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Ein Urlaub am Meer
von Günter Nawe
Ein Urlaub am Meer, in der Einsamkeit Finnlands. Ein altes, schon etwas verfallenes Ferienhaus. Diese Landschaft, dieses Haus wird im Roman von Philip Teir: „So also endet die Welt“ zum Kristallisationspunkt einer dramatischen Familiengeschichte – eher noch: von vier sehr unterschiedlichen Beziehungsgeschichten.
Eine ganz normale Familie zieht in dieses Ferienhaus: Julia, mittelmässig erfolgreiche Schriftstellerin, leidet unter einer Schreibblockade, mehr aber noch unter ihrer Rolle als Mutter und Ehefrau. Ihr Mann Erik allerdings „konnte nicht wissen, wie es war, sie zu sein. Zu fühlen, wie sie. Er konnte ihr die Einsamkeit nicht nehmen.“ Genauso wenig wie Julia sich in die seelische Verfassung ihres Mannes versetzen kann. Erik, gerade entlassen und nun arbeitslos, verschweigt den Rauswurf aus seiner Firma, ist aber auch nur bedingt bereit, sich um einen neuen Job zu bemühen. Stattdessen trinkt er und versucht so, seine Frustration und Depressionen und nicht zuletzt seine Einsamkeit zu bekämpfen.
Längst versuchen auch die beiden Kinder Alice und Anton, sich dieser bedrückenden Atmosphäre zu entziehen. Sie gehen eigene Wege. Anton ist ein stiller, aber sehr genauer Beobachter des Dramas, das sich um ihn herum abspielt. Und Alice findet in Leo einen Partner für die junge Liebe und einen verlässlichen Freund.
Nicht belastbare Lebensentwürfe

Philip Teir hat eine Familiengeschichte geschrieben, in der sich die Lebensentwürfe seiner Protagonisten als nicht belastbar erweisen, Verwerfungen entstehen und gesellschaftliche Normen nicht mehr gelten. Auch weil die Gesellschaft nicht mehr das ist, was sie einmal war.
So werden die Geschichten von Philip Teir zu einem Spiegelbild der Gesellschaft. Vor allem auch in den Beziehungsgeschichten der anderen Menschen, die sich in der Einsamkeit der finnischen Landschaft finden. Und das in einer aufgeladenen Atmosphäre.
Roman-Stoff am Puls der Zeit
„So also endet die Welt“ legt einmal mehr – er hat bereits mit dem Roman „Winterkrieg“ 2014 ein grossartige Debut hingelegt – den Finger auf den Puls der Zeit, beweist ein Gespür für menschliche und zwischenmenschliche Gefühlslagen. Immer auch im Kontext zu den gesellschaftlichen Veränderungen, die sich vor allem in einem zweiten Paar manifestieren.
Da sind Chris und Julias Jugendfreundin Marika. Auch deren Ehe leidet – in erster Linie unter dem Verhalten des sexsüchtigen Weltverbesserers und Umweltaktivisten Chris, dessen Credo es ist, „dass es keine Hoffnung gibt, dass uns nicht mehr retten kann“. Auch die Ehe von Chris und Marika nicht.
Teir beschreibt die Situation dieser beiden Paare mit psychologischer Grundierung. Wie mit einem Seziermesser und mit tiefen Gespür für die menschlichen Gefühlslagen legt Philip Teir die Schichten der seelischen Verletzungen offen. Und wie in einem Schachspiel setzt er seine Personen in Beziehungen zueinander. Er beschreibt ihre Sehnsüchte nach Sicherheit, nach Glück, nach Liebe und gleichzeitig ihre Verzweiflung. Ein meisterlicher Roman.
Eine Art Gegenpol bieten Eriks Bruder Anders, eine Art Aussteiger, der sich am Ende in dieser brüchigen, sich auflösenden Feriengesellschaft wiederfindet. Ein stiller, nachdenklicher Mensch. Er wird in der von Depressionen geplagten Therapeutin Katie eine verwandte Seele und endlich einen Halt finden.
Vier Paare in einem Sommerdrama in finnischer Einsamkeit. Über Erik schreibt Teir an einer Stelle „Es war so ein Tag, an dem er eine Wahrheit finden wollte. Gefunden hat er sie nicht“. Erik nicht und allen anderen Personen in diesem Drama nicht. Dennoch: Ganz ohne Hoffnung bleibt der Leser nicht zurück. ♦
Philip Teir: So also endet die Welt, Roman, 300 Seiten, Blessing Verlag, ISBN 978-3-89667-606-1
Lesen Sie im Glarean Magazin zum Thema Familien-Drama auch über Sandra Brökel: Das hungrige Krokodil
Weitere Links zum Thema Familie als Spiegelbild der Gesellschaft: Ulrike Herwig: Das Leben ist manchmal woanders