz in einem Staate beziehen sondern den Standpunkt des gesamten Staates, dann sind wir immer noch provinziell auf einer Metaebene, denn wir klammern hierbei eine globale Perspektive ebenso aus wie die Standpunkte der untergeordneten Provinzen; ähnlich sieht es aus wenn wir einen globalen Standpunkt wählen;
Und dabei gehen wir immer imperialistisch vor, stellen einen Standpunkt verallgemeinernd für einen größeren Bereich, klammern andere Standpunkte aus, vereinnahmen andere;
Timon:
Das Vertreten eines Standpunktes oder Autorität durch Autorschaft macht uns provinziell, das bedeutet etwas Gutes und trotzdem ist der Begriff negativ konnotiert. Wieder ein Lehrbeispiel für die Brocksche Umkehrung: „Die normative Kraft des Kontrafaktischen“
Thea:
Die in der Provinz vorherrschende Abgrenzung durch einen, den eigenen Garten umzeichnenden Zaun, scheint auch die Reichweite der Fürsorge innerhalb dieses Grundes in Bann zu halten.
Timon:
Die griechische Mythologie zeigt uns aber auch, wie Entscheidungen stets im Hinblick auf das Allgemeinwohl getroffen wurden; wie patriarchisch (provinziell) viele Regeln der Polis aus heutiger Sicht auch waren, so fanden sie doch großteils Respekt und Anerkennung. Recht und Unrecht waren noch konsequent denkbar und objektiv haltbar. Heute hat uns der Individualismus so weit geführt, dass wir selbst dieses Allgemeinwohl vergessen.
Viktor:
Wenn aber jeder physisch realisierte Standpunkt provinziell ist, kann es dann überhaupt etwas geben wo Provinzialität nicht greift? Beweihräuchern wir hier nicht einen Unort, einen Ort im Jenseits von Raum und Zeit?
Timon:
Alte Hauducke! versuch die Zahnräder in Bewegung zu bringen! Diejenigen die das Mögliche zu erreichen versuchen erreichen gar nichts. Es gilt das Unmögliche zu fordern, dann kann man zumindestens das Mögliche erreichen. (Bakunin)
Thea:
Eine Neue Welt, eine neue Lebensform, ein neuer Mensch.
Anna:
Neue Lebensformen bringen mich stets ein wenig in Bedrängnis. Die bessere Welt, der bessere Mensch verspricht stets den wahren Menschen, den der sich hinter allem verbirgt, den der erst geboren oder wiedergeboren werden muss. Regress oder Transgression?
Der Mensch ist aber all das was er ist, ist widersprüchlich und vielgesichtig muss weder geschaffen noch freigelegt werden. Auch wenn er stets in Verwandlung bleibt wird er dabei dennoch weder besser oder schlechter.
Thea:
Eine andere Welt, eine andere Lebensform, ein anderer Mensch? das Neue bedeutet nicht Revolution sondern eine fortlaufende Veränderung. Neu meint hier den Blick nach vorne zu richten. Kritik verharrt meist im Zeichnen einer Frazze mit der Intention wachzurütteln, Strukturen zu zerstören, bleibt aber im Bannkreis der Negation. Neu meint sich endlich den Staub abzupusten, mit Selbstvertrauen im hier und jetzt eine Zukunft vor sich zu entwerfen.
Viktor:
Die erweiterte Betrachtung des Themas durch das Auge der Wissenschaft. Exakter: DER Wissenschaft, und damit meine ich jene die jenseits der uns heute wohlbekannten, ich meine jene die in ihren Forschungsbereich auch alle jene Welten einbezieht, die jenseits dieser einen Welt liegen die wir als Universum bezeichnen. Die Wissenschaft die sich nicht der Weltverbesserun, dem Fortschritt verschreiben hat, sondern jene die die Welt in all ihrer Widersprüchlichkeit zu entdecken versucht, jene die nicht das Universum sondern das Multiversum zum Gegenstand hat. Jene in der der Mensch sowohl in seiner wissenschaftlichen Tätigkeit als auch in seiner gesamten Existenz als kreatives und damit zugleich auch zerstörerisches Wesen zutage tritt.
Thea:
„Die Willkür unseres Umganges mit den Abstrakta zerstört jede Kommunikation.
Sie wird erst gelingen, wenn wir die mögliche Bedeutung solcher Abstrakta mit dem Ausdruck menschlichen Verhaltens in direkte Beziehung bringen können.“ (Bazon Brock)
Timon:
Das Problem dieser neuen Wissenschaft ist bislang aber noch die Fokussierung auf ihre eigene Vergangenheit. Ein Kokkon, eine Puppe. Vielleicht ist es das, was du mit „das Spiel mit den leeren Worten zu beenden“ meinst. Es gilt sich von Schablonen und singulären Formeln zu befreien! Es geht vielleicht darum eine neue Sprache, eine neue Dichtung zu finden, eine neue Wissenschaft, eine neue Mythologie, etwas das einem neuen „Zeitalter“ entspricht, etwas was nicht zwischen, sondern jenseits von Kunst und Wissenschaft liegt; etwas das von neuen Medien, von Internet, von virtuellen Welten…. geprägt ist, etwas das neue Abenteuer verspricht und nicht alte Abenteuer und deren Helden auf Sockeln herumträgt. Etwas bei dem neue ethische Qualitäten gesucht und verhandelt werden, denn die Zukunft fordert sicherlich eine gänzlich neue Moral und Tugend, eine, die mit der alten nur bedingt etwas gemein hat, denn der Relativismus fordert viele koexistierende Standpunkte; Schon das Internet und die Globalisierung lassen Debatten über Rechte (Urheberrecht….) und Moral (wer darf was zeigen; Zensur…) erahnen und die frage stellen ob so etwas wie Anarchie, die ja einer relativistischen Welthaltung entsprechen würde, überhaupt für eine Gemeinschaft lebbar sein könnte, und wenn ja in welcher form?
Viktor:
Die Wissenschaft muss seit jeher mehr leisten als ihr zugesprochen wird, da sie ja stets die Stelle der Religion einnimmt. Auch sie ist ein Glaubenssystem in das Hoffnung gelegt wird, ein System das eine bessere Welt verspricht, eine in der der Mensch schließlich in ein Paradies gelangen wird, frei sein wird, jenseits von Gut und Böse. Ein System das Heilung verspricht.
Thea:
Aber verspricht dies nicht die Wissenschaft, von der du sprichst auch?
Viktor:
Nur in dem Sinne, dass der Mensch hier gut und böse überwindet indem er beides sein darf. Indem der Mensch in all seiner Widersprüchlichkeit erscheinen kann. Hier geht es nicht um eine Besserung des Menschen, sondern um eine Versöhnung. Hier entsteht kein neues Paradies. Die Verheißung ist hier schlicht eine andere Sichtweise, eine die alle anderen miteinschließt und auf ihre weise auch bestehen lassen kann. Die Pataphysik ist eine Institution die eine paradoxe Positionen bezieht. Sie behauptet universell zu sein und zum anderen höchst provinziell; sie ist eine bestimmte Lebensform/Weltsicht (ein spezif. Standpunkt) und zugleich einer der alle Standpunkte vereint (vergl. Pip-manifest); Die Pataphysik ist Paradox wie die Welt an sich; dennoch man bleibt auch hier stets provinziell, indem man – auch wenn man als Weltsicht alle Weltsichten zulässt und einzubeziehen, ja zu erklären versucht – immer noch die Welt von einem spezifischen Standpunkt aus betrachtet (incl. spezifischer Moral, Geschichtsschreibung, Mythen, Sprache, Ästhetik……)
Anna:
Wird die herkömmliche Wissenschaft so wie Religionen weiter bestehen? Kann ich mich nicht gegen die Pataphysik und ihre Kategorien entscheiden?
Thea:
Freiheit heißt ja nicht gänzlich frei zu sein. Das Leben kann als Experiment begriffen werden.
Wir müssen uns immer für einen bestimmten Standpunkt entscheiden. Freiheit im strengen Sinne gibt es nicht, nicht einmal das Sterben ist, obwohl es doch immer als solche verkauft wird, eine Befreiung.
Timon:
Aber was unterscheidet dann den pataphysischen Standpunkt von den anderen?
Anna:
Die Pataphysik lässt alle Standpunkte gelten, indem jeder eine imaginäre Lösung repräsentiert. Nicht ich habe recht sondern selbst wenn du das Gegenteil meines Standpunktes beziehen würdest auch du. Ja sie hat sogar ein theoretisches Konzept mit dem diese Widersprüchlichkeit erklärt werden kann.
Timon:
Aber ganz abgesehen von Erklärungen, hängt an so einem Erkenntnistheoretishcen Konzept nicht eine überaus zweifelhafte Ethik? Müsste man aus pataphysischer Sicht nicht nur Hitler, Mengele oder Stalin dulden, sondern ganz generell jede Aussicht auf eine Besserung des Menschen fahren lassen?
Anna:
Ist das nicht auch die Frazze von Ubu, das pataphysische Monster, das das ganze Spektrum des Menschlichen zulässt?
Viktor:
Aber muss man alles gutheißen und zulassen was man erklären kann?
Anna:
Dann geht es also doch um die Besserung des Menschen, um eine neue bessere Welt.
Anna:
Um Liebe, Stärke, Schönheit, Vernunft, Gemeinschaft und Übermensch?
Viktor:
Kollision und Schwerkraft
Timon:
Es geht um die Übersteigerung von Roi Ubu ins Positive hin.
Zielte letzterer darauf ab dem Menschen des 19. Jahrhunderts in der Selbstbeschau einer übersteigerten bürgerlichen Gesellschaft samt sinnentleerter und machtbegründender Wissenschaft eine Fratze vorzuhalten, so sollten wir endlich versuchen den Ubu´schen Zerrspiegel durch ein Fenster in die Zukunft zu ersetzen. Anstatt eines maximal auf Abwenden abzielenden Zerrbildes könnte sich dabei die Vision einer neuen Welt samt neuem Menschen abzeichnen.
Thea:
Im Zentrum: eine Gesellschaft deren Fundamente in einer pataphysischen Weltsicht, Moral und Ästhetik liegt. Wer weiß, vielleicht entpuppt sich dieses Fenster schließlich als Tor durch das wir unser Schneckenhaus in dem wir uns so häuslich eingerichtet haben verlassen werden.
Anna:
Nun sind wir also doch bei der Verheißung einer Befreiung.
Thea:
Aber was haben wir zu verlieren? Das Unmögliche zu fordern verheißt zumindestens das Mögliche zu erreichen. (Bakunin)
Viktor:
Nun denn, die Koffer sind gepackt. Werd meinen Hut mitnehmen, denk ich!
Timon:
Auf zu einem Neuen Selbst und Weltverständnis, eine Neuorientierung der Zukunft entgegen, einer Zukunft die neue Abenteuer und eine neue Welt verspricht, eine Welt die Lust auf mehr macht, eine die einen neuen Menschen verspricht, eine in der sich der Mensch selbst wieder neu zu definieren und entdecken hat. Also auf zu neuen Ufern!
Szene 2
hab einmal die die bisherigen mails verwurschtet.
Die Autorenauthentizität verschwimmt schon.