Computerschach: Chessbase 14 erschienen

„Chessbase“ goes Analysis

von Walter Eigenmann

Das Datenbank-Flaggschiff der deutschen Schach-Firma Chessbase erfuhr kürzlich eine neue, seine 14. Fassung. Die renommierteste (und kostspieligste) Software der traditionsreichen Hamburger Schachprogramm-Schmiede, nämlich eben „Chessbase“, legt diesmal – neben diversen Neuerungen – den Schwerpunkt auf die schachanalytischen Seiten des Partien-Sammelns und -Verwertens.
Um ein erstes Fazit meiner Besichtigung von „Chessbase 14“ gleich vorwegzunehmen: Das Programm keineswegs kaufen müssen all jene Adepten des Königlichen Spiels, die einfach ein paar hunderttausend Partien verwalten, ihre Sammlung nach Dubletten absuchen, Spielernamen vereinheitlichen, Eröffnungsbücher zusammenstellen, nach Kombinationen oder Patzereien fahnden oder ihre eigenen On-the-board-Verbrechen auf Verbesserungen hin durchleuchten wollen. Das sind heutzutage Basics des Daten-Handlings, und hierzu genügen auch durchaus qualitätsvolle Freeware‘s wie z.B. „SCID“ oder „Arena“ sowie ein paar starke Gratis-Engines wie „Stockfish“ oder „Gull“ – dafür wäre ein 380 Euro teures Premium-Paket wie „Chessbase“ der reine schachliche (und finanzielle) Overkill.
Wer hingegen in die höheren, in professionelle Sphären des modernen Umganges mit Schach-Datenbanken und deren globale Online- bzw. Cloud-Einbindung eingeweiht sein bzw. bleiben möchte, für den ist CB-14 tatsächlich eine Option.

Diverse Neuerungen in Chessbase 14

Chessbase 14 - Schach-Datenbank
Chessbase 14 – Schach-Datenbank

Ob dabei nun all den Verbesserungen und Novitäten, die der Hersteller selber für seine neue Software reklamiert, auch tatsächlich jener Stellenwert zukommt, die einen Kauf nahelegen, lasse ich dahingestellt. Denn Chessbase führt in seiner Werbung für CB-14 einiges an, das man so oder ähnlich auch bei vergleichbaren Konkurrenz-Produkten findet. Manches aber ist im frischgebackenen „Chessbase“ so neu- bzw. so einzigartig, dass das Paket enorm attraktiv wird. Wie immer bei neuen Features in bekannten Programmen entscheidet ja aber auch das subjektiv begründete Anwender-Profil über „Sinn und Unsinn“ eben dieser neuen Optionen.
Im einzelnen sieht die entspr. Novitäten-Liste bei „Chessbase 14“ durchaus beeindruckend aus:

Wichtiger Bestandteil des Partien-Filters in
Wichtiger Bestandteil des Partien-Filters in „Chessbase“: Die differenzierte „Manöver-Suche“ gestattet auch das Herausfiltern komplexer Mehrfach-Zugfolgen.

♦ Eingabemodus zur Erfassung von Partien: Chessbase kann nun auf einen „speziellen Eingabemodus“ beim Partien-Erfassen gesetzt werden, wobei der Variantendialog immer auftaucht und ein neuer „modusfreier Dialog“ zur Eingabe der Bedenkzeit verfügbar ist. Beim Feature „Neue Partie“ behält das Programm gemäss Hersteller „mehr Turnierinformationen“.
♦ Die schnelle Orientierung in umfangreich kommentierten Partien wird in CB-14 durch stärkere farbige Markierung der Haupt-, Unter- und Nebenvarianten verbessert, wobei Varianten auf gleicher Ebene auch die gleiche Farbe haben; Alternativen sind so besser aufzuspüren.
♦ Kommentar-Diagramme können bei CB-14 jetzt direkt in die Notation eingebettet werden. Auch die bekannten „Trainingsfragen“, nicht zuletzt im Schulschach häufig angewandtes Feature von „Chessbase“, werden durch die direkte Einbindung von Diagrammen aufgewertet: Eine Trainingsfrage besteht aus einem Diagramm und Lösungslinks, die man anklicken kann, sowie Hilfen, die in die Notation eingebettet sind.
♦ Das Speichern & Ersetzen von Partien wird ab „Chessbase 14“ nun neu geregelt. Denn bisher haben alle CB-Versionen beim „Speichern“ die neue Partie-Version ans Ende der jeweiligen Partienliste in den Datenbanken angehängt, und „Ersetzen“ hat die Partie ohne Duplizierung einfach ersetzt. Für langjährige „Chessbase“-User ist also die folgende radikale Änderung wichtig:  Eine Partie „Speichern“ heisst nun, dass man die bestehende Version der Partie ersetzt, während man mit „Als neue Partie speichern“ die Partie an eine beliebige Datenbank anhängen kann, wobei ein Shortcut es erlaubt, Datenbanken auszuwählen, die man vor kurzem genutzt hat.
Interessant ist in diesem Zusammenhang auch, dass Chessbase sein natives Datenbank-Format „CBH“ optimiert hat, um „sehr schnelles Speichern (=Ersetzen) von Partien in grossen Datenbanken“ zu ermöglichen.
♦ Seit „Chessbase 13“ ist die (teils differenzierte) Web-Anbindung von Datenbanken ja herausragende Option – und „Chessbase 14“ rüstet in dieser Sparte nochmals nach: Es gibt jetzt die neue Cloud-Funktion „Cloud Clip“. Originalton Chessbase: „Hier werden Partien von ChessBase.com, Fritz.Chessbase.com und Tactics.Chessbase.com automatisch gespeichert, wenn man mit seinem ChessBase Account angemeldet ist. Das ist besonders in Verbindung mit der Chessbase-Nachrichtenseite nützlich: Wenn Sie auf eine Partie klicken, während Sie einen Artikel auf Chessbase.com oder Chessbase.de lesen, dann steht die Partie schon in ChessBase 14 zur Verfügung. Download ist nicht mehr notwendig.“
♦ Längst fällig war meiner Ansicht nach der generalisierte Log-in zu allen CB-Account-Funktionen
♦ Die jüngste Chessbase-Software (z.b. „Fritz“ und „Chessbase“) setzt auf Microsoft‘s „DirectXI“ auf, was „Ansicht und Geschwindigkeit von 3D-Brettern bedeutend verbessert“, wie Chessbase meint.
♦ Neu ist in „Chessbase 14“ die Möglichkeit, die persönlichen Suchmasken des Anwenders zu speichern – eine Option, die der Schreibende schon lange in „Chessbase“ vermisste.
♦ Neu ist ebenfalls, dass auch die Online-Datenbank beim Nachspielen einer Partie automatisch aktualisiert wird.
♦ „Chessbase“ exportiert jetzt Diagramm-Listen auch als Word-Datei, womit zeitsparend umfangreiches Trainings-Material generiert werden kann.

„Chessbase“ goes Analysis

Physiker, Programmierer, Chessbase-Gründer, Schach-Fan: Matthias Wüllenweber
Physiker, Programmierer, Chessbase-Gründer, Schach-Fan: Matthias Wüllenweber

Dies alles sind neue Optionen, die den Alltag von Schach-Power-Usern durchaus verbessern können – und auch Optionen, die man in vergleichbarer kommerzieller Software (z.B.  „Chess Assistant“ bzw. „Aquarium“) teilweise vergeblich sucht. In Verbindung mit den bereits bekannten Online-„Chessbase“-Möglichkeiten haben die beiden Hauptprogrammierer Matthias Wüllenweber und Matthias Feist sich offensichtlich sehr Mühe gegeben, das Einsatzgebiet (und damit auch den Mehrwert) ihrer neuen Software zu erweitern.
Die eigentlichen beiden Novitäten-Highlights von „Chessbase 14“ liegen aber auf einem Gebiet, das man eigentlich zuerst gar nicht mit einem Datenbank-Programm assoziiert bzw. das man bis jetzt eher bei expliziten Engine-Interfaces wie „Fritz“ oder „Shredder“ oder „Arena“ u.a. beheimatet wähnte, nämlich der Partien-Analyse. Nun hatten zwar schon die „Chessbase“-Vorgänger rudimentäre analytische Automationen, beispielsweise die sog. „Tiefe Analyse“ und die „Cloud-Analyse“ (inkl. das seit CB-13 bekannte „Let‘s Check“), doch jetzt geht die Version 14 dem Anwender mit zwei bemerkenswerten weiteren Optionen zur Hand: Der sog. „Taktischen Analyse“ sowie der sog. „Assisted Analyses“.

Die Taktische Analyse

Lassen wir vorausgehend Chessbase selber zu Worte kommen darüber, was unter dem neuen Feature „Taktische Analyse“ zu verstehen sei:
„Taktische Analyse ist die umfassendste automatische Partienanalyse, die es gibt. Sie arbeitet mit den folgenden schachlichen Mitteln:

♦ Eröffnungstheorie
♦ Starke Züge, Kombinationen, Opfer und Doppelangriffe
♦ Fehler, Patzer und kritische Momente, in denen sich die Bewertung ändert
♦ Schwache Züge, die in der Partie nicht gespielt wurden (Warum kann ich da nicht nehmen?) und oft taktisch widerlegt werden können
♦ Drohungen und Angriffsmotive
♦ Verteidigungsideen
♦ Initiative
♦ Angriff
♦ Manöver und Figurenstellung
♦ Kompensation
♦ Endspielklassifikation
♦ Unlogische Partieergebnisse
♦ Partien werden mit Varianten, Sprache, Schachsymbolen und Diagrammen kommentiert.“

Soweit die Chessbase-eigene Werbung – und wie sieht das in realiter aus? Ich habe mal die 8. Partie der aktuell laufenden Schach-Weltmeisterschaft 2016 zwischen Weltmeister M. Carlsen und Herausforderer S. Karjakin in New York genommen – siehe folgende PGN…

… und sie dieser „Taktischen Analyse“ unterzogen mit folgenden Rahmenbedingungen: Intel i7-4790 CPU / 3.6 GHz / 5s pro Zug / Stockfish8 / 4 Cores / 2 GB Hash / Nalimov-EGT / LiveBook

Nach knapp 15 Minuten des Backward-Berechnens generierte das Programm folgenden Output (wobei das Layout des Prints noch der Überarbeitung bedürfte):

Stockfish-Analyse mit Chessbase 14 - Screenshot / PDF-Ausdruck
Stockfish-Analyse mit Chessbase 14 – Screenshot / PDF-Ausdruck
Stockfish-Analyse mit Chessbase 14 - Screenshot / PDF-Ausdruck (2)
Stockfish-Analyse mit Chessbase 14 – Screenshot / PDF-Ausdruck (2)

Wie man sieht, resultiert aus dieser vollautomatischen Untersuchung ein Notations-Bild, das der professionellen Kommentierung durch Grossmeister in Schach-Büchern und -Zeitschriften verblüffend nahe kommt: Klare Variantengliederung, die schachlichen Hotspots mit Diagrammen strukturiert, die Verbalisierungen prägnant-treffend (und farblich hervorgehoben), Einbeziehung von Eventualzügen bzw. Alternativen, Abwechslung der Semantik usw.

Stellt man diesem Output jenen gegenüber, den das zweite bekannte Chesbase-Flaggschiff „Fritz“  unter identischen Bedingungen (bis auf die „Referenz-Datenbank“) mittels der sog. „Vollanalyse“ nach ca. 19 Min. zeitigt, ergibt sich ein deutlich kargeres, hinsichtlich der langweiligen verbalen Wiederholungen sogar merklich schlechteres Bild:

Stockfish-Analyse mit Fritz 15 - Screenshot / PDF-Ausdruck
Stockfish-Analyse mit Fritz 15 – Screenshot / PDF-Ausdruck

Zur Entschuldigung von „Fritz“ – hier in seiner aktuellen 15. Version – muss natürlich erwähnt werden, dass „Fritz“ im Gegensatz zu „Chessbase“ seit jeher als Engine-Interface und nicht als Datenbank konzipiert wurde; die beiden Programme haben unterschiedliche Philosophien und je unterschiedliche Stärken.

Chessbase auf dem Weg zur vollautomatischen Buch-Analyse

Fazit bezüglich der „Taktischen Analyse“ bei „Chessbase 14“: Wenn die Entwickler dieses neue Feature weiter professionalisieren und u.a. insbesondere seine Semantik noch vielfältiger, differenzierter, origineller, also irgendwie „menschlicher“ gestalten, dann ist der Tag nicht mehr fern, da ganze Partien-Bücher praktisch vollautomatisch, ohne schachliche Mithilfe des Menschen – der ja ohnehin taktisch höchst fehleranfällig kommentiert – generiert werden können. Nimmt man noch die im Computerschach-Zeitalter immer häufigere Auffassung hinzu, dass es eigentlich keine (vom Menschen zu entdeckende) „Schachstrategie“ mehr gibt, sondern nur noch „nicht ganz durchgerechnete Taktik“, dann steht der Überschwemmung des Schachbücher-Marktes mit rein maschinell erzeugten Partien-Sammlungen bald nichts mehr im Wege. Ein erschreckendes Szenario, mit hunderten von arbeitslosen Grossmeistern & Schach-Autoren und -Verlagen, eine Verarmung der gesamten Schachszene? Oder doch eine Erweiterung, eine Vertiefung, ja Professionalisierung des Umganges mit Schachpartien? Die Zukunft wird es zeigen…

Der „Analyse-Assistent“

Während die „Taktische Analyse“ vollautomatisch abläuft und vom Menschen nur wenige Klicks des Voreinstellens benötigt, kommt das zweite Analyse-Instrument des neuen „Chessbase 14“ als komplett interaktives Features daher: die sog. „Assisted Analysis“. Hier steht die kommentierende Visualisierung der schachlichen Verflechtungen im Vordergrund: Kandidatenzüge werden farblich differenziert, durch pures Anklicken je hierarchisch dargestellt, erwartete Gegenzüge werden mit Pfeilen kenntlich gemacht, die Best-Moves pro Stellung sind mit einfachen Figuren-Mausklicks live visualisierbar, u.a.

Das Hauptfenster der sog. Assisted Analysis mit ihrer hierarchischen Colorierung von (hier Springer-) Kandidatenzügen.
Das Hauptfenster der sog. Assisted Analysis mit ihrer hierarchischen Colorierung von (hier Springer-) Kandidatenzügen.

Das Potential dieses interaktiv „assistierten“ Werkzeuges dürfte insbesondere die Fernschach-Spieler unter den „Chessbase“-Nutzern interessieren, hier sehe ich eines der hauptsächlichen Anwendungsfelder. Möglicherweise ist diese Ausweitung des persönlichen Analysierens, das die Zugauswahl differenziert bei gleichzeitiger taktischer Balance, eine der Möglichkeiten, dem drohenden „Remis-Tod“ des Spitzen-Fernschachs entgegenzutreten. Geht man davon aus, dass das moderne Grossmeister-Fernschach ohne Software-Unterstützung heute undenkbar ist, eröffnen solche neuen Programmier-Ansätze durchaus auch neue Perspektiven.
Wen die Details dieser neuen „Assisted Analyses“ näher interessieren, dem sei das Youtube-Video empfohlen, das Programmierer Matthias Wüllenweber selber ins Netz gestellt hat.

„Chessbase 14“: Kaufen oder nicht kaufen?

Das jüngste Programm aus dem Hause Chessbase ist nicht gratis: Der Download des Standard-Pakets schlägt mit 100 Euro zu Buche, für das „Startpaket“ will Chessbase 190 Euro, und das vollumfängliche „Premium“ reisst ein fettes Loch von sogar fast 400 Euro ins Portemonnaie.
Wie eingangs erwähnt: Otto Normalverbraucher braucht dieses hochprofessionelle Programm, dessen Feature-Reichtum und -Vielfalt seinesgleichen sucht, keineswegs: Allein die Einarbeitungszeit in eine so komplexe Software steht in keinem Verhältnis zum realen Nutzen, den ein durchschnittlicher Vereinspieler mit seinen 1600 Elo-Punkten je daraus ziehen könnte. (Wobei „Chessbase“ im Vergleich etwa zu seinem traditionellen Markt-Kontrahenten „Chess Assistant“ meines Erachtens immer noch sehr viel User-freundlicher daherkommt). Dem „gewöhnlichen“ Schachspieler reicht irgend eine der „Fritz“-Versionen 11 bis 15 oder eines der zahlreichen Freeware-GUI‘s mit ihrer relativ simplen PGN-  bzw. Gratis-Engine-Anbindung völlig.

Fazit-Banner Glarean Magazin
Neben seinen bisherigen Möglichkeiten, die mittlerweile kaum mehr Wünsche offenlassen hinsichtlich eines professionellen Handlings von Schachpartien zeichnet sich mit dem jüngsten „Chessbase 14“ ein willkommener Trend ab weg vom rein technischen Verwalten von Schach-Partien hin zu den schachanalytischen Aspekten des Umgangs mit nicht nur dem mittlerweile unüberschaubaren Fundus an Gratis-Partienmaterial, sondern auch mit allen Bereichen der privaten Beschäftigung mit Schach. Mit „Chessbase 14“ schickt sich Schach-Software endgültig an, zum ebenbürtigen Partner des Menschen zu werden. Auf die weitere Entwicklung dieses Zweiges der Schach-Programmierung darf man gespannt sein…

Das weltweit grosse Heer der ambitionierten Turnier-Spieler hingegen wird sich auch „Chessbase 14“ unter den Weihnachtsbaum 2016 legen wollen. Denn neben seinen bisherigen Möglichkeiten, die mittlerweile kaum mehr Wünsche offenlassen hinsichtlich eines professionellen Handlings mit Schachpartien, zeichnet sich mit „Chessbase 14“ ein willkommener Trend ab weg vom rein technischen Verwalten von Schach-Partien hin zu den schachanalytischen Aspekten des Umgangs mit nicht nur dem mittlerweile unüberschaubaren Fundus an Gratis-Partienmaterial, sondern auch mit allen Bereichen der privaten Beschäftigung mit Schach. Mit „Chessbase 14“ schickt sich Schach-Software endgültig an, zum ebenbürtigen Partner des Menschen zu werden. Auf die weitere Entwicklung dieses Zweiges der Schachprogrammierung darf man gespannt sein…♦

Matthias Wüllenweber, Matthias Feist: Chessbase 14 – Schach-Datenbank, DVD & Online-Download

Lesen Sie im Glarean Magazin zum Thema (Anti-)Computerschach auch über Lyudmil Tsvetkov: Human vs Machine

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