Musik-Zitat der Woche von Christoph Drösser

Von der Psychologie der Erwartung

Christoph Drösser

Die These, dass wir in der Musik vor allem eine Bestätigung unserer Erwartungen suchen, wird einige Musikfans vielleicht erst einmal erstaunen. Ist die Musikindustrie nicht geprägt von der Jagd nach dem immer Neuen? Nach neuen Stars und Sternchen, nach dem nächsten Hit? Sind die eingefleischtesten Enthusiasten nicht immer auf der Suche nach der heissesten Newcomer-Band, nach dem neuesten Sound?

Wohl wahr – aber der Zwang zur ständigen Rotation in den Hitparaden ist zunächst einmal ein wirtschaftlicher. Tatsächlich bieten die Plattenfirmen ihren Kunden zu 99 Prozent mehr von dem an, was sie schon mögen: die neue Platte des schon bekannten Sängers, der – Gott bewahre! – möglichst keine stilistischen Experimente macht, sondern die in ihn gesetzten Erwartungen bedient.  Künstler wie Neil Young, Joni Mitchell oder Prince haben schon Ärger mit ihren Labels bekommen, weil ihre neuesten Aufnahmen nicht dem Stil entsprachen, den das Publikum angeblich erwartete.  Die Radiosender spielen zunehmend nur noch „die grössten Hits  der 8oer, 9oer (und das Beste von heute)“.
Die meisten Laien hören auch irgendwann auf, den neuesten  Trends zu folgen, und richten sich in ihrem musikalischen Lieblingsgenre gemütlich ein. Und die Fans der klassischen Musik erfreuen sich an einem Kanon von Kompositionen, der in den letzten hundert Jahren kaum ergänzt worden ist.
Aber natürlich hat die Überraschung ihren Platz in der Musik. Wir wollen beim Training unseres Zukunftssinns ja auch herausgefordert werden. Musik, die alle Erwartungen zuverlässig bedient, ist langweilig und allenfalls als Fahrstuhl- oder „Ambient“-Musik einsetzbar.

Christoph Drösser - Glarean Magazin
Christoph Drösser

Musiker haben unterschiedliche Mittel, für Überraschungen zu sorgen, ihnen stehen dazu alle Parameter der Musik zur Verfügung: Melodie, Rhythmus, Harmonie, Klangfarbe. Als Bob Dylan beim Newport Folk Festival 1965 seine akustische Gitarre gegen eine elektrische tauschte, vom Folk zum Rock wechselte und damit seinen Sound entscheidend veränderte, erregte das grosses Aufsehen, ein Teil seiner alten Fans wollte diese Abkehr vom Gewohnten nicht nachvollziehen und wandte sich von ihm ab. Die Beatles verletzen in ihren Songs ständig Konventionen: metrische in Yesterday (das Thema hat die krumme Zahl von sieben Takten), melodische (For No One endet nicht auf dem Grundton, sondern auf der 5. Stufe), harmonische (der Dur-Akkord der 4. Stufe wird häufig gegen einen Moll-Akkord ausgetauscht, etwa in Michelle). In der klassischen Musik ist der sogenannte Trugschluss ein beliebtes Mittel, den Hörer kurzfristig an der Nase herumzuführen: Statt zum Grundakkord führt die harmonische Wendung zum parallelen Moll-Akkord (zum Beispiel A-Moll statt C-Dur), das Stück kann damit noch nicht enden, und so folgt eine weitere Kadenz von Harmonien bis zum erlösenden Grundakkord.
Solche Kadenzen, also harmonische und melodische Wendungen, haben selbst die simpelsten Kompositionen. Jede Harmonie, die nicht dem Grundakkord entspricht, führt weg vom Gleichgewicht, sie macht deutlich: Hier kann das Stück nicht aufhören, es muss irgendwie weitergehen. Manche dieser Harmonien und manche Melodien erzeugen besonders stark das, was die Musiker „Spannung“ nennen, eine Situation, in der der Hörer sich nach einer Auflösung sehnt.

David Huron hat die Psychologie der Erwartung in eine Theorie gefasst, die er ITPRA nennt (von den englischen Wörtern imagination, tension, prediction, response und appraisal). Eine Theorie, die nicht nur für die Musik gilt, aber insbesondere dafür anwendbar ist:

I: In der lmaginationsphase stellen wir uns vor, wie eine Situation ausgehen könnte, imaginieren die Gefühle, die das bei uns auslösen würde, und die möglichen Reaktionen darauf.

T: Die Spannung steigt. Unser Körper bereitet sich auf mögliche Reaktionen vor (Flucht? Angriff?), die Muskeln werden angespannt, allgemein steigt unsere Aufmerksamkeit.

P: Nachdem das Ereignis eingetreten ist, bewerten wir unsere Vorhersage: War sie korrekt, oder ist alles ganz anders gekommen? Entsprechend ist die emotionale Antwort positiv oder negativ.

R: Nun gilt es zu reagieren. Die erste Reaktion ist spontan und unbewusst, also zum Beispiel das Aufstellen der Nackenhaare oder ein Fluchtreflex. Wir können sie nicht steuern, und es ist sehr schwierig, einmal gelernte Reflexe wieder abzulegen.

A: Erst mit einer gewissen Verzögerung bewerten wir die Situation und kommen zum Beispiel zu der Einschätzung, dass eigentlich alles ein blinder Alarm und der Fluchtreflex völlig überzogen war. In dieser Phase lernen wir auch für die Zukunft, sie bestimmt letztlich, wie wir das gesamte Ereignis emotional bewerten.

So können wir zum Beispiel eine Achterbahnfahrt, während der wir tausend Ängste auszustehen hatten, letztlich als lustvoll beurteilen – „Nochmal!“ ruft das Kind. Und natürlich gilt für die Musik praktisch immer, dass das Hörerlebnis im Nachhinein als aufregend, aber ungefährlich bewertet wird.
Was folgt aus der Theorie der Erwartung für Musiker und Komponisten? Dass sie gut daran tun, die Mechanismen zu verstehen, die sie bei ihren Hörern auslösen. Es muss ja nicht das Ziel der Musik sein, „gute“ Gefühle zu erzeugen. Ein grosser Teil der Musik des 20. Jahrhunderts war, nicht zuletzt durch die katastrophalen Erfahrungen zweier Weltkriege, auch darauf gerichtet, ein gewisses Unwohlsein auszulösen, „negative“ Emotionen, unaufgelöste Spannungen. Das darf Kunst natürlich – sie darf schocken, ängstigen, sogar beleidigen. Und natürlich sind die Erwartungen des Publikums nichts Statisches: allein dadurch, dass man gewissen Klängen ausgesetzt ist, fügt man sie seinem inneren „musikalischen Lexikon“ hinzu, und beim nächsten Hören sind sie schon gar nicht mehr so fremd.
Die Vorstellung allerdings, man könne das Publikum musikalisch umerziehen und dazu bringen, Zwölftonmusik auf der Strasse zu pfeifen, muss irrig bleiben, dazu ist unsere biologische Sucht nach der Erfüllung unserer Erwartungen einfach zu gross. ♦

Aus Christoph Drösser: Hast du Töne? – Warum wir alle musikalisch sind, Rowohlt Verlag 2009

Lesen Sie im Glarean Magazin auch das „Zitat der Woche“ von Ursula Petrik:
Von den Kontaktschwierigkeiten der Neuen Musik

… und zum Thema Neue Musik auch über
Komitas: Seven Songs (Klavier – CD)

Christopher Wood: Requiem (CD)

Das Unzulängliche als Ereignis

von Wolfgang-Armin Rittmeier

Irgendwie mutet es auf den ersten Blick schon wie ein schlechter Witz an, dass sich ein musikalisch dilettierender Krebsspezialist aus Grossbritannien hat dazu hinreissen lassen, für seine einzige Komposition gerade das Sujet Totenmesse zu wählen. Doch im Falle von Christopher Woods „Requiem“ kann man mit Goethe ausrufen: „Hier wird’s Ereignis“. Tatsächlich sollte man dann der Richtig- und Trefflichkeit halber aber auch den diesem vorausgehenden Vers aus dem „Chorus mysticus“ (Faust II) zitieren und konstatieren: „Das Unzulängliche“.

Gefühle in Requiem-Musik ausgedrückt

Christopher-Wood-Requiem-Orchid-ClassicsDenn Unzulänglichkeit ist – es fällt schwer, positiver zu urteilen – die Quintessenz dieses Werkes, das – wenn man den Worten des Komponisten trauen darf – als Reaktion auf den Tod von Elizabeth Bowes-Lyon, besser bekannt als „The Queen Mother“ oder kurz „Queen Mum“, entstanden ist. Der Komponist selber über die Entstehung des Werkes (Zitat):

Als Queen Elizabeth (The Queen Mother) im Jahre 2002 starb, erlebte man in Grossbritannien ein aussergewöhnliches Mass an Emotionen, ein echtes Gefühl nationaler Trauer. Tausende Menschen standen stundenlang an, um ihr am aufgebahrten Sarg ihren Respekt zu zollen, und das mit einer Mischung von Gefühlen, die schwer zu beschreiben ist. Da gab es sicherlich Trauer, doch war diese durchwoben von anderen Regungen, vielleicht sogar mit einem Gefühl von patriotischem Stolz. Da gab es Traurigkeit, aber auch Ehrgefühl und Dankbarkeit – und all das für eine Person, die die meisten Menschen niemals persönlich getroffen hatten.
Doch war die Königinmutter sehr lange ein Symbol der Nation gewesen und hatte dabei geholfen, den Charakter Grossbritanniens mit zu formen. Ich fragte mich damals, was die Menschen, die am Sarg vorbei schritten, wohl singen würden, wenn sie ein Chor wären. Oder noch eher: Was für Musik hätte ich gesungen, um die Gefühle dieses Momentes einzufangen? Also dachte ich, dass ich versuchen sollte, diese Gefühle in Musik auszudrücken. Und so entwickelte sich die Idee für dieses ‚Requiem‘.

Es fällt schwer, nach diesen einführenden Worten des Komponisten das Werk nicht als Anbiederung ans Establishment, ans Publikum oder als trefflich platzierte Marketing-Idee zu hören. Aber es geht. Allerdings hält sich der Gewinn für den Hörer in einigermassen engen Grenzen. Wenn man es kurz machen wollen würde, dann könnte man Woods „Requiem“ vielleicht folgendermassen charakterisieren: Demjenigen, dem John Rutters Totenmesse nicht seicht genug ist, der sollte sich vertrauensvoll an Christopher Wood wenden. Denn das ist Woods Werk in seiner Unzulänglichkeit in jedem Takt auch noch: seicht.

Harfengezupf vor Streichergrund

Nehmen wir beispielsweise den ersten Satz. Das „Requiem“ beginnt – man möchte geradezu ausrufen: „natürlich“ – mit Harfengezupf vor einem satt-klangvollen, ja hollywoodesken Streichergrund, balsamisch säuselnd setzen die Choristinnen und Choristen ein, unter Paul Boughs aus dem Vollen schöpfender Leitung baden die L’Inviti Singers, die L’Inviti Sinfonia und Sopranistin Rebecca Bottone in den „englischen“ Klängen, die Wood gemeinsam mit seinem Arrangeur Jonathan Rathbone angerührt hat. Diese Klänge dienen dazu, sich möglichst friktionsfrei in die Herzen jener Musikhörer zu schleichen, die weniger die Begegnung mit einem Kunstwerk suchen, sondern die wenig mehr erwarten als unkomplizierte Rührung und einen Soundtrack für die eigene Gefühlswelt.

Im Grunde klingt die Musik tatsächlich so, wie es das Cover der CD ankündigt. Da geht der Blick in den abschiedsvollen Sonnenuntergang, hinweg über den uralten Ozean ins Ewige, wo schliesslich das Jenseitige offenbart, der Sinn des Lebens erkannt wird. Dass die Missa pro defunctis ein nicht selten verzweifelt flehender Bittgesang für das Seelenheil des Verstorbenen anlässlich des Gerichtes ist, wird bei Wood nicht mehr deutlich. Stattdessen hat es der Hörer, man möge die Contradictio in adiecto entschuldigen, mit einem „Feelgood“-Requiem, einer schon fast unsäglichen Pervertierung dessen, worum es eigentlich geht, zu tun. „Tod, wo ist das Stachel, Hölle, wo ist Dein Sieg?“ Die Frage, die im Korinther 1/55 gestellt wird und die so viele, viele treffliche Meister von Guillaume Dufay bis hin zu Krzysztof Penderecki beschäftigt und zu den tiefsinnigsten und kunstvollsten Kompositionen gebracht hat, sie stellt sich bei Wood nicht mehr, denn der Tod erscheint hier ohne jegliche Problematik.

Requiem im Supermarkt?

Diese Musik, die auch gut als Hintergrundmusik in einem Supermarkt laufen könnte, negiert schlichtweg alle Probleme, mit denen sich der Mensch im Rahmen des Memento mori konfrontiert sieht. Selten hat eine die Vertonung dieses Messe-Textes intensiver an Sigmund Freuds tiefsinnig-klare Worte in „Zeitgemässes über Krieg und Tod“ (1915) erinnert, die sich auf die menschliche Tendenz zum Beseiteschieben des Todes beziehen:

„Dies unser Verhältnis zum Tode hat aber eine starke Wirkung auf unser Leben. Das Leben verarmt, es verliert an Interesse, wenn der höchste Einsatz in den Lebensspielen, eben das Leben selbst, nicht gewagt werden darf. Es wird so schal, gehaltlos wie etwa ein amerikanischer Flirt, bei dem es von vornherein feststeht, dass nichts vorfallen darf, zum Unterschied von einer kontinentalen Liebesbeziehung, bei welcher beide Partner stets der ernsten Konsequenzen eingedenk bleiben müssen. Unsere Gefühlsbin­dungen, die unerträgliche Intensität unserer Trauer, machen uns abgeneigt, für uns und die Unserigen Gefahren aufzusuchen. Wir getrauen uns nicht, eine Anzahl von Unternehmungen in Betracht zu ziehen, die gefährlich, aber eigentlich unerlässlich sind wie Flugversuche, Expeditionen in ferne Länder, Experimente mit explodierbaren Substanzen. Uns lähmt dabei das Bedenken, wer der Mutter den Sohn, der Gattin den Mann, den Kindern den Vater ersetzen soll, wenn ein Unglück geschieht. Die Neigung, den Tod aus der Lebensrechnung auszuschliessen, hat so viele andere Verzichte und Ausschliessungen im Gefolge.“

Keine Auseinandersetzung mit dem Tod

Christopher Woods Requiem geriert sich als Totenmesse des Wellness-Zeitalters. Eine seichte, an schwachen Musicals und Soundtracks geschulte Partitur versucht die Kunstlosigkeit, Epigonalität und intellektuelle Leere des Werkes zu verhüllen. Dieser Versuch misslingt in jeder Hinsicht...
Christopher Woods Requiem geriert sich als Totenmesse des Wellness-Zeitalters. Eine seichte, an schwachen Musicals und Soundtracks geschulte Partitur versucht die Kunstlosigkeit, Epigonalität und intellektuelle Leere des Werkes zu verhüllen. Dieser Versuch misslingt in jeder Hinsicht. Schade um das hörbar engagierte Musizieren der Aufführenden dieser CD.

Schal und gehaltlos wird nicht nur das Leben, Woods Komposition beweist hinlänglich, dass in diesem Zuge auch die Kunst in erschreckendem Masse verarmen kann. Wenn man nun nicht bereits nach dem gut sieben lange Minuten währenden Eingangs-Satz genug von diesem Machwerk hat, dann wird man in den noch folgenden 53 einigermassen ereignislosen Minuten angeregt, weniger über die Conditio humana denn vielmehr darüber trefflich zu sinnieren, welcher Kompositionsstile sich Wood und Rathbone bedienen, um den Text des Propriums der Totenmesse publikumswirksam in Klang zu giessen.

Und was hört man da nicht alles! Hier klingt es nach schlechtem Händel, dort nach Cherubinis c-Moll Requiem, und aufgeblähten Haydn hat man ebenso im Angebot wie simplifizierten Belcanto. Am Ende landet man dann wieder bei John Rutter und Karl Jenkins – denen man im Gegensatz zu Wood immerhin zu Gute halten kann, dass sie im Rahmen ihres Œuvres einen Personalstil entwickelt haben.
Schade auch um das hörbar engagierte Musizieren der Ausführenden, angefangen beim Solo-Gesangsquartett um Sopranistin Botone bis zu Chor und Orchester der L’inviti. Und so bleibt am Ende der Eindruck eines Projektes, in dem alles Mögliche versucht wurde, nur keine ernsthafte intellektuelle Auseinandersetzung mit seinem eigentlichen Thema. Hört man Christopher Woods Totenmesse nicht, so hat man mehr Zeit zu leben. ♦

Christopher Wood: Requiem – Rebecca Botone (Sopran), Clare McCaldin (Alt), Ed Lyon (Tenor), Nicholas Garrett (Bass), L’Inviti Sinfonia & Singers, Paul Brough (Leitung). Audio-CD – Orchid Classics

Lesen Sie im Glarean Magazin zum Thema „Vertonung der Totenmesse“ auch über
das Requiem von Andrew Lloyd-Webber

… und lesen Sie auch über die gesellschaftlichen Entwicklungen der Musik in
Kent Nagano: Erwarten Sie Wunder!

Musik-Zitat der Woche von Ursula Petrik

Von den Kontaktschwierigkeiten der Neuen Musik

Ursula Petrik

Die lautstarken Protestkundgebungen im Zuge von Aufführungen moderner Musik scheinen nunmehr der Vergangenheit anzugehören. Das Auditorium der Neuen Musik rekrutiert sich in erster Linie aus „Spezialisten“. Und jener Teil des „durchschnittlichen“ Publikums, der sich auf das Abenteuer Neue Musik einzulassen bereit ist, ist inzwischen recht zahm geworden. Der Hörer wagt schon alleine aus Furcht, als intolerant und konservativ zu gelten, kaum noch, sich negativ zu einem Musikstück zu äussern, das ihm insgeheim missfällt.
Vor allem aber zeichnet er sich durch grössere Aufgeschlossenheit aus. Er sieht ein, dass die Musik des 20. und 21. Jahrhunderts anders klingen muss als die früherer Zeiten, selbst wenn er sie nicht unbedingt versteht.

Mittlerweile aber besteht seitens vieler Musikliebhaber auch der Wunsch bzw. die Neugier, namentlich die abendfüllenden Opera der Neuen Musik kennen zu lernen. Bei den – leider seltenen – Anlässen, bei denen entsprechende Werke an den grossen Konzert- und Opernbühnen oder im Rahmen von Festivals zur Aufführung gelangen, lässt sich eine hohe Besucherzahl beobachten. […] Nichtsdestoweniger leidet die Neue und Zeitgenössische Musik nach wie vor unter Kontaktschwierigkeiten, was vielfach an dem problematischen Erbe liegt, das sie angetreten hat. Potenzielle Hörerkreise wurden verschreckt und müssen erst davon überzeugt werden, dass auch moderne Musik sehr reizvoll sein und Genuss bereiten kann. […]

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A priori eine schwierige Position: Die zeitgenössische Neue Musik

Einer Vielzahl von modernen Kompositionen fehlt schon der Intention ihrer Schöpfer nach der verbindliche und affirmative Charakter, der die Identifikation mit ihnen auf breiter Ebene ermöglichen würde. In der pluralistischen Gesellschaft, die keine Leitkultur mehr kennt und in der der Musikgeschmack einerseits von einer mächtigen Industrie und andererseits von jedem Individuum selbst bestimmt wird, haben diese Werke grosse Schwierigkeiten, an ihre „Empfänger“ zu gelangen. Der Mensch der modernen Zivilisationen, dessen Leben weitgehend vom täglichen Broterwerb bestimmt wird, ist fortwährend einer Reizüberflutung ausgesetzt, die vom Verkehrslärm und den allgegenwärtigen Massenmedien herrührt. Gerade er sehnt sich in seinen spärlich bemessenen Erholungspausen nach dem Heilen und Schönen, das er in der traditionellen Musik, in der lebensbejahenden Unterhaltungsmusik oder auch im Kitsch findet.
Indem aber die Neue Musik – von Ausnahmen freilich abgesehen – gerade den Eindruck von formaler Geschlossenheit und den herkömmlichen Schönheitsbegriff negiert, hat sie sich a priori in eine schwierige Position begeben. Sie spricht nur diejenigen an, die dazu bereit sind, den Zugang zu ihr von sich aus zu suchen, sei es nun in Form von geistiger Auseinandersetzung, meditativer Vertiefung oder durch die rein „kulinarische“ Perzeption ihrer Klänge.

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Da ihre Interessenten eine Minderheit bilden, ist auch die wirtschaftliche Situation der Neuen Musik eine denkbar schlechte. Die Mehrzahl der Musikschaffenden kann nicht vom Komponieren leben und muss den Unterhalt auf andere Weise bestreiten. Die notwendigen Mittel für Konzertaufführungen – Herstellungskosten für das Notenmaterial, Saalmieten, Musikerhonorare etc. – können vielfach nur durch Förderungen aus öffentlicher Hand aufgebracht werden. Und der Erlös aus verkauften Eintrittskarten oder Spenden steht meist in keiner günstigen Relation zum finanziellen Aufwand.
Die Situation der zeitgenössischen Musik ist derzeit also unzufriedenstellend, aber keineswegs hoffnungslos. Dies liegt nicht zuletzt daran, dass sich die heutigen Komponisten aktiv um die Wiederherstellung des Kontakts zum Publikum und um die Entschliessung neuer Rezipientenkreise bemühen. Dass die harmonische Begegnung von Komponist und Hörer im Werk notwendigerweise auf Kosten des künstlerischen Anspruchs erfolgt, ist eine Irrlehre des 20. Jahrhunderts, die mittlerweile zunehmend an Glaubwürdigkeit verliert. ♦

Aus Ursula Petrik: Die Leiden der neuen Musik – Die problematische Rezeption der Musik seit etwa 1900, Edition Mono/Monochrom Wien 2008

Lesen Sie im Glarean Magazin zum Thema Neue Musik auch das Interview mit dem Komponisten Fabian Müller
… sowie das Musik-Zitat der Woche der Komponistin Bettina Skrzypczak: Vom Verändern durch Musik

50-Euro-Musik-Preisrätsel (September 2017)

Die Denksport-Spass-Gitarre

von Walter Eigenmann

Das neue 50-Euro-Musik-Preisrätsel im Glarean Magazin kommt in der Form einer Rätsel-Spass-Gitarre daher und fragt nach Begriffen aus allen Sparten der Musik.

Wer als erste(r) die vollständige Lösung des Rätsels (als Grafik-Datei) an die Redaktion mailt, erhält wie immer 50 Franken bzw. 50 Euro.

Hier lässt sich das Kreuzworträtsel als PDF-Datei downloaden

Der Rechtsweg ist ausgeschlossen.
Einsende-Schluss ist am 5. September 2017 – 12 Uhr
(Die ursprüngliche Frist vom 1. September wurde verlängert, da keine komplett richtige Lösung eingesandt worden war).
Viel Spass!

Das neue 50-Euro-Musik-Preisrätsel (September 2017) - Zum Vergrössern auf Grafik klicken
Das neue 50-Euro-Musik-Preisrätsel (September 2017) – Zum Vergrössern auf Grafik klicken

 

Gönnen Sie sich auch unsere vielen anderen Musik-Kreuzworträtsel im Glarean Magazin!

Interessante Buch- und CD-Neuheiten – kurz belichtet

Bemerkenswerte Musik- und Schach-Novitäten

von Walter Eigenmann

Nikola Komatina: Inspiration – Accordion (CD)

Beim Laien, zumal beim Liebhaber sogenannter „Volksmusik“ haftet dem Akkordeon noch immer der Nimbus des Hummtata-Handorgelns oder des schmalz-kitschigen Shanty-Schifferklaviers an. Als konzertant-virtuoses Solo-Instrument wird es in der breiten Öffentlichkeit noch immer zu wenig wahrgenommen – allenfalls noch in seiner Funktion als Bestandteil von mehr oder weniger ambitiösen „Harmonika“-Orchestern.

Akkordeon-Musik vom Barock bis zur Moderne

Anzeige Amazon: Nikola Komatina (Akkordeon): Inspiration - Werke von Scarlatti, Bach, Moszkowski, Aho und Zabel (GWK-Records)
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Welche facettenreichen Spieltechniken dem Handzug-Instrument Akkordeon jedoch innewohnen, welche vielfältigen Klangspektren es zu realisieren vermag, das beweisen solche Ausnahme-Virtuosen wie der serbische Akkordeonist Nikola Komatina. Bei dem Label GWK-Records hat der 29-jährige, bereits in jungen Jahren mit vielen Preisen ausgezeichnete Virtuose nun sein CD-Debüt erhalten mit der Produktion „Inspiration“ – einer stilistisch sehr heterogenen Zusammenstellung von D. Scarlatti über J.S. Bach und M. Moszkowski bis hin zu Kalevi Aho (1949) und Frank Zabel (1968).
Moderne Musik auf dem Akkordeon: ja – aber auch Barock und Spätromantik? Komatina lässt allen musikgeschmacklichen Puritanismus hinter sich und führt sein Instrument durchaus stilsicher durch die Epochen – dank phrasierungs- und artikulationsreicher Meisterschaft, die den betreffenden Werken weitere Klangoptionen eröffnen.

Dynamische Möglichkeiten des Instruments ausgeschöpft

Komatina weiss dabei genau um die Vorzüge des Akkordeons, wenn er (im Booklet) betont, dass sein Instrument bei barocken Stücken eben Dynamik-Abstufungen realisieren kann, über die das „originale“ Cembalo nicht verfügt(e). Bei Scarlattis Toccata d-Moll K 141 kontrastiert Komatina „stark rhythmisch geprägte“ Passagen mit „gesanglich-weichen“, bei Bachs Englischer Suite Nr. 5 e-Moll BWV 810 wollte er „die einzelnen Töne mit Creschendo und Decrescendo gestalten und die Spannung über mehrere Takte halten“.

Die spieltechnischen Grenzen erreicht

Bis an die spieltechnischen Grenzen des Akkordeons geht Interpret Komatina nicht nur im Caprice Nr. 1 von Frank Zabel, sondern insbesondere auch bei Kalevi Ahos 2. Sonate für Akkordeon „Black Birds“; sogar Virtuose Komatina attestiert diesem Stück, „eines der komplexesten, aufregendsten und schwierigsten Werke der modernen Akkordeonliteratur“ darzustellen. Und sowohl bei Zabel als auch bei Aho kann dabei der Akkordeonist, dessen technische Virtuosität sowohl im rechtshändigen Diskant- wie im linkshändigen Bass-Bereich des Instruments ihresgleichen sucht, hinsichtlich der Klang-Register aus dem Vollen schöpfen: Komatina spielt auf einer grossen Konzert-Bugari, deren weites Spektrum der Klappen-Register den klanglichen Anforderungen gerade moderner Komponisten gerecht wird. Von der Imitation von Vogelstimmen (in Ahos „Black Birds“) bis hin zu den komplexen Klangschichten in Zabels „Caprice“ deckt der serbische Künstler eine faszinierend vielfältige und in dieser Intensität noch selten gehörte Spannungsweite moderner Akkordeonmusik ab. ♦

Nikola Komata (Accordion): Inspiration – Werke von Domenico Scarlatti, Kalevi Aho, Johann Sebastian Bach, Frank Zabel und Moritz Moszkowsi, Spieldauer 53:45, GWK-Records

Lesen Sie im Glarean Magazin zum Thema Akkordeon-Musik auch über die CD des Salon-Orchesters Prima Carezza: Pourquoi, Madame?


Werner Kaufmann: Zwingende Züge (Schach)

Wer nach einem bibliographisch schön aufbereiteten, mit sauber gestaltetem Layout versehenen, mit gut strukturierten Kommentaren bestückten und mit vielen Diagrammen gespickten Schachbuch sucht, wird bei Werner Kaufmanns „Zwingenden Zügen“ nicht fündig. Noch nicht mal eine Print-Ausgabe gibt es von dieser jüngsten Publikation des in der Zentralschweiz recht bekannten Nationalliga-Spielers und Fide-Meisters. Schach-Puristen mit jahrelanger Gewöhnung an den ästhetischen Mainstream der konventionellen Schachbuch-Herstellung lassen also am besten die Finger von diesen „Zwingenden Zügen“.

Schachpädagogisch originäre Denkansätze

Wer aber ausgeleierte, häufig austauschbare Pseudo-Kommentierung verabscheut, stattdessen sehr originäre, mit Eigenleistung generierte Denkansätze schätzt, die schachpädagogisch für Spieler bis ca. 2000 Elo wirklich nützlich sind, der liegt bei Kaufmann goldrichtig. Kaufmanns E-Book nimmt das uralte Evans-Gambit zum Ausgangspunkt modernster On-the-Board-Überlegungen und propagiert Denkwege, die gänzlich ohne (häufig einfach nachgeplapperte bzw. sinnentleerte) Worthülsen wie „Mustererkennung“ oder „Strategie“ auskommen. Anstelle solcher schachpädagogisch meist nebulöser „Anleitungen“ setzt „Zwingende Züge“ auf praktikable und am Brett vom Spieler situativ umsetzbare Anregungen für das Berechnen wirkungsvoller Schachzüge.

„Keine Pläne!“

Werner Kaufmanns Credo, das er bereits in seinem „Keine Pläne!“, dem Vorgänger-Band der „Zwingenden Züge“ proklamierte und nun anhand zahlloser konkreter Lehrpartien und -stellungen des für diesen Zweck optimalen Evans-Gambits dokumentiert, verkündet allen Lernenden:

„Im Schach geht es um drei Sachen:

  1. Drohung ansehen
  2. Alles angreifen
  3. Nichts einstellen“

Am besten zitieren wir Kaufmann ausführlicher:

Patzer glauben viel eher als Grossmeister zu wissen, was gerade zu tun ist, und ordnen ihre Züge irgendwelchen positionellen oder strategischen Zielen unter. Dem gegenüber prüft der GM, was gerade in der Stellung drin ist, versucht sich über seine Optionen Klarheit zu verschaffen und wählt eine dieser Optionen. Kurzum, der Patzer spielt abstrakt, der GM konkret. Ich bin überzeugt, dass ich im Schach nur Fortschritte machen kann, wenn ich mich daran gewöhne, mich von Zug zu Zug um Drohungen und Gegendrohungen zu kümmern, ohne irgendwelche strategischen Ziele zu verfolgen.
Der durchschnittliche Schachspieler hat ungefähr 1600 Elo, was bedeutet, dass die Hälfte aller Spieler weniger Elo hat. Über 1800 kommen 20%, über 2000 10% und über 2200 noch 3% der Spieler. Über 2400 sind es noch ein paar Promille, aber richtig gutes Schach wird erst ab 2600 gespielt. Überlassen wird doch das Planen denjenigen, die Varianten auch korrekt berechnen können…

Eine Kurz- bzw. Zusammenfassung der Kaufmann’schen „Gesetze“ bietet der Autor selber auf seiner Webseite.
Jedenfalls aber ist „Zwingende Züge“ des erfolgreichen Innerschweizer Nationalliga-Spielers und Fernschach- sowie Computerschach-Experten Werner Kaufmann sehr pointiert und auch witzig geschrieben, seine Zuganalysen sind mit modernster Software verifiziert (und korrigieren oftmals auch „fehlerhafte“ Programm-Vorschläge…), die Denkansätze sind äusserst unkonventionell, aber auch äusserst einleuchtend.
Für Turnierspieler, die sich für einmal abseits der üblichen „strategischen“ Verallgemeinerungen bewegen und sich konkret auf die schachlichen Notwendigkeiten einlassen wollen, ist dieses E-Book eine lehrreiche Hilfe im Dschungel des Varianten-Dickichts – und insgesamt eine originelle Ergänzung des Schach-Bücherschrankes. Empfehlung! ♦

Werner Kaufmann: Zwingende Züge – erläutert anhand von Captain William Evans‘ Gambit, e-book (Kindle Edition), 104 Seiten, Damenspringer Verlag

Lesen Sie im Glarean Magazin (quasi als Gegenentwurf) zum Thema „Schachpädagogik“ auch über Oudeweetering: Mustererkennung im Mittelspiel


Duo Imaginaire: Japanese Echoes – Hommage à Claude Debussy (CD)

Das Duo Imaginaire – das sind die Würzburger Konzert-Harfenistin Simone Seiler und der Edinburgher Solo-Klarinettist John Corbett. Gemeinsam realisierten die beiden Künstler ein ganz spezielles Musik-Projekt: „Japanes Echoes“ nennt sich ihre neue CD, die nicht weniger als sechs japanische Komponist(inn)en vorstellt, welche in ihren Werken „antworten“ auf je ein selbstgewähltes Prélude von Debussy. Diese japanische Hommage à Claude Debussy reflektiert vielfältig auch die grosse Faszination, die Japans und überhaupt die fernöstliche Musiktradition mit ihrer Klangsinnlichlichkeit auf den genialen Impressionisten ausübte.

Sechs unterschiedliche japanische Stil-Ausprägungen

Das halbe Dutzend Werke von Satoshi Minami (*1955), Yasuko Yamagucchi (*1969), Takashi Fujii (*1959), Kumiko Omura (*1970), Takayuki Rai (*1954) und Asako Miyaki (*1967) durchmisst eine weite Bandbreite an Kompositionstechniken und Klangstilen. Jedes der Debussy-Préludes als die vorangestellten Ausgangspunkte der Komponisten aus Japan wurde von dem Duo transkribiert aus dem Klavier-Original in das Klarinette-Harfe-Duett, und über die Legitimation solcher Übertragung eines doch sehr Klavier-fokussierten Impressionismus und dessen klanglich-pianistischen Spezifikationen liesse sich streiten. Doch als Experiment auch im Sinne von „West meets East“ und als Gegenüberstellung sehr unterschiedlicher melodischer und harmonischer Konzepte bei „seelenverwandschaftlichem“ Ansatz hat dies Projekt des Duo Imaginaire seine Berechtigung.

„Eine Art musikalische Haiku“

In seinem Booklet umreisst das Duo die Intention seiner „Japanese Echoes“ folgendermassen:

Wie wichtig die Tonfarbe für Debussy ist, zeigt sich in der Verwendung seiner expansiven Klangfarbenpalette, die sich auf den Raum oder Umfeld bezieht, nicht jedoch auf die Struktur. Dies geschieht analog zur Shakuhachi-Honkyoku-Tradition, bei der sich der Schwerpunkt auf die Ästhetik eines einzigen Tons konzentriert. Der Klang ist dabei wichtiger als die Struktur. […] Die musikalische Antwort der japanischen Komponist(inn)en ist eine Art musikalische Haiku oder besser Waka (Antwortgedicht). Es lässt das ausgewählte Prélude in einer neuen Perspektive erscheinen und macht dem Hörer den Bezug Debussys zur japanischen Kultur deutlich.

Dass Debussys Klangsinnlichkeit, seine lebenslange Affinität zur fernöstlichen Kultur, seine Sensibilität für Raum und Stille kein westlicher Kontrapunkt, sondern ein imaginatives Pendent zu japanischen Klangtraditionen darstellt, dokumentiert das Duo Imaginaire sehr eindringlich. Hoher Verschmelzungsgrad des Saiten- mit dem Holzblas-Instrument und buchstäblich zauberhafte Klanglichkeit zeichnen diese Ersteinspielungen aus. Dabei durchmessen sie eine vom Pentatonischem bis zum Quasi-Improvisatorischen reichende, teils meditative, teils gestenreiche, rhythmisch oft kaum nachvollziehbar strukturierte, dynamisch aber feinst abgestufte Musik-Palette, deren Kolorit bei aller impressionistischen Orientiertheit die japanische Herkunft nie verleugnet. Das Duo musiziert eindringlich, verfügt über die nötigen Techniken souverän, insbesondere der Klarinettist interpretiert virtuos. Ein sehr anregende Produktion. ♦

Duo Imaginaire: Japanese Echoes – Hommage à Claude Debussy, John Corbett (Klarinette) und Simone Seiler (Harp), Spieldauer 57:28, TYX-Art Label

Lesen Sie im Glarean Magazin auch zum Thema „Harfe und Blasinstrument“ über K. Englichova (Harfe) und V. Veverka (Oboe): Impressions, Werke von Ravel, Debussy und Sluka

Englichova (Harp) & Veverka (Oboe): Impressions (CD)

Solo – oder die Freiheit des Einzelnen

von Michael Magercord

Harfe und Oboe – zwei Instrumente, die im Orchester nur zum Einsatz kommen, wenn es darum geht, etwas Farbe in das Werk zu bringen: Die Harfe, wenn es lieblich werden soll, versüsst sie die Klänge, die süsser nie klingen, oder wenn ihr für einen Wechsel im Tempo über alle Saiten gestrichen wird, nur um dann wieder zu verstummen. Die Oboe wiederum kommt zum Einsatz, wenn einmal ein rauer Ton in das Klangwerk hinein quaken soll, der ehrlich und direkt sein soll – bei Peter und der Wolf, wo jedes Tier durch ein Instrument repräsentiert wird, steht die Oboe für die Ente. Keine unbedingten Alphatiere unter den Musikinstrumenten also – und wenn die dann solistisch auftreten? Und nun auch noch gemeinsam?

Oboe und Harfe lieblich und quäkend – oder umgekehrt

Katerina Englichova und Vilem Veverka: Impressions - Ravel Debussy Sluka (Works for Oboe and Harp)Zuerst spielte vor fünf Jahren Vilem Veverka, Oboist bei den Berliner Philharmonikern, ein Album mit Telemanns zwölf Phantasien und Brittens sechs Metamorphosen ein. Katerina Englichova folgte ihm dann 2015 mit ihrer CD für Harfenwerke. Die versierte Konzertharfistin setzte auf ein zeitgenössisches Repertoire.Und nun haben die beiden in diesem Jahr ein gemeinsames Album aufgenommen. Oboe und Harfe im Duo, lieblich und quäkend und auch mal umgekehrt. Und man könnte nun darüber schreiben, wie gekonnt es gespielt ist und wie hübsch sich das anhört, und dafür auch die instrumentengerechte Auswahl der allbekannten Stücke der französischen Impressionisten Ravel und Debussy ins Feld führen. Man könnte nun bemängeln, dass ein wenig mehr Mut beim Programm der CD höhere Relevanz verliehen hätte. Immerhin, zwei Erstaufnahmen von kürzeren Werken von Lubos Sluka zeigen, dass angenehme Hörbarkeit auch zeitgenössischen Komponisten gelingen kann. Und man könnte schliesslich sagen, dass diese CD vielleicht anders als die jeweiligen Soloeinspielungen auch denen einen Hörgenuss bietet, die den beiden Instrumenten sonst nicht soviel abgewinnen können.

CD-Cover als Verpackungsschwindel

Aber nein, an welchen Misstönen stört man sich stattdessen – und das sogar noch, bevor man überhaupt einen Ton gehört hat? An der Covergestaltung dieser CD, und den beiden anderen auch noch gleich nachträglich. Eigentlich sollte es dem Hörer von Musik doch egal sein, wenn sich ein Fotograf mit besonders albernen Inszenierungen hervortut und eine ansonsten doch seriöse Plattenfirma versucht, ihre Vertragskünstler als Superstars zu vermarkten. Aber kann man denn Superstar werden, wenn man die Harfe streicht oder in die Oboe prustet? Oder dadurch, dass man die Oboe schultert, sich in Gummibändern verheddert oder sich um einen auf den ersten Blick quallenhaften Gegenstand herum umgreifend vergreift? Das alles hat so gar nichts mit der Musik zu tun, die damit verkauft wird. Also ein klarer Fall von plumpem Verpackungsschwindel und kruder Selbstdarstellung obendrein: Willkommen im Facebook-Zeitalter.

Musikalische Vision durch das Visuelle gestört

Warum aber sollte das den Hörer stören? Der hört doch nur. Richtig, aber hören ist immer auch sehen. Vor dem geistigen Auge entsteht eine Vision, und die wird vom CD-Cover zumindest beeinflusst. Diese Art von Foto- und Designkunst teilt vor allem eines mit: die Protagonisten nehmen nicht so richtig ernst, was sie tun. Und da sie nun einmal in erster Linie Musiker sind, ist es die Musik, die sie nicht ernst nehmen. Aber vielleicht wollten sie auch einfach sagen: Wir nehmen uns selbst nicht so ernst, sondern nur die Musik.

Wenn man das alberne CD-Cover von "Impressions" beim Hören möglichst weit weg legt, so dass man es nicht im Blick hat, formen sich Harfe und Oboe trotz ihrer unterschiedlichen Klänge zu einem spannungsreichen Ganzen, worin sich die altbekannten Stücke von Ravel und Debussy neu entdecken lassen.
Wenn man das alberne CD-Cover von „Impressions“ beim Hören möglichst weit weg legt, so dass man es nicht im Blick hat, formen sich Harfe und Oboe trotz ihrer unterschiedlichen Klänge zu einem spannungsreichen Ganzen, worin sich die altbekannten Stücke von Ravel und Debussy neu entdecken lassen.

Na, wenn das so ist! Was also tun in Zeiten wie diesen, wo selbst die selbstironische Distanz mit grösster Aufdringlichkeit zelebriert wird? CD aus der Hülle nehmen, auflegen und dann Augen zu und durch: hören und sich selbst ein Bild machen beziehungsweise von der Musik machen lassen. Immerhin, diese klitzekleine Freiheit der inneren Selbstverwirklichung wird uns in der Konfrontation mit den permanenten Selbstdarstellungen noch gelassen.
Kurzum: Wenn man das alberne CD-Cover von „Impressions“ beim Hören möglichst weit weg legt, so dass man es nicht im Blick hat, formen sich Harfe und Oboe trotz ihrer unterschiedlichen Klänge zu einem spannungsreichen Ganzen, worin sich die altbekannten Stücke von Ravel und Debussy neu entdecken lassen – wenn auch die etwas älteren Soloalben der beiden Musiker über die höhere künstlerische Relevanz verfügen. ♦

Katerina Englichova (Harfe) und Vilem Veverka (Oboe): Impressions, Werke von Ravel, Debussy und Sluka, Audio-CD, Supraphon

Lesen Sie im Glarean Magazin zum Thema „Musik für Harfe“ auch über
Heinrich Laufenberg: Kingdom of Heaven (Ensemble Dragma)

ausserdem im GLAREAN zum Thema Debussy:
„Heute vor … Jahren“: Prélude a l’après-midi d’un faune

Heinz Stade: Bach, Liszt und Wagner in Weimar

Weimar nach Noten

Ein musikalischer Reise(ver)führer

von Günter Nawe

„Weil die lieben Engelein selber Musikanten sein“ – mit diesem Zitat von Martin Luther leitet der Journalist und Preisträger des Deutschen Denkmalpreises Heinz Stade ein aussergewöhnlich schönes kleines Büchlein ein, das der Autor dem „musikalischen“ Weimar gewidmet hat.
Weimar hat, so weiss Stade überzeugend darzulegen, mehr zu bieten als nur Goethe, Schiller, Wieland – und wie all die Geistesgrössen heissen mögen, die den Ruf Weimars als „Zentrum“ klassischer Literatur begründet haben. In seinem Reise(ver)führer zeigt der Autor in knappen Texten die wichtigsten Orte des musikalischen Geschehens und dessen Protagonisten in Weimar aufzuzeigen – von gestern bis heute. Weimar nach Noten also – ein genius loci zahlreicher Musiker-Persönlichkeiten.

Im Anfang war Luther

Heinz Stade - Bach, Liszt und Wagner - Spaziergänge durch das musikalische Weimar von gestern und heute - Edition Leipzig

Mit Luther begann’s. Er hatte grossen Einfluss auf die Kirchenmusik seiner Zeit, auch und vor allem in Weimar, wo er sich selbst das eine und andere Mal aufhielt. Ihm begegnet der Leser – mit Heinz Stade auf Spurensuche – im Stadtschloss und in der Stadtkirche St.Peter & Paul (Herderkirche). Hier sass Gottfried Walther, ein Verwandter von Johann Sebastian Bach, an der Orgel.
Johann Sebastian Bach lebte von 1708 bis 1717 in Weimar, wo er 1717 eine zeitlang im Gefängnis sass. Hier – im Bachhaus – komponierte er unter anderem viele Orgelstücke, etwa 30 Kantaten und die Frühfassungen der Brandenburgischen Konzerte.

Von Bach bis Albert Schweitzer

Damit ist auch schon einer der titelgebenden Komponisten benannt – in einer Reihe höchst illustre Namen. Nicht nur Johann Sebastian Bach, Franz Liszt (der Weimarer Musiker schlechthin) und Richard Wagner, auch Felix Mendelssohn Bartholdy, Johann Nepomuk Hummel, Albert Schweitzer, der grosse Orgelvirtuose und Bach-Biograph.
Herder wurde bekannt als kundiger Sammler von Volksliedern, die er „mit den Ohren der Seele“ hörte. Marlene Dietrich, sollte 1919 in Weimar zur Konzertgeigerin ausgebildet werden. Sie fand hier vielleicht (?) sogar ihre erste Liebe. Der 1918 geborene und 1988 verstorbene Komponist Johann Cilenšek hatte eine Professur an der Musikhochschule Weimar inne.

Mozart trifft Wieland, Mendelssohn spielt Goethe vor

Sorgte in Weimar für Aufsehen und Aufregung: Die russische Grossfürstin Anna Pawlowna
Sorgte in Weimar für Aufsehen und Aufregung: Die russische Grossfürstin Anna Pawlowna

Der Leser kann sich auf einige wunderbare Ereignisse gefasst machen; Ereignisse, die direkt oder indirekt mit Musik zu tun haben. So trifft Mozart den literarischen Altmeister Martin Wieland in Weimar. Der junge Mendelssohn spielt dem Dichterfürsten Goethe vor. Beethoven’s „Ode an die Freude“ basiert auf der Schillerschen Dichtung. Für Franz Liszt und Richard Wagner war die Musikstadt Weimar von existenzieller Bedeutung. Hector Berlioz liess Franz Liszt wissen, dass er sich in Weimar „wirklich glücklich“ fühle. Und Richard Strauss machte auf seine Weise in Weimar Furore.
Anna Pawlowna, russische Grossfürstin, sorgte in viele Hinsicht für Aufsehen in Weimar. Auch in Sachen Musik. Sie gab mit der Anstellung „…berühmter auswärtiger Virtuosen wie Eberhard Müller, Johann Nepomuk Hummel und Franz Liszt grundlegende Impulse für die Entwicklung Weimars zu einem weithin ausstrahlenden Musikzentrum“ (Heinz Stade).

Weimar’scher Glanz bis in unsere Tage

Ein wunderbarer, sehr informativer und sehr schön erzählter Reise(ver)führer durch das musikalische Weimar von gestern und heute. Heinz Stade gelingt es, den Leser (und sicher auch den Weimar-Besucher) klug durch die Weimarer Musikgeschichte zu führen, mit ihren Protagonisten bekannt zu machen und nicht zuletzt spannend zu unterhalten.
„Spaziergänge durch das musikalische Weimar“ ist ein wunderbarer, sehr informativer und sehr schön erzählter Reise(ver)führer. Heinz Stade gelingt es, den Leser (und sicher auch den Weimar-Besucher) klug durch die Weimarer Musikgeschichte zu führen, mit ihren Protagonisten bekannt zu machen und nicht zuletzt spannend zu unterhalten.

Eine Ausstrahlung, die bis heute Bestand hat. Die „Tage Neuer Musik in Weimar“, initiiert von Michael von Hintzenstern, sind weltberühmt; der Jazz hat in Weimar ebenfalls eine Heimat – zum Beispiel dank der „bauhauskapelle“, von der ein Berliner Kritiker einmal behauptete: „die beste Jazzband, die ich je toben hörte“.
Von alldem erzählt Heinz Stade mit viel Empathie, sehr kompetent und klug. So begegnen uns auf den Stadeschen „Spaziergängen durch das musikalische Weimar von gestern und heute“ bedeutete Komponisten, Musiker und Musikförderer. Wir treffen sie an den Orten in Weimar, wo sie alle mehr oder weniger Weimarer und europäische Musikgeschichte geschrieben haben: Im Goethe-Haus und im Stadtschloss, in der Stadtkirche und im Schloss Belvedere, in den Sommerschlössern und Parks von Ettersburg und Tiefurt.
Beim nächsten Besuch in Weimar sollte dieser wunderbare Reise(ver)führer, der nicht zuletzt sehr schön illustriert ist, unbedingt dabei sein. ♦

Heinz Stade: Bach, Liszt und Wagner – Spaziergänge durch das musikalische Weimar von gestern und heute. 80 Seiten, Edition Leipzig, ISBN 978-3-361-00725-3

Lesen Sie im Glarean Magazin zum Thema „Genius loci“ auch über
Volker Gebhardt: Lese und höre (Künstler-Orte)

50-Euro-Musik-Preisrätsel (Juli 2017)

Der 50-Euro-Preisrätsel-Spass im Glarean Magazin

In regelmässigen Abständen schreibt unser Magazin ein Preisrätsel aus – diesmal wieder aus der Welt der Musik. Wer als erste/r die vollständige Lösung des untenstehenden Musik-Kreuzworträtsels einreicht, erhält 50 Euro (Ausland) bzw. 50 Franken (Schweiz). Das Rätsel kann (via Druck-Funktion des Browsers) ausgedruckt, ausgefüllt und anschliessend als Scan-Grafik mit einem Link via „Kommentar“ eingereicht werden. Weitere Möglichkeit: Alle Lösungswörter werden mit ihren passendenWaagrecht-/Senkrecht-Nummern via „Kommentar“ geschrieben. – Der Rechtsweg ist ausgeschlossen.

Einsende-Schluss ist am 15. Juli 2017 (12 Uhr)

Viel Spass und Erfolg!

Das neue 50-Euro-Musik-Kreuzworträtsel (Juli 2017)
Das neue 50-Euro-Musik-Kreuzworträtsel (Juli 2017)
Knobeln Sie im Glarean Magazin auch das
50-Euro-Musik-Preisrätsel vom September 2017
… sowie in der Rubrik „Wer bin ich?“ das
50-Euro-Preisrätsel (Woman Power 16) vom Juni 2018

Das neue Musik-Kreuzworträtsel (Mai 2017)

Der Buchstaben-Musik-Rätselspass !

Musik-Kreuzworträtsel - Mai 2017 - Glarean Magazin

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Lesen Sie im Glarean Magazin zum Thema Rätsel auch den Essay:
Kür der Allgemeinbildung: Das Bilder-Rätsel (Rebus)

… sowie das Musik-Kreuzworträtsel im April 2020

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Severin von Eckardstein plays Robert Schumann (CD)

Ein Plädoyer für die Romantik

von Christian Busch

Wenn es dunkelt, die Sonne im Waldesschatten versinkt und der Himmel in sternklarer Nacht im Blütenstaub still die Erde küsst, spannt in dämmrigen Felsenklüften die Seele weit ihre Flügel, als flöge sie nach Haus, und lüftet ihr innerstes Geheimnis: die Liebe. „Durch alle Töne tönet / im bunten Erdentraum / Ein leiser Ton / Für den der heimlich lauscht“ (Friedrich Schlegel)

Severin von Eckardstein plays Robert SchumannWie in Joseph von Eichendorffs Landschaften formte die Romantik wie keine andere Epoche die Sprache und Welt der Seele, welche sich in Abgeschiedenheit und privater Intimität ungeachtet gesellschaftlicher Wirklichkeit und politischer Zensur zu Wort bzw. zum Tone meldet. Schon der grosse Idealist Beethoven hatte sich in seinem 1816 komponierten Liedzyklus „An die ferne Geliebte“ zur romantischen Tonsprache der Innerlichkeit bekannt, welche seinen romantischen Nachfolgern den Weg ebnete. Robert Schumann, der als schweigsam, introvertiert, hochgebildet und als Inbegriff der deutschen Hochromantik gilt, fand sein Element zwischen mildem Eusebius und wildem Florestan im Phantastischen, in der musikalischen „Fantasie“ des Klaviers, dem Instrument der Seele.

Balance zwischen Florestan und Eusebius

Severin von Eckardstein - Konzertpianist - Glarean Magazin
Severin von Eckardstein

Der 1978 in Düsseldorf geborene Pianist Severin von Eckardstein hat sich nun in seiner neuen CD neben den drei Fantasiestücken op. 111 und den Fantasiestücken op. 12 auch Robert Schumanns einzigartiger Fantasie in C-Dur op. 17 angenommen. Bei der 1838 vollendeten Fantasie, die zugleich Ausdruck von Schumanns leidenschaftlicher, aber problematischer Beziehung zu Clara Wieck  („das Passionierteste, was ich je geschrieben habe“) als auch eine Hommage an Beethoven (man höre nur die Triolen aus der Mondscheinsonate im dritten Satz) war, kommt es zweifellos immer wieder neu darauf an, die Balance zwischen sanguinischem Florestan und dem jede extrovertierte Effekthascherei fremd anmutenden Eusebius in Schumanns Temperament zu finden. Jegliches Zuviel an jugendlicher Überschwänglichkeit oder distanziert abgeklärtem, vermeintlich reifen Musizieren sind hier eher abträglich.

Brodelndes Temperament neben harmonischer Liebes-Sehnsucht

Umso verblüffender das Ergebnis, das Schumanns „Ach, zwei Seelen wohnen ach in meiner Brust“ mit grosser Natürlichkeit und Klarheit vereint. Die grossen Sprünge und Gegensätze in der Komposition, hier brodelndes Temperament, ausbrechender Stolz und rauschhafte Getriebenheit einerseits, träumerischer Schwebezustand, friedvoll-harmonische Sehnsucht nach Liebe andererseits sind auf wundersame und doch scheinbar selbstverständliche Weise – und doch ohne Glättungen – verbunden; phantastisch!  Und wenn man die CD in seine Sammlung einreiht, hat man das Gefühl, dass auf den älteren, durchaus leidenschaftlicheren Aufnahmen (Arrau, Kissin, Le Sage) ein wenig Staub liegt.
Die ebenfalls äusserst gelungenen Darbietung der Fantasiestücke op. 111 und op. 12, welche in ihrer zwar virtuosen, aber immer romantisches Ethos verkörpernden Episoden faszinieren, runden die CD, die ausserdem mit einem fachkundig-emphatischen Kommentar des Künstlers im Booklet versehen ist, ab.
Ein Plädoyer unserer Zeit für die Romantik. ♦

Severin von Eckardstein (Klavier): Severin von Eckardstein plays Robert Schumann, Cavi-Music (Harmonia Mundi)

Lesen Sie im Glarean Magazin zum Thema Klavier-Romantik auch über
Egon Wellesz: Klavierkonzert (CD)

Hanna Bachmann (Piano): Janacek, Beethoven (CD)

Ein pianistisch-musikalisches Versprechen

von Walter Eigenmann

Hanna Bachmann: Sonaten von Janacek, Beethoven, Ullmann, SchumannWenn eine erst 24-Jährige das Klavier so spielt wie Hanna Bachmann, so nennt man das fürwahr – auch in unseren Zeiten der Inflation von „Wunderkindern“ – eine Entdeckung. Die junge Österreicherin widmete sich während ihres Studiums vornehmlich Beethoven, mit dem sie am Bonner Beethovenfest 2015 debütierte – und nun präsentiert sie mit ihrer ersten CD-Einspielung Janaceks Sonate 1.X.1905, Schumanns zweite Sonate op. 22 und Beethovens „Adieux“-Sonate. In diesen „Klassiker“-Reigen stellt sie ausserdem – eine Überraschung – die interessante siebte und letzte Sonate des 1898 geborenen und 1944 in Auschwitz von den Nazis ermordeten österreichisch-ungarischen Komponisten und Pianisten Viktor Ullmann.

Von Beethoven über die Romantik
zur Schönberg-Schule

Beginn des Trio's aus dem vierten Satz der Klaviersonate Nr. 7 von Viktor Ullmann
Beginn des Trio’s aus dem vierten Satz der Klaviersonate Nr. 7 von Viktor Ullmann

Von Beethoven über die Romantik zum Schönberg-Schüler Ullmann also – ist dies das grosse Spannungsfeld der Pianistin Bachmann, die offensichtlich trotz (oder wegen?) ihrer Jugendlichkeit keine stilistischen Berührungsängste kennt? Und auch keine klaviertechnischen Hürden, sei angemerkt: insbesondere Bachmanns Schumann, auch ihr letzter Ullmann-Satz zeugen von bereits enormer Brillanz, die sich paart mit sensitivem Anschlag und zugleich Klangsinn. Wenn man dieses CD-Debüt von Hanna Bachmann als pianistisches Versprechen nehmen soll, dann wird von dieser jungen Künstlerin noch sehr viel zu hören und zu reden sein.

Förderung junger und vielversprechender Künstler

Die Pianistin Hanna Bachmann glänzt gleich in ihrem CD-Debüt mit profilierter Werkauswahl und stilistischer Weite.
Die junge, aber pianistisch wie musikalisch sehr gereifte österreichische Pianistin Hanna Bachmann glänzt gleich in ihrem CD-Debüt mit profilierter Werkauswahl und stilistischer Weite. Das deutsche Label TYXart führt Bachmann als feinfühlige Künstlerin mit Sonaten von Beethoven, Janacek, Schumann und Ullmann ein und weckt damit Hoffnungen auf weitere Novitäten dieser Pianistin.

Eine Anerkennung sei an dieser Stelle noch ausdrücklich vermerkt zu dem im regensburgischen Nittendorf domizilierten, erst seit fünf Jahren aktiven Label TYXart, in dessen neuer Serie „Rising Stars“ junge Musiker/innen wie eben Hanna Bachmann ein qualitätsvolles Haus für ihre Erstaufnahmen finden. Denn in dem Novitäten-gefluteten Klassik-, überhaupt dem CD-Markt immer neu auf vielversprechende Talente hinzuweisen, das birgt künstlerische und finanzielle Risiken. Diese unbeirrt und über Jahre hinweg auf editorisch hohem Niveau in Kauf zu nehmen verdient Respekt – und alle Neugier des Musikliebhabers! ♦

Hanna Bachmann: Klaviersonaten von Janacek, Beethoven, Ullmann und Schumann, TYXart 2016, 73 Min. / ASIN B01NAK28ZN

Lesen Sie im Glarean Magazin zum Thema „Romantische Klaviermusik“ auch über
Severin von Eckardstein plays Robert Schumann (CD)

Das neue Musik-Kreuzworträtsel (Januar 2017)

Der Buchstaben-Musik-Rätselspass !

Das neue Musik-Kreuzworträtsel (Januar 2017)
Das neue Musik-Kreuzworträtsel (Januar 2017)

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Knobeln Sie im Glarean Magazin auch das
Musik-Kreuzworträtsel zu Weihnachten 2019

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Kopf des Monats: Bob Dylan (Scherenschnitt)

Der Literatur-Nobelpreisträger 2016

Die Mainzer Schriftstellerin und Künstlerin Simone Frieling stellt im Glarean Magazin jeweils einen „Kopf des Monats“ in Form eines Scherenschnittes vor.bob-dylan-01-scherenschnitt-von-simone-frieling-glarean-magazin-oktober-2016bob-dylan-02-scherenschnitt-von-simone-frieling-glarean-magazin-oktober-2016© Copyright 2016/10 by Simone Frieling

Sehen Sie im Glarean Magazin auch den „Kopf des Monats“ im September 2017:
Miguel de Cervantes

Das neue Musik-Kreuzworträtsel (Juli 2016)

Der Buchstaben-Musik-Rätselspass !

von Walter Eigenmann

Das neue Musik-Kreuzworträtsel (Juli 2016)
Das neue Musik-Kreuzworträtsel (Juli 2016)

.Copyright© 2016/07 by Walter Eigenmann

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Sojka-Streichquartett: Böhmische Kammermusik (CD)

Ersteinspielungen böhmisch-mährischer Vorklassik

von Walter Eigenmann

Dankenswerterweise überzeugen kleinere CD-Labels wie das vor vier Jahren gegründete deutsche TYXart immer wieder mit CD-Produktionen, die einerseits mit stilstischen Konzeptionen völlig abseits des kommerziellen Mainstreams agieren, aber gleichzeitig auf hohe künstlerische und aufnahmetechnische Qualität Wert legen. Ein gutes Beispiel dieses Anspruches von TYXart-Gründer und -Recording-Producer Andreas Ziegler stellt auch die jüngste TYXart-Kammermusik-Produktion dar, die böhmisch-mährische Komponisten des 18. Jahrhunderts mit ausgesuchten und kaum aufgeführten, kompositorisch aber exquisiten Streichquartetten vorstellt. Dabei präsentiert das Prager Sojka Quartet mit Martin Kos und Martin Kaplan (Violinen), Josef Fiala (Viola) und Hana Vitkova (Violoncello) als Ersteinspielungen drei Quartette von Antonin Kammel, Florian L. Gassmann und Anton Zimmermann sowie die C-Dur-Sonate von Franz Koczwara für 2 Violen und Cello.

Technisch filigran und fein durchgehört

String Chamber Music - Sojka Quartet - Kammel u.a. - TYXart - CoverDas durchwegs technisch filigran und fein durchgehört musizierende Sojka stellt gerade mit den beiden Quartetten des Haydn-Wegbereiters Kammel (op. 7/2) sowie des kompositorisch sehr weitgefächerten Spätbarocken und Martini-Schülers Gassmann (Nr.2/1804) zwei besonders exemplarische Werke des böhmisch-mährischen Musik-Erbes vor, welches die Mannheimer Schule um Stamitz bis hinein zur Wiener Frühklassik teils initiierte, teils vervollständigte. Auch mit Zimmermanns F-Dur-Quartett (op.3/3) präsentieren die vier Sojka-Streicher ein die Originalität böhmischer Kammer-Komponisten eindrücklich dokumentierende Ersteinspielung, deren ungewöhnliche, variative Satzfolge und die spieltechnisch virtuose Anforderungen stellende Architektonik hervorragend herausgearbeitet werden.

Rhythmisch agil und doch klanglich satt

Weitgefächerter böhmischer Spät-Barocker und Wiener-Vorklassik-Wegbereiter: Florian Leopold Gassmann (1729-1794)
Weitgefächerter böhmischer Spät-Barocker und Wiener-Vorklassik-Wegbereiter: Florian Leopold Gassmann (1729-1794)

Die Affinität des Sojka-Quartetts zu diesem böhmischen Erbe des frühen 18. Jahrhunderts überrascht umso mehr, als die vier Musiker bis anhin eher mit Wiener Klassik, vor allem aber mit moderner tschechischer Kammermusik (Samiec, Cervinka, Pexidr u.a.) sowie mit Interpretationen der Zweiten Wiener Schule (Schönberg, Webern u.a.) in Erscheinung getreten sind, und sie unterstreicht damit eindrücklich die künstlerische Flexibilität und stilistische Spannweite dieser Streicher-Formation. Das Quartett interpretiert grundsätzlich mit rhythmischer Agilität und trotzdem betont sattem Quartett-Klang, der wohl nicht nur der Aufnahmetechnik, sondern auch dem leicht halligen Aufnahmeort (Oberpfälzischer Bezirk-Festsaal) geschuldet ist.

Das Prager Sojka-Streichquartett stellt in dem kleinen, aber feinen Klassik-Label TYXart seltene, jedoch exqusite Kammermusiken von bedeutsamen böhmisch-mährischen Komponisten der Frühklassik vor: Kammel, Gassmann, Koczwara und Zimmermann. Die interessante CD-Produktion enthält ausschliesslich Ersteinspielungen, das Quartett musiziert dabei filigran und mit doch betont füllig-sattem Streicherklang. Eine empfehlenswerte Novität.
Das Prager Sojka-Streichquartett stellt in dem kleinen, aber feinen Klassik-Label TYXart seltene, jedoch exqusite Kammermusiken von bedeutsamen böhmisch-mährischen Komponisten der Frühklassik vor: Kammel, Gassmann, Koczwara und Zimmermann. Die interessante CD-Produktion enthält ausschliesslich Ersteinspielungen, das Quartett musiziert dabei filigran und mit doch betont füllig-sattem Streicherklang. Eine empfehlenswerte Novität.

Das Sojka verbindet dabei geglückt das melodisch Leicht-Unbeschwerte des böhmischen Kolorits mit dem dynamisch kraftvoll nachgezeichneten Zugriff in den Kopfsätzen, und es findet dann wieder schön mitschwingendes Melos in den ruhigen Teilen. In einzelnen Passagen mag der Glanz der Geigenhöhen etwas zu kurz kommen zugunsten der füllig-dunklen Tiefen, aber das dürfte auf klanggeschmacklicher Präferenz des Sojka-Quartetts basieren.

Abgerundet wird die ebenso interessante wie überraschende CD-Publikation durch ein informatives, mehrsprachiges, das musikhistorische Umfeld der Quartette und ihrer Komponisten kurz beleuchtendes Booklet. Kaufempfehlung! ♦

Sojka Quartet: String Chamber Music by 18th Century Bohemian Composers – Kammel, Gassmann, Koczwara, Zimmermann – TYXart 2016

Lesen Sie im Glarean Magazin zum Thema Streichquartett auch über das Pavel-Haas-Quartet: Prokofiew – Streichquartette 1 & 2

und zum Thema (Früh-)Klassik auch über „Die Schöpfung“ von Joseph Haydn