E. Hennlein: Die Schach-Weltmeisterschaften der Frauen

Chronik des weltmeisterlichen Frauen-Schachs

von Thomas Binder

Gleich mehrfach betritt das Buch „Die Schach-Weltmeisterschaften der Frauen“ von Elmar Hennlein Neuland. Der Autor hat als Literaturwissenschaftler und Theologe bisher auf anderen Gebieten gearbeitet, verfasst nun aber als passionierter Schachspieler erstmals eine Monographie zu dieser Thematik. Zugleich ist es das erste Schachbuch aus dem Wuppertaler Damen-Verlag. Somit liegt uns nun – und das ist die dritte und bedeutendste Neuerung – erstmals eine auf Vollständigkeit abzielende Darstellung zur Geschichte der Schachweltmeisterschaften der Damen vor.

Verstreutes zur Gesamtdarstellung vereint

Elmar Hennlein - Die Schach-Weltmeisterschaften der Frauen (Damen-Verlag)Wer selbst im zeitgemässen Medium Internet den Versuch macht, sich einen umfassenden Überblick über die nur gut 80jährige Geschichte dieser Wettkämpfe zu verschaffen, der kann verstehen, dass Hennlein von langjähriger Recherche spricht. Es ist dem Autor gelungen, die weit verstreuten Informationen zu einer chronologischen Gesamtdarstellung zu vereinen. In gedruckter Form sucht das Buch seinesgleichen und kann sich wohl als Standardwerk zur Thematik etablieren. Der Internet-Nutzer sei ergänzend auf die Webseite von Mark Weeks zur Geschichte der Schach-WM hingewiesen sowie auf die deutschsprachige Wikipedia, wo vor allem Gerhard Hund verdienst- und liebevolle Arbeit geleistet hat.

Schach-Weltmeisterin Vera Menchik beim Simultan-Spiel (auch gegen Frauen...)
Schach-Weltmeisterin Vera Menchik beim Simultan-Spiel (auch gegen Frauen…)

Elmar Hennlein widmet sich in einzelnen Kapiteln jeder der bisher 32 Weltmeisterschaften der Damen und den Titelträgerinnen von Vera Menchik bis Alexandra Kostenjuk. Zusätzlich geht er auf das Damenturnier 1897 in London ein, den legitimen Vorgänger der Weltmeisterschaften. Zu jedem Titelkampf bekommen wir die komplette Ergebnisübersicht mit Kreuztabellen oder Partielisten geboten, einschliesslich der Kandidaten-Wettkämpfe (ab 1952) und Interzonenturniere (ab 1971). Bei Turnieren im Schweizer System ergänzt der Autor mit einer Kreuztabelle der oberen Turnierhälfte – ein ungewohnter und aufschlussreicher Blick auf den Turnierverlauf.

Spätere Weltmeisterinnen „austauschbar“?

Die amtierende Schach-Weltmeisterin Alexandra Kosteniuk
Die amtierende Schach-Weltmeisterin Alexandra Kosteniuk

Zu den herausragenden Spielerinnen gibt es kurze biographische Details, die sich meist aber auf die Lebensdaten und die wichtigsten Turniererfolge beschränken. Etwas umfangreichere Darstellungen finden sich nur über Vera Menchik und ihre zeitweilige Rivalin Sonja Graf. Ist der Eindruck so falsch, dass die Weltmeisterinnen späterer Jahrzehnte – kommen sie aus Russland, Georgien oder China – im Vergleich zu diesen charismatischen Persönlichkeiten irgendwie austauschbar wirken?

Frauen-Schachweltmeisterin 2004 Antoaneta Stefanowa in einer Zeichnung von Axel Hennlein
Frauen-Schachweltmeisterin 2004 Antoaneta Stefanowa in einer Zeichnung von Axel Hennlein

Neben den nüchternen Ergebnissen steht jeweils eine knappe Schilderung des Wettkampfverlaufs, die allerdings kaum über das hinaus geht, was man aus den Zahlen ablesen kann. Ausserdem werden zu fast jeder WM eine bis zwei entscheidende Partien in Notation und mit Diagramm dargestellt. Die Kommentare innerhalb der Partien sind knapp gehalten, können und wollen eine schachliche Analyse nicht ersetzen. Insgesamt zwölf Spielerinnen werden mit ganzseitigen, sehr gelungenen Porträt-Zeichnungen aus der Feder von Axel Hennlein „ins Bild gesetzt“.

Statistiken und biographische Daten

Im Anhang finden wir einige Statistiken sowie zusammengefasste biographische Daten zu knapp 100 Spielerinnen. Gewissenhaft sind an allen Stellen die verwendeten Quellen dokumentiert.

Die bisherigen Frauen-Weltmeisterinnen
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Name                   Zeitraum      Land

Vera Menchik           1927–1944     Tschechoslowakei&GB
keine Weltmeisterin    1944–1950     –
Ljudmila Rudenko       1950–1953     Sowjetunion
Jelisaweta Bykowa      1953–1956     Sowjetunion
Olga Rubzowa           1956–1958     Sowjetunion
Jelisaweta Bykowa      1958–1962     Sowjetunion
Nona Gaprindaschwili   1962–1978     Sowjetunion
Maja Tschiburdanidse   1978–1991     Sowjetunion
Xie Jun                1991–1996     China
Zsuzsa Polgár          1996–1999     Ungarn
Xie Jun                1999–2001     China
Zhu Chen               2001–2004     China
Antoaneta Stefanowa    2004–2006     Bulgarien
Xu Yuhua               2006-2008     China
Alexandra Kostenjuk    seit 2008     Russland

Wenn man das Buch als Lektüre begreift, wird man irgendwann an einer gewissen Einförmigkeit Anstoss nehmen, die das Thema in der hier gewählten Darstellungsform nun einmal mit sich bringt. Es ist daher nicht als Lesestoff zu verstehen, sondern als Nachschlagewerk – ein Anspruch, den es hervorragend erfüllt.

Verzicht auf Illustrationen

Der Autor legt ein Standardwerk zu einem bislang vernachlässigten Thema vor. Jede einzelne WM wird sachlich und mit Schwerpunkt auf die sportlichen und biographischen Fakten dargestellt. Wenige Wünsche – insbesondere nach Fotos – bleiben offen. Die hochwertige äussere Gestaltung hebt das Werk vom üblichen Schachbuchmarkt ab, bedingt allerdings auch einen ungünstig hohen Verkaufspreis.
Der Autor legt ein Standardwerk zu einem bislang vernachlässigten Thema vor. Jede einzelne WM wird sachlich und mit Schwerpunkt auf die sportlichen und biographischen Fakten dargestellt. Wenige Wünsche – insbesondere nach Fotos – bleiben offen. Die hochwertige äussere Gestaltung hebt das Werk vom üblichen Schachbuchmarkt ab, bedingt allerdings auch einen ungünstig hohen Verkaufspreis.

Was bleibt für den Leser an Wünschen? Da ist zunächst der vollständige Verzicht auf Fotos zu bedauern. Für den historisch kurzen Zeitraum müsste sich eigentlich genug Bildmaterial finden lassen. Jedenfalls hätten Fotos die Chance geboten, noch mehr Zeitkolorit zu vermitteln. Gleiches liesse sich vielleicht auch durch verstärkten Einsatz zeitgenössischer Zitate (aus Zeitungen – gern auch im Faksimile) erreichen. Schliesslich – und das lässt sich wohl am einfachsten beheben – fehlen in allen Tabellen die Angaben zum Herkunftsland der Spielerinnen.

Das vorliegende Buch hat mit 35 Euro einen stolzen Preis. Mir scheint, dieser ist vor allem der für Schachliteratur ungewöhnlich edlen Ausstattung geschuldet. Das Lektorat hat ganze Arbeit geleistet, der Rezensent keinen einzigen Druckfehler gefunden. Leinen-Einband und sehr hochwertiges Papier ist der geneigte Schachbuch-Leser heute nicht mehr gewohnt… – und er ist wohl leider auch nicht mehr bereit, dafür zu zahlen. Hier könnte der Damen-Verlag möglicherweise am hohen eigenen Anspruch scheitern. Vielleicht kann man das Buch mit einer Auflage in Taschenbuch-Qualität für einen deutlich grösseren Leserkreis attraktiv machen; verdient hätte es dies. ♦

Elmar Hennlein, Die Schach-Weltmeisterschaften der Frauen, Damen-Verlag Wuppertal, 232 Seiten, ISBN 978-3-942008-00-6

Lesen Sie im Glarean Magazin zum Thema Schach-WM auch über André Schulz: Das grosse Buch der Schach-Weltmeisterschaften

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