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Originell und unverwechselbar
von Günter Nawe
„Denn dieses scheint die Hauptaufgabe der Biographie zu sein, den Menschen in seinen Zeitverhältnissen darzustellen, und zu zeigen, inwiefern ihm das Ganze widerstrebt, inwiefern es ihn begünstigt, wie er sich eine Welt- und Menschenansicht daraus gebildet…“, so Goethe. Nichts anderes hat Annelen KraneFuss mit der jetzt vorliegende Biographie über Matthias Claudius getan. Eine Biographie, die das Zeug hat, zum Standardwerk zu werden. Es ist übrigens die erste umfassende Biographie seit über siebzig Jahren, die sich dieses Mannes annimmt, der als Journalist, als Dichter, als homme de lettres und als Redakteur des „Wandsbecker Bothen“ Literaturgeschichte geschrieben hat.
Mehr als nur „Der Mond ist aufgegangen…“
Matthias Claudius hat nur ein schmales Werk hinterlassen, aus dem das berühmte „Abendlied“ („Der Mond ist aufgegangen…“) im Bewusstsein der Nachwelt besonders herausragt. Dass dieser Claudius mehr war – Annelen KraneFuss zeigt es uns mit einer sehr geglückten Gesamtschau von Person, Werk und Zeit. Die Autorin, langjährige Kulturredakteurin beim Westdeutschen Rundfunk in Köln, hat Germanistik, Anglistik und Theologie studiert. Aus ihrer Dissertation über Matthias Claudius ist die grossartige Biographie über den „bekannten Unbekannten“ entstanden. Sachlich, aber auch leidenschaftlich und mit viel Sympathie für Claudius ist Annelen KraneFuss akribisch seinen Lebensspuren gefolgt. Sie macht überzeugend deutlich, wie Claudius „seine Rolle im Laufe seines Lebens ausfüllt, wie er mit ihr spielt, sie in Literatur und Publizistik verwandelt, auch das macht seine Gestalt in der Geschichte der Literatur und Kulturgeschichte aus“.
Dabei räumt Annelen KraneFuss mit einigen Legenden auf. So, dass Claudius sein Studium in Jena abgebrochen habe. „Claudius verlässt die Universität….mit dem ‚guten Titel étudiant en droit’“, weiss die Autorin. Sie weiss aber auch, dass es immer noch weisse Flecken in der Biographie des Dichters gibt. Zum Beispiel die drei Jahre im Reinfelder Elternhaus (1765-1768).
Claudius als Kind der Aufklärung

In Reinfeld wird Matthias Claudius am 15. August 1740 geboren. Danach Lateinschule und Studium in Jena. 1763 erscheint sein Erstlingswerk „Tändeleyen und Erzählungen“. 1768 beginnt seine journalistische Tätigkeit als Redakteur der „Hamburgischen-Address-Comtoir-Nachrichten“. !772 heiratet Claudius Rebecca Behn. Zwölf Kinder sollte sie ihm gebären – und seine grosse Liebe sein, der der Familienmensch und Kinderfreund einige seiner schönsten Gedichte gewidmet hat.
Claudius kommt mit den Aufklärern Herder und Lessing und anderen Berühmtheiten der Zeit zusammen. 1771 dann Umzug nach Wandsbek, das zu seinem Lebensmittelpunkt werden sollte. Von 1771 bis 1775 arbeitet Claudius als Redakteur beim „Wandsbecker Bothen“. 1775 erscheint „ASMUS omnia sua SECUM portans oder Sämmtliche Werke Werke des Wandsbecker Bothen“. Es sollte das Werk werden, das Claudius beliebt und berühmt macht. Das politische Geschehen wird ebenso kommentiert, wie „gelehrte Sachen“ notiert und religiöse Themen behandelt wurden. Gedichte werden veröffentlicht und ein fiktiver Briefwechsel mit Freund Andres. Durch Claudius wurde der „Wandsbecker Bothe“ zu einem Vorläufer des späteren Feuilletons.
1776/177 eine kurze Episode in Darmstadt und wieder Rückkehr nach Wandsbek. Es folgen Übersetzungsarbeiten und die Fortsetzung des ASMUS. 1784 reist Claudius nach Schlesien und Weimar. 1813 muss nach Schleswig-Holstein und Lübeck fliehen. 1814 ist er wieder in Wandsbek, wo er am 21. Januar 1815 stirbt.
Gegen Klischees angeschrieben – unverwechselbar

Claudius hat gegen Klischees angeschrieben, einen eigenen Stil kreiert – „originell und unverwechselbar“. Er stand an der Schwelle zwischen Tradition und Moderne. Hinter der bewusst zur Schau getragenen Naivität verbarg sich eine komplexe Persönlichkeit. Er war im Kleinen gross – und verkörperte wie kaum ein anderer die Einheit von Schriftsteller und Person. Annelen KraneFuss hat ihn und sein Werk in den historischen Kontext gestellt. Sie ist damit Goethes Anforderung an eine Biographie im besten Sinne gerecht geworden.
Und sie hat Matthias Claudius den Platz zugewiesen, der ihm gebührt. Gleichzeitig hat sie mit ihrer lebhaften, hervorragend zu lesenden Biographie Matthias Claudius einer literarisch interessierten Öffentlichkeit wieder näher gebracht. ♦
Annelen KraneFuss: Matthias Claudius – Eine Biographie, 320 Seiten, Hoffmann und Campe, ISBN 978-3-455-50190-2
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