Version 16 der Schach-Datenbank Chessbase

Der Schlüssel zum Erfolg?

von Mario Ziegler

Das erste, was dem Nutzer bei der 16. Version der Schach-Datenbank ChessBase ins Auge springt, ist ein roter Schlüssel. Dieser Schlüssel prangt auf dem Cover der DVD, der obere Teil bildet die Form eines Königs. Im Ankündigungsartikel auf der Homepage der Hamburger Hersteller-Firma wird die naheliegende Metapher aufgelöst: „ChessBase 16 ist da – Ihr Schlüssel zum Erfolg“.

In meiner Besprechung gehe ich auf zwei neue Funktionen ein, die für Turnierspieler und Trainer, also die hauptsächliche Käuferschaft eines Schachdatenbank-Programms wichtig sein dürften: Die automatische Erstellung einer Eröffnungsübersicht und die Suche nach Eröffnungsneuerungen.

Verbesserungen der Grafiken und des Server-Chats

Chessbase 16 - Startpaket: Die professionelle Schachdatenbank - DVD November 2020Damit bleiben einige andere Neuheiten unberücksichtigt, die aber durchaus Detailverbesserungen darstellen. Hierzu zählen die Erweiterung der Funktion der Ray Tracing-Grafiken oder die Verbesserung des Chats auf dem hauseigenen Server schach.de. Besonders nützlich finde ich die neue Funktion „Faltung der Notation“. Mit einem Mausklick werden Varianten nach dem ersten Zug ausgeblendet, was eine umfangreiche Kommentierung sofort deutlich übersichtlicher werden lässt.

Doch sind diese Verbesserungen vermutlich für die meisten Interessenten kein Grund, sich ein neues Schachprogramm anzuschaffen. Kommen wir daher zu den aus meiner Sicht zentralen Neuerungen.

Neue Eröffnungsübersichten

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Durch die Funktion „Übersichten“ übernimmt das Programm die Aufgabe, einen Variantenbaum zu einer Eröffnung bzw. Variante zusammenzustellen. Dazu wählt der Anwender eine ihn interessierende Stellung aus und gibt an, von welcher Seite aus diese Position beleuchtet werden soll. Danach präsentiert ChessBase den seiner Meinung nach besten Zugvorschlag und bietet einen Überblick über die möglichen Antworten der Gegenseite.
Diesen Prozess kann man beeinflussen, indem man bestimmte Kriterien (z.B. „traditionell“ oder „modern“, „Klubspieler“- oder „Meisterniveau“) vorgibt. Grundlage des Variantenbaums ist entweder eine Übersicht, die bereits auf dem Server existiert, oder die eigene Referenzdatenbank, aus der die Übersicht neu generiert wird.

Zeitsparende Varianten-Recherche

Mit dieser Funktion spart der Anwender viel Zeit. War es zuvor notwendig, sich mit Hilfe verschiedener Datenbanken oder des „Livebuchs“ selbst über plausible Fortsetzungen zu informieren, erledigt dies nun der Computer. Allerdings ist es offenkundig, dass die Qualität neu erstellter Übersichten mit der Qualität der Referenzdatenbank steht und fällt. Zudem nimmt mit jedem gespielten Zug die Anzahl der existierenden Partien ab, das Programm hat also weniger Material für eine Eröffnungsübersicht zur Verfügung.
Das kann dazu führen, dass kein Ergebnis präsentiert wird. In meinem ersten Versuch ging ich von der folgenden Position aus dem Damenbauernspiel aus, die sich noch zu Damengambit oder Colle entwickeln könnte:

Chessbase 16 - Eröffnungsübersicht - Damenbauernspiele (4...Ld6)
Chessbase 16 – Eröffnungsübersicht – Damenbauernspiele

Als erstes forderte ich eine Übersicht zum zugegebenermaßen exotischen 5.Se5 an. In meiner Referenzdatenbank finden sich zu dem Springerzug 11 Partien, das war dem Programm offenkundig zu wenig für eine Übersicht. Und auch mein Wunsch, etwas zum Zug 5.b3 zu erfahren, wurde nicht erhört. Diesmal existierten immerhin schon 27 Vorgängerpartien. Bei sehr speziellen Positionen stößt die Funktion „Übersichten“ also schnell an ihre Grenzen.
Für den nächsten Versuch wählte ich eine Position, zu der viele tausend Partien vorliegen: Die Grundstellung der Königsindischen Verteidigung nach 1.d4 Sf6 2.c4 g6 3.Sc3 Lg7 4.e4 d6. Zunächst ließ ich ChessBase nach traditionellen Fortsetzungen auf Turnierniveau suchen. Hier konnte das Programm eine Übersicht präsentieren, die bereits auf dem Server vorhanden war:

Chessbase 16 - Eröffnungsübersicht - Königsindische Verteidigung (5.Sf3)
Chessbase 16 – Eröffnungsübersicht – Königsindische Verteidigung

Der Zugvorschlag 5.Sf3 entspricht mit Sicherheit der „traditionellen Ausrichtung“ – was könnte klassischer sein als das Klassische System? Auch über schwarze Antworten wird ein umfangreicher Überblick gegeben, inklusive Hinweise auf Zugumstellungen und Partiezitate.
Verändert man die Präferenzen, ergeben sich andere Varianten. Hier die Übersicht aus der gleichen Stellung, diesmal aber auf Klubniveau und mit dem Schwerpunkt auf „Angriff“:

Chessbase 16 - Eröffnungsübersicht - Königsindische Verteidigung (Awerbach-Angriff)
Chessbase 16 – Eröffnungsübersicht – Königsindische Verteidigung (Awerbach-Angriff)

Die Begrenzung auf nur einen Zugvorschlag ist meines Erachtens Fluch und Segen zugleich. Möchte man als Angriffsspieler schnell eine brauchbare Variante gegen Königsindisch erhalten, so wird man mit 5.Le2 nebst baldigem Bauernvormarsch am Königsflügel gut bedient. Es werden aber natürlich viele andere Systeme verschwiegen, die einem Angriffsspieler ebenfalls liegen könnten: Die Sämisch-Variante, der Vierbauernangriff usw.
Auch ist mir nicht immer klar, nach welchen Kriterien das Programm einen bestimmten Zug vorschlägt. Bei den Vorgaben „Klubniveau“ und „Vereinfachen“ empfiehlt ChessBase gegen Königsindisch wenig überraschend die Abtauschvariante 5.Sf3 0-0 6.Le2 e5 7.dxe5. Doch was soll Weiß unternehmen, wenn Schwarz nicht 6…e5 spielt, sondern 6…c5? Hier spricht sich das Programm für 7.d5 aus, was ein völlig logischer Zug ist. Und dennoch: Wieso ausgerechnet 7.d5?

Chessbase 16 - Eröffnungsübersicht - Königsindisch - 7.d5
Chessbase 16 – Eröffnungsübersicht – Königsindisch – 7.d5

Kritisches Hinterfragen der Computer-Bewertungen

Ein Blick in die Online-Datenbank zeigt, dass 7.0-0 deutlich häufiger gespielt wurde und eine deutlich höhere Erfolgsstatistik aufweist als 7.d5. Dies kann also nicht der Grund für die Empfehlung sein. Und auch Engines bewerten den Bauernvorstoß nicht grundsätzlich besser als die Rochade. Zudem sind die Folgen der Zugauswahl an dieser Stelle durchaus weitreichend: 7.0-0 würde zu einer komplett anderen Stellung führen als 7.d5.
Auch hier gilt also, was schon an unzähligen anderen Stellen über Computervorschläge und -bewertungen geschrieben wurde: Man sollte sich nicht blind auf die Empfehlungen des Programms verlassen, sondern sie als das nehmen, was sie sind: sehr schnell verfügbare und sehr nützliche Hilfsmittel, die man aber jeweils kritisch durchdenken sollte.

Schürfen nach Neuerungen

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Eine weitere spannende Funktion ist das Schürfen nach Neuerungen. Die Engine sucht in einer großen Anzahl von Varianten, einschließlich der Nebenvarianten, nach selten oder noch gar nicht gespielten Zügen, die eine überraschend gute Bewertung aufweisen. Der Nutzen leuchtet sofort ein: Man bekommt schnell Hinweise auf neue und ungewöhnliche Züge, auf die man bei einer herkömmlichen Analyse bzw. Datenbanksuche vielleicht überhaupt nicht oder jedenfalls erst nach längerer Zeit gestoßen wäre.

Ausgangspunkt meines Praxistests war eine Stellung aus dem holländischen Staunton-Gambit nach den Zügen 1.d4 f5 2.e4 fxe4 3.Sc3 Sf6 4.f3 d5. Hier ließ ich das Programm mit den oben zu sehenden Einstellungen nach Neuerungen suchen. Nach 27 Minuten kam es zu folgendem Ergebnis:

Chessbase 16 - Neuerungen schürfen - Holländisch - Staunton Gambit
Chessbase 16 – Neuerungen schürfen – Holländisch – Staunton Gambit

Verwirrende Züge-Suche

Die gefundene Neuerung soll also in der Variante 5.fxe4 dxe4 6.Lg5 c6 mit dem Zug 7.Sge2 (gegenüber dem häufiger gespielten 7.Lc4) zu finden sein. Verwirrend ist allerdings, dass sich zu dem Springerzug fünf frühere Partien finden, obwohl ich ChessBase nach Zügen hatte suchen lassen, die bislang maximal einmal vorkamen. Ich kann das Ergebnis nicht erklären, in anderen Teststellungen wurden tatsächlich nur neue Züge angeboten. Wohlgemerkt beeinträchtigt dieses Ergebnis nicht den Wert von 7.Sge2, denn auch bei 5 Vorgängerpartien ist dieser Zug ja eindeutig selten genug um Gegner zu überraschen.

Kaufen – ja oder nein?

Die Gretchenfrage einer jeden Rezension lautet, ob der Autor die Anschaffung des Produktes empfiehlt. Im Fall von ChessBase 16 fällt die Antwort zwiespältig aus. Seit ChessBase 1987 das Licht der Welt erblickte, hat es unzählige Verbesserungen erfahren, längst setzt es den Standard im Bereich des Schachtrainings, der Gegnervorbereitung, aber auch der Analyse und Veröffentlichung von Partien.
Wer keine neuere Version des Programms sein Eigen nennt und ambitioniert Schach spielt oder trainiert, kann bedenkenlos bei Version 16 zugreifen – es ist ohne Zweifel ein sehr gutes und ausgereiftes Programm.

Innovatives für Theoretiker und Trainer

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Lautet die Frage aber, ob es einen solchen Fortschritt darstellt, dass man es auch erwerben muss, wenn man bereits die Vorgängerversion besitzt, so ist die Antwort weitaus weniger eindeutig. Die Innovationen sind interessant und durchaus nützlich, allerdings sind der Kaufpreis für das Startpaket in Höhe von 199,90 € und der Preis von 99,90 € für ein Update von Version 15 Summen, bei denen viele Schachfreunde genau überlegen werden, wie wichtig die neuen Funktionen für sie sind.

Nichts für Gelegenheitsspieler

Die Eröffnungsübersichten und die Suche nach Neuerungen, auf die ich mein Hauptaugenmerk gelegt habe, sprechen in erster Linie Spieler und Trainer an, die regelmäßig und tiefgründig im Bereich der Eröffnungen arbeiten. Für sie lohnt sich die Anschaffung von ChessBase 16, da die neuen Funktionen sehr viel Zeit und Arbeit sparen und wohl auch auf Züge hinweisen, die ansonsten unentdeckt geblieben wären.
Für den Gelegenheitsspieler oder auch Vereinsspieler einer mittleren Spielstärke halte ich den Einsatz dieser neuen Möglichkeiten für nicht unbedingt erforderlich. ♦

Chessbase 16 – Schachdatenbank, Edition 2021, Chessbase Hamburg, ISBN 978-386681-779-1

Lesen Sie im GLAREAN MAGAZIN zum Thema Schach-Datenbank-Software auch über den Vorgänger Chessbase 15 und seine neuen Features

Außerdem zum Thema Computerschach: The Engine Crackers


Computerschach: Die besten Engines der Welt (2)

Das grosse Turnier der Schachprogramme

von Walter Eigenmann

Vor drei Jahren hat der Autor in seinem Schach-Report „Die besten Engines der Welt“ ein Turnier mit 31 der häufigst verwendeten Programme besprochen. Seither hat das Computerschach eine gänzlich neue Entwicklung der Programmierung erlebt: Das KI-Programm Leela-Chess-Zero (Lc0) mit seinen ständig verbesserten Neuronalen Networks. Dieser gegenüber der traditionellen Alpha-Beta-Konzeption der herkömmlichen Engines gänzlich andere Strang der Schachprogrammierung mischt nun an der Spitze kräftig mit. Es war also an der Zeit, auf dem heimischen Ryzen-7 und seinen 16 Cores ein zweites grosses Turnier mit erneut 31 der momentan meistverwendeten Schachmotoren aufzusetzen: „Die besten Engines der Welt – Zwei“.

Bis anhin war ja, wenn’s um die absolute Spitze im Computerschach ging, nur von einem Programm die Rede: Stockfish. Über die Jahre gewachsen und von hunderten eifriger Tester und Anwender getragen, entwickelte sich diese Freeware-Engine zum einsamen Überflieger der Szene, gegen den nicht einmal die beiden kommerziellen Programme Komodo und Houdini eine Chance hatten. Doch dann überfiel im Dezember 2017 das AI-Projekt AlphaZero von DeepMind (by Google) die Schachwelt, und kein Stein blieb mehr auf dem anderen.

Bei Lc0 in die Schule gehen

Schach-Weltmeister Magnus Carlsen und AlphaZero - New in Chess 2019 - Glarean Magazin
Gelehrig in Sachen „Material vs Initiative“: Weltmeister Magnus Carlsen (Cover „New In Chess“ NIC – 2019)

Nicht nur das Computerschach geriet durch AlphaZero bzw. nun durch seinen würdigen (und v.a. kostenlosen) Nachfolger Lc0 in Aufruhr, auch die internationale Grossmeister-Szene bis hinauf zu WM Magnus Carlsen blickte gebannt auf diese Forschung, deren Produkte so ganz anders und zugleich höllisch stark Schach spielten. Und so nebenbei ein paar eröffnungstheoretische und mittelspielstrategische Glaubenssätze erfolgreich in Frage stellten.
Mittlerweile gibt sogar die oberste Etage der GM-Gilde unverhohlen zu, bei Lc0 in die Schule zu gehen. Beispielsweise Weltmeister Carlsen, über den es in der August-2019-Ausgabe der renommierten Zeitschrift „New in Chess“ heisst: „Magnus’ play is like that in the original ten AlphaZero games, with the initiative being a more important factor than the number of pawns“.

Das AI-Schach als „Game Changer“

Natasha Regan - Chess Author Game Changer - Glarean Magazin
Co-Autorin von „Game Changer“: Die Mathematikerin Natasha Regan

Feiert also die „romantische Ära“ des Opfer-Schachs von Paul Morphy bis Michael Tal ein Comeback infolge der Initialzündung Lc0? Einfach mit dem Unterschied, dass Leela’s taktischen, positionellen und strategischen Opfer immer korrekt sind?
Fest steht jedenfalls, dass das KI-Programm bzw. seine autodidaktisch generierten Netzwerke bereits einen schon jetzt spürbaren Einfluss auf das Welt-Schach der Top-50-Spieler ausübt. In ihrem Buch „Game Changer – AlphaZero’s Groundbreaking Chess Strategies and the Promise of AI“ erläutern Grossmeister Mathew Sadler und die Mathematikerin Natasha Regan ausführlich, welche Implikationen dieses neue AI-Schach für die moderne Spielweise im internationalen Turnierschach beinhaltet.

Ein neuer Star am Engine-Himmel

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Und was setzen die „Traditionalisten“ dieser geballten neuronalen Wucht entgegen? Sie bessern Stockfish & Co. immer noch mehr nach, versuchen dessen Schwächen auszumerzen, ohne seine Stärken zu mindern, was in der Alpha-Beta-Welt eine Herausforderung darstellt. Im Moment scheint Stockfish zu stagnieren. Doch das diagnostizierte man schon in früheren Entwicklungsperioden, nur um dann wieder überrascht zu beobachten, dass der Fisch erneut 50 Comp-Elo zugelegt und die Konkurrenten im Teich einen nach dem anderen weggebissen hatte.

Neuerdings wird allerdings die Alleinherrschaft von Stockfish nicht nur von LeelaChessZero, sondern unmissverständlich von einem Mitglied des eigenen Clans in Frage gestellt. Das Stockfish-Derivat Eman des Programmierers Omar Khalid aus den Vereinigten Arabischen Emiraten trumpft nämlich gerade ganz gross auf im internationalen Engine-Zirkus.
Wer dieses Programm beim Spielen beobachtet, der stellt sofort fest: Die Engine hat einen enormen Speed am Leib. Sie geht so rasant in die Tiefe, dass sogar dem Allesrechner Stockfish der Atem stockt. Auf meinem Rechner hat es jedenfalls aktuell keinen Gegner, die taktische Power dieses Emporkömmlings ist fulminant. Untersuchen wir also diesen Eman aus Arabien etwas näher…


Exkurs: EMAN von Khalid Omar

Wer ist Khalid Omar?

Khalid Omar - Chess Engine Programmer Eman - Glarean Magazin
Bastelte aus Stockfish die Turbo-Engine des Jahres: Eman-Programmierer Khalid Omar (geb. 1977)

Khalid Omar, der Programmierer der Schach-Engine Eman, die aus dem Open-Source-Programm Stockfish hervorgegangen ist, wurde 1977 in Kuweit geboren und schloss 2000 sein Studium als Elektro-Ingenieur an der Jordan University of Science & Technology ab. Seitdem arbeitet er in den Vereinigten Arabischen Emiraten als Chief Technology Officer eines internationalen IT-Unternehmens. Khalid Omar ist verheiratet und Vater von vier Töchtern.

„Mein dominierendes Hobby ist das Schachspiel, und ich bin aktiv auf mehreren Online-Plattformen wie z.B. lichess.org oder chess.com unterwegs“, verriet der 42-jährige IT-Experte dem Glarean Magazin. Nur um gleich zu schmunzeln: „Meine Online-Schachwertung liegt irgendwo bei 1800 Elo, ich programmiere Schach also weit besser als ich es spiele…“

Nicht bei Null angefangen…

Mit der Generierung seiner Überflieger-Engine Eman begann er vor zweieinhalb Jahren, wobei er (wie die meisten heutigen Schachprogrammierer…) nicht mehr bei Null anfangen musste, sondern die Open-Source-Engine Stockfish hernahm und daran herumzuschrauben begann. Omar’s Herumschrauben erwies sich allerdings als sehr viel erfolgreicher als das anderer Stockfish-„Kloner“: Seit seinen 5.0-Versionen zählt Eman zu den Top-Drei neben Lc0 und Stockfish.

Schach-Programmierung - Chess Engine - Eman-Konfiguration - Walter Eigenmann - Glarean Magazin
Das Konfigurations-Menü von Eman 5.6 offeriert dem Anwender eine Fülle von Einstellungen. Wer diese Defaults geschickt manipuliert, holt aus der Engine gut und gerne nochmals 20-30 Elo’s heraus…

Dass Eman aber nicht einfach nur ein überdurchschnittlich erfolgreicher Aufguss von SF ist, sondern mittlerweile als quasi eigenständiges Engine-Produkt be- und geachtet werden sollte, davon ist sein Schöpfer überzeugt: „Heute ist Eman nicht mehr zu vergleichen mit Stockfish“, meint Omar. „Meine vielen Änderungen beeinflussten fast jeden Aspekt des ursprünglichen Stockfish vom Zeitmanagement bis zur Thread-Synchronisation. Und das betrifft nicht nur den Alpha-Beta-Algorithmus, sondern ebenso den Bewertungsteil, der das Rückgrat jeder guten Schach-Engine ist“.

„Eman ist jetzt ein ganz anderes Programm“

Danach gefragt, was genau denn die vielen Features sind, die Eman als Mehrwert gegenüber Stockfish aufweist, beginnt Omar selbstbewusst aufzuzählen:

  • Full Analyse – Dank dieser Funktion behandelt Eman alle Züge bis zu einer bestimmten konfigurierbaren Tiefe als Hauptvariationszüge. Das erlaube es der Engine, eine umfassendere Suche in sehr grosse Tiefen durchzuführen, ohne viel Zeit zu verlieren.
  • Experience – Eman erinnert sich an die Züge, die es gemacht hat, und erinnert sich auch an die Züge des Gegners. All diese Daten werden in einer „Erfahrungsdatei“ gespeichert, um später verwendet zu werden, wenn die gleiche Stellung wieder angetroffen wird. Diese Erfahrungsdaten können optional als Buch verwendet werden, damit die Maschine ohne Nachdenken aus den Erfahrungsdaten spielen kann.
  • Coherence Evaluation – Vereinfacht formuliert versucht Eman mit dieser „Kohärenzbewertung“, zwischen Stellungen mit gleichem Score zu unterscheiden. Originalton Omar: „For instance, in Stockfish and other engines, the final score is the sum of all the individual evaluations such as Material, King Safety, Mobility, Passed Pawns, etc. With this logic, it is possible to have two equivalent scores with very different king safety values! Eman tries to compensate for this by looking at the evaluation parts individually and then calculating the Coherence value which indicates how healthy are the evaluation parts. The Coherence value is then added to the final evaluation seen by the Alpha-Beta algorithm“.
  • NUMA Awareness – Eman nützt die modernen High-End-NMUA-CPU’s bestmöglich aus, indem die Aware Systems implentiert wurden, welche dem Motor noch mehr Geschwindigkeit bei der Suche verleihen soll.
  • Search logic – Eman wurde eine verbesserte Suchlogik implentiert, wodurch das Programm aggressiver und dynamischer als Stockfish agiert.

Geheimnisvolle Qualität aus dem Orient…

Eman Chess Engine - Top-Shot f6-f5 - Glarean Magazin
Eman-Spezialität Freibauer: Mit den kraftvollen schwarzen Bauernvorstössen f6-f5-f4 und e4-e3 setzt Eman 5.5 den weissen (Komodo 13.3) unter Druck ( FEN-String: 1b2r3/1p3qk1/5pp1/1r1Pp2p/pNNnQ2P/P1R3P1/1P3PK1/3R4 b )

Programmierer Omar könnte, wie er gegenüber dem Glarean Magazin durchblicken lässt, noch mehr aus seiner Eman-Werkstatt berichten. Aber wie viele andere Schachprogrammierer, seien sie nun auf der Open-Source- oder der kommerziellen Schiene unterwegs, will er nicht alle seine Geheimnisse preisgeben. „Feind hört mit“, wie das in früheren Zeiten hiess…
Nun, solange diese Engine kostenlos – übrigens nur direkt/persönlich beim Autor abzuholen – erhältlich ist, wird die internationale Anwenderschaft solche Geschenke wie Eman dankend entgegen nehmen, ohne sich besonders lange bei irgend welchen Streitpunkten in Sachen GPU-Lizenzen aufzuhalten…

Bald die neue Nummer Eins?

Eines steht jedenfalls fest: In den letzten Wochen und Monaten häuften sich die Versionen des hochinteressanten Stockfish-Ablegers Eman – jeweils immer mit merkbarem Spielstärke-Zuwachs. Demgegenüber verzeichnet weder das Stockfish- noch das Lc0-Lager in letzter Zeit Fortschritte, über die zu reden sich lohnte…
Man darf also gespannt sein, ob sich dieser Freeware-Motor aus Arabien auch in Zukunft so rasant weiter entwickelt wie bisher. Sollte sich Eman noch länger so erfolgreich abnabeln vom grossen Übervater Stockfish, werden wir möglicherweise bald mit einer neuen Nummer Eins unsere Vereins- und Fernschach-Partien analysieren können… ♦


An der Spitze wird’s immer enger

Noch hauchdünn die Nummer Eins des Computerschachs, aber eng attackiert von LeelaChessZero und Eman: Die Freeware-Engine Stockfish
Noch hauchdünn die Nummer Eins des Computerschachs, aber eng attackiert von LeelaChessZero und Eman: Die Freeware-Schach-Engine Stockfish

Das internationale Engine-Karrusell dreht sich aktuell etwas langsamer als auch schon. Was nicht verwundert: Die Programme – zumal jene auf der Alpha-Beta-Programmierschiene – machen einen irgendwie ausgereizten Eindruck, weil sie inzwischen auf einem extrem hohen Niveau Schach spielen, das fulminante Qualitätssprünge nicht mehr zulässt.
Beim Original-Stockfish werden die Intervalle, die deutliche Elo-Fortschritte zeigen, immer länger. Die SF-Derivate holen zwar auf, bleiben aber stets leicht hinter ihrem Ziehvater. Auch auf der KI-Schiene sind in letzter Zeit die euphorisch stimmenden Schübe der Neuronal Networks ausgeblieben.

Zwei Überraschungen: Fritz und Eman

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Erfreulich ist immerhin, dass sich Chessbase-„Fritz“ (nach Jahren der Stagnation) in Form einer neuen NN-Engine namens Fat Fritz wieder eindrücklich zurückgemeldet hat in die Top-Five-Liga. Zwar ist Fat Fritz ein Lc0-Ableger, wie Eman ein Stockfish-Ableger ist, doch beide sind offenbar kräftig dabei sich schachlich zu emanzipieren. Die NN-Engine Fritz Fat liegt aktuell in der Version 1.1 vor und ist eine kostenlose Beigabe des jüngsten Chessbase-Gesamtpaketes Fritz 17.

Top-Leistungen trotz knapper Bedenkzeit

Die nachstehende Rangliste wurde generiert von 31 alten und neuesten Engines nach 930 Partien, doppelrundig ausgespielt während Tagen auf einem AMD-Ryzen7 mit einer Bedenkzeit pro Engine von 2 Min + 2 Sec-Inkrement. Die NN-Programme liefen mit 1 Thread auf einer flotten RTX-2080-GPU, im Gegenzuge erhielten die Alpha-Beta’s alle verfügbaren 16 Threads.

20 Halbzüge in 2 Sekunden

Wen die scheinbar kurze Bedenkzeit von 2/2 irritiert: Mit modernen Prozessoren auf modernen Mainboards spielen moderne Programme inzwischen ein so unglaublich spektakuläres und gleichzeitig präzises Schach, dass man sich über die Qualität der Partien keinerlei Sorgen machen muss. Die selektivsten Programme rechnen teilweise in wenigen Sekunden fast 30 Halbzüge tief!

Ein Beweis dafür sind die untenstehenden TopShots, die alle aus diesem Blitz-Turnier stammen. Darunter finden sich Knacknüsse, die für Schachprogramme aus der zweiten Liga – dazu gehören z.B. einst so gefeierte Engines wie Rybka, Shredder, Fritz oder Critter – ein Buch mit sieben Siegeln sind… ♦

Download aller Dateien

Rangliste mit 31 neuen und alten Engines

Die besten Schach-Programme der Welt - Best Engines - Tournament 2020 - Glarean Magazin
AMD-Ryzen7-2700x 3,7 GHz • 16 CPU 1024 MB Hash • Fritz 17-64bit • 2m+2s/Engine • 5-moves-Book • 5-men-Szyzygy/TB – GPU RTX 2080 (Chimera 2 = Brainfish&Lc0&Stockfish)

10 Top-10-Top-Shots

(Mausklick auf Zug oder Variante öffnet ein Analyse-Fenster)

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FEN-String: r2qr1k1/1b2bppp/ppn2n2/3pN3/N2p1P2/3BP3/PP1B2PP/2RQ1RK1 b


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Weitere interessante Internet-Links zum Schach-Apps und -Engines:


English Translation

The great tournament of chess programs

by Walter Eigenmann

Three years ago in his chess report „The best engines in the world“ the author discussed a tournament with 31 of the most frequently used programs. Since then computer chess has experienced a completely new development in programming: the AI program Leela-Chess-Zero (Lc0) with its constantly improved neural networks. This completely different strand of chess programming compared to the traditional alpha-beta conception of the conventional engines is now at the top. So it was time to set up a second big tournament on the home Ryzen-7 and its 16 cores with again 31 of the currently most used chess engines: „The best engines in the world – two“.

Until now, when it came to the absolute top in computer chess, there was only one program: Stockfish. Grown over the years and supported by hundreds of eager testers and users this freeware engine developed into the lonely high-flyer of the scene against which not even the two commercial programs Komodo and Houdini had a chance. But then the AI project AlphaZero from DeepMind (by Google) invaded the chess world in December 2017, and no stone was left unturned.

Going to school with Lc0

Not only computer chess got into an uproar by AlphaZero and now by its worthy (and above all free) successor Lc0, but also the international grandmaster scene up to WM Magnus Carlsen looked spellbound at this research, whose products played chess in a completely different and at the same time hellishly strong way. And thus, by the way, successfully challenged a few opening theory and middlegame strategy beliefs.
Meanwhile even the highest level of the GM guild openly admits to go to school at Lc0. For example world champion Carlsen, about whom the August 2010 issue of the renowned magazine „New in Chess“ says: „Magnus‘ play is like that in the original ten AlphaZero games, with the initiative being a more important factor than the number of pawns“.

AI Chess as „Game Changer“

So does the „romantic era“ of victim chess from Paul Morphy to Michael Tal celebrate a comeback as a result of the initial ignition Lc0? Simply with the difference that Leela’s tactical, positional and strategic sacrifices are always correct?
In any case it is certain that the AI program or its autodidactically generated networks already have a noticeable influence on the world chess of the top 50 players. In their book „Game Changer – AlphaZero’s Groundbreaking Chess Strategies and the Promise of AI“ Grand Master Mathew Sadler and the mathematician Natasha Regan explain in detail which implications this new AI-chess has for the modern way of playing in international tournament chess.

A new star in the engine sky

And what do the „traditionalists“ counter this concentrated neuronal force? They keep improving Stockfish & Co., trying to eliminate its weaknesses without diminishing its strengths, which is a challenge in the Alpha-Beta world. At the moment Stockfish seems to stagnate. However, this was diagnosed in earlier developmental periods, only to find that the fish had once again gained 50 Comp-Elo and bit off the competitors in the pond one by one.

Recently, however, the sole rule of Stockfish has not only been questioned by LeelaChessZero, but unmistakably by a member of her own clan. The Stockfish-derivative Eman of the programmer Omar Khalid from the United Arab Emirates is currently making a big splash in the international engine circus.
Anyone who watches this program play will immediately notice that the engine has enormous speed. It goes so fast and deep that even the all-purpose computer Stockfish is breathless. On my computer there is currently no opponent, the tactical power of this upstart is brilliant. So let’s examine this eman from Arabia a little closer…


Excursus: EMAN by Khalid Omar

Who is Khalid Omar?

Khalid Omar, the programmer of the chess engine Eman, which emerged from the open source program Stockfish, was born in Kuwait in 1977 and graduated in 2000 as electrical engineer from Jordan University of Science & Technology. Since then he has been working in the United Arab Emirates as Chief Technology Officer of an international IT company. Khalid Omar is married and has four daughters.

„My dominant hobby is chess, and I am active on several online platforms such as lichess.org or chess.com,“ the 42-year-old IT expert told Glarean Magazin. Just to smile right away: „My online chess rating is somewhere around 1800 Elo, so I program chess much better than I play it…“

Not starting from scratch…

He started to generate his high-flyer engine Eman two and a half years ago, whereby he (like most of today’s chess programmers…) did not have to start from scratch, but took the open source engine Stockfish and started to tinker with it. However, Omar’s tinkering turned out to be much more successful than that of other Stockfish „cloners“: Since his 5.0 versions, Eman is among the top three besides Lc0 and Stockfish.

But his creator is convinced that Eman is not just an above-averagely successful infusion of SF, but should be considered and respected as a quasi independent engine product: „Today, Eman can no longer be compared to Stockfish,“ says Omar. „My many changes influenced almost every aspect of the original Stockfish from time management to thread synchronization. And that doesn’t just apply to the alpha-beta algorithm, but also to the evaluation part, which is the backbone of any good chess engine“.

„Eman is now a completely different program“

Asked what exactly are the many features that Eman has as added value compared to Stockfish, Omar confidently starts to enumerate them:

Full Analysis – Thanks to this feature Eman treats all moves up to a certain configurable depth as main variation moves. This allows the engine to perform a more comprehensive search in very large depths without wasting much time.

Experience – Eman remembers the moves it has made and also remembers the moves of the opponent. All this data is stored in an „experience file“ to be used later when the same position is encountered again. This experience data can optionally be used as a book, so that the machine can play without thinking from the experience data.

Coherence Evaluation – Put simply, with this „coherence evaluation“ Eman tries to distinguish between positions with the same score. Original sound Omar: „For instance, in Stockfish and other engines, the final score is the sum of all the individual evaluations such as Material, King Safety, Mobility, Passed Pawns, etc. With this logic, it is possible to have two equivalent scores with very different king safety values! Eman tries to compensate for this by looking at the evaluation parts individually and then calculating the Coherence value which indicates how healthy are the evaluation parts. The Coherence value is then added to the final evaluation seen by the Alpha-Beta algorithm“.

NUMA Awareness – Eman makes the best possible use of modern high-end NUMA CPUs by implementing Aware Systems, which are designed to give the engine even more search speed.

Search logic – Eman has implemented an improved search logic, making the program more aggressive and dynamic than Stockfish.

Mysterious quality from the Orient…

Programmer Omar could tell us even more about his Eman workshop, as he lets us know from the Glarean MagazinE. But like many other chess programmers, be they on the open source or commercial track, he does not want to reveal all his secrets. „Enemy is listening“ as it was called in former times…
Well, as long as this engine is available free of charge – by the way only to be picked up directly/personally from the author – the international user community will gratefully accept such gifts as Eman without spending a lot of time on any controversial issues concerning GPU licenses

Soon the new number one?

One thing is for sure: In the last weeks and months, the versions of the highly interesting Stockfish spin-off Eman have been accumulating – always with a noticeable increase in playing strength. On the other hand, neither the Stockfish nor the Lc0 camp has made any progress lately that is worth talking about…
So you can be curious whether this freeware engine from Arabia will continue to develop as rapidly as it has done so far. If Eman should cut the cord of the great over-father Stockfish for a longer period of time, we might soon be able to analyze our club and correspondence chess games with a new number one… ♦


Engine Tournaments: It’s getting tighter at the top

The international engine carousel is currently spinning a bit slower than it already is. Which is not surprising: The programs – especially those on the alpha-beta programming rail – make a somewhat exhausted impression, because they play chess at an extremely high level that no longer allows for brilliant quality leaps.
With the original Stockfish, the intervals, which show clear Elo progress, become longer and longer. The SF derivatives are catching up, but always stay slightly behind their foster-father. On the AI track, too, the euphoric thrusts of the Neuronal Networks have recently failed to materialize.

Two surprises: Fritz and Eman

At least it is pleasing that Chessbase-„Fritz“ (after years of stagnation) has made an impressive return to the top five league in the form of a new NN engine called Fat Fritz. Although Fat Fritz is a Lc0 offshoot, like Eman is a Stockfish offshoot, both are obviously strongly in the process of emancipating themselves chess-wise. The NN-engine Fritz Fat is currently available in version 1.1 and is a free addition to the latest Chessbase-package Fritz 17.

Top performances despite short time for consideration

The ranking above was generated by 31 old and newest engines after 930 games, played double round during days on an AMD Ryzen7 with a time per engine of 2 min + 2 sec increment. The NN programs ran with 1 thread on a fast RTX-2080-GPU, in return the alpha-beta’s got all 16 available threads.

20 half moves in 2 seconds

Who is irritated by the apparently short time for consideration of 2/2: With modern processors on modern mainboards, modern programs now play such an incredibly spectacular and at the same time precise chess that you don’t have to worry about the quality of the games. The most selective programs sometimes calculate almost 30 half moves in a few seconds!

Proof of this are the 10 TopShots above, which all originate from this Blitz tournament. Among them there are cracking nuts which are a book with seven seals for chess programs from the second league – this includes e.g. once so celebrated engines like Rybka, Shredder, Fritz or Critter… ♦

Computerschach: NN- und AB-Programme noch gleichauf

Klare Überlegenheit nicht in Sicht

von Walter Eigenmann

Der Hauptzweck der modernen Schachprogrammierung für die Anwender ist die Analyse von (eigenen oder fremden) Partien. Demgegenüber sind Turnier-Statistiken oder KI-Forschung nur „Abfallprodukte“.
Aber von Zeit zu Zeit ist es aufschlussreich, die aktuellen Engines nicht nur zum Analysieren einzusetzen, sondern sie auch mal unter- bzw. gegeneinander zu testen. Haben sich die vielgerühmten neuen NN-Engines mittlerweile vor der AB-Programmierung an die Spitze setzen können? Ein neues Engine-Turnier, ausgetragen auf einem heimischen AMD-Ryzen7-2700X zeigt eine nach wie vor unscharfe Momentaufnahme. Das Fazit gleich vorweggenommen: NN- und AB-Programme sind noch gleichauf.

Modernen Engines beim Spielen zuzusehen erinnert zuweilen an die eigenen Anfänger-Zeiten, als Taktik und Strategie noch ein (Schach-)Buch mit (mindestens) sieben Siegeln waren. Schnell, präzis, komplex, tödlich – die Programme knallen in Millisekunden so ausgefeilte Züge auf das virtuelle Brett, die noch vor 15 Jahren jedem Profi-Kommentator ein Heer von Doppelten Ausrufezeichen entlockt hätten. Wenn er sie denn überhaupt in ihrer ganzen Tiefe kapierte…

30 Halbzüge in einigen Sekunden

Schach-Report NN vs AB Engines - Springer-Umgruppierungen - Schachturniere - Glarean MagazinDenn man vergegenwärtige sich, dass bereits bei einer Bedenkzeit für die ganze Partie von nur vier Minuten diese Silikon-Monster auf flotten PC’s im Durchschnitt bis zu 30 Halbzüge weit (!) pro Zug vorausrechnen können. Und dies mit so raffinierten Algorithmen der Evaluierung und Bewertung, dass sie taktisch sogar bei diesem rasanten Spiel-Tempo kaum je Fehler machen. Zumindest keine, die ein Mensch ohne analytische Zuhilfenahme von eben diesen Programmen erkennen könnte…

Wen wundert’s also, dass heutzutage das häufigste Resultat zwischen Schach-Engines das Remis ist – ungeachtet irgendwelcher ausgeklügelter Opening-Books, welche diese mittlerweile extrem hohe Remis-Rate im Engine-Turnierbetrieb etwas senken sollen, aber nicht massgeblich können. (Vergl. hierzu auch eigene Turnier-Tests zum Thema Eröffnungsbücher).

Kopf-an-Kopf-Rennen

Die nachfolgende Rangliste wurde generiert von 17 der aktuell stärksten Programme in einem doppelrundigen Turnier. Und die Tabelle zeigt ein Bild, wie es momentan bei vielen Engine-Turnieren in der Computerschach-Szene anzutreffen ist: Die KI-Engine LeelaChess-Zero mit ihren Networks und die Alpha-Beta-Programme (hier vertreten durch SugarR & Brainfish) mit ihren ausgeklügelten Schachalgorithmen liefern sich ein Kopf-an-Kopf-Rennen bei zahllosen Unentschieden:

Schach-Rangliste Schlusstabelle Engine-Turnier 4+2 AMD-Ryzen7-Glarean Magazin
Hardware: AMD Ryzen7 2700X 3,7 GHz • 1024 Mb Hash • 8Cores/16Threads • GPU RTX2080 Software: GUI Fritz 17 • 4min & 2sec Bedenkzeit pro Engine • 5-Moves-Opening-Book • 5-men-Syzygy-Tablebases

Unbezwingbare Leela (Lc0)

Das NN-Programm Lc0 25.0 mit dem Neuronalen Netz „t60-3010“ erwies sich in dieser Ausmarchung als unschlagbar: Es verlor keine einzige seiner 32 Partien und gewann immerhin deren 10 – eine beeindruckende Leistung, wenn man das extrem starke Gegnerfeld sieht. Mit 12 Siegen als das aggressivste Network erwies sich hier das „t40-1541“ mit Lc0 23.2. Überraschend weiters die noch vor dem einstigen Weltmeister Komodo rangierende neue Chessbase-NN-Engine Fat Fritz.
Insgesamt kann bei den Top-Ten dieses Rankings allerdings nicht von einem Sieger geredet werden, ein Punkt mehr oder weniger entschied über mehrere Ränge vor oder zurück, und zwischen dem erst- und dem zehntplatzierten Programm liegen gerade mal 4 Punkte. (Dass das Turnier keinerlei statistische Aussagekraft beansprucht, muss nicht extra betont werden. En masse „Partien auf Halde“ zu Statistik-Zwecken werden auf Engine-Portalen wie z.B. CCRL produziert.)

Lavieren wie Nimzowitsch

Bahnbrechende Untersuchung zur Schach-Strategie: "Mein System" von Aaron Nimzowitsch
Bahnbrechende Untersuchung zur Schach-Strategie: „Mein System“ von Aaron Nimzowitsch

Wer die knapp 300 Partien analytisch untersucht im Hinblick auf NN-spezifisches Schachverhalten, der wird in verschiedener Hinsicht fündig. Insbesondere fallen diverse positionelle Aspekte der KI-Spielführung ins Auge; einige grundsätzliche Überlegungen zu LeelaChessZero finden sich hier: Künstliche Schach-Intelligenz – Als Autodidakt zur Weltspitze.
Bezüglich des hier fraglichen Engine-Turnieres sei exemplarisch ein spezifisch „strategisches Motiv“ herausgegriffen: Die Umgruppierung. Bereits Nimzowitsch hatte ja – in seinem bahnbrechenden Strategie-Buch „Mein System“ – das Figuren-Umgruppieren als zentralen Bestandteil seines neu eingeführten Schach-Begriff des Lavierens definiert, und mit LeelaChess scheint dieses Stratagem fröhliche Urständ zu feiern. Wohlgemerkt ohne menschliches Zutun…

Virtuose Handhabung des Springers

Computerschach und Springer-Manöver - Leela Chess Zero - Report Glarean Magazin
Der Springer und das PC-Mainboard: Symbiose in Gestalt von Leela Chess Zero

Die Engine Lc0 (bzw. ihre Neuronalen Netze) ist eine grandiose Meisterin im dynamischen Umdisponieren von unvorteilhaft platzierten Figuren hin zur aktiveren Positionierung. In weit höherem Masse als ihre Alpha-Beta-Kolleginnen trachtet Leela nach permanenter Optimierung ihrer Figurenstellungen. Besonders virtuos geht das NN-Programm mit seinen Springern um.

Nachfolgend vier Beispiele dafür, wie geschickt und effizient die Springer-Überführungen auf stärkere Felder vorgenommen werden – sogar noch dann, wenn die taktischen Komplikationen auf dem Brett eigentlich keineswegs eine traditionelle „Ruhesuche“ erlauben:

FEN-String: r2q1rk1/1b2bppp/4pn2/1p1p4/p1pP1B2/PnP1PN1P/1PBNQPP1/3RR1K1 w

FEN-String: r1b1q1k1/1p1p1ppp/1bpPn1n1/p3rB2/7P/PPN3P1/1BPQN3/R3KR2 w Q

FEN-String: 3qkb1r/1r3pp1/1nn1p2p/p2pP2P/1ppP4/1PP2NR1/P2BNPP1/1R1Q2K1 w k

FEN-String: 1b1r3k/ppnqn1p1/4br1p/3p1p2/3Pp3/BPN1PPPB/P1RNQ2P/5RK1 b

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Lesen Sie im Glarean Magazin zum Thema Schachturniere auch über das Super-Schach aus China: Das GM-Turnier in Danzhou

… sowie den Report: Ju Wenjun ist die neue Schach-Weltmeisterin

ausserdem zum Thema Computerschach: Das Duell der Engine-Giganten

Ich unterstütze das ehrenamtliche Kultur-Projekt Glarean Magazin mit einer Spende:


English Translation (NN vs AB)

Clear superiority not in sight

by Walter Eigenmann

The main purpose of modern chess programming for the users is the analysis of (own or foreign) games. In contrast, tournament statistics or AI research are only „waste products“. But from time to time it is instructive not only to use the current engines for analysis, but also to test them among or against each other. Have the much-praised new NN engines meanwhile been able to take the lead before AB programming? A new engine tournament, held on a domestic AMD Ryzen7-2700X, still shows a blurred snapshot. The conclusion immediately anticipated: NN and AB programs are still equally strong.

Watching modern engines at play sometimes reminds one of one’s own beginner times, when tactics and strategy were still a (chess) book with (at least) seven seals. Fast, precise, complex, deadly – in milliseconds the programs slam such sophisticated moves onto the virtual board that 15 years ago any professional commentator would have been able to elicit an army of double exclamation marks. If he even understood them in all their depth…

30 half moves in a few seconds

Just think, if you consider that the whole game takes only four minutes, these silicon monsters can calculate up to 30 half moves per move on average on fast PCs. And this with such sophisticated algorithms of evaluation and scoring that they hardly ever make mistakes tactically, even at this rapid game tempo. At least none that a human being could recognize without the analytical help of these programs…

So it’s not surprising that nowadays the most common result between chess engines is a draw – regardless of any sophisticated opening books which are supposed to reduce the meanwhile extremely high draw rate in engine tournament mode a bit, but cannot do so significantly. (Cf. also own tournament tests on the subject of opening books).

Neck-and-neck race

The following ranking was generated by 17 of the currently strongest programs in a double round tournament. And the table shows a picture as it is currently to be found in many engine tournaments in the computer chess scene: The AI-Engine LeelaChess-Zero with its networks and the Alpha-Beta-Programs (here represented by SugarR & Brainfish) with their sophisticated chess algorithms are fighting a neck-and-neck race in countless draws:

Schach-Rangliste Schlusstabelle Engine-Turnier 4+2 AMD-Ryzen7-Glarean Magazin

Hardware: AMD Ryzen7 2700X 3.7 GHz – 1024 Mb Hash – 8Cores/16Threads – GPU RTX2080 Software: GUI Fritz 17 – 4min & 2sec reflection time per engine – 5-Moves-Opening-Book – 5-men-Syzygy-Tablebases

Indomitable Leela (Lc0)

The NN program Lc0 25.0 with the neural network „t60-3010“ proved to be unbeatable in this selection: It didn’t lose a single one of its 32 games and won 10 of them – an impressive performance considering the extremely strong opponent field. With 12 wins, the most aggressive network proved to be the „t40-1541“ with Lc0 23.2, and surprisingly, the new Chessbase-NN engine Fat Fritz, which is still ahead of the former World Champion Komodo.
All in all, however, there can be no talk of a winner in the top ten of this ranking, one point more or less decided several ranks forward or backward, and there are only 4 points between the first and tenth-placed program. (The fact that the tournament does not claim any statistical significance need not be emphasized. En masse „games on stockpile“ for statistical purposes are produced on engine portals such as CCRL)

Lavieren like Nimzowitsch

Whoever analytically examines the almost 300 games with regard to NN-specific chess behaviour will find something in various respects. Especially various positional aspects of AI chess play catch the eye.
Regarding the engine tournament in question here a specific „strategic motive“ is taken as an example: The regrouping. Nimzowitsch had already defined – in his groundbreaking strategy book „My System“ – the regrouping of pieces as a central component of his newly introduced chess concept of manoeuvring, and with LeelaChess this stratagem seems to celebrate its joyful beginnings. Mind you, without any human intervention…

Virtuoso handling of the knight

The engine Lc0 (or rather its neural networks) is a grandiose master in dynamically repositioning unfavorably placed figures towards more active positioning. To a far greater extent than her alpha-beta colleagues, Leela strives for permanent optimization of her figure positions. The NN program is particularly virtuoso with its knights.

Below are four examples of how skilfully and efficiently the knights are transferred to stronger squares – even when the tactical complications on the board do not allow for a traditional „Quiescence search„: —> (See the games above)

Schachprogramme: Das Duell der Engine-Giganten

Stockfish oder Leela?

von Walter Eigenmann

Seit vielen Monaten und je länger desto stärker beherrscht in der Computerschach-Szene ein Duell die Diskussion: Stockfish gegen Leela. Zwei Schachprogramme, deren Herkunft und Konzeption nicht unterschiedlicher sein könnten, und die sich heute ein Kopf-an-Kopf-Rennen liefern um den ersten Platz unter den modernen Engines. Dem Anwender kann das nur recht sein: Das Duell der Engine-Giganten sorgt für stetig bessere Schachmotoren…

Konträre Programmieransätze

Gary Linscott - Chess Programmer - Stockfish - Glaraen Magazin
Innovativer Kopf und massgeblich beteiligt sowohl bei Stockfish als auch bei Leela Chess: Der kanadische Computer-Wissenschaftler und Spiele-Programmierer Gary Linscott

Auf der einen Seite haben wir also mit dem Open-Source-Programm Stockfish den zurzeit in allen Computerschach-Rankings zuvorderst rangierten Vertreter der sog. Alpha-Beta-Richtung. Die Engine, ursprünglich als Glaurung von Tord Romstod im Jahre 2008 entwickelt, zählt als Freeware mittlerweile auf eine weltweite Entwicklergemeinde, deren wöchentlicher Input – koordiniert von den Programmierern M. Costalba, J. Kiiski und G. Linscott – aus diesem ehemals mittelmässigen UCI-Programm nach und nach ein extrem schnelles und extrem tief rechnendes CPU-Monster geschaffen hat, welches z.B. den amtierenden Weltmeister Magnus Carlsen – wahrscheinlich das grösste Genie der Schachgeschichte – in einem Match über mehrere Turnierpartien mit grosser Wahrscheinlichkeit in Grund und Boden spielen würde.

Goethe - Schach ist ein Prüfstein des Gehirns - Künstliche Intelligenz mit Computer - Glarean Magazin
Goethe sprach vom Schach noch als von einem „Prüfstein des Gehirns“ – die jüngste Entwicklung der Künstlichen Intelligenz holt das Gehirn in den Computer…

Auf der anderen Seite sorgte in der Szene innerhalb der letzten zwanzig Monate ein ganz anderer Entwicklungsstrang der Programmierung für Furore: Das (ebenfalls frei downloadbare) KI-Schach-Leela-Projekt „Lc0“ mit seiner ausschliesslich Netzwerk-basierten Spielweise ohne jedes „menschliche Knowhow“. (Näheres zu diesem bahnbrechend neuen Ansatz findet sich u.a. hier: Künstliche Schach-Intelligenz Leela Chess Zero – Als Autodidakt zur Weltspitze).
Auch Leela’s atemberaubende Progression wäre nicht möglich gewesen ohne den Einsatz der internationalen Community, die nonstop „selfplayed games“ beisteuert(e) und so das „Wissen“ des KI-Programmes in Form von ständig neuen „Networks“ sukzessive vermehrt. (Mittlerweile dürfte die Grenze von 1,5 Milliarden Traningspartien überschritten sein…)

Turnier mit diversen Derivaten und Netzen

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Wer diese beiden unterschiedlichen Konzepte, ihre deutlich voneinander abweichenden Spielweisen konkret studieren will, kann das anhand spezifisch ausgewählter Aufgaben-Stellungen tun – z.B. mit der ERET-Testsammlung. Oder aber er lässt sie in eigens konzipierten Turnieren gegeneinander antreten – mit unterschiedlichen Bedenkzeiten und unterschiedlichen Konfigurationen hinsichtlich CPU und Datenbanken.

Solch ein grösseres Turnier mit über tausend Partien und 33 teilnehmenden Engines habe ich kürzlich auf meinem AMD-Ryzen7-Rechner ausspielen lassen. Um möglichst ein breites Feld von Stockfish- und Leela-Zweigen vergleichen zu können, wurden neben den Default-Programmen auch diverse Derivate bzw. Network-Entwicklungen der Leela-Chess-Community integriert.

Duell der Engine-Giganten - Stockfish vs Lc0 - Glarean Magazin
Läutet das KI-Schachprogramm Leela Chess Zero bald definitiv das Ende der Herrschaft von Stockfish ein?

Das Resultat dieser Matches – welche selbstverständlich keinerlei Anspruch auf Vollständigkeit oder statistische Relevanz erheben wollen – zeigt jenes Bild, das aufgrund zahlreicher anderer Computerschach-Turniere zu erwarten war: Auch im Spätsommer 2019 kann noch immer nicht eindeutig ausgemacht werden, wer nun genau aufs Siegespodest gehievt werden kann. Stockfish und Leela sind, was ihre Turnier-Performance anbelangt, momentan gleich stark, wiewohl ihr Schachstil sehr unterschiedlich daherkommt.
Was hingegen als ziemlich sicher gelten darf, ist der Befund, dass die beiden engsten Verfolger, nämlich die zwei kommerziell vermarkteten Programme Komodo und Houdini mittlerweile distanziert sind. Bis vor ca. einem halben spielten diese beiden Engines noch auf Augenhöhe mit dem Sieger-Duo.


Exkurs: Der „menschlich“ spielende Computer

Der AI-Engine Leela wird ein quasi „menschliches Schachverständnis“ nachgesagt; ihr Schach erinnere an „planvolles“ und „kreatives“ Spiel, wie man es bei Grossmeistern kennt und liebt. (Allerdings müssten die Begriffe „Plan“ und „Strategie“ heutzutage überholt bzw. neu definiert werden; das enorm tiefe, weil ausgeklügelt selektive Berechnen auch der aktuellen konservativen Alpha-Beta-Programme zeigt ein taktisch fast fehlerloses, aber durch keinerlei schöpferisches Planen charakterisiertes Schachspielen; ihre Zugfolgen basieren rein auf raffinierten Bewertungsalgorithmen und selektiven Cut-Techniken. Was früher der Mensch „Strategie“ nannte, entpuppt sich mit Computern oft als blosse „Taktik“…)

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Woher kommt also der „humanoide“ Nimbus der neuen KI-Programme wie Alpha-Zero, Leela-Zero oder Allie u.a? Gilt womöglich das Paradoxon, dass Lc0 darum so „menschlich“ spielt, weil der Mensch bei seiner Entwicklung jar gar nicht involviert war?! (Am Anfang der Schach-AI-Forschung standen nur die nackten Spielregeln, ansonsten keinerlei implentiertes Schachwissen.)

Das folgende Partien-Beispiel – generiert auf meinem AMD-Ryzen7-Rechner in einem Match Leela vs Komodo (mit PermantBrain on) – mag veranschaulichen, dass das Etikett „Menschliches Spiel“ bei modernen AI-Schachprogrammen so völlig nicht aus der Luft gegriffen ist.
Nach den Zügen…

… kam diese Stellung aufs Brett:

Leela - Komodo - Königswanderung - Glarean Magazin
Das KI-Programm Leela Chess Zero mit weiss gegen den amtierenden Computerschach-Weltmeister Komodo

Die Position ist im leichten materiellen Ungleichgewicht, aber zugleich so festgefahren, dass keine Partei vorwärtskommt. Friedliche Gemüter würden hier durchaus nicht zu Unrecht an ein Remis denken.

Doch weiss hat einen langfristigen Plan in petto: Der König wird nach a2 überführt. Dort blockiert er einerseits den schwarzen Freibauern und löst gleichzeitig die Wache des Turmes ab, der dadurch für Angriffszwecke mobil wird. Hinzu kommt, dass Springer in solch fixierten Bauernstellungen den Läufern und sogar Türmen überlegen sein können – trotz Minus-Bauerneinheit ist also die Partiestellung für weiss „strategisch“ gewonnen.
Es folgte eine Lehrbuch-mässige Verwertung durch das AI-Programm Leela:

34. Kg3 Kd8 35. Kf2 Ke7 36. Ke2 Rd8 37. Kd3 Ra5 38. Kc2 Bd7 39. Ne4 Ra6 40. Kb1 Kf8 41. Ka2 und Schwarz ist chancenlos gegen den Turm-unterstützten Bauernhebel c4-c5 (oder wie in der Partie gegen z.B. Läufertausch inkl. g-Linie-Öffnen mit Attacke gegen den Rückständigen g7)  1-0
(Hier lässt sich die Original-Partie downloaden / CBH-Format -ZIP-Datei)

Strategie oder Taktik?

Matthew Sadler - Game Changer - Alpha Zero's Groundbreaking
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Die Frage ist nun, ob diese Königswanderung auf dem Leela-Mist alleine gewachsen ist, oder ob der gleiche „Plan“ auch bei konventionellen Engines im Output des „Denkprozesses“ auftaucht. Hierzu habe ich mal einige der besten Programme exakt 5 Sekunden lang auf die Stellung angesetzt (mit je 16 Threads) und ihre Hauptvarianten verglichen (unter „Fritz-16“ auf einem AMD-Ryzen-7):

Analysis by Stockfish 10:

34.Kg2 Kd8 35.Kf2 Ke7 36.Se4 Td8 37.Ke2 Ta6 38.Le6 g6 39.Kd3 Tb8 40.Kc2 gxh5 41.Sf5+ Kd8 42.Sfxd6 hxg4 43.Lxg4 Lg6 44.Lf5 Lxf5 45.Sxf5 Kc7
weiss steht deutlich besser: +/- (1.34) Tiefe: 25/39 00:00:05 102MN, tb=15


Analysis by Houdini 6.03:

34.Kg3 Kd8 35.Kf3 Kc7 36.Se4 a2 37.Ke2 Ta3 38.Kd2 Txb3 39.Txa2 Ta3 40.Tb2 Ta5 41.Le6 Tba8 42.Sf5 Ta2 43.Kc2
weiss steht etwas besser: +/= (0.41 ++) Tiefe: 20/41 00:00:05 122MN, tb=2056


Analysis by Komodo 12.3:

34.Ta2 Kd8 35.Kg2 Ke7 36.Kf3 Ta6 37.Le6 Kf8 38.Sf5 Td8 39.Se4 Tb6 40.Kf2 Ta6 41.Kg2 Tb6 42.Kh3 Ta6 43.Kg3 Tb6 44.Kg2 Ta6 45.Kf2 Tb6 46.Ke3 Ta6 47.Kd2 Tb6 48.Kd3 Ta6 49.Ke2 Tb6 50.Kf3 Ta6 51.Ke3 Tb6 52.Ke2 Ta6 53.Kd3 Tb6 54.Sd2
weiss steht etwas besser: +/= (0.64) Tiefe: 32 00:00:05 89390kN, tb=2


Analysis by Ethereal 11.50:

34.Kg3 Lf7 35.Kf3 Tb6 36.Ke2 Te8 37.Kd3 Td8 38.Se4 Th8 39.Kc2 Ta6 40.Kd2 Tb6 41.Kd3 Ta8 42.Lh7 Kf8 43.Sf5 Td8 44.Kc2 Ta6 45.Kd3 Tb6
Die Stellung ist ausgeglichen: = (0.00) Tiefe: 22/36 00:00:00 11065kN, tb=3


Analysis by Fire 7.1:

34.Kg2 Ta6 35.Kf3 Td8 36.Se4 Lf7 37.Ke2 Te8 38.Kd3 Td8 39.Ta2 Tb6 40.Ta1 Th8 41.Ta2 Tf8 42.Lh7 Td8 43.Sf5+ Kf8 44.Se3 Ta6 45.Lf5 Ke7 46.Lh7 Kf8
Die Stellung ist ausgeglichen: = (0.00) Tiefe: 26 00:00:04 44069kN, tb=300


Analysis by Xiphos 0.5.4:

34.Lg6 Ld7 35.Lf5 Td8 36.Kg2 Ta7 37.Se4 Tc7 38.Lxd7 Tcxd7 39.Sf5+ Kf8 40.Kf3 Kf7 41.Ke3 Ke8 42.Kd3 Kf7 43.Ke2 Kf8 44.Kf3
Die Stellung ist ausgeglichen: = (0.00) Tiefe: 29 00:00:04 95544kN


Analysis by Deep Shredder 13:

34.Se4 a2 35.Le6 g6 36.hxg6 Lxg6 37.Lf5 Le8 38.c5 dxc5 39.d6+ Kd8 40.Sxc5 Ta5 41.Se6+ Kd7 42.Sg7+ Kc6 43.Tc1+ Tc5 44.Le4+ Kd7 45.Ta1 Ta5 46.Sc4 Ta6
Die Stellung ist ausgeglichen: = (0.21 ++) Tiefe: 27/48 00:00:05 100MN, tb=38


Wie ersichtlich haben die Engines zwar die ersten paar Stationen der Königswanderung durchaus auf ihrem Radar, weil ihre Programmierer ihnen eingebleut haben, dass der König im Endspiel vom Rande ins Zentrum geführt werden sollte. Aber die zwei finalen Ziel-Züge des Königs (Kb1 und Ka2) tauchen bei keinem dieser starken Alpha-Beta-Programme im Output auf.
Kommt hinzu, dass (deswegen) ihre Stellungsbewertung nicht über ein „weiss steht besser“ hinauskommt, ja sogar Remis-Einschätzungen werden ausgegeben. (Hier findet sich eine Analyse der Partie-Fortsetzung nach 34.Se4).

Ganz anders Leela Chess Zero, der Urheber der Stellung. Ich habe einige aktuelle Lc0-Networks darauf angesetzt – den schönsten, quasi „lupenreinen“ Output habe ich beim NW „T40B.2-106“ gefunden:

Analysis by LC0 v0.22 (T40B.2-106):

34.Kg2 Kd8 35.Kf1 Kc7 36.Ke2 Ta5 37.Kd3 Lf7 38.Se4 Lg8 39.Kc2 Lf7 40.Kb1 Lg8 41.Ka2 Lf7 42.Tc1
Weiss steht deutlich besser: +- (2.21) Tiefe: 8/20 00:00:05 236kN

Der wesentliche Unterschied zu den konventionellen Progammen ist, dass Leela diese Line nicht eigentlich berechnen muss (wie die geringe Ply-Tiefe von 8/20 und die minimale Knotenzahl zeigen), sondern diesen „Plan“ nach nur 5 Sekunden „weiss“ und sofort eine Gewinn-Bewertung auswirft. (Es ist umgekehrt nicht auszuschliessen, dass nach langem Rechnen auch andere herkömmliche Engines genug Tiefe erreichen und einen vergleichbaren Output liefern).

Auch wenn gerade bei Leela Chess Zero die Interface-Angaben bezüglich Rechentiefe und Stellungsbewertung stets mit Vorsicht zu geniessen sind: Ein solcher Mainline-Output in dieser Stellung ist beeindruckend. Ich persönlich kann nachvollziehen, wenn derartigem Schach von Menschen das Etikett „menschlich“ verpasst wird – also eben nicht „taktisch“, sondern „strategisch“…

Leela der Königsbezwinger

Um ganz vorne mitmischen zu können, muss allerdings Leela nicht nur „positionell“, sondern auch angriffstechnisch auf der Höhe sein, damit nicht nur halbe Remis-Punkte, sondern ganze Punkte eingefahren werden können. Und in der Tat: Leela Chess Zero ist – mit seinen jüngeren Networks – einer der stärksten Königsangreifer im aktuellen Engine-Zirkus. Aus dem Nichts ist dieses Programm imstande, tödliche Attacken zu reiten – wie weiland der „Magier aus Riga“, Ex-Weltmeister Michael Tal (wenn auch nicht so spekulativ wie dieser…).
Ein paar Partien-Zitate illustrieren Leelas Durchschlagskraft im Angriff:

FEN-String: r2q1rk1/5p2/p1np1npp/bpp1p3/4P1PB/2PP1NNP/bPB1QP2/2KR3R w – – 0 18

FEN-String: r2q1rk1/1b1nbppp/pn1p4/1ppPp3/4P3/2P1BN1P/PPBN1PP1/R2Q1RK1 w – – 0 13

FEN-String: r1b2r2/pp1qnpkp/2np2p1/2p1p1P1/2P5/2NP1N2/PP2PPBP/R1Q2RK1 b – – 0 14

FEN-String: 1rb1r1k1/1pqn1pb1/p2p1npp/2pP4/P3P2B/2N5/1P1NBPPP/1R1Q1RK1 w – – 0 16


Alpha-Beta- und NN-Schach gleich stark

Die nachstehende Turnier-Rangliste ist das Ergebnis der folgenden Hardware-/Software-Turnierspezifikationen:

– CPU: AMD Ryzen 7 2700X (8CPU/16Threads)
– GPU: GeForce RXT 2080
– Memory/Engine: 1024 MB
– Interface: Fritz 16
– Engines: Defaults 8Threads/Engine
– Leela-Engines: 4Threads (CUDNN-FP-16)
– Bedenkzeit: 2 Min. + 2 Sek. / Engine
– Eröffnungsbuch: 5-moves-Book (M.Scheidl)
– Endspiel-DB: Syzygy (5-men)
– PermanentBrain: On
– Anzahl Partien: 1056
– Anzahl weiss-Siege: 360 (34,1%)
– Anzahl Schwarz-Siege: 287 (27,2%)
– Anzahl Remisen: 409 (38,7%)
– ECO A: 191 Partien
– ECO B: 229 Partien
– ECO C: 175 Partien
– ECO D: 296 Partien
– ECO E: 165 Partien
– Partie-Dubletten: keine
– Zeitüberschreitungen: fünf (Raubfish)
(Raubfish spielte mit einem experimentellen Setting:
„Analysis ICC“ & „Deep Analysis ICC“ ON)

 

Programm-Turnier Stockfish vs Leela - Best Chess Engines August-2019 Blitz-Tournament - Glarean Magazin
Schachprogramme: Das Duell der Engine-Giganten – Stockfish oder Leela? (Computer-Turnier August 2019)

Die schachlichen Top Shots

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Abschliessend hier aus diesem Turnier noch ein halbes Dutzend schachlicher Top Shots, die nicht nur besonders ästhetisch sind, sondern auch demonstrieren, zu welchen Glanzzügen moderne Schachprogramme in der Lage sind, auch wenn sie – wenngleich auf flotter Hardware – nur einige Sekunden pro Zug verfügbar haben. Mit durchschnittlichen Rechentiefen von 25-30 Halbzügen spielen heutzutage die Engines auch in Blitzpartien auf einem Niveau, das früher von ihren Vorgängern erst nach stundenlangen Partien (und auch nur annähernd…) erreicht wurde.

Der knappe Turniersieger Brainfish spielte übrigens quasi ausser Konkurrenz mit (war aber als eine Art Referenz gedacht): Im Gegensatz zu allen anderen, die ausser der Vorgabe von 5 Eröffnungszügen keinerlei eigene Opening Books benutzen durften, erhielt Brainfish gleich zwei Default-Bücher, nämlich sein integrales „Cerebellum“ sowie ein spezifisches NN-Book namens „Cerebellum Leela Net„. Dieses Duo erwies sich dann als unwiderstehlich…

♥ Hier lassen sich alle Original-Partien des Turnieres downloaden im CBH- und PGN-Format (zip-File)

Mausklick auf einen Zug oder eine Variante öffnet das Analyse-Fenster mit Download-Option

FEN-String: r1b1k3/p3p1b1/2p3p1/1q1p1pPr/N2PnB1p/7P/PP2PPB1/R2Q1RK1 w q – 0 16

FEN-String: r2q1rk1/pppnbpp1/2npb2p/1B6/4P3/2N1QN1P/PPPB1PP1/R3K2R w KQ – 0 12

FEN-String: r1bqk2r/pp2bpp1/2n4p/2pnp3/7P/1P1P1NP1/P3PPB1/RNBQ1RK1 b kq – 0 9

FEN-String: r2q1rk1/1b1nbppp/1n1p4/pppPp3/4P1P1/2P1BN1P/PPBN1P2/R2Q1RK1 w – – 0 14

FEN-String: 8/2b1k3/2p5/4p3/2P1N3/2B2KP1/1P2RP2/r2r4 w – – 0 49

FEN-String: r3r1k1/3b1ppp/8/1p1p4/nPpP1BP1/4P2P/P4P2/1NQ3K1 b – – 0 24

Lesen Sie im Glarean Magazin zum Thema Computerschach-Partien auch über die neue Version der Schach-Datenbank Chessbase (15)

… sowie zum Vergleich mit älteren Engines-Ranglisten: Die grosse Computerschach-Datenbank COMP 2007

Interessante News-Links zum Thema Schach:

Künstliche Schach-Intelligenz: Leela Chess Zero

Als Autodidakt zur Weltspitze

von Walter Eigenmann

Seit längerer Zeit wird die Computerschach-Welt von einem Thema in Atem gehalten: Das KI-Projekt Leela Chess Zero (LC0). Hier findet sich ein guter Überblick auf den aktuellsten Stand der KI-Dinge: Chess Programming Wiki.
Der „neuronal“ orientierten Schachprogrammierung liegt die sogenannte Monte-Carlo-Technik zugrunde, deren schachspezifische Anwendung hier ganz gut erklärt wird: Monte Carlo statt Alpha-Beta.

In wenigen Monaten von 0 auf 98

Leela Chess Zero LC0 Logo - Glarean MagazinDie unglaublichen Fortschritte der Netzwerk-gestützten Engine „Leela-Chess-Zero“ (LC0) lassen erahnen, dass es mit der Dominanz des bisherigen Alpha-Beta-Ansatzes in der Schachprogrammierung – momentan am erfolgreichsten manifestiert im weltweit führenden Programm Stockfish – schon bald vorbei sein könnte. Denn innert wenigen Monaten hat sich dieses Open-Source-Projekt, zu Beginn nur gerade mal mit den Schachregeln vertraut gemacht, mithilfe seiner Algorithmen bzw. selbsterlernter Networks (sprich aufgrund von Millionen Partien gegen sich selbst) vom lächerlichen Anfänger zum Super-Grossmeister entwickelt, der nicht nur die gesamte Schach-Weltelite bei den Menschen, sondern auch alle seine digitalen „Artgenossen“ schlagen kann. Als reiner Autodidakt ohne alle Wissens-Implentierung durch den Menschen zur absoluten Weltspitze: Das ist einzigartig in der ca. 30-jährigen Geschichte der Schachprogrammierung.

Menschliches Computerschach

Stockfish Chess Engine Logo - Glarean Magazin
Sind wegen Leela Chess die Tage des berühmtesten Fisches der Schachgeschichte bald gezählt?

Für Schachspieler liegt der besondere Reiz von Leela’s Spiel-Stil in der beinahe „menschlich“ zu nennenden Partie-Anlage dieser KI-Software. Wo die herkömmlichen Taktik-Programme wie Stockfish, Houdini oder Kommodo (um nur die drei aktuell stärksten Alpha-Beta-Engines zu nennen) möglichst breit und möglichst tief rechnen (raffinierte Cut-und Bewertungs-Techniken inklusive), spielt ein Neuronal-Netz-Programm wie Leela „auf Position“: Aktivität, Mobilität, Aggressivität und damit verbunden eben Originalität sind die Stichworte, die einem bei der Analyse von NN-Partien spontan einfallen.
Die konservativen Materialwerte (aufgrund der Bauer-Grundeinheit), wie sie bei AB-Engines bedeutungsvoll sind für die Stellungseinschätzung und Zuggenierung, scheinen beim NN-Schach eine nur geringe Rolle zu spielen, denn hier zählt vielmehr das „Potential“ der Bauern- und Figurenkonstellationen. Dementsprechend findet man in Leela-Partien kaum je „totes Material“; hier ist alles „im Fluss“, permanent sind Umgruppierungen im Gange, Randspringer und- bauern sind an der Tagesordnung, das Zentrum hat seine „zentrale“ Bedeutung eingebüsst, Doppelbauern kommen zuhauf vor, das Qualitäts- als positionelles Opfer ist häufig, und oberste Priorität hat jeweils mit maximalem Druck das eigentliche Spiel-Ziel des Schachs: Der Königsangriff.

Leela = Michael Tal des Computerschachs?

Natürlich ist solch ein Schach hochattraktiv im Vergleich zum traditionellen Computerschach, dessen staubtrockenes bzw. Remis-trächtiges Sicherheitsspiel – wenngleich auf extrem hohem technischem Niveau – allenfalls noch für perfektionistische Fernschach-Freunde theoretisch-analytische Hilfestellung bietet, ansonsten wegen seiner überirdischen Genauigkeit das „breite Schachvolk“ längst nicht mehr erreicht.

Michael Tal - Schachweltmeister - Glarean Magazin
Ist Leela Chess eine digitale Reinkarnation des berühmten Schachmagiers Michael Tal?

Ist also Leela die Reinkarnation der „Kreativität“ im Computerschach? Eine Art Michael Tal unter den Schachengines? Der legendäre lettisch-russische Schachweltmeister (1936-1992) spielte bekanntlich das bislang wohl spekulativste wie spektakulärste Menschen-Schach der Geschichte, seine Materialopfer „aus dem Nichts heraus“ waren berüchtigt, und je wissenschaftlicher und analytischer ein Tal-Gegner spielte, umso sicherer wurde er eine Beute des „Magiers aus Riga“.
Romantikern unter den Schachspielern sei diese interessante Parallele also durchaus gestattet – aber ein gravierender Unterschied besteht: Leela’s Opfer sind immer korrekt. Ein Computer hypnotisiert nicht, er rechnet…

Das Angriffsspiel „aus dem Nichts heraus“ ist aber definitiv ein Markenzeichen auch des NN-Programmes. Die folgende Stellung wurde generiert in einer TCEC-Partie gegen Houdini, der aktuellen Nummer Zwei der konservativen Engine-Ranglisten hinter der Schach-Freeware Stockfish. Setzt man diese Position den herkömmlichen Programmen zur Bewertung vor, stufen sie die schwarze Stellung als völlig ausgeglichen ein, schwächere Engines sehen gar Schwarz im Vorteil:

FEN r1r5/1b1n3k/1n1q1ppp/3Pp3/ppP1P2P/5QR1/1BBN1PP1/2R3K1 w

Leela-Chess-Zero - LC0 vs Houdini - Königsangriff - Glarean Magazin
Strategische Weitsicht im Königsangriff dank Neuronalem Netzwerk: Das KI-Schachprogramm Leela Chess Zero (LC0)

Houdini 6.03:
27.Ld1 a3 28.La1 h5 29.Sf1 Sxc4 30.Txg6 Kxg6 31.Dxh5+ Kg7 32.Sg3 (…)
Die Stellung ist ausgeglichen: = (0.00) Tiefe: 28/54 00:00:47 743MN, tb=10

Komodo 12.3:
27.Dg4 Tg8 28.h5 gxh5 29.Df5+ Kh8 30.Dxh5 Txg3 31.Dxh6+ Kg8 32.fxg3 (…)
Die Stellung ist ausgeglichen: = (0.06 ++) Tiefe: 30 00:00:30 320MN, tb=3

Stockfish 10:
27.Ld1 h5 28.Sf1 De7 29.Se3 De8 30.Sf5 a3 31.Lc3 bxc3 32.Sd6 (…)
Die Stellung ist ausgeglichen: = (0.19 ++) Tiefe: 31/50 00:00:31 302MN, tb=18

Ethereal 11.25:
27.Ld1 a3 28.La1 h5 29.De3 Dc5 30.Lxh5 Dxe3 31.Lxg6+ Kh6 32.fxe3 (…)
Die Stellung ist ausgeglichen: = (0.00) Tiefe: 26/55 00:00:42 468MN, tb=1

Ganz anders sieht das Leela, dessen Algorithmen & Statistikauswertung nicht das taktische, sondern das positionell-strategische Potential der weissen Stellung sieht und eine für weiss positive Bewertung auswirft:

Leela Chess Zero 21.1 (41800):
27.h5 g5 28.Df5+ Kh8 29.f4 a3 30.La1 De7 31.Ld1 exf4 32.Tb3
weiss steht deutlich besser: +/- (1.41) Tiefe: 15/45 00:00:31 375kN

Der Partieverlauf gab Leela’s NN-Analyse recht, Houdini’s furchterregende Freibauernwalze auf dem Damenflügel verblasst angesichts der weissen Schläge gegen den schwarzen König:

Aktuell dürfte Leela der bei weitem erfolgreichste Königsangreifer des ganzen modernen Engine-Zirkus‘ sein. Kein Wunder: Seine entspr. Angriffstechniken sind statistisch millionenfach abgesichert…

Ein Strauss von Leela-Topshots

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Wer der Freeware-NN-Engine Leela – das kommerzielle Programm Komodo mit seiner „Monte-Carlo-Tree-Search“ (MCTS) verfolgt den ähnlichen Ansatz, und beide fahren sie im Kielwasser des KI-Google-Projektes Alpha-Zero – bei der Arbeit zusehen will, hat entweder die Möglichkeit, sich die neuesten Partien der inoffiziellen Computerschach-Weltmeisterschaft Top Chess Engine Championship (TCEC) runterzuladen, oder aber er organisiert sich seine Engine-Turniere gleich selber auf dem heimischen Desktop oder Notebook.

Letzteres setzt allerdings – diese Warnung ist zwingend – eine überdurchschnittliche Hardware voraus; insbesondere die Grafik-Karte sollte mindestens von der Qualität einer RTX 2060 sein, andernfalls ist die Verwendung von Leela reine Zeitverschwendung. Denn die Hauptberechnungen absolviert die NN-Engine nicht auf der Platinen-CPU, sondern auf der Grafik-GPU.

Die folgenden Stellungen bzw. „Lösungszüge“ generierte Leela gegen unterschiedliche Engine-Gegner auf meinem heimischen AMD-Ryzen-7 2700x mit einer GeForce-RTX-2080-Karte bei Blitz-Bedenkzeiten von 5-20 Minuten/Engine (mit „Permanent-Brain-On“ und einem 5-Züge-Eröffnungsbuch).

Diese sieben Lösungszüge haben eines gemeinsam: Sie werden von Leela allesamt je im 1-Sekunden-Bereich gefunden. Eine Leistung, die meinen Recherchen zufolge von keinem anderen (AB-)Programm erreicht wird.
Noch ist die Entwicklung in vollem Gange. Auf die weitere Progression des neuronalen Schach-Projektes Leela Chess Zero blickt die gesamte Schachwelt. ♦

FEN rbbq1r2/1p3pk1/1P1p2pp/p2Pp3/P3Rn2/2P2NNP/5PP1/1R1Q1BK1 w

LC0 - Houdini - Leela Chess Artikel 2019 - Glarean Magazin
weiss am Zuge


FEN 5r2/2r1q2k/1p1pb1p1/b2B4/P1P1pP1p/4Q1RP/4N1P1/5R1K w

LC0 - Komodo - Leela Chess Artikel 2019 - Glarean Magazin
weiss am Zuge


FEN 3r1rk1/1p1nq1bp/p2ppnp1/2p5/2P5/2N1P2P/PP2BPP1/1RBQ1RK1 w

LC0 - Andscacs - Leela Chess Artikel 2019 - Glarean Magazin
weiss am Zuge


FEN 6r1/4nr1k/p2R4/P7/1PP1N3/4b1p1/1B4PN/7K b

Stockfish - LC0 - Leela Chess Artikel 2019 - Glarean Magazin
Schwarz am Zuge


FEN 1rr1b1k1/2q2pp1/2nppb1p/p7/Pp2PP1P/1N3BP1/RPPRQ3/3N3K b

Komodo - LC0 - Leela Chess Artikel 2019 - Glarean Magazin
Schwarz am Zuge


FEN 3rrbk1/1pq2pp1/p1b5/2np2Pp/P2B1P1P/1PN4B/2P2Q2/R2R2K1 b

Andscacs - LC0 - Leela Chess Artikel 2019 - Glarean Magazin
Schwarz am Zuge


FEN 3rr1k1/1pqn1pp1/2pbpn1p/p2p4/P4P1N/1P1PP1P1/1BPNQ2P/R4R1K w

LC0 - Xiphos - Leela Chess Artikel 2019 - Glarean Magazin
weiss am Zuge

Walter Eigenmann - 100 brillante Schachzüge - Geniale Kombinationen - Verblüffende Strategien - Tredition Verlag
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Alle Analysen lassen sich als PGN-Datei downloaden: Mausklick in die Notation und Button rechts unten im Analyse-Fenster („Download the game“)


Lesen Sie im Glarean Magazin zum Thema Computerschach auch 15. Version der Schachdatenbank Chessbase erschienen

sowie zum Thema Online-Schach den Report die besten Online-Schach-Portale

15. Version der Schach-Datenbank Chessbase erschienen

Was bietet Chessbase 15 Neues?

von Walter Eigenmann

Der gleichnamige Hersteller der kommerziellen Schach-Datenbank Chessbase bietet seit Ende 2018 deren mittlerweile 15. Version an. Was hat der Markführer diesmal seinem Flaggschiff an neuen Features verpasst?

Das Hamburger Software-Haus um Matthias Wüllenweber legte ja die Grundsteine seiner aktuell dominanten Position auf dem Schachsoftware-Markt schon vor Jahrzehnten mit „Fritz“ und eben „Chessbase“. Dementsprechend ein so ausgereiftes Produkt wie „CB“ immer wieder mit Novitäten zu bereichern ist kein leichtes Unterfangen, und ob bei jeder neuen Version die zusätzlich implentierten Features auch tatsächlich je als innovativ und nachhaltig bezeichnet werden dürfen, liegt häufig alleine „im Auge des Betrachters“. In der Entscheidungsgewalt des Anwenders ist auch die Abwägung, ob die üppige Preisgestaltung bei Chessbase 15 – das Profi-Premiumpaket schlägt immerhin mit stolzen 470 Euro zu Buche – einigermassen fair korreliert mit den gebotenen Inhalten der Software.

Chessbase-15 - Cover - Rezension Glarean MagazinBei vielen tausenden von Turnierspielern der höheren Ligen ist diese Frage allerdings obsolet: Erfolgreiches Training heute ist ohne Chessbase & Co. unmöglich, zur Vorbereitung auf die potentielle Turnier-Gegnerschaft ist die permanente und ständig aktualisierte Arbeit mit gut sortierten Datenbanken und deren ausgefeilten Analyse- und Such-Funktionen unumgänglich.

Die wichtigsten Novitäten

Was hat denn nun Chessbase 15 Neues zu bieten, das man in der Vorgänger-Version 14 vermisste? Die wichtigsten Novitäten sind meines Erachtens:

A) Die „Optionen“ offerieren nun für die deklarierte „Standardengine“ eine sog. „Schnellanalyse“: Das Programm zeigt anhand der Stellungsbewertung in grafischer Form den Partienverlauf an, der Anwender erkennt damit auf Anhieb, an welcher Stelle die „Partie gekippt“ ist. Diese Berechnung des Bewertungsprofils soll gemäss Chessbase auf schnellen Rechnern verzögerungsfrei im Hintergrund ablaufen. Originalton Chessbase: „Natürlich stellt diese Schnellanalyse keinen Ersatz für eine tiefschürfende Analyse dar, ist aber bei der schnellen Sichtung von Partien, vor allem unkommentierten Partien, extrem hilfreich“. (Dieses Feature haben „Fritz“ u.a. Interfaces schon länger; CB-15 differenziert es noch mit einer Einstellung „Endlos“).

B) Im „Start“-Menü erfährt das Brettfenster einer konkreten Partie eine deutliche Aufwertung durch das Feature „Replay Training“ (Nachspieltraining). (Der Reiter „Training“ war unter CB-14 an der gleichen Stelle noch ziemlich unergiebig). Nun interagiert der User in einer Stellung direkt, erhält eine „Stellungseinschätzung“ und „Tipps“, kann bei „Richtigem Rechnen“ Punkte sammeln etc. – Anpassung der Einstellungen inklusive:

Chessbase-15 - Replay Training - Rezension Glarean Magazin
Das neue Chessbase-Feature „Replay Training“ (Nachspieltraining) offeriert dem User „Tipps“ zur Stellungseinschätzung und ermöglicht interaktives Üben.

Die Plan-Findung aus Eröffnungsvarianten heraus

C) Der „Plan Explorer“ des gleichen Notationsfensters ist eine weitere Novität von CB-15. Dieser Explorer ist im Zusammenhang mit dem Eröffnungstudium interessant und listet resultierende Mittelspielpositionen auf, dokumentiert also die unterschiedlichen „Pläne“ einer Eröffnungsvariante. Originalton Chessbase:

Chessbase-15 - Plan Explorer - Rezension Glarean Magazin
Der neue „Plan Explorer“ will die unterschiedlichen „Pläne“ einer Eröffnungsvariante auflisten

D) Die Brett-Ansicht selber ist um die Option „Ray Tracing“ erweitert worden: Sie soll – neben dem bisherigem „3D-Brett“ – eine „möglichst realistische Darstellung von 3D Ansichten“ generieren. Voraussetzung ist allerdings eine leistungsfähige Rechnerausstattung (sprich eine Grafikkarte der jüngeren Generation, beispielsweise RTX u.ä.):

Chessbase-15 - Ray Tracing - Rezension Glarean Magazin
Das spezielle „Ray Tracing“ strebt in Chessbase 15 eine „möglichst realistische Darstellung von 3D Ansichten“ an

Suche nach Verteidungs- oder Angriffsmustern

E) Das Menü „Report“ enthielt in der Vorgänger-Version bereits die Optionen „Ähnliche Strukturen“ und „Ähnliche Züge“; hinzu kommt jetzt die Suche nach „Ähnlichen Mustern“. Damit kann in einer Referenzdatenbank nach vergleichbaren Verteidigungs- oder Angriffsmustern gefahndet werden.
Aktuell scheint dieses Feature noch rudimentär zu sein; man darf gespannt sein, ob Chessbase diesen durchaus interessanten Ansatz in Folge-Versionen noch weiter entwickelt:

Chessbase-15 - Muster-Suche - Rezension Glarean Magazin
Nach vergleichbaren Verteidigungs- oder Angriffsmustern in Datenbanken wird mit dem neuen Feature „Ähnliche Muster“ gesucht.

F) Starke Erweiterung erfuhr die Suchmaske mit den Partien-Filtern: Nun lassen sich die Datenbanken gezielt nach expliziten Manövern wie Spiess, Röntgenangriff, Überlastung, Hinlenkung, Räumung, Grundreihe u.v.a. absuchen. Damit erleichtert CB-15 wesentlich z.B. die Stoffaufbereitung in der Schachpädagogik:

Chessbase-15 - Filter-Suche - Rezension Glarean Magazin
Differenzierte Suche nach spezifischen Manövern erleichtert z.B. die Arbeit in der Schachpädagogik

G) Chessbase 15 ist nochmals merklich schneller geworden im Vergleich zu seinen Vorgängern. Die komplette „Sortierung“ einer Datenbank mit 1,4 Mio. Partien (= Neuaufbau nach Datum, Eröffnungen, Turniere, Kommentare, Spieler-Index etc.) dauerte unter CB-15 auf einem eher gemächlichen AMD FX-8350 knapp drei Minuten; für die gleiche Base unter identischen Bedingungen benötigte CB-14 noch fünf Minuten (!)

„Big Database“ oder „Megabase“

H) Erneut um zig-tausende Partien gewachsen ist die mit CB gelieferte eigentliche Datenbank (je nach CB-Paket die sog. „Big Database“ oder die umfangreich kommentierte „Megabase 2019“). Sie enthält nun ca. 7,5 Mio Games (bis Oktober 2018).

FAZIT: Chessbase auch in seiner jüngsten Version 15 ist vom günstigen „Starter“ bis zur Premium-Profi-Variante ein sehr ausgereiftes, stabiles und vielfältiges Produkt, das sich die prominente Stellung auf dem Schachsoftware-Markt durch jahrelange Entwicklung und ständige Erweiterungen nicht zu unrecht erobert hat. Chessbase ist nicht die einzige Software dieser Art, und die Konkurrenz wartet mit teils ebenso attraktiven Optionen auf – aber seine weltweite Verbreitung unter der professionellen und semiprofessionellen Spielerschaft ist nachvollziehbar.

Eine Empfehlung pro oder kontra Kauf ist (wie eingangs angetönt) nicht vorbehaltlos abzugeben, zu heterogen ist das Interessenfeld bei der breiten Anwenderschaft. Wer unter den ambitionierten Vereinsspielern noch kein „Chessbase“ hat und mit den bei „Fritz“ implentierten Datenbank-Funktionen unzufrieden ist, der schlägt jetzt bei der Download-Variante des Starterpakets zu. Der Elo-bewusste semiprofessionelle Turnier- und Mannschaftsspieler wird sich zweifellos auch diese neue CB-Version zulegen. Wer schliesslich als Amateur schon eine der CB-Nummern 12 bis 14 auf dem Cover prangen hat, kann verlustlos die Version 16 abwarten. Diese dürfte allerdings wohl erst in zwei bis drei Jahren erscheinen… ♦

Chessbase Hamburg: Chessbase 15 – Schach-Datenbank, (Software-DVD & Online-Download)

Lesen Sie im Glarean Magazin zum Thema Computerschach auch über das Schachprogramm „Fritz 16“

Karsten Müller: Endspiele der Weltmeister (Schach-DVD)

Schmackhaftes Endspiel-Potpourri aus der Weltmeister-Küche

von Ralf Binnewirtz

Das Endspiel als letzte Phase der Partie mag Anfängern als weniger wichtig oder gar langweilig erscheinen im Vergleich zu Eröffnung und Mittelspiel. In Wirklichkeit sind beide Attribute unzutreffend. Denn ungezählte Partien wurden erst im Endspiel aufgrund profunder Kenntnisse dieses Partiestadiums entschieden. Die grossen Meister der Vergangenheit und Gegenwart waren bzw. sind fast ausnahmslos herausragende Könner im Endspiel. Ihrem Können auf diesem Gebiet spürt der deutsche GM Karsten Müller in seinem neuen DVD-Kurs „Endspiele der Weltmeister“ nach.

Ein Schwächeln im Endspiel hat zuweilen den Werdegang von Schachgrössen schicksalhaft beeinflusst: So hat David Bronstein 3 seiner 5 Verluste im WM-Kampf gegen Botwinnik 1951 einer schwachen Endspielführung zu verdanken. Er hat diese „Niederlage“ (d.h. kein Titel für den Herausforderer bei Gleichstand am Matchende) für den Rest seines Lebens nicht mehr verwunden. Ein eindringlicher Apell, das Studium des Endspiels nicht zu vernachlässigen!

Anerkannter Endspiel-Experte: Karsten Müller

Karsten Müller - Endspiele der Weltmeister - Rezension Glarean Magazin
Karsten Müller – Endspiele der Weltmeister – Rezension Glarean Magazin

Grossmeister Karsten Müller aus Hamburg, ein weltweit anerkannter Endspiel-Experte und promovierter Mathematiker, ist bereits vielfach und erfolgreich als Schachautor hervorgetreten: Im konventionellen Printbereich, in Online-Kolumnen (wie im US-amerikanischen ChessCafe und bei ChessBase) sowie auf Trainings-DVDs, erwähnt sei hier seine komplette Endspielschule, die auf 14 DVDs einzeln oder im Gesamt-Bundle bei ChessBase erschienen ist.
Mit seiner neuesten DVD widmet sich Müller den Endspielkünsten der sechs letzten Weltmeister ‒ ohne Berücksichtigung der FIDE-Weltmeister 1993-2005. Auch so ist die DVD reichhaltig bestückt mit Videosequenzen (Gesamtspielzeit 9 Std. 37 Min) und Partiedatenbanken. In bewährter Manier ist ein interaktives Training mit Video-Feedback integriert, das dem passiven Zuhörer eine aktive Mitarbeit nahelegt.
Die besagten sechs Weltmeister werden auf der DVD in chronologischer Abfolge in separaten Kapiteln präsentiert, die Oberfläche ist übersichtlich gestaltet und intuitiv bedienbar, und zu jedem Video ist die zugehörige (kommentierte) Partie (oder das Partiefragment) aus einer Datenbank zum nochmaligen Nachspielen aufrufbar.

Videoclips zu Endspielen von sechs Weltmeistern

Zur Einstimmung ist den Weltmeister-Kapiteln ein Einführungsvideo vorangestellt, in dem Karsten Müller einen kurzen Überblick gibt zu dem, was den Nutzer auf der DVD erwartet.

Bobby Fischer

Robert Bobby Fischer - Schach-Weltmeister - Glarean Magazin
Schach-Genie und Endspiel-Virtuose mit Turm&Läufer gegen Turm&Springer: Robert James „Bobby“ Fischer (1943-2008)

Die Videos zu Fischers Endspielen sind unterteilt in 4 (Unter-)Kapitel: 1) Theoretische Endspiele (5 Videoclips), 2) Turmendspiele (9 Clips), 3) Das Fischer-Endspiel (6 Clips), 4) Berühmte Partien, Rätsel, Mysterien (5 Clips).
Bobby Fischer gilt als universeller Spieler, dessen Stil von Pragmatismus, einem unablässigen Drang zur Initiative und einem unbedingten Siegeswillen geprägt war, Charakteristika, die sich natürlich auch in seinen Endspielen wiederfanden. Er besass eine Vorliebe für das Läuferpaar, und die Konstellation Turm + Läufer gegen Turm + Springer gehörte zu seinen Spezialitäten. Zahlreiche Endspiele mit dieser Materialverteilung, von Karsten Müller als „Fischer-Endspiele“ hervorgehoben, hat er mit der Läuferseite zum Sieg geführt. Insbesondere in den Kandidatenkämpfen mit Mark Taimanow (Vancouver 1971) und auch Tigran Petrosjan (Buenos Aires 1971) hat er seine Gegner damit an den Rand der Verzweiflung gebracht. Diesen Endspielen ist auf der DVD ein besonderes Kapitel (Nr. 3) gewidmet. Bei den berühmten/mysteriösen Partien (Kap. 4) dürften die erste Matchpartie gegen Boris Spasski (Reykjavik 1972) mit Fischers riskantem Bauernraub auf h2 und die 13. Matchpartie auf besonderes Interesse stossen; letztere mit einem faszinierenden Endspiel (Türme + ungleichfarbige Läufer), in dem Spasski schliesslich unter dem zunehmenden Druck kollabierte.

Screenshot Karsten Müller - Endspiele der Weltmeister - Rezension Glarean Magazin
Aufgeräumte DVD-Oberfläche im bekannten Chessbase-Standard-Look: Brett mit Partie-Notation und Video-Fenster

Anatoli Karpow

Mit 12 Videoclips und 2 interaktiven Tests.
Nicht nur wegen seiner grandiosen Endspielbehandlung hat Anatoli Karpow schon zu Lebzeiten Legendenstatus erreicht. Über zwei Jahrzehnte gehörte er zur absoluten Weltspitze, seine WM-Kämpfe gegen Viktor Kortschnoi und Garri Kasparow sind Teil des kollektiven Schachgedächtnisses geworden, seine zahllosen Turniersiege haben Rekordmarken gesetzt. Seine Endspieltechnik war phantastisch, häufig gelang es ihm, mikroskopische Stellungsvorteile zum Sieg zu verdichten. Er verstand es wie kaum ein Zweiter, seine Figuren auf die wirkungsvollsten Felder zu setzen, gleichzeitig die Figuren des Gegners maximal einzuschränken und so das Spiel völlig zu dominieren. Sein Gespür für Harmonie und Koordination der Figuren war unübertrefflich. Exemplarisch genannt sei das phantastische Springer-Läufer-Endspiel gegen Kasparow (WM-Match Moskau 1984, 9. Partie) mit einer scheinbar einfachen Stellung, die aber ungeahnte Tiefen aufweist und mit der sich etliche Grossmeister analytisch befasst haben ‒ sogar Karsten Müller musste eine erste Beurteilung revidieren. Kasparow verliert die Partie, weil er versteckte Ressourcen zum Remis nicht nutzen kann, während Karpow mit teilweise genialen Manövern aufwartet.

Garri Kasparow

Garri Kasparow - Schach-Weltmeister - Glarean Magazin
Legende schon zu Lebzeiten und faszinierender Endspiel-Könner: Ex-Schach-Weltmeister Garri Kasparow (Geb. 1963)

Mit 12 Videoclips und 1 interaktiven Test.
Garri Kasparow ist fraglos zu den stärksten Schachspielern aller Zeiten zu zählen, auch wenn die Expertenmeinungen über den absoluten Spitzenplatz subjektiv divergieren mögen. Er ist wohl den meisten in Erinnerung für seinen aggressiv-dynamischen Stil in Eröffnung und Mittelspiel und seine akribische Vorbereitung auf Wettkämpfe ‒ seine 5 WM-Matches mit Karpow sind legendär und füllen immer wieder stattliche Bände. [Aktuell ist eine neue Chronik dieser Wettkämpfe von Jan Timman angekündigt.] Zudem gilt er als der erste, der den Computer professionell für die Vorbereitung zu nutzen wusste. Auch im Bereich der Endspiele hat er faszinierende Leistungen gezeigt, von denen natürlich nur die Spitze des Eisbergs für die DVD aufbereitet werden konnte. Als Beispiele will ich die beiden klassischen Turmendspiele nennen, die er gegen Kortschnoi (Barcelona 1989 und London 1983) gewann, sowie seine Doppelturmendspiele, die er gegen Topalow (Las Palmas 1996 und Linares 1999) nach dramatischem Verlauf für sich entscheiden konnte.

Wladimir Kramnik

Unterteilt in 4 (Unter-)Kapitel: 1) Kramniks Technik (2 Videoclips), 2) Endspiele mit Turm und Springer gegen Turm und Läufer (2 Clips), 3) Strategische Initiative (7 Clips), 4) Kramnik vs. Kasparow (2 Clips); dazu 2 interaktive Tests.
Wladimir Kramnik startete seine steile und spektakuläre Schachkarriere als solider Positionsspieler, einerseits geprägt vom Stil Karpows, andererseits von Kasparows Methoden der theoretischen Vorbereitung. Auch Kramnik ist bekannt dafür, mit grosser Zähigkeit aus kleinsten Vorteilen einen Gewinn herauszukitzeln, sein Spielstil ist vornehmlich auf strategische Initiative gerichtet. Für seine Fähigkeiten im Endspiel ist er berühmt. Bereits im Kindesalter hat er sich für Endspiele begeistert, daher konnte er in Botwinniks Schachschule früh seine diesbezüglichen Fähigkeiten demonstrieren. Die DVD kann lediglich anhand einer kleinen Auswahl zeigen, wie später zahllose Grossmeister der höchsten Kategorie seinem Endspielkönnen Tribut zahlen mussten.
Kramniks Name wird für immer mit der schachhistorischen Leistung verknüpft sein, einen Kasparow entthront zu haben, ohne seinem grossen Gegner einen einzigen Sieg zu gestatten! Zwei Endspiel-Leckerbissen aus der WM London 2000 werden von Karsten Müller vorgestellt.

Viswanathan Anand

Viswanathan Anand - Schach-Weltmeister - Glarean Magazin
Der „Tiger von Madras“ als genialer Endspiel-Künstler: Ex-WM Viswanathan Anand (Geb. 1969)

Mit 8 Videoclips und 1 interaktiven Test.
Der Inder Viswanathan Anand konnte in seiner frühen schachlichen Entwicklung zwar nicht auf die sowjetrussische Schachschule zurückgreifen, dafür auf ein aussergewöhnliches Naturtalent, das ihm eine phänomenale Intuition bescherte. Von Kramnik wird ihm ausserdem eine singuläre Eigenschaft unter sämtlichen Schachspielern bescheinigt: die magisch anmutende Fähigkeit, ein Gegenspiel unmittelbar, praktisch aus dem Nichts zu kreieren. (Carsten Hensel: Wladimir Kramnik, Göttingen 2018, S. 244f.) Die Endspieltechnik gehörte anfangs nicht zu seinen ausgesprochenen Stärken, aber dieses Defizit hat er durch kontinuierliche Verbesserung ausgeräumt, so dass sein Stil, der als dynamisch-universell einzustufen ist, keine ersichtlichen Schwächen aufweist. Im Mittelspiel überrascht der „Tiger von Madras“ häufig mit genialen taktischen Geistesblitzen, und auch der Zeitpunkt für eine günstige Abwicklung ins Endspiel pflegt ihm nicht zu entgehen. Im Endspiel zeigt er eine gewisse Vorliebe für den Springer, den er virtuos zu handhaben versteht. Weitere Beispiele auf der DVD belegen, dass ihm auch mit Läufern und Schwerfiguren beeindruckende Endspielleistungen gelungen sind.

Magnus Carlsen

Magnus Carlsen - Schach-Weltmeister - Glarean Magazin
Vom Wunderkind zum aktuell weltbesten Schachspieler mit Endspiel-Klasse: Weltmeister Magnus Carlsen (Geb. 1990)

Mit 10 Videoclips und 2 interaktiven Tests.
Anders als bei seinem Vorgänger Vishy Anand räumt Magnus Carlsen der computergestützten eröffnungstheoretischen Vorbereitung keinen Vorrang ein. Ihm genügt es, eine spielbare Stellung zu erhalten, die er im Mittel- und Endspiel dank seines überlegenen intuitiven Schachverständnisses erfolgreich behandeln kann. Vorzugsweise inszeniert er ein lang anhaltendes positionelles Druckspiel, um gegnerische Fehler zu provozieren, zugleich ist er (wie Karpow) in der Lage, seine Figuren höchst harmonisch zu koordinieren. Ein starker Kampfgeist, Zähigkeit und körperliche Fitness tragen dazu bei, langwierige Endspiele scheinbar ermüdungsfrei am Brett durchzustehen ‒ die sich irgendwann einstellenden Fehler des Gegners weiss er dann gnadenlos zu bestrafen. Im Endspiel (2)T + L vs. (2)T + L bei gleichfarbigen Läufern treten Carlsens Stärken besonders hervor, Karsten Müller hat für diesen Typ die Bezeichnung „Carlsen-Endspiele“ vorgeschlagen und kommentiert auf der DVD einige musterhafte Beispiele. Dass zwei vorentscheidende Siege Carlsens in seinem ersten WM-Kampf gegen Anand (Chennai 2013, 5. u. 6. WM-Partie auf der DVD) aus Endspielfehlern seines Gegners resultierten, unterstreicht nochmals die Bedeutung der letzten Partiephase.

Rückschau auf 50 Jahre Endspielgeschichte

FAZIT: Karsten Müller hat für die DVD „Endspiele der Weltmeister“ eine lehr- und abwechslungsreiche Auswahl von Endspielen kommentiert, die die letzten sechs klassischen Weltmeister in ihren Spielstilen und mit ihren Fähigkeiten in der Führung des Endspiels charakterisieren. Damit wird dem Nutzer eine Praxis der Endspiele auf höchstem Niveau präsentiert und zugleich die historische Entwicklung des Endspiels über ein halbes Jahrhundert nachvollzogen, die zahlreiche Highlights aufweist. Ein interaktives Training mit Video-Feedback verstärkt und festigt den Lerneffekt. Die durchweg didaktisch gelungene Darstellung des Materials im zweckdienlichen audiovisuellen Format verdient eine nachdrückliche Empfehlung.

Wie aus der vorstehenden Beschreibung hervorgeht, präsentiert die DVD eine attraktive Auswahl von Endspielen, die die „klassischen“ Weltmeister der letzten rund 50 Jahre in Turnieren und Wettkämpfen gespielt haben. Die Endspiele werden von Karsten Müller didaktisch ansprechend erläutert bzw. in angemessener Tiefe analysiert. Eine systematische Darstellung von Endspielen ist hierbei natürlich nicht zu erwarten. Müllers Anliegen besteht eben darin, die Kunst des Endspiels, wie sie von den herausragenden Vertretern unseres Spiels praktiziert und häufig in Perfektion vorgetragen wurde, anhand von Beispielen zu vermitteln und dabei im Verein mit interaktiven Trainingseinheiten einen nachhaltigen Lerneffekt zu erzielen. Der Nutzer sollte fundamentale Endspielkenntnisse mitbringen, wenn er die Inhalte der DVD mit Gewinn verarbeiten will.
Es ist klar, dass sich die Spielweisen und Stärken der Weltmeister im Endspiel mehr oder weniger unterscheiden, aber gelegentlich bestehen auch deutliche Parallelen (wie bei Carlsen und Karpow). Weiterhin haben historische Entwicklungen (zunehmende Computer-Nutzung, Wegfall des Partieabbruchs und der Analyse von Hängepartien, Endspiel-Datenbanken) das Spiel in der Praxis tiefgreifend verändert und die Notwendigkeit erhöht, sich ein ausgefeiltes Endspielwissen zu erarbeiten bzw. das vorhandene Wissen auszubauen. Karsten Müller scheint mit dieser DVD thematisch Neuland betreten zu haben, ein ähnliches Werk, das weltmeisterliche Endspiele über einen längeren Zeitraum vergleichend beleuchtet, ist mir nicht bekannt. ♦

Karsten Müller: Endspiele der Weltmeister ‒ Von Fischer bis Carlsen, Fritz-Trainer Endspiele, DVD ChessBase, ISBN 978-3-86681-682-4

Lesen Sie im Glarean Magazin zum Thema Schach-Endspiele auch über Karsten Müller: Schachendspiele für Kids

… sowie über András Mészáros: 1000 Schach-Endspiel-Studien

ChessBase: Fritz-Trainer Vol. 10 – Mikhail Botvinnik (DVD)

Multimediales Schachtraining mit weltmeisterlichem Flair

von Ralf Binnewirtz

„Lerne von den Klassikern!“ ‒ diesem beachtenswerten Ratschlag hat sich das Hamburger Unternehmen ChessBase in seiner DVD-Reihe Master Class im Multimedia-Format angenommen. Soll es doch tatsächlich noch etliche Spieler selbst auf Meisterniveau geben, die zwar Magnus Carlsen kennen, aber mit seinen Vorläufern bis hin zu Steinitz oder Morphy kaum etwas anfangen können. Die besagte Serie verspricht Abhilfe, indem sie die führenden Schachmeister der Vergangenheit und Gegenwart in Videos porträtiert und dabei deren Strategien, Gewinntechniken und die verschiedenen Phasen ihrer Partien in der Analyse hochrangiger Experten erhellt. Zugleich wird mit regelmässig eingestreuten Testfragen der Leser zur Mitarbeit animiert, so dass dieser nicht nur die legendären Schachgrössen mit ihren spezifischen Stärken (und wenigen Schwächen) kennenlernt, sondern auch für die eigene Partieführung von einem Training nach weltmeisterlichen Vorbildern profitiert.

Schachlegende Botwinnik

Chessbase Fritz-Trainer Vol. 10 - Mikhail Botvinnik - Glarean MagazinDie aktuelle Ausgabe ist dem 6. Weltmeister und Patriarchen der sowjetischen Schachschule, Michail Botwinnik, gewidmet. [Ich verwende in meinem Text die deutsche (aussprachenahe) Transkription russischer Eigennamen, auch wenn auf der DVD durchgängig die englische Transkription gepflegt wird.] Michail Botwinnik (1911-1995), dessen Kurzbiografie von Johannes Fischer beigesteuert wird (übernommen aus der Schachzeitschrift KARL 3/2005), war Weltmeister über einen Zeitraum von 15 Jahren (mit kurzen Unterbrechungen 1957/58 und 1960/61) und über 30 Jahre der Vorkämpfer der Sowjetunion. Manchen Schachfreunden mag er als Persönlichkeit langweilig oder ‒ als Erzkommunist aus Überzeugung ‒ alles andere als sympathisch erscheinen. Seine Bedeutung für das Schach dürfte indes unbestritten sein, zumal er auch als Autor, Theoretiker und Schachlehrer Aussergewöhnliches geleistet hat. Die von ihm nach beendeter Schachkarriere etablierte Botwinnik-Schachschule haben viele künftige Grossmeister und einige spätere Weltmeister (Karpow, Kasparow, Kramnik) durchlaufen.

Eine der charismatischsten Persönlichkeiten der Schachgeschichte: Weltmeister Michael Botwinnik (1911-1995)
Eine der charismatischsten Persönlichkeiten der Schachgeschichte: Weltmeister Michael Botwinnik (1911-1995)

Michael Botwinnik hat als Erster die individuelle Vorbereitung auf seine Gegner zur Perfektion getrieben und seine gesamte Lebensweise mit regelmässiger sportlicher Ertüchtigung und einer nahezu spartanischen Ernährung den eigenen Fitness-Ansprüchen unterworfen. Seine Analysen nach Partieabbruch oder -ende waren äusserst akribisch und schonungslos objektiv hinsichtlich eigener Fehler, seine Endspieltechnik war überragend. Ein grosser Teil seines Erfolgs resultierte fraglos aus einer nie erlahmenden Bereitschaft zu harter Arbeit. Wer mehr biografische Details über Botwinnik erfahren möchte als diese DVD zu bieten vermag, ist mit dem ausgezeichneten Werk von Andrew Soltis Mikhail Botvinnik. The Life and Games of a World Chess Champion (McFarland, 2014) gut bedient. Gegenüber dem Buch hat die DVD bekanntlich unschlagbare Vorteile, sobald es um interaktive Trainingsmöglichkeiten oder um ein schnelles Nachspielen von Partien und Analysen am Bildschirm geht.

Videoclips in 4 Gruppen

Befassen wir uns mit dem Herzstück der DVD, den Videoclips, die thematisch in 4 Gruppen gegliedert sind, für die jeweils verschiedene Experten verantwortlich zeichnen. Die gesamte Videospielzeit der deutschen Version beträgt beachtliche 8 Std. 8 Min. (Verlagsangabe).

1. Eröffnungen (8 Clips)

Diesen Teil bestreitet der in Paris lebende Schweizer GM Yannick Pelletier. Er behandelt in 6 Videos die von Botwinnik besonders häufig gespielten Eröffnungen sowie spezielle Strukturen, eingerahmt von einem Einführungsvideo und einer abschliessenden Zusammenfassung. Die 6 Clips thematisieren nacheinander: Holländisch; Halbslawisch; Grünfeld-Indisch; Mit Schwarz gegen 1.e4 [Französisch; Caro-Kann]; Karlsbader Struktur; Vorposten.
Dass Botwinnik zur Eröffnungstheorie zahlreiche eminente Beiträge geliefert hat, ist hinlänglich bekannt. Beispielhaft erinnert sei nur an die komplexe, seinen Namen tragende Botwinnik-Variante in Halbslawisch (5…dxc4), die zu den schärfsten Eröffnungssystemen zählt und bis heute wagemutige Spielernaturen fasziniert und inspiriert. Aber Botwinnik hat nicht nur durch konkrete Ideen und Varianten die Theorie bereichert. Sein Bestreben war vor allem darauf gerichtet, langfristige Strategien zu entwickeln, um aus der Eröffnung typische Situationen und Strukturen im Mittelspiel zu erreichen, die er dann aufgrund seiner profunden Vorarbeit mit Leichtigkeit zu behandeln wusste. Seine tiefen strategischen Pläne reichten zuweilen bis ins Endspiel. Auf dem Feld der vorbereitenden (aber auch nachträglichen) Analyse konnte Botwinnik seine systematisch-wissenschaftliche Arbeitsweise zur Geltung bringen, die sich als wegweisend und vorbildhaft für nachfolgende Generationen erweisen sollte. – Als Zugabe enthält die DVD das Eröffnungsrepertoire von Botwinnik als Variantenbaum („Botvinnik-Powerbooks“).

2. Strategie (7 Clips)

Der Strategie-Part wurde von dem rumänischen GM Mihail Marin aufbereitet, der längst zu den weltbesten Schachautoren zählt. Nach einem einleitenden Video, das einen Überblick über den positionellen aber keineswegs zurückhaltenden Stil Botwinniks gibt, folgen 6 Videos, die einzelne Partien aus Botwinniks Laufbahn präsentieren bzw. nach positionellen Gesichtspunkten sezieren.
Am Anfang steht die legendäre Partie gegen Capablanca (AVRO 1938) mit der unvergesslichen „Links-Rechts-Kombination“, die in zahllosen Partiesammlungen verewigt wurde. Botwinniks tiefe strategische Konzeption triumphiert hier über die kürzeren Teilpläne des Kubaners. Auch taktisch ist der Stratege Botwinnik gemeinhin auf der Höhe, aber er startet seine Kombinationen erst, wenn die positionellen Grundlagen hierzu geschaffen wurden. Nur ausnahmsweise schreckt er vor der eigenen Courage zurück, wenn er aussichtsreiche Opfer zugunsten positioneller Lösungen meidet, die ebenfalls zum Gewinn reichen ‒ so geschehen in der Partie gegen Larsen 1967.
Die Videopräsentationen dieses Teils sind mit interaktiven Trainingsfragen angereichert. Bei der Eingabe von falschen Antwortzügen erfolgt ein kurzes Feedback, wonach der Löser einen neuen Versuch unternehmen kann. Alternativ kann er sich auch die Lösung anzeigen lassen. Daher kann die DVD von Spielern beliebiger Spielstärke genutzt werden, auch der Verlag gibt diesbezüglich keine Einschränkungen an. – Die Partien sind ausserdem in einer separaten Datenbank „Botvinnik_strategy“ zu finden, die Kommentierung liegt hier nonverbal anhand von zahlreichen Varianten vor.

Chessbase Fritz-Trainer Vol. 10 - Mikhail Botvinnik - Screenshot - Glarean Magazin
Vielfältige Inhalte und umfangreiches Trainingsmaterial von einem legendären Vorkämpfer des „Sowjet-Schachs“: Screenshot der Chessbase-DVD „Mikhail Botvinnik“

3. Taktik (20 Clips)

Den Taktik-Teil hat der Hamburger IM Oliver Reeh übernommen, der zwanzig Botwinnik-Partien bzw. Partie-Fragmente aus dem Zeitraum 1926 bis 1968 ausgewählt hat, die für ein interaktives Taktik-Training prädestiniert erscheinen. Neben der bereits erwähnten Partie gegen Capablanca 1938 sind hier zwei weitere klassische Perlen Botwinnikscher Spielkunst zu finden, die mit ihren Opfer-Reigen an frühere romantische Zeiten erinnern: die Partie gegen Tschechower 1935 und eine weitere „Unvergängliche“ gegen Portisch 1968. Die vollständigen Partien zum Nachspielen sind wieder in einer Datenbank „Botvinnik_tactics“ verfügbar, hier sind auch kurze Textkommentare (in Deutsch und Englisch) eingestreut.

4. Endspiele (14 Clips)

Der letzte Video-Teil wird von dem renommierten Hamburger Endspielexperten GM Karsten Müller präsentiert. Er beginnt mit zwei interaktiven Tests aus Botwinniks Endspielen (zuerst ein grossartiger „Mauerbrecher“, anschliessend sehen wir einen zum Remis verteidigenden Botwinnik). Es folgen 12 Clips, in denen Müller die grossartigen Fähigkeiten Botwinniks in dieser Partiephase kommentiert (ohne interaktive Tests). Das berühmteste der hier gebrachten Beispiele ist sicherlich das Endspiel Botwinnik ‒ Bobby Fischer von der Olympiade Varna 1962, das nach nächtlicher Analyse der Hängepartie durch das russische Team und für Fischer schockierend mit Remis endete. Auch hier gibt es wieder eine separate Datenbank „Botvinnik_endgames“ mit den 14 kommentierten Endspielen.
Als weiteres Zusatzmaterial auf der DVD sind zu nennen: Eine Datenbank mit 1235 Botwinnik-Partien (teilweise und unterschiedlich ausführlich kommentiert mit Varianten/Text), die Tabellen von den Turnieren mit Botwinniks Beteiligung aus dem Zeitraum 1931 bis 1969, sowie eine Datenbank mit 410 Trainingsfragen aus 103 Botwinnik-Partien, hier kann der ambitionierte Löser maximal 883 Punkte erzielen. Zum Arbeiten mit den Datenbanken ist der ChessBase Reader 2017 von der DVD oder bei Chessbase zu installieren (sofern nicht ohnehin bereits auf dem PC des Lesers vorliegend).


Exkurs: Botwinnik vs Fischer

W.E./Im Jahre 1962 kam es anlässlich der 15. Schach-Olympiade im bulgarischen Varna bei der Begegnung Sowjetunion vs USA zu einem legendären Duell zweier Titanen der Schachgeschichte (ein Youtube-Video hält das Partie-Ende der beiden fest): Am 1. Brett traf der Vorkämpfer des kommunistischen Russland Michael Botwinnik auf das amerikanische Schachgenie Robert „Bobby“ James Fischer. Der amtierende Weltmeister Botwinnik war damals mit seinen 51 Jahren bereits nicht mehr ganz auf der Höhe seiner Meisterschaft (und wurde ein Jahr später von T. Petrosjan auf dem Thron endgültig abgelöst), doch die beiden unterschiedlichen Spieler lieferten sich einen erbitterten (und in der Folge vielfach kommentierten) Kampf, der legendär in die Schachgeschichte einging.

Zwei Giganten des Schachs an der Olympiade 1962 im Endspiel der Partie, die remis endete: Botvinnik vs Fischer
Zwei Giganten des Schachs an der Olympiade 1962 im Endspiel ihrer Partie, die remis endete: Botvinnik vs Fischer

Der Spielstil der zwei Genies spiegelte sich unmittelbar in ihren Partieanlagen. Ich konnte der Versuchung nicht widerstehen und unterbreitete diese Partie der beiden Ex-Weltmeister dem inoffiziellen Weltmeister des aktuellen Computerschachs, nämlich dem Freeware-Schach-Programm Stockfish (Assembler-Version). Das Equipment bzw. Setting dieser sog. Taktischen Analyse mit der Datenbank Chessbase 14 war: AMD-FX8350-8Cores-4Ghz-64bit (Engine AsmFish-20180723 / 20sec / 4G Hash).

Diese Partie wurde (wie gesagt) oft und teils sehr unterschiedlich analysiert von zahlreichen Grossmeistern in Büchern und im Internet; deren Kommentare zu vergleichen mit dem Output einer Schach-Engine, gegen die in einem Match zu reüssieren weder ein Botwinnik noch ein Fischer auch nur den Hauch einer Chancen hätte, ist nicht ohne Interesse und Reiz… Ich gebe hier die Computer-Analyse unverändert 1:1 wieder, der Leser mag sie all den anderen Kommentaren gegenüberstellen und ihre Bewertungen vergleichen mit jenen der humanoiden Beurteilungen. Man beachte übrigens die Einschätzung des Programmes, was die Zug-„Genauigkeit“ der zwei Gegner anbelangt: Botwinnik erreichte hier 62%, Fischer „nur“ 55%…

Botvinnik - Fischer Varna 1962 (Stockfish-Analyse CB14) - Glarean Magazin

Hier der Link zu einer interaktiven Partie-Analyse und
zum Download der Partie


Botwinniks Dominanz

FAZIT: Das auf der DVD „Fritz-Trainer 10: Mikhail Botvinnik“ versammelte Material umfasst alle Turnier- und Matchpartien von Botwinnik und sogar einige Simultanpartien, somit einen Grossteil seines schachlichen Erbes. Die personelle Besetzung in den Videoclips mit vier prominenten und bewährten Experten verbürgt hohe fachliche Kompetenz, die sprachliche Präsentation ist generell eingängig und angenehm im Tempo. Ergänzt durch hochwertige Zugaben (Biografie, Taktiktraining etc.), bietet sich die DVD an, einen der erfolgreichsten Weltmeister der Schachgeschichte kennenzulernen, seine Partien zu studieren und durch die interaktive Teilnahme an den Tests und Trainingsaufgaben das Niveau der eigenen Partieführung zu verbessern.

Die Ursachen der Überlegenheit Botwinniks über Grossmeister vergleichbaren Talents sind schon weitgehend aus dem vorstehend Gesagten ableitbar. Auch wenn er sich selbst nur als „primus inter pares“ gesehen hat, besass Botwinnik doch entscheidende Vorteile durch seine mit wissenschaftlicher Methodik erarbeiteten Vorbereitungen auf Partie und Gegner, durch die präparierten langfristigen Pläne bis weit ins Mittelspiel, wo seine weniger gut vorbereiteten Gegner nur noch orientierungslos (re)agieren konnten. Seine tiefschürfenden Arbeiten verhalfen ihm wohl auch zu der wertvollen Fähigkeit, Stellungsanalogien in verwandten, scheinbar anders gearteten Stellungen direkt am Brett zu erfassen und zu nutzen (siehe dazu auch A. Jussupow: „Botwinniks Spiel“, in KARL 3/2005). Botwinniks Erfolge basierten zudem auf einem enormen Fleiss, einer unbeirrbaren Zielstrebigkeit und einer eisernen Selbstdisziplin. Sein Spielstil war universell, wenn auch vorwiegend positionell ausgerichtet, und er zeigte keine nennenswerten Schwächen. Lediglich seine berufliche Tätigkeit als Elektroingenieur hinderte ihn daran, eine konstant gute Form aufrechtzuerhalten. Als eine neue Generation von Schachspielern seine Methoden der Vorbereitung adaptierte, büsste er seinen Vorsprung allmählich ein, letztlich musste er auch seinem zunehmenden Alter Tribut zollen. Jedenfalls dürfte die jahrzehntelange sowjetische Hegemonie im Weltschach nach dem 2. Weltkrieg zu einem wesentlichen Teil auf die Pionierarbeit Botwinniks zurückzuführen sein. ♦

Chessbase: Mikhail Botvinnik – Fritz-Trainer Master Class Vol. 10, DVD-Training, ISBN 978-3-86681-649-7

Lesen Sie im Glarean Magazin auch  über
Claire Summerscale: Schach – So wirst du zum Profi

Computerschach: Fritz 16 erschienen

In Hamburg nichts Neues

von Walter Eigenmann

Der Hamburger Schachsoftware-Hersteller Chessbase ist zuverlässig, wenn es darum geht, die Kundschaft mit pünktlicher Lieferung zufrieden zu stellen: „Alle Jahre wieder“ ein paar Wochen vor der weihnächtlichen Bescherung wird der weltweiten Schachgemeinde ein neuer „Fritz“ empfohlen… Frühere „Fritz“-Neuauflagen legten dabei durchaus zuweilen kräftig nach in Sachen neue Features oder bezüglich interessante Novitäten auf den Gebieten Partie-Analyse, Datenbank-Handling oder Online-Anbindung.

Wenig Neues beim Neuen

Der neue Startbildschirm von "Fritz 16": Freundlich, einladend, übersichtlich strukturiert
Der neue Startbildschirm von „Fritz 16“: Freundlich, einladend, strukturiert

Heuer wird der „Fritz“-Anwender bei seiner Suche nach Neuem im aktuellen „Fritz“-Paket allerdings deutlich weniger fündig als beispielsweise bei Vorgänger-Versionen wie Fritz 12 oder Fritz 15. Die 16. Ausgabe ist definitiv kein grosser Wurf: Zu wenig der Verbesserungen in Menü und Outfit, kaum neue Features, und auch kaum eine schachliche Verbesserung der „hauseigenen“ Engine (für die wiederum der einstige „Rybka“-Programmierer Vasik Rajlich verantwortlich zeichnet).

Stagnierende Entwicklung der Fritz-Engine

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Apropos Engine: Der originale Fritz-Motor zählt, obwohl längst nicht mehr an der absoluten Spitze des Engine-Zirkus‘ mitmischend, nach wie vor zu den extrem starken Engines, die jeden menschlichen Grossmeister in Grund und Boden spielen, und die für den analysierenden wie selber spielenden Schachfreund verlässliche Partner sind. Immerhin hat mit V. Rajlich einer der begabtesten Programmierer der Szene Hand an „Fritz16.exe“ angelegt.
Für die zweite Garnitur der Top-10 ist jedenfalls der neue „Fritz“ durchaus ein ernst zu nehmender Gegner, wie nachstehende Partie gegen die aktuelle Nummer Vier zeigt. Um auch gleich ein Beispiel für die neue „Vollanalyse“ der GUI zu bringen, wurde das Game eben dieser sog. Taktischen Analyse (siehe unten) unterworfen (hier mit dem Stockfish-Derivat AsmFish).

Fritz 16 - Shredder 13 - Match 5 Min - 4Cores

Analyse-Feature von „Chessbase 14“ ins Boot geholt

So ganz ohne Neuerung kommt aber natürlich auch dieser jüngste „Fritz“ nicht daher. Zwei Novitäten sind’s im Wesentlichen, die unter dem vielen Bewährten als echter Mehrwert auffallen. Da ist einmal, wie oben erwähnt, die „Taktische Analyse“, die erstmals bei der Datenbank „Chessbase 14“ integriert und nun auch zu „Fritz“ herübergeholt wurde, wobei dieses interessante CB-Feature bei Fritz 16 nach wie vor unterm Menü-Punkt „Vollanalyse“ firmiert.

Neu: Blindspielen gegen „Fritz“

Eine zweite „Fritz“-Neuheit ist die „Einfache Partie“ (Easy Play), die bereits via Startbildschirm als eigenständiges Interface für persönliche Partien gegen das Programm aufrufbar ist. Hier wiederum fällt dann die neue Option „Blindspielen“ bzw. „Unterstütztes Rechentraining“ auf.
Daneben hat auch dieser neue „Fritz“ mehr oder weniger nützliche Gimmick-News vorzuweisen – beispielsweise die Option „Partieformular entziffern“, die Probleme mit unleserlichen Zugnotationen lösen soll.

Die Trainings-Menüleiste von "Fritz 16" mit den bekannten Features für das persönliche Schach-Üben
Die Trainings-Menüleiste von „Fritz 16“ mit den bekannten Features für das persönliche Schach-Üben

Nullrunde als Chance für Fritz 17

Fazit: Fritz 16 muss niemand kaufen, der die 15. Version schon auf der Festplatte hat. Chessbase ist bekannt für wirklich innovative Schachsoftware und eine sehr mehrwertige Produkte-Palette, und die Firma bedient die Schachfreunde regelmässig mit Novitäten, wie sie andere nicht aufweisen können. Doch mit dem aktuellen „Fritz“ scheint eine Art Pflichtauflage bewerkstelligt worden zu sein, damit das Weihnachtsgeschäft 2017 nicht völlig an einem vorbei geht… (Wer überhaupt noch keinen „Fritz“ installiert hat, für den ist die Nummer 16 selbstverständlich unbedingt eine Option: Er erhält damit eines der mächtigsten und online bestintegriertesten Schachpakete der Welt).

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Kurzum: Wenn Chessbase diese „Denkpause“ nutzt, um dann mit Fritz 17 ein umso interessanteres „neues“ Produkt anzubieten, hat sich dieser „Nullmove“ vielleicht doch noch gelohnt. Die Schachgemeinde erwartet in Sachen „Fritz“ keine Revolutionen (mehr), aber ein bisschen Evolution darf es jeweils schon sein… Man ist also durchaus gespannt, was in Hamburg noch alles an zukünftigem Mehrwert im „Fritz“-Köcher steckt. Bei der nächsten „Fritz“-Version 2018 dann aber nochmals einen solchen Minimalismus abzuliefern könnte der Reputation dieser „altehrwürdigen“ Schachsoftware ernsthaften Schaden zufügen… ♦

Chessbase / Hamburg: Fritz 16 – Schachprogramm (Interface mit Datenbank, Engine, Online-Anbindung), DVD

Lesen Sie im Glarean Magazin auch über den direkten „Fritz“-Konkurrenten:
Shredder 13 erschienen

.

Muster-Inserat Glarean Magazin

Computerschach: Die besten Engines der Welt

Schachprogramme: Wie sie spielen, wie sie siegen

von Walter Eigenmann

Seit den ersten erhältlichen Schachcomputern Ende der 1970er Jahre hat die Schachwelt nun ein über drei Dezennien dauerndes, progressives Programmieren gesehen, und dieses hat (im Verbund mit stetig verbesserter Hardware) inzwischen ein Niveau erreicht, das die Engines – also die rechnenden „Motoren“ – zu absoluten Überfliegern macht. Es dürfte heutzutage keinen einzigen Menschen mehr geben – den amtierenden Schach-WM Magnus Carlsen eingeschlossen -, der ein reguläres Match über 20 Partien unter FIDE-Bedingungen gegen eine der 10 besten Engines der Welt auch nur ausgeglichen gestalten könnte.

Extrem weit und extrem genau berechnen heute die Programme bereits auf handelsüblichen PC’s ihre Züge, und auch wenn nach wie vor schachliche Defizite bei den Engines auszumachen sind – siehe hierzu auch im Glarean Magazin: Die Test-Suite „Nightmare 2“ für Schachprogramme -, so ist in einer „normalen“ Partie die bestenfalls kreative, aber in ihrer Kapazität und Unbeständigkeit hoffnungslos defizitäre humanoide Denkweise absolut chancenlos. (Man vergleiche dazu auch das Aufsehen erregende (Vorgabe-)Match des Programmes „Komodo“ gegen den amerikanischen Super-Grossmeister Hikaru Nakamura im Januar 2016, als das Taktik-Genie Nakamura trotz massiver Benachteiligung seines elektronischen Gegners eine Niederlage nicht vermeiden konnte).

Nicht gegen, sondern mit der Maschine spielen

Fidelity Chess Challenger 1 (Chicago Januar 1977)
Fidelity Chess Challenger 1 (Chicago Januar 1977)

Den einzelnen Schachspieler kümmert das allerdings (zurecht) nicht (mehr) – die enorme sportliche Leistung z.B. an einer Tour de France wird ja nicht abgewertet dadurch, dass man mit dem Motorrad schneller und leichter von Düsseldorf nach Paris kommt… Im Gegenteil: Wenn der Mensch nicht gegen, sondern mit der Maschine Schach spielt, zeitigt dies schachlich enorm gültige Ergebnisse, sei es in der Analyse eigener Partien, oder sei es im Fernschach, wo der mehr oder weniger smarte Umgang des FS-Meisters mit seinem „Engine-Park“ über Sieg oder Niederlage entscheidet. (Siehe hierzu im Glarean Magazin auch das Interview mit dem Fernschach-Grossmeister Arno Nickel).

No Opening-Books, no Endgame-Tablebases

Das Ergebnis einer 30-jährigen Entwicklung in der Schachprogrammierung: Die Freeware-Engine Stockfish
Das fulminante Ergebnis einer 30-jährigen Entwicklung in der Schach-Programmierung: Die Freeware-Engine Stockfish

Der Mensch gegen die Maschine: ein ungleicher Kampf, sogar dann noch, wenn der Mensch Bauern oder Züge als Vorgaben erhält. Der Mensch mit der Maschine: das ist heutzutage die angesagte Kombination, wenn es darum geht, der „schachlichen Wahrheit“, dem analytischen Erkenntnisgewinn in Eröffnung, Mittelspiel und Endspiel möglichst nahe zu kommen. Doch wie steht es mit: Maschine gegen Maschine? Wie sehen da die Hierarchien aus? Welches sind denn die absoluten Überflieger-Engines?

Der Autor dieses Beitrages hat, um das herauszufinden, von seinem häuslichen Intel-Computer mal ein Turnier mit über 30 der aktuell besten Programme ausspielen lassen. Als User-Interface (= die „Software-Haube“, unter der die 31 „Motoren“ agierten) diente die bekannte und häufig benützte Schach-Oberfläche „Fritz 15“. Das Turnier wurde als 2-rundiges Round-Robin angelegt, total spielte also jede der 31 Engines 60 Partien, insgesamt generierte das Turnier über 900 Games.

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Dabei kamen weder Eröffnungsbücher noch Endspiel-Tabellen zum Einsatz; die Programme hatten also nicht nur das Mittel-, sondern auch das Endspiel und die ganze Eröffnung völlig autonom zu gestalten. Dafür wurde mit dem Modus „Permanent Brain = On“ jene Option aktiviert, die selbstverständlich stets in von Menschen ausgetragenen Turnieren „angewendet“ wird, nämlich das Berechnen auch dann, wenn der Gegner am Zuge ist.

Vor- und Nachteile von Kurz-Bedenkzeiten

Befremden mag vielleicht die mit nur zwei Minuten allzu kurz scheinende Bedenkzeit pro Engine. Doch diesbezüglich gelten angesichts heutiger Hardware-Möglichkeiten andere Gesetze: Die Programme rechneten, wie anhand des Partien-Downloads nachgeprüft werden kann, im Mittelspiel durchschnittlich zwischen 16-20 Halbzüge (!) weit – das generiert schachlich äusserst hochwertige Partien bzw. schliesst minderwertige oder gar Patzer-Züge aus, wie sie bekanntlich in menschlichen (auch Grossmeister)-Turnieren gang und gäbe sind.

Bei total zwei Minuten Bedenkzeit pro Programm sind „Panik-Züge“ zumal im späteren Endspiel nicht gänzlich auszuschliessen – und erst recht, wo weder vielzügige Eröffnungsvorgaben noch 5-7-men-Tablebases verfügbar sind. Meine entspr. Turnier-Recherche hat aber relativ wenige Games zutage gefördert, in denen eine Engine eine deutliche Gewinnstellung wegen „Sofort-Ziehens“ zum Verlust verdarb. Denn man muss sich vergegenwärtigen, dass moderne Programme in Sekunden-Bruchteilen zig-tausende von Stellungen berechnen – und dies mit raffiniertesten Algorithmen bzw. hochselektiven Verfahren. Heutige Engines spielen „intelligent“ Schach, auch im Hunderstel-Sekunden-Bereich. Partie-Verluste aufgrund von Zeitüberschreitungen kamen nicht vor; allerdings zeitigte das Turnier naturgemäss einige „Seeschlangen“.
Der gewichtige Vorteil von betont kurzen Bedenkzeiten in Computer-Partien ist natürlich die grosse Anzahl Partien, die recht schnell generiert werden können, um so statistisch relevante Werte zu erhalten.

Das Triumvirat Stockfish-Houdini-Komodo

Der Waran als grosser Feind des Fisches: Das Schachprogramm Komodo von Grossmeister Larry Kaufmann & Co.
Der Waran als grosser Feind des Fisches: Das Schachprogramm Komodo von Grossmeister Larry Kaufmann & Co.

Die untenstehende Rangliste bestätigt einen Befund, den bereits zahlreiche andere Anwender mit ihren privaten Turnieren aufzeigten: Die drei Engines Stockfish, Houdini und Komodo sind zurzeit konkurrenzlos. Die Gegnerschaft mit 7-10 Punkten auf Distanz zu halten scheint nur auf den ersten Blick knapp; in diesem Klassefeld ist das vielmehr eine deutliche Marke.

Welches dieser drei Programme nun ultimativ auf dem obersten Podest steht, lässt sich nicht abschliessend sagen, weil das stark vom Design der jeweils ausgerichteten Turniere abhängt. Je nach Hard- und Software kann jedes Mitglied dieses Triumvirats das fragliche Ranking dominieren. Und da die Updates des Trios je im ca. Halbjahr-Takt erfolgen, wechseln sie sich in den vielen privaten Ranglisten der Anwender immer wieder ab auf dem Platz Eins.
Fest steht aber, dass sie aktuell alle anderen Programme deutlich distanzieren im Engine-Engine-Betrieb. Erfreulich ist dabei, dass mit Stockfish 8 unter den vier besten Motoren auch einer ist, der den Usern komplett kostenlos zur Verfügung gestellt wird, während Komodo, Houdini und Shredder gekauft werden müssen.
Apropos: Hier findet sich ein ständig aktualisierter Überblick auf hunderte von Schach-Engines sowie deren Urheber und Geschichte inkl. Download-Adressen.

Shredder und Andscacs als zweite Garnitur

Schach-Programmierer Stefan Meyer-Kahlen
Jahrelang die Nummer Eins, nun als „Zweite Garnitur“ unterwegs: Schach-Programmierer Stefan Meyer-Kahlen

Die „zweite Garnitur“ des aktuellen Engine-Parkes wird von Shredder und Andscacs gebildet. Diese beiden Programme sind auch jene, die dem Spitzentrio am gefährlichsten nahe kommen und ihm regelmässig Remisen abtrotzen können. Insbesondere die Gratis-Engine Andscacs, inzwischen dem Kommerz-Programm Shredder in Sachen Spielstärke ebenbürtig, leistet sich allenfalls gegen schwächere die eine oder andere Niederlage mehr. Beide sind als „solide“ bekannt, wobei Shredder in seiner aktuellen Version auch taktisch enorm zugelegt hat. (Siehe hierzu auch die entspr. Rezension im Glarean Magazin).

Starke Motoren auch in der 3. und 4. Liga

Die dritte Liga setzt sich aus 15 sehr starken modernen Motoren von Fire bis Naum zusammen. Darunter übrigens auch Rybka, das lang Zeit die komplette Gegnerschaft in Grund und Boden spielte. Diese Engines mögen mit den Top-Four des Feldes nicht ganz mithalten können, aber sie spielen noch immer ein Schach, gegen das jeder menschliche Gegner mehrheitlich chancenlos wäre. „Stärke“ ist in der Welt des Königlichen Spiels ein extrem relativer Begriff…

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Schliesslich sind in der vierten Reihe zahlreiche einst hochinteressante Programme anzutreffen: Fritz, Hiarcs, Junior, Spike, Zappa – das waren vor Jahren äusserst klangvolle Namen, welche die Szene mit ihrem teils sehr originellen und kraftvollen Spielstil wesentlich beeinflussten. Auch dies ein deutlicher Hinweis darauf, welchen gewaltigen Fortschritt das Computerschach in den letzten 15 Jahren an den Tag gelegt hat. So landete in diesem Turnier mit Gandalf eine Engine auf dem letzten Platz, die in den späteren 1990er Jahren mit ihrer originellen Spielweise und ihren Turniererfolgen für Aufsehen sorgte. (Zu Gandalfs „Ehrenrettung“ muss erwähnt werden, dass dieses Programm aktuell nur zwei Cores unterstützt).

Exkurs: Stockfish

Der zurzeit wohl kompletteste, in manchen privaten Ranglisten gar als die Nummer Eins geführte Motor ist sicher Stockfish (aktuelle Version: Nummer 8). Seine überall dokumentierte, beeindruckende Turnier-Performance beweist, dass das Programm kaum Schwächen hat. Es spielt äusserst sicher, rechnet extrem tief und behandelt alle drei Partiephasen (bzw. deren Übergänge) ausgewogen.

Diese Einschätzung lässt sich an ausgesuchten Teststellungen leicht verifizieren. (Apropos: Alle nachfolgenden Charakterisierungen beziehen sich auf die Standard-Einstellungen der Engines. Denn Abweichungen von den Default-Werten oder auch speziell „getunte“ Programm-Derivate vermögen im Computer-„Turnieralltag“ meist nicht zu reüssieren und sind darum allenfalls für Spezial-Analysen interessant).
Hinweis: Mausklick in die 12 nachstehenden Notationen aktiviert ein Analyse-Fenster und ermöglicht zudem einen PGN-Download der Partie:

Der Linienöffner

Linienöffen – Zentrumshebel – Rochadeangriffe – das sind u.a. die zentralen Begriffe, mit denen man die Schwerpunkte von Stockfishs hauptsächlichen Stärken umreissen könnte.
Den folgenden Angriff findet das Programm sofort – im Gegensatz zu vielen seiner Kontrahenten:
2rr2k1/1bq2ppp/p2n2P1/1p1pb3/3N3P/3BB3/PPPQ4/1K1R3R w – – 0 24

Bei nachstehendem Zentrumshebel – ein Klassiker in der GM-Praxis – tun sich die meisten Engines schwer. Nicht so Stockfish, der das linienöffnende Brecheisen f2-f4 sofort spielt:

r1b1kq1r/1p1n2bp/p2p2p1/3PppB1/Q1P1N3/8/PP2BPPP/R4RK1 w kq – 0 16

Dank seiner Fähigkeit des enorm tiefen und selektiven Rechnens ist Stockfish hervorragend im Umgruppieren von Figuren – wie z.B. in dem folgenden Springermanöver, das in eine gefährliche Initiative mündet. Andere Programme sind in solchen Stellungen überfordert:

r3rbk1/1p3p1p/2pn1pb1/3p4/p2P2PN/2NBPP2/PP3K1P/2RR4 w – – 0 20

Probleme hat Stockfish in gewissen Endspiel-Stellungen – beispielsweise finden die meisten starken Programme den nachfolgenden Lösungszug sofort, während Stockfish (trotz Endgame-TB-Hilfe) im Trüben stochert:

4kr2/5p1K/3p1Q2/1p4P1/4P3/1PP5/7b/8 w – – 0 1

Exkurs: Komodo

Die Engine Komodo (aktuelle Version: 11.2) gilt in der Szene als „menschlichstes“ Programm, das für ein betont „positionelles“ Computerschach steht: Stille Züge, Qualitätsopfer „auf Position“, Zwischenzüge, nachhaltiges Druckspiel – das sind u.a. die spontanen Stichworte, die einem beim Beobachten von Komodo-Games einfallen. Selbstverständlich spielt aber Komodo auch taktisch auf einem extrem hohen Level, und seine Königsangriffe zählen immer wieder zu den Highlights der Partien.
Dass Komodo „menschlich“ spiele, mag kein Zufall sein; im Gegensatz zu anderen starken Engines programmiert im Komodo-Team seit Jahren mit Larry Kaufmann ein bekannter Grossmeister mit, dessen Schach-Wissen spürbar in die Algorithmen des Motors eingeflossen sein dürfte.

Der Menschliche

Komodo kann (natürlich) auch spektakuläre Züge finden, aber es sind seine druckvollen Zwischen- bzw. Stillen Züge, mit denen das Programm die Gegnerschaft immer wieder „erdrückt“. Als Beispiel für viele ähnliche Fälle sei die folgende Position angeführt, wo mit dem Qualitätsopfer h3 eine nachhaltige Initiative gesichert wird. Während Komodo den Zug sofort spielt, tappt die Konkurrenz teils minutenlang im Dunkeln:

2rr2k1/pp2pp1p/1n1q2pb/1B1PRb2/3P1Nn1/1QN5/PP1B1PPP/4R1K1 w – – 0 16

 Starke Felder okkupiert Komodo so schnell wie kaum ein anderes Programm. Als Beispiel diene eine Stellung Komodo’s gegen das starke Gull, in der ein Turm-Vorposten vernichtend etabliert wird:

2r1r1k1/3b1pb1/p6p/P2Pn1p1/3NP3/q2p2P1/3Q2BP/BR3R1K b – – 0 29

 

Anands prächtiges Springeropfer gegen Karjakin in Wijk aan Zee 2006 öffnet Tür und Tor gegen den feindlichen König – doch auch starke Programme tun sich schwer damit. Nicht so Komodo, der es in Sekundenschnelle sieht und auch sofort als Gewinnzug deklariert:

q3nrk1/4bppp/3p4/r3nPP1/4P2P/NpQ1B3/1P4B1/1K1R3R b – – 0 24

Schwer tut sich die Engine zuweilen in taktisch zugespitzten Opfer-Kombinationen gegen die Rochade. Während in der folgenden Stellung der Turmeinschlag von Top-Programmen sofort gespielt wird, hat ihn Komodo nach einer halben Minute immer noch nicht:

1r3rk1/6p1/p1pb1qPp/3p4/4nPR1/2N4Q/PPP4P/2K1BR2 b – – 0 24

Exkurs: Houdini

Der Endspieler

Houdini in seiner aktuellen Version 5.01 ist der König des Endspiels im Engine-Zirkus. Das Programm hat nicht nur eine höchst effiziente Tablebases-Anbindung, sondern offenbar auch ein überdurchschnittliches Endspiel-Wissen. In dieser Partiephase gewinnt es Stellungen, die andere Spitzenprogramme zum Remis verderben. Auch Houdini ist natürlich ein Super-Taktiker (und sein „Tactical“-Derivat sieht atemberaubende Kombinationen), aber sein Endspiel straft so manche Remis-Prognose Lügen. Hier nur drei Stellungen, deren Potential bzw. Gewinnzüge Houdini sofort sieht, während die Konkurrenz minutenlang ahnungslos ist:

4Q3/4n1r1/6Pp/1B6/8/8/6r1/5K1k w – – 0 1

 Nach ca. einer halben Minute zeigt Houdini in der folgenden Endspiel-Stellung nicht nur den Lösungszug, sondern auch die definitive Gewinn-Bewertung an. Davon können andere Engines nur träumen…

5Bkq/1p6/1ppR3P/5K2/Pn6/8/P1PP4/8 w – – 0 1

 

Egal welchen Motor man auf nachfolgende Stellung ansetzt: alle stehen sie wie der Esel vorm Berg bei dieser Stellung, obwohl ihnen alle möglichen Endgame-Tablebases zur Verfügung stehen. Nicht so Houdini…

8/2p1q3/p3P3/2P4p/1PBP2kP/2N3P1/7K/8 w – – 0 1

 Auch Houdini hat natürlich seine Defizite: bei sehr tiefen bzw. komplexen Kombinationen scheint es zuweilen blind zu sein. Nur ein Beispiel: Das folgende herrliche Damenopfer von Smagin (gegen Sahovic in Biel 1990) finden Stockfish & Co. in maximal 30 Sekunden, während Houdini sich sehr viel länger Zeit lässt:

r2qk2r/ppp1b1pp/2n1p3/3pP1n1/3P2b1/2PB1NN1/PP4PP/R1BQK2R w KQkq – 0 12

.

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Fazit: Wenn hier nur die drei unbestrittenen Top-Engines aus einem bunten Pool von vielen Dutzend hervorragenden Schachprogrammen besonders aufgeführt werden, ist das durchaus ein bisschen unfair gegenüber all den (zumeist) als Amateur-Programmierer tätigen Engine-Machern, deren kostenlos downloadbaren Engines viel zur Lebendigkeit des aktuellen Computerschachs beitragen. Andererseits haben sich nun mal all jene User, die ihre eigenen Partien möglichst zuverlässig analysiert haben wollen, und erst recht alle Fernschach-Spieler, die interaktiv effiziente Unterstützung beim Computer suchen, halt unter eben vielen Dutzend „Angeboten“ für die möglichst „stärksten“ Motoren zu entscheiden. Diese heissen gegenwärtig unbestritten Stockfish, Komodo und Houdini. Und vieles spricht dafür, dass dieses Triumvirat auch in absehbarer Zukunft das internationale Computerschach beherrschen wird. ♦

Rangliste

    Programm               Punkte    (TB)

01. Houdini 5.01           54.0 / 60
02. Stockfish 8            52.5 / 60
03. Komodo 11.01           51.0 / 60
04. Deep Shredder 13       44.0 / 60
05. Andscacs 0.91          43.5 / 60
06. Fire 5                 40.0 / 60
07. Gull 3.1               39.5 / 60
08. Fizbo 1.9              39.0 / 60
09. Chiron 4.0             38.5 / 60
10. Protector 1.9          37.5 / 60
11. Equinox 3.3            35.5 / 60
12. Critter 1.6a           34.5 / 60
13. NirvanaChess 2.4       34.0 / 60
14. Fritz 15               33.5 / 60
15. Deep Rybka 4.1         32.5 / 60
16. Bouquet 1.8            31.0 / 60
17. Hannibal 1.7           30.0 / 60
18. Texel 1.06             28.5 / 60
19. Sting SF 8.1           27.0 / 60
20. Arasan 20.2            26.0 / 60 (589.75)
21. Naum 4.6               26.0 / 60 (579.75)
22. Deep Hiarcs 14         23.5 / 60
23. Pedone 1.5             23.0 / 60
24. Spike 1.4              18.5 / 60
25. Senpai 1.0             17.5 / 60
26. Spark 1.0              16.5 / 60
27. Zappa Mexiko II        15.0 / 60
28. Deep Junior Yokohama   14.0 / 60
29. Deep Onno 1-2-70       12.0 / 60
30. Deep Sjeng WC2008      11.0 / 60
31. Deep Gandal 7.0        01.0 / 60
    (Hier findet sich die Turnier-Kreuztabelle für alle Begegnungen).

Hardware
Intel i7-4790 / 3.6 GHz / 8 Cores / x64-Prozessor / 1MB Hash-Memory pro Engine

Software
 Interface: Fritz 15 / Keine Eröffnungsbücher / Keine Endspiel-Datenbanken / Windows 10

Turnier
 2min Bedenkzeit pro Engine / "Permanent Brain" on / 4 Cores pro Engine

Hier lassen sich alle Partien downloaden (PGN- & CBH-CBV-Format - zip-Datei)

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Roland Stuckardt: Too clever is dumb (Schach-Essay)

Too clever is dumb

Kleine Philosophie des Schwindelns

von Roland Stuckardt

Entgegen der landläufigen Meinung gehört das spekulative Spiel zum Wesenskern des Schachs. Schliesslich kommt bereits der Ausgangsstellung ein spieltheoretischer Wert (also 1–0,½–½ oder 0–1) zu, der sich unweigerlich einstellen würde, wenn beide Seiten stets der (glücklicherweise niemandem bekannten) Linie perfekten Spiels folgten. Sollte etwa die Grundposition für eine der Parteien gewonnen sein, so bleibt zumindest der anderen Partei gar nichts anderes übrig, als auf spekulatives Spiel zu setzen… Die folgende kleine Philosophie „Too clever is dumb“ geht ein paar (computer-)schachlichen und kulturellen Implikationen des Schwindelns nach.

In einer frühen Computerschachpartie zwischen dem amerikanischen Programm Duchess und seinem berühmten sowjetrussischen Rivalen Kaissa, die auf der Second World Computer Chess Championship 1977 in Toronto aufeinander trafen, trug sich Unerwartetes zu, das die Programmierteams und das Fachpublikum gleichermassen elektrisierte:

Bild: Computerschach-Partie Duchess-Caissa (Toronto 1977)
Duchess-Caissa – Toronto 1977 – Schwarz am Zug

In dieser Stellung spielte Kaissa den Zug 34… Te8 und stellte damit seinen Turm en prise, anstelle mit dem nahe liegenden und von jedermann antizipierten 34…Kg7 zu antworten. Ein Programmierfehler? Ein Übermittlungsfehler? Oder doch eine grundlegende konzeptionelle Schwäche des noch experimentellen Schachalgorithmus? Zunächst konnte sich keiner der anwesenden Experten, zu denen immerhin Michael Botwinnik, Eduard Lasker und Hans Berliner gehörten, diesen vermeintlichen Missgriff erklären. Mit einem Minusturm kämpfte Kaissa in aussichtsloser Lage noch 14 Züge weiter, um sich schliesslich geschlagen zu geben.

Der vermeintliche Patzer

Erst die Post-Mortem-Analyse brachte ans Licht, dass Kaissa mit 34…Te8 nicht wirklich falsch, ja sogar in formalem Sinne goldrichtig lag. Nachdem dessen Entwickler zunächst noch geraume Zeit nach einer technischen Ursache des vermeintlichen Patzers fahndeten, kam schliesslich jemand auf die Idee, in der kritischen Stellung einfach einmal die nahe liegende Entgegnung 34…Kg7 zu spielen und Kaissa nach der besten weissen Fortsetzung zu befragen. Und siehe da: Nach kurzem Nachdenken brachte das Programm das herrliche Damenopfer 35.Df8+!! und kündigte ein Matt in 5 Zügen an: 35…Kxf8 36. Lh6+ Lg7 37. Tc8+ Dd8 38. Txd8+ Te8 39. Txe8#.
Aus technischer Sicht funktionierte Kaissa also bestens: Mit dem Turmopfer 34…Te8 verschaffte es der weissen Dame die Kontrolle über das Feld f8 und wendete somit das Matt vorerst ab. Das Programm tat genau das, was von ihm zu erwarten war – dies sogar so gut, dass es selbst den Schachexperten zunächst entging.

Ein Fall für spekulatives Spiel

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Dennoch bleibt ein schaler Beigeschmack, der uns davon Abstand nehmen lässt, den Zug 34…Te8 mit einem Ausrufezeichen zu versehen. Vermutlich hätten es die meisten starken Schachspieler dennoch mit der unter Anlegung technischer Massstäbe inkorrekten Fortsetzung 34…Kg7!? versucht – dies selbst dann, wenn sie selbst bereits die versteckt in der Stellung liegende Ressource gesehen haben, denn es besteht die berechtigte Hoffnung, dass der Gegner das Matt nicht sieht und eine andere Fortsetzung als 35.Df8+ wählt. Mit anderen Worten: Die Stellung bietet die perfekte Gelegenheit zu einem Erfolg versprechenden Schwindelversuch bzw. – etwas gewählter ausgedrückt – zu spekulativem Spiel. Denn viel ist hier wirklich nicht zu verlieren, da die nach 34…Te8 entstehende Stellung ja ebenfalls bereits aufgabereif ist. Und letztendlich spielt es keine Rolle, ob wir nach 35 oder 48 Zügen kapitulieren müssen.
Dem Computerschachexperten Peter Jansen (1990) folgend, mag man in Bezug auf spekulatives Spiel noch feiner unterscheiden zwischen Schwindeln (Konfrontation des Gegners mit einer Stellung, in der der beste Zug nicht nahe liegend ist) und dem Stellen einer Falle (Konfrontation des Gegners mit einer Stellung, in der der nahe liegende Zug nicht der beste ist). Das konstitutive Merkmal spekulativen Spiels ist es, dass wir im Allgemeinen einen gewissen Einsatz leisten, indem wir von der Linie des optimalen Spiels abweichen, um eine Stellung herbeizuführen, in der wir darauf spekulieren, dass der Gegner fehlgreift und wir letztendlich doch profitieren.

Wissen ist Macht

Francis Bacon - Wissen ist Macht - Schwindeln im Schach - Glarean Magazin
Francis Bacon: „Wissen ist Macht“

Die Moral von der Geschicht’ ist bemerkenswert: Im Schach gilt, dass man sich bisweilen um Chancen bringt, wenn man von seinem Mehrwissen unreflektiert Gebrauch macht. Wie das Beispiel gezeigt hat, sollte man in bestimmten Situationen auch den Wahrnehmungshorizont der Gegenseite beachten, um seine Erfolgsaussichten zu maximieren. Die Devise lautet: Kenne Deinen Gegner! Natürlich sind stets auch die Rahmenbedingungen zu beachten. Die Erfolgsaussichten spekulativen Spiels sind umso höher, je schwächer die Spielstärke des Gegners ist, je weniger Restzeit sich noch auf dessen Uhr befindet und – insofern wir gegen einen Menschen spielen – je länger die Partie bereits andauert. Ferner: Stehen wir ohnehin bereits auf Verlust? Müssen wir unbedingt gewinnen oder wenigstens remisieren? Selbst Schachmotoren der Spitzenklasse sind derlei Abwägungen fremd: In der obigen Partie die schwarzen Steine führend, sehen sie die Ressource 35.Df8+ in Millisekunden und verschwenden deshalb keine weitere Suchzeit an die unter der Massgabe beiderseitig optimalen Spiels unsinnige Fortsetzung 34…Kg7.

Maximierung der Gesamtausbeute

Wir befinden uns also in einer paradoxen Situation: Der prinzipiell segensreiche Zustand der relativen Erleuchtung erlegt uns die zusätzliche Bürde auf, sorgfältig abzuwägen, wie wir von unserem Wissensvorsprung situationsabhängig am besten Gebrauch machen, um den Gesamterfolg nicht unnötig zu schmälern. Nota bene: Insofern dieser Wissensvorsprung existiert – denn falls unser Gegner ebenfalls den Durchblick hat, können wir uns das Spekulieren natürlich ersparen. Positiv gewendet: Je genauer wir wissen, wer unser Gegenüber ist und wie sich die Gesamtsituation darstellt, desto höher natürlich auch unsere Erfolgsaussichten, passgenaue Gelegenheiten zu spekulativem Spiel zu finden, um so die erwartete Gesamtausbeute zu maximieren.

Algorithmisches Schwindeln

Was heisst dies nun für das Computerschach? Die elementare Lektion ist die, dass wir mit formell optimalem Spiel, wie es in den Standardalgorithmen des Computerschachs angelegt ist, womöglich nicht das optimale Ergebnis erzielen. Zwar gewinnt man bisweilen den Eindruck, als beherrschten Schachmotoren bereits die Technik des Schwindelns.

So spielte etwa in der folgenden Stellung (aus einer Partie der Turnierserie CCRL 40/40 – 2015)

Bagatur 1.3a 64bit - Fischerle 0.9.65 64-bit - CCRL/2015 - Schwarz am Zug
Bagatur 1.3a 64bit – Fischerle 0.9.65 64-bit – CCRL/2015 – Schwarz am Zug

das Programm Fischerle 57…Txg4 anstelle des näher liegenden 57…Kf6xg6, um nach 58.h5? vermöge 58…Txg5! 59.fxg5 Kxg5 ½–½ in ein Remis (Randbauer und Läufer der falschen Farbe) abzuwickeln. Jedoch handelt es sich bei 57…Txg4 nicht um einen Schwindelversuch im engeren Sinne, da Fischerle diesen Zug nur deshalb spielt, weil er in der Ausgangsstellung die Gefahr, die von den drei verbundenen Freibauern ausgeht, bereits als zentral einschätzt. Tatsächlich rechnete das Programm hier mit dem Läuferrückzug 58.Lb1, d. h. es setzte nicht gezielt auf den Fehlgriff 58.h5? des Gegners, wie es bei echtem spekulativem Spiel der Fall gewesen wäre. Und bei dem anschliessenden 58…Txg5! handelt es sich schlichtweg um die Wahrnehmung einer elementaren Endspielressource.

Vermutete Schwächen des Gegners bewirtschaften

Per definitionem ist spekulatives Spiel im engeren Sinne somit dadurch gekennzeichnet, dass man bewusst von der Linie optimalen Spiels abweicht (also einen Einsatz leistet), jedoch darauf hofft, dass der Gegner die widerlegende optimale Fortsetzung nicht findet und insgesamt draufzahlt. Wir unternehmen hierbei den Versuch, bekannte oder vermutete Schwächen des spezifischen Gegners zu bewirtschaften. Das entsprechende Wissen, auf das wir uns stützen, kann generischer (die gesamte Gegnerklasse betreffende) oder spezifischer (den einzelnen Opponenten betreffende) Natur sein. Eine Schachengine könnte etwa in Matches gegen Menschen dynamische, ausgeprägt taktische Stellungen mit vielen nicht stillen Zugmöglichkeiten anstreben; in umgekehrter Richtung entspricht dem die bekannte Strategie menschlichen Anti-Computer-Schachs, wo geschlossene, positionelle Systeme bevorzugt werden, in denen die Fähigkeit zur längerfristigen Planung erfolgskritisch ist.

Spekulatives Spiel gegen Schachmotoren

Auch gegen die Klasse der maschinellen Gegner gehört also spekulatives Spiel zum kleinen Einmaleins. Weiters kann hier auf opponentenspezifisches Wissen zurückgegriffen werden. Zwar basieren die heutigen Spitzenengines auf einer Menge gemeinsamer Kerntechniken der effizienten Spielbaumsuche, die diese in jedem Falle zu taktischen Riesen machen. Andererseits unterscheiden sich die Schachmotoren noch immer hinsichtlich der individuellen Suchhorizonte, die in spezifischen Positionen erreicht werden: Welche Varianten werden besonders tief untersucht? Welche Varianten werden nur mit eingeschränkter Suchtiefe betrachtet? Technisch ausgedrückt: Es kommen unterschiedliche Kombinationen von Sucherweiterungen und Suchreduktionen zum Einsatz. Mischung und Feinabstimmung dieser Techniken der variablen Suchtiefe bestimmen nun entscheidend den Spielstil und somit mittelbar die spezifischen Stärken und Schwächen eines Programms.
Die Konsequenz hieraus ist, dass auch in Matches zwischen Schachengines prinzipiell Chancen bestehen, per Rückgriff auf entsprechendes Detailwissen über das spezifische gegnerische Programm in Erfolg versprechender Weise spekulatives Spiel zu betreiben. Betrachten wir hierzu folgende Stellung (Position #213, Sammlung Win at Chess, Fred Reinfeld) mit Weiss am Zug:

Fred Reinfeld - Win at Chess - Position 213
Fred Reinfeld – Win at Chess – Position 213

Diese Position verkörpert ein zentrales Beispiel aus einer wissenschaftlichen Publikation zu Deep Thought, dem Vorgänger des Systems Deep Blue. Ausgestattet mit einer nach damaligen Massstäben einzigartigen Sucherweiterungstechnik namens Singular Extensions gelang es diesem System bereits 1989, das tief in der Stellung verborgene Matt in 18 Zügen1) (beginnend mit dem Turmopfer 1.Txh7!!) in 65 Sekunden zu finden. Insofern unser Schachmotor über diese aufwändige und heute nur von wenigen Programmen implementierte Strategie verfügen sollte, wird er diese siegreiche Zugfolge in wenigen Sekunden finden.

Qualität des Wissens über den Gegner entscheidet

Schach Kasparov vs Deep Throught - Chess Men vs Computer - Glarean Magazin
New York 1989: Human-Weltmeister Garry Kasparov spielt gegen Computer-Weltmeister Deep Thought. Das Programm spielte mit der Sucherweiterungstechnik „Singular Extensions“

Stellen wir uns nun andererseits vor, dass wir in einer hypothetischen Vorgängerstellung mit der schwarzen Dame auf b3 und einem weissem Springer auf b1 die schwarzen Steine führen. Die Singular Extensions ermöglichen es uns, recht rasch zu sehen, dass Weiss nach 0…Dxb1 über die genannte Gewinnkombination verfügt. Ausgestattet mit dem Wissen, dass unser Gegner über keine vergleichbare Technik verfügt, könnten wir jedoch darauf setzen, dass Weiss das Matt nicht sehen wird, und spekulativ 0…Dxb1 spielen. (Dieses Beispiel ist zugegebenermassen etwas künstlich, denn Schwarz stünde hier auch nach dem nichtspekulativen 0…Td7 exzellent. Zudem kann sich Weiss in der Diagrammstellung beginnend mit 1.Txh7! auch in ein relativ leicht zu sehendes Dauerschach retten.)
Entscheidend ist nun also die Qualität unseres Wissens über den jeweiligen Gegner: Je genauer wir dessen blinde Flecken kennen, desto eher wird es uns gelingen, ihn passgenau zu beschwindeln. Und genau an dieser Stelle wird es aus technischer Sicht interessant: Es stellen sich neue Herausforderungen jenseits einer weiteren Detailoptimierung der üblichen, bereits hochperformanten Schachalgorithmen.

Möglichkeiten und Grenzen algorithmischen Schwindelns

Der chinesische Philosoph und General Sunzi (5. Jh. v. Chr.):
Der chinesische Philosoph und General Sunzi (5. Jh. v. Chr.): „Du musst deinen Feind kennen, um ihn besiegen zu können“

In der Wissenschaft der Spieltheorie ist das Bewusstsein für die oben herausgearbeiteten Feinheiten natürlich längst gegeben. Bereits seit Jahrzehnten beschäftigen sich volkswirtschaftliche Forschung und auch die mit der Beratung und Ausbildung hochrangiger politischer und militärischer Entscheidungsträger betrauten Institutionen mit derlei Problemen. Die Quintessenz war bereits den alten Chinesen bekannt: „Du musst deinen Feind kennen, um ihn besiegen zu können“, so schrieb bereits um 500 vor Christus der chinesische General und Philosoph Sunzi in seinem Klassiker der Militärstrategie „Die Kunst des Krieges“. Jedoch erweist es sich als gar nicht so einfach, diese grundlegende Erkenntnis in ein formales mathematisches Modell zu giessen, das sich Erfolg versprechend in der Schachprogrammierung operationalisieren lässt. Die meisten Schachprogramme begnügen sich deshalb mit der klassischen symmetrischen, also auf beiderseitig optimales Spiel ausgerichteten Spielbaumsuche.

Der Schwindel-Modus der Schach-Engines

Einer der berühmtesten "Schwindler" und Bluffer der Schach-Geschichte war der amerikanische Spitzenspieler Frank Marshall, der oft in seinen Partien höchst gewagte Opfer anbrachte, die seine Gegnerschaft verwirrten und dann fehlgreifen liessen...
Einer der berühmtesten „Schwindler“ und Bluffer der Schach-Geschichte war der amerikanische Spitzenspieler Frank Marshall, der oft in seinen Partien höchst gewagte Opfer anbrachte, die seine Gegnerschaft verwirrten und dann fehlgreifen liessen…

Einige Top-Engines können in einem Schwindelmodus betrieben werden. Oftmals heisst dies jedoch lediglich, dass das Programm auch dann noch auf Sieg bzw. Remis spielt, wenn ein elementares Endspiel vorliegt, das laut Datenbank bei beiderseitig optimalem Spiel eigentlich remis bzw. verloren ist. Spekulation ist hier etwa dahingehend möglich, dass wir diejenige Fortsetzung wählen, unter der der Gegner bei perfektem Spiel die meisten Züge brauchen wird, um den Gewinn zu realisieren. Eine andere Möglichkeit besteht darin, dass wir solche Fortsetzungen wählen, in denen der Gegner sehr präzise spielen muss – etwa indem wir Stellungen anstreben, in denen dem Gegner möglichst wenige korrekte, den Sieg bzw. das Remis wahrende Züge zur Verfügung stehen und deshalb die Gefahr eines Fehlgriffs (vermutlich) hoch ist; insofern wir hierbei etwa vom längstmöglichen Weg zum Verlust abweichten – also einen Einsatz leisteten –, ergäbe sich spekulatives Spiel im engeren Sinne.
Gegen eine Schachmaschine, die ebenfalls über perfekte Information verfügt, stellen derlei Anstrengungen vergebene Liebesmüh’ dar, nicht jedoch gegen einen Menschen, dem es am Brett womöglich nicht gelingen wird, ein bei bestem Spiel in 40 Zügen gewinnbares Endspiel König und Läuferpaar gegen König und Springer innerhalb der 50-Züge-Grenze siegreich zu beenden.

Algorithmisches Schwindeln im Mittelspiel

Eine erheblich grössere Herausforderung stellt es hingegen dar, die Strategie des algorithmischen Schwindelns auf Mittelspielstellungen zu verallgemeinern. Peter Jansen, der auch Mitglied des Deep-Thought-Entwicklerteams war, befasste sich bereits in den frühen 90er Jahren in seiner Dissertation (Jansen 1992) mit dem anspruchsvollen Thema des spekulativen Spiels bzw. der hiermit eng verbundenen Frage der sog. Opponenten-Modellierung in der Spielbaumsuche und im Computerschach. Damals sah Jansen Chancen für erfolgreiches algorithmisches spekulatives Spiel in erster Linie in Matches gegen menschliche Gegner; andererseits identifizierte er eine Reihe zentraler, vornehmlich effizienzbezogener Probleme betreffend die Integration entsprechender Techniken in die Algorithmen der klassischen Spielbaumsuche – Herausforderungen, die vermutlich auch heute noch nicht zufrieden stellend gelöst sind. Letztendlich aber ist dies auch eine gute Nachricht: für den Menschen, weil sich damit zeigt, dass Schachalgorithmen zumindest in bestimmten Aspekten noch immer nicht mit der humanen Schachvirtuosität mithalten können; andererseits jedoch auch für die Protagonisten schachlichen Motorsports, weil dies impliziert, dass sich technische Herausforderungen selbst heute noch stellen, da die Top-Engines vermutlich längst die (virtuelle) 3000-Elo-Marke menschlicher Schachexzellenz geknackt haben.

Philosophische und literarische Querbezüge

Mark Taimanov:
Mark Taimanov: „Ich würde lieber aufgeben, als einen solchen Zug zu spielen“

Wie in der Welt, so gilt also auch im doch eigentlich so rational-aufgeklärten Schach bisweilen die charmante Weisheit: „Too clever is dumb!“ (Zitat Ogden Nash) Insofern wir von unseren tiefen Einsichten in unreflektiert-mechanischer Manier Gebrauch machen, wirken wir auf unsere Mitmenschen bzw. Spielpartner bisweilen hölzern und womöglich ganz und gar nicht so schlau, wie es unserer Selbstwahrnehmung entsprechen mag. Und selbst wenn wir in der Sache prinzipiell recht haben: So falsch liegen unsere Zeitgenossen ja doch nicht, wenn sie den Kopf darüber schütteln, insofern wir in der eingangs besprochenen Position das theoretisch optimale 34…Te8 spielen sollten. Letztendlich eine selbst erfüllende Prophezeiung, denn falls unsere Gegenspieler vornehmlich weniger tief schürfende Zeitgenossen sein sollten, so würden wir auf Dauer tatsächlich unseren Erfolg schmälern, wenn wir auf die Chancen spekulativen Handelns leichtfertig verzichteten.

Grenzen der Spekulation im sozialen Kontext

Das Kaissa-Schachparadoxon als literarische
Das Kaissa-Schachparadoxon als literarische „Umsetzung“ im Theaterstück „Die Befristeten“ von Elias Canetti

Andererseits gibt es natürlich Grenzen, die uns durch den jeweiligen sozialen Kontext gesetzt werden: So würde man vermutlich Spott ernten, wenn man in einer Partie gegen eine Spitzenspielerin darauf spekulierte, per Schwindel einem elementaren zweizügigen Matt entrinnen zu können. Dass derlei psychologische Kräfte im Hintergrund menschlichen Spiels walten, lässt sich etwa anhand eines Kommentars von Mark Taimanov zum legendären positionell-spekulativen Springeropfer Spasskis in der Partie Awerbach–Spasski (Leningrad 1956) aufzeigen: „Ich würde lieber aufgeben, als einen solchen Zug zu spielen.“ Einem Schachmotor kann dies jedoch vermutlich egal sein – dieser wird sich auch weiterhin an die Tartakower’sche Devise halten, dass durch Aufgabe noch keine Partie gewonnen wurde.
Auch in der Bühnenliteratur werden wir fündig. In seinem Theaterstück „Die Befristeten“ skizziert Elias Canetti eine Welt, in der jedem Bewohner von Geburt an und für jeden ersichtlich der Tag des Ablebens zugeschrieben ist. Die Folgen für das Zusammenleben sind fatal, und die Individuen sehen sich vor die besondere, kaum zu meisternde Herausforderung gestellt, mit diesem unerbetenen Extrawissen in verantwortungsvoller Manier umzugehen. Der Zusammenhang mit dem eingangs am Beispiel von Kaissa herausgearbeiteten schachlichen Paradoxon erscheint offensichtlich.

Spekulation als Wesenskern des Schachs

Wir sollten uns vergegenwärtigen, dass spekulatives Spiel ohnehin zum Wesenskern des Schachs gehört und immer gehören wird. Schliesslich kommt bereits der Ausgangsstellung ein spieltheoretischer Wert (also 1–0,½–½ oder 0–1) zu, der sich unweigerlich einstellen würde, wenn beide Seiten stets der (glücklicherweise niemandem bekannten) Linie perfekten Spiels folgten. Sollte etwa die Grundposition für eine der Parteien gewonnen sein, so bleibt zumindest der anderen Partei gar nichts anderes übrig, als auf spekulatives Spiel zu setzen. Sich in den Fatalismus eines „Ich gebe auf!“ bereits in der Ausgangsstellung zu flüchten, hiesse im Prinzip nichts anderes, als den eingangs beschriebenen Kaissa’schen Quasi-Fatalismus 34…Te8 auf die Spitze zu treiben. Womit sich die Dystopie Canettis in der Welt des Schachs manifestieren würde.

Interdisziplinäre Fragestellungen

Auch das Computerschach steht damit im zweiten Jahrzehnt des 21. Jahrhunderts weiterhin vor faszinierenden Herausforderungen. Und vielleicht noch spannender stellen sich die unerwarteten Querbeziehungen dar, die vom spekulativen Spiel im Schach zu Themenfeldern weit jenseits der vierundsechzig Felder bestehen. Vermutlich haben also die Erkenntnisse, die sich aus der Erforschung entsprechender Modelle und Technologien im (Computer-)Schach ergeben, Implikationen auch für diese auf den ersten Blick entfernten Gebiete. In jedem Falle handelt es sich um dezidiert interdisziplinäre Fragestellungen, die den virtuosen Schachspieler (als Künstler), den Informatiker, den Spieltheoretiker und den Philosophen gleichermassen betreffen. ♦

1) Eine der möglichen Zugfolgen zum Matt lautet: 1. Txh7+ Kxh7 2. Dh5+ Kg8 3. Txg7+ Kxg7 4. Lh6+ Kh8 5. Lg5+ Kg7 6. Dh6+ Kf7 7. Df6+ Kg8 8. Dg6+ Kh8 9. Lf6+ Txf6 10. exf6 Dxe1+ 11. Kxe1 Sc2+ 12. Kf1 Se3+ 13. fxe3 Td7 14. De8+ Kh7 15. Dxd7+ Se7 16. Dxe7+ Kg6 17. Dg7+ Kh5 18. Dg5#

Literatur

  • Thomas Anantharaman, Murray S. Campbell, and Feng-hsiung Hsu (1990). Singular extensions: Adding Selectivity to Brute-Force Searching. Artificial Intelligence, Vol. 43, No. 1, 99–109
  • Peter Jansen (1990). Problematic Positions and Speculative Play In: Marsland / Schaeffer (Eds.): Computers, Chess, and Cognition, Springer Verlag, 169–181
  • Peter Jansen (1992). Using Knowledge about the Opponent in Game-Tree Search. Ph.D. thesis, Carnegie Mellon University
  • Fred Reinfeld (2001). Win at Chess (New Algebraic Edition). Dover Publications, New York
  • Sunzi (um 500 v. Chr.). Die Kunst des Krieges. (Deutsch von Volker Klöpsch) Insel Verlag 2009

Roland Stuckardt-Schach-Programmierung-Glarean-Magazin.pngDr. Roland Stuckardt

Geb. 1964, Studium der Informatik sowie der Wirtschafts- und Sozialwissenschaften, 1991 Diplom in Informatik, Wissenschaftlicher Mitarbeiter für die GMD-Forschungszentrum Informationstechnik Darmstadt, Forschung in den Bereichen Computerlinguistik und Natural Language Engineering, 2000 Promotion mit einer Arbeit zur Algorithmischen Textinhaltsanalyse, Tätigkeit als Berater und Leiter einschlägiger Software- und Forschungsprojekte in der Medien- und Internetbranche, seit 2011 Entwicklung des Schachmotors Fischerle, lebt und arbeitet in Frankfurt/Main

Lesen Sie im Glarean Magazin zum Thema Schachprogrammierung auch das Interview mit Stefan Meyer-Kahlen: „Wir stehen erst am Anfang“
ausserdem zum Thema von Lars Bremer: Die 32-Steiner (Schach-Satire)

Computerschach: Testaufgaben für Programme (ERET)

Der „Eigenmann Rapid Engine Test“ (ERET)

von Walter Eigenmann

(Update: 21. Mai 2020)

Der sog. Eigenmann Rapid Engine Test (ERET) ist eine neue Sammlung von 111 Aufgaben für Schach-Programme. Er wurde konzipiert, um schnell einen ersten Eindruck von der Spielstärke einer neuen Engine ausmachen zu können. Die Computerschach-Anwenderschaft erhält mit diesem ERET erstmals eine Test-Suite an die Hand, deren Ergebnisse innert einer halben Stunde eine grobe, aber recht verlässliche Einschätzung eines (neuen) Programms erlauben.

Die 111 Stellungen bzw. ihre Hauptvarianten können nachstehend einzeln interaktiv nachgespielt und als PGN-Datei rungeladen werden. Downloadbar ist ausserdem der Test im CBH-Format (für Chessbase-Software) sowie als EPD-Datei für den Import in diverse Schach-GUI’s.

Die Vorzüge des ERET gegenüber älteren Sammlungen sind namentlich:

  • grosse Bandbreite der Schachmotivik
  • Eindeutigkeit der Lösungen
  • Ausgewogenheit der Partiephasen
  • Mittlerer bis hoher Schwierigkeitsgrad
  • Schnelle Programm-Resultate
  • Auch für zukünftige Engine-Generationen tauglich


Die Axiomatik des ERET-Stellungstests

Eine ambitionierte Aufgaben-Sammlung wie der ERET-Stellungstest für Schachprogramme basiert auf einer eigenen Axiomatik.

Diese lässt sich in den folgenden sechs Punkten zusammenfassen:

  1. Die 111 Aufgaben des ERET decken einen grossen Bereich der (computer-)schachlichen Realität ab.
  2. Diese abgestimmte Kompaktheit der Zusammenstellung ist weder durch Hinzufügungen noch Wegstreichungen antastbar.
  3. Für Computerprogramme (anders als für Menschen) ist eine Schachpartie grundsätzlich eine Sammlung von Einzel-Aufgabenstellungen unter definierten Bedingungen – ein Stellungstest also.
  4. Die Denk- bzw. Rechengeschwindigkeit beim Schachspielen ist eine massgebliche Komponente der „Spielstärke“.
  5. Das vom Test-Autor empfohlene Test-Setting ist ein integraler Bestandteil des Stellungstests.
  6. Unter Wahrung der Punkte 2 & 5 garantiert der ERET keine 100%ige, aber eine weitgehende Übereinstimmung seiner Testergebnisse mit den durchschnittlichen Resultaten des praktischen Engine-Turnierbetriebes.

Das Test-Setting

Das empfohlene ERET-Test-Setting sieht folgendermassen aus:

eret-rochadeangriff-carlsen
Der ERET-Schachtest für Computer-Programme deckt ein weites Spektrum an Eröffnungs-, Mittelspiel- und Endspiel-Elementen ab. Namentlich enthält er exemplarische Beispiele der folgenden taktischen und positionellen Motive (alphabetisch): Ablenkung – Abtausch – Damenopfer – Entlastung – Entwicklung – Festung – Freibauer – Initiative – Königsangriff – Königssicherheit – Läuferopfer – Linienöffnen -Mobilität – Offene Linien – Positionelles Opfer – Qualitätsopfer – Räumung – Rochadeangriff – Springeropfer – Starke Felder – Unterverwandlung – Vergifteter Bauer – Verteidigung – Zentralisierung – Zentrum – Zugzwang – Zwischenzug (Bild: Die Brennpunkte des weissen Rochadangriffs in einer Fernschachpartie Copie-Patrici 1986)
  • 15 Sekunden pro Aufgabe
  • Engine-Einstellungen: Default
  • Prozessoren/Threads/Cores: 1-16
  • Hash-Memory: 512-1024Mb
  • Eröffnungsbücher: keine
  • Endgame-Tablebases: beliebig
  • Extra Halbzüge: 99
  • Multivarianten-Modus: off

Das Design des Testes ist auf diese Einstellungen fokussiert, diese zeitigen die aussagekräftigsten Resultate. Deutlich davon abweichende Settings können die Ergebnisse verfälschen.

Die Test-Auswertung

Die Anzahl Lösungen einer Engine ergibt deren wichtigstes Testergebnis; dieses erlaubt bereits einen groben Vergleich mit anderen Programmen. Um die Resultate mehrerer Engines noch zu differenzieren, empfiehlt der Autor das Interface „Fritz“ ab Version 11, dessen Testergebnisse – aus der CBH- in eine PGN-Datei konvertiert – dann mit dem Freeware-Tool EloStatTS104 von Dr. Frank Schubert werden sollten. Diese mathematisch-statistisch fundierte Methode der Test-Auswertung ist wenn immer möglich vorzuziehen. Ausserdem ist bei einer Verwendung des Testes mit „Fritz“ die von EloStatTS104 mitgelieferte „Offset“-Test-File zu berücksichtigen: Mit ihm lassen sich die unterschiedlichen Reaktions- bzw. Initialisierungszeiten der Engines unter diesem Interface eruieren, womit nochmals genauere Ergebnisse generiert werden können (siehe hierzu die entspr. Readme-Datei).

Die „Fritz“-Alternative „Arena“

Eine Alternative zum „Fritz“-GUI ist die Freeware-Oberfläche „Arena“, die mit zusätzlichen Features beim Automatisierten Stellungstesten aufwartet und auch einen Output der Engine-Berechnungen bietet, allerdings auf jegliche Ranglisten-Generierung verzichtet bzw. nur die Anzahl Lösungen angibt, so dass keine weitergehende Differenzierung der Testergebnisse möglich ist bzw. manuell erfolgen müsste.
Andere Benutzeroberflächen bieten ebenfalls nur rudimentäre Optionen bezüglich Stellungstests und sind deshalb für den ERET nur bedingt zu empfehlen. Einen verhältnismässig differenzierten Output beim Stellungstesten liefert schliesslich noch die in Mitteleuropa kaum verbreitete GUI-Software ChessAssistant.
Die technische Durchführung des Tests ist einfach und bei den verschiedenen Schach-Interfaces wie z.B. Arena, Shredder, ChessAssistant oder Fritz grundsätzlich ähnlich.

Zufallsfaktor Multi-Prozessoren

Moderne Rechner mit Multi-Prozessoren- bzw. -Hyperthread-Techniken neigen zu Fluktuationen in ihrer Zug-Generierung. Deren Auswirkung in der Praxis wird zwar generell sehr überschätzt, aber wer auf Nummer sicher gehen will, macht pro Engine drei bis fünf Test-Durchläufe und nimmt den Durchschnitt oder die kürzeste der jeweiligen Lösungszeiten. (Hierzu mehr im Absatz Einzel-Threat vs Multi-Thread) –

Um Software-übergreifende Vergleiche zu ermöglichen, sollten die Engines mit ihren Default-Parametern getestet werden. Die Verwendung von Opening-Books ist dabei irrelevant; die meisten ERET-Aufgaben sind „out of books“. Trotzdem wird grundsätzlich ein Verzicht auf Engine-Eröffnungsbücher empfohlen, um den Einfluss von ggf. hochselektiven, bis weit ins Mittelspiel hinein reichenden Book-Varianten auszuschliessen.

Relationen entscheiden, nicht absolute Zahlen

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Bei der Generierung von Ranglisten mit dem ERET sollten nicht die absoluten Zahlen-Ergebnisse, sondern vielmehr die Engine-Relationen beachtet werden – so wie bei den Rankings der verschiedenen bekannten Engine-Turnieren auch. Diese können bekanntlich (je nach Turnier-Settings und Berechnungsgrundlage) überraschend unterschiedlich ausfallen – siehe die einschlägigen Engine-Ranglisten CEGT, CCRL, FCP, OHCR, SPCC, FGRL u.a.

Hier findet sich ein Vergleich von fünf häufig zitierten Ranglisten im Internet mit den ERET-Ergebnissen (Stand März 2017). Dabei zeigte sich, wie überraschend genau die Ergebnisse des ERET-Stellungstestes mit den übrigen „regulären“ Rankings übereinstimmen (natürlich von ein paar üblichen „Ausreissern“ abgesehen, die in allen Ranglisten zu finden sind).

Breite Quellen-Recherche

Die einzelnen Stellungen hat der Autor über viele Monate hinweg aus verschiedensten Quellen zusammengetragen und hauptsächlich mit den drei Programmen Deep-Shredder 11/12, Critter 1.6 und RybkaWinFinder 2.2 im Hinblick auf ihre taktische Korrektheit untersucht. Ansonsten hat er auf weiteres Einzeltesten bewusst verzichtet, um den Test möglichst objektiv und nicht „geeicht“ auf bestimmte Programme gestalten zu können. (Über entsprechende Resultat-Meldungen aus der Leser- bzw. Anwenderschaft – privat oder via „Kommentar“-Funktion – würde sich der Autor freuen).

ERET-Computerschach-Testsammlung - Salai-Studie - Glarean Magazin
Welche Komplexität eine Schach-Stellung mit nur wenigen Steinen haben kann, zeigt diese Studie von L. Salai: Den Lösungszug 1.f4!! finden auch starke Computerprogramme die längste Zeit nicht

Trotz der relativ kurzen Zeit-Vorgabe von 15 Sekunden/Stellung sind die ERET-Aufgaben keineswegs trivial. Viele der Aufgaben dürften sogar ganz besondere Knacknüsse auch für heutige Engines sein. Die umfangreichen persönlichen Analysen mithilfe der obengenannten Programme legen den Schluss nahe, dass dieser Test eher im oberen Schwierigkeitsbereich angesiedelt ist. Der Autor ist deshalb zuversichtlich, dass der ERET auch noch in fünf oder zehn Jahren nützlich sein wird…

Die internationale Computerschach-Anwenderschaft widmete sich eingehend dem ERET-Stellungstest und generierte mehrere Ranking-Listen auf je unterschiedlicher Hardware. Beispielhaft seien hier die ERET-Testergebnisse des deutschen Fernschach-Meisters Andreas Strangmüller erwähnt, der auf seiner viebeachteten Schach-Webseite FastGMs Rating Lists (FGRL) seit Jahren Engine-Resultate dokumentiert. Auch in den diversen Computerschach-Foren fand der ERET-Test grosse Resonanz. Stellvertretend hier ein paar Einzelergebnisse im CSS-Forum.

Die aktuelle ERET-Rangliste

Der Autor des Tests selber hat die 111 ERET-Aufgaben im Laufe der Jahre ebenfalls mehrmals von div. Programmen berechnen lassen.
Die nachfolgende Rangliste stammt vom Mai 2020 und enthält nicht weniger als 31 der aktuell stärksten Engines, wie sie von den einschlägigen Turnier-Statistik-Portalen wie z.B. den bekannten Computer Chess Rating Lists (CCRL) aufgeführt werden.
Dabei kam das folgende Hard- und Software-Equipment zum Einsatz:
AMD-Ryzen7-2700x  •  3,7Mhz-64bit  •  16Cores  •  1024MB Hash  •  5-men-Szyzygy-Tablebases  •  Fritz17-GUI

Bezüglich der Auswertung der Lösungsergebnisse fand das bereits erwähnte Tool EloStatTS104 Verwendung; dazu unten mehr.

   Program                          Elo   +/-  Matches  Score   Av.Op.   Solutions

01 Bluefish XR7FD (16Cores)       : 2975    5   2885    61.3 %   2895    93/111
02 Crystal 140520 (16Cores)       : 2967    5   2846    60.2 %   2895    91/111
03 Black Diamond XI (16Cores)     : 2965    5   2801    59.9 %   2896    90/111
04 CorChess 6.0 (16Cores)         : 2962    5   2791    59.5 %   2896    90/111
05 Stockfish 140520 (16Cores)     : 2960    5   2804    59.1 %   2896    89/111
06 Eman 5.50 (16Cores)            : 2956    5   2776    58.5 %   2896    88/111
07 SugaR-NN 260120 (16Cores)      : 2956    5   2706    58.5 %   2896    87/111
08 Chimera 2 BF-Lc0-SF (16Cores)  : 2950    5   2708    57.6 %   2896    85/111
09 Komodo 13.3 (16Cores)          : 2946    5   2734    57.0 %   2897    85/111
10 Lc0 0.25.1 t60-3044 (1Core)    : 2943    6   2785    56.5 %   2898    84/111
11 FatFritz 1.1 (1Core)           : 2941    6   2748    56.1 %   2898    78/111
12 Houdini 6.03 (16Cores)         : 2940    5   2685    56.1 %   2897    83/111
13 Booot 6.4 (16Cores)            : 2919    6   2576    52.9 %   2899    74/111
14 Schooner 2.2 (16Cores)         : 2910    6   2617    51.4 %   2900    76/111
15 Xiphos 0.6 (16Cores)           : 2910    6   2573    51.4 %   2900    73/111
16 Ethereal 12 (16Cores)          : 2904    6   2596    50.6 %   2900    75/111
17 Fritz 17 (16Cores)             : 2890    6   2553    48.4 %   2901    70/111
18 Fizbo 2 (16Cores)              : 2889    6   2511    48.1 %   2902    65/111
19 Laser 1.7 (16Cores)            : 2885    6   2522    47.6 %   2902    69/111
20 RofChade 2.202 (16Cores)       : 2885    6   2505    47.6 %   2902    67/111
21 Critter 1.6a (16Cores)         : 2882    7   2653    47.0 %   2903    68/111
22 DeepShredder 13 (16Cores)      : 2878    6   2512    46.4 %   2903    68/111
23 Andscacs 0.95 (16Cores)        : 2872    6   2463    45.6 %   2903    65/111
24 Arasan 22.0 (16Cores)          : 2853    7   2436    42.6 %   2905    59/111
25 Wasp 3.75(16Cores)             : 2844    7   2467    41.3 %   2905    57/111
26 Fire 7.1 (16Cores)             : 2844    7   2402    41.2 %   2905    54/111
27 DeepRybka 4.1 (16Cores)        : 2842    7   2482    40.7 %   2907    53/111
28 Naum 4.6 (16Cores)             : 2815    7   2451    36.9 %   2908    47/111
29 Chiron 4 (16Cores)             : 2813    7   2429    36.7 %   2908    48/111
30 Deep Junior Yokohama (16Cores) : 2797    7   2391    34.5 %   2909    41/111
31 ProDeo 2.92 (1Core)            : 2697    7   2240    22.4 %   2913    16/111

BF-Lc0-SF = Brainfish & LeelaChessZero & Stockfish
Lc0 & FatFritz = RTX2080-GPU

Weiterführende Links

Für jene Leser, die sich näher mit der Thematik Computerschach & Stellungstests befassen möchten, nachfolgend ein paar weiterführende Links:

„ELO-Formel für Stellungstests“

  • Dr. Frank Schubert: Lösung eines alten Problems – Autor Schubert untersucht zuerst die seinerzeit gängigen Auswerteverfahren verschiedener bekannter Stellungstests und stellt dann einen mathematisch neuen, dem FIDE-Elo-Verfahren ähnlichen Ansatz zur Differenzierung von Test-Ergebnissen vor. In einem historischen Exkurs wird auch Bezug genommen auf noch vor einigen Jahren gebräuchliche Tests von Autoren wie Bednorz, Schumacher, Gurevich oder Scheidl. Zum Schluss stellt Schubert seine eigene Methode vor, „welche die Schwächen der bisherigen Formeln beseitigt und erstmalig auf einer soliden schachlichen Theorie basiert.“ Dabei zählt das Tool nicht einfach die Anzahl richtiger Lösungen ab, sondern setzt die Ergebnisse je nach Lösungsverhalten bei den einzelnen Stellungen zueinander in Bezug; es wird also nicht nur berücksichtigt, wie viele, sondern auch welche Engines welche Aufgaben gelöst haben.

„Was Stellungstests testen“

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    Lars Bremer: Was Stellungstests testen – IT-Journalist und Programmierer Bremer repliziert darin auf den seinerzeit heftig umstrittenen CSS-WM-Test von M. Gurevich, wobei er ebenso unverhohlen wie amüsant in die Trick-Kiste greift, um seine Test-kritische These zu untermauern: Er löschte mit einem eigens dafür geschriebenen Tool in dem als Gesamtheit konzipierten Test jeweils so lange einzelne Aufgaben, bis immer wieder Top-Resultate der zufällig gewählten (ggf. schwachen) Engine resultieren, womit Bremer den zufälligen Charakter von Test-Ergebnissen beweisen möchte.
    Dahinter steckt allerdings ein grober Denkfehler. Denn da selbstverständlich ein umfangreicher und durchdachter Stellungstest immer kompakt gemeint ist, seine Aufgaben aufeinander abgestimmt sind und also nicht willkürlich zusammengestrichen werden dürfen, ist Bremers Artikel wissenschaftlich nicht wirklich ernst zu nehmen und deshalb ein einziger „Quatsch“ (Zitat) – aber dennoch witzig zu lesen 🙂

„Chaos-System Deep Engine“

  • Lars Bremer: Chaos-System Deep Engine – Ein seriöserer und informativer Artikel des obigen Autors zur Problematik des „Zufälligen Zuges“ bei Deep-Engines. Mit seinem „Fazit“ bezüglich der Aussagekraft von Stellungstests bei MP-Rechnern ist der Schreibende zwar nicht einverstanden: Ausgedehnte Untersuchungen könnten sehr wohl dokumentieren, dass ein durchdachtes Design eines Stellungstestes diesen „MP-Effekt“ zwar nicht restlos ausschalten, aber entscheidend abfedern kann, so dass er bezüglich Ranking schliesslich auch statistisch irrelevant wird. Doch Bremer erklärt das Phänomen aus der Sicht des Programmierers äusserst anschaulich und auch für Laien nachvollziehbar. Es wird erklärt, warum sich moderne „Deep“-Programme zuweilen völlig nicht-deterministisch, ja „chaotisch“ verhalten beim Ausspielen von Zügen.

„Einzel-Threat vs Multi-Threats“

  • Tord Romstad (Stockfish): Eine kurz zusammengefasste Erklärung dieses „MP-Effektes“ findet sich auch in einem Interview, das Frank Quisinsky vor Jahren mit Tord Romstad, dem verantwortlichen Stockfish-Programmierer, sowie dessen Co-Autoren geführt hat. Zitat: „Wenn ein Schachprogramm eine Position, irgendwo tief innerhalb des Suchbaums, untersucht, macht es Gebrauch bzw. erinnert sich an frühere bereits untersuchte Positionen der gleichen Suche. Die Zugbeschneidung, Verkürzung oder Verlängerung hängen davon ab, welche Positionen vorher überprüft wurden und wie die Ergebnisse der Untersuchung dieser Positionen waren. Der Grossteil der Informationen, der für eine Entscheidung verwendet wird, liegt im Arbeitsspeicher. Der Arbeitsspeicher steht allen Prozessoren zur Verfügung.
    Solange es nur einen Thread gibt, ist alles zu 100% reproduzierbar. Aber bei mehreren Threads beginnen seltsame Dinge zu geschehen, weil diese Threads nie synchron mit gleicher Geschwindigkeit aktiv sein können. Immer wieder wird eine CPU für ein paar Millisekunden eine Pause einlegen müssen und das Betriebssystem weist dann sofort eine andere Aufgabe zu. Das geschieht zufällig und ist nicht vorhersehbar, eine Kontrolle gibt es hierfür nicht. Als Konsequenz erreicht jeder Prozessor eine bestimmte Position eher zufällig und das wirkt sich dann auf die Suche nach Entscheidungen zur aktuellen Position aus.“
  • Chess Programming Wiki: Hier finden sich einige „klassische“ Stellungstests (inkl. Stellungsdiagramme), die allerdings heute eher historische denn schachliche Bedeutung haben.

Der ERET-Stellungstest als EPD-/FEN-Liste

r1bqk1r1/1p1p1n2/p1n2pN1/2p1b2Q/2P1Pp2/1PN5/PB4PP/R4RK1 w q – – bm Rxf4; id „ERET 001 – Entlastung“;
r1n2N1k/2n2K1p/3pp3/5Pp1/b5R1/8/1PPP4/8 w – – bm Ng6; id „ERET 002 – Zugzwang“;
r1b1r1k1/1pqn1pbp/p2pp1p1/P7/1n1NPP1Q/2NBBR2/1PP3PP/R6K w – – bm f5; id „ERET 003 – Linienoeffnen“;
5b2/p2k1p2/P3pP1p/n2pP1p1/1p1P2P1/1P1KBN2/7P/8 w – – bm Nxg5; id „ERET 004 – Endspiel“;
r3kbnr/1b3ppp/pqn5/1pp1P3/3p4/1BN2N2/PP2QPPP/R1BR2K1 w kq – – bm Bxf7; id „ERET 005 – Laeuferopfer f7“;
r2r2k1/1p1n1pp1/4pnp1/8/PpBRqP2/1Q2B1P1/1P5P/R5K1 b – – bm Nc5; id „ERET 006 – Springeropfer“;
2rq1rk1/pb1n1ppN/4p3/1pb5/3P1Pn1/P1N5/1PQ1B1PP/R1B2RK1 b – – bm Nde5; id „ERET 007 – Laeuferpaar“;
r2qk2r/ppp1bppp/2n5/3p1b2/3P1Bn1/1QN1P3/PP3P1P/R3KBNR w KQkq – bm Qxd5; id „ERET 008 – Zentrum“;
rnb1kb1r/p4p2/1qp1pn2/1p2N2p/2p1P1p1/2N3B1/PPQ1BPPP/3RK2R w Kkq – bm Ng6; id „ERET 009 – Springeropfer“;
5rk1/pp1b4/4pqp1/2Ppb2p/1P2p3/4Q2P/P3BPP1/1R3R1K b – – bm d4; id „ERET 010 – Freibauer“;
r1b2r1k/ppp2ppp/8/4p3/2BPQ3/P3P1K1/1B3PPP/n3q1NR w – – bm dxe5, Nf3; id „ERET 011 – Rochadeangriff“;
1nkr1b1r/5p2/1q2p2p/1ppbP1p1/2pP4/2N3B1/1P1QBPPP/R4RK1 w – – bm Nxd5; id „ERET 012 – Entlastung“;
1nrq1rk1/p4pp1/bp2pn1p/3p4/2PP1B2/P1PB2N1/4QPPP/1R2R1K1 w – – bm Qd2, Bc2; id „ERET 013 – Zentrum“;
5k2/1rn2p2/3pb1p1/7p/p3PP2/PnNBK2P/3N2P1/1R6 w – – bm Nf3; id „ERET 014 – Endspiel“;
8/p2p4/r7/1k6/8/pK5Q/P7/b7 w – – bm Qd3; id „ERET 015 – Endspiel“;
1b1rr1k1/pp1q1pp1/8/NP1p1b1p/1B1Pp1n1/PQR1P1P1/4BP1P/5RK1 w – – bm Nc6; id „ERET 016 – Pos. Opfer“;
1r3rk1/6p1/p1pb1qPp/3p4/4nPR1/2N4Q/PPP4P/2K1BR2 b – – bm Rxb2; id „ERET 017 – Koenigsangriff“;
r1b1kb1r/1p1n1p2/p3pP1p/q7/3N3p/2N5/P1PQB1PP/1R3R1K b kq – bm Qg5; id „ERET 018 – Entwicklung“;
3kB3/5K2/7p/3p4/3pn3/4NN2/8/1b4B1 w – – bm Nf5; id „ERET 019 – Endspiel“;
1nrrb1k1/1qn1bppp/pp2p3/3pP3/N2P3P/1P1B1NP1/PBR1QPK1/2R5 w – – bm Bxh7; id „ERET 020 – Laeuferopfer h7“;
3rr1k1/1pq2b1p/2pp2p1/4bp2/pPPN4/4P1PP/P1QR1PB1/1R4K1 b – – bm Rc8; id „ERET 021 – Prophylaxe“;
r4rk1/p2nbpp1/2p2np1/q7/Np1PPB2/8/PPQ1N1PP/1K1R3R w – – bm h4; id „ERET 022 – Freibauer“;
r3r2k/1bq1nppp/p2b4/1pn1p2P/2p1P1QN/2P1N1P1/PPBB1P1R/2KR4 w – – bm Ng6; id „ERET 023 – Rochadeangriff“;
r2q1r1k/3bppbp/pp1p4/2pPn1Bp/P1P1P2P/2N2P2/1P1Q2P1/R3KB1R w KQ – am b3; id „ERET 024 – Entwicklung“;
2kb4/p7/r1p3p1/p1P2pBp/R2P3P/2K3P1/5P2/8 w – – bm Bxd8; id „ERET 025 – Endspiel“;
rqn2rk1/pp2b2p/2n2pp1/1N2p3/5P1N/1PP1B3/4Q1PP/R4RK1 w – – bm Nxg6; id „ERET 026 – Springeropfer“;
8/3Pk1p1/1p2P1K1/1P1Bb3/7p/7P/6P1/8 w – – bm g4; id „ERET 027 – Zugzwang“;
4rrk1/Rpp3pp/6q1/2PPn3/4p3/2N5/1P2QPPP/5RK1 w – – am Rxb7; id „ERET 028 – Vergifteter Bauer“;
2q2rk1/2p2pb1/PpP1p1pp/2n5/5B1P/3Q2P1/4PPN1/2R3K1 w – – bm Rxc5; id „ERET 029 – Qualitaetsopfer“;
rnbq1r1k/4p1bP/p3p3/1pn5/8/2Np1N2/PPQ2PP1/R1B1KB1R w KQ – bm Nh4; id „ERET 030 – Initiative“;
4b1k1/1p3p2/4pPp1/p2pP1P1/P2P4/1P1B4/8/2K5 w – – bm b4; id „ERET 031 – Endspiel“;
8/7p/5P1k/1p5P/5p2/2p1p3/P1P1P1P1/1K3Nb1 w – – bm Ng3; id „ERET 032 – Zugzwang“;
r3kb1r/ppnq2pp/2n5/4pp2/1P1PN3/P4N2/4QPPP/R1B1K2R w KQkq – bm Nxe5; id „ERET 033 – Initiative“;
b4r1k/6bp/3q1ppN/1p2p3/3nP1Q1/3BB2P/1P3PP1/2R3K1 w – – bm Rc8; id „ERET 034 – Laeuferpaar“;
r3k2r/5ppp/3pbb2/qp1Np3/2BnP3/N7/PP1Q1PPP/R3K2R w KQkq – bm Nxb5; id „ERET 035 – Qualitaetsopfer“;
r1k1n2n/8/pP6/5R2/8/1b1B4/4N3/1K5N w – – bm b7; id „ERET 036 – Endspiel“;
1k6/bPN2pp1/Pp2p3/p1p5/2pn4/3P4/PPR5/1K6 w – – bm Na8; id „ERET 037 – Zugzwang“;
8/6N1/3kNKp1/3p4/4P3/p7/P6b/8 w – – bm exd5; id „ERET 038 – Endspiel“;
r1b1k2r/pp3ppp/1qn1p3/2bn4/8/6P1/PPN1PPBP/RNBQ1RK1 w kq – bm a3; id „ERET 039 – Entwicklung“;
r3kb1r/3n1ppp/p3p3/1p1pP2P/P3PBP1/4P3/1q2B3/R2Q1K1R b kq – bm Bc5; id „ERET 040 – Koenigssicherheit“;
3q1rk1/2nbppb1/pr1p1n1p/2pP1Pp1/2P1P2Q/2N2N2/1P2B1PP/R1B2RK1 w – – bm Nxg5; – id „ERET 041 – Springeropfer“;
8/2k5/N3p1p1/2KpP1P1/b2P4/8/8/8 b – – bm Kb7; id „ERET 042 – Endspiel“;
2r1rbk1/1pqb1p1p/p2p1np1/P4p2/3NP1P1/2NP1R1Q/1P5P/R5BK w – – bm Nxf5; id „ERET 043 – Springeropfer“;
rnb2rk1/pp2q2p/3p4/2pP2p1/2P1Pp2/2N5/PP1QBRPP/R5K1 w – – bm h4; id „ERET 044 – Linienoeffnen“;
5rk1/p1p1rpb1/q1Pp2p1/3Pp2p/4Pn2/1R4N1/P1BQ1PPP/R5K1 w – – bm Rb4; id „ERET 045 – Initiative“;
8/4nk2/1p3p2/1r1p2pp/1P1R1N1P/6P1/3KPP2/8 w – – bm Nd3; id „ERET 046 – Endspiel“;
4kbr1/1b1nqp2/2p1p3/2N4p/1p1PP1pP/1PpQ2B1/4BPP1/r4RK1 w – – bm Nxb7; id „ERET 047 – Entlastung“;
r1b2rk1/p2nqppp/1ppbpn2/3p4/2P5/1PN1PN2/PBQPBPPP/R4RK1 w – – bm cxd5; id „ERET 048 – Starke Felder“;
r1b1kq1r/1p1n2bp/p2p2p1/3PppB1/Q1P1N3/8/PP2BPPP/R4RK1 w kq – bm f4; id „ERET 049 – Entwicklung“;
r4r1k/p1p3bp/2pp2p1/4nb2/N1P4q/1P5P/PBNQ1PP1/R4RK1 b – – bm Nf3; id „ERET 050 – Koenigsangriff“;
6k1/pb1r1qbp/3p1p2/2p2p2/2P1rN2/1P1R3P/PB3QP1/3R2K1 b – – bm Bh6; id „ERET 051 – Verteidigung“;
2r2r2/1p1qbkpp/p2ppn2/P1n1p3/4P3/2N1BB2/QPP2PPP/R4RK1 w – – bm b4; id „ERET 052 – Starke Felder“;
r1bq1rk1/p4ppp/3p2n1/1PpPp2n/4P2P/P1PB1PP1/2Q1N3/R1B1K2R b KQ – bm c4; id „ERET 053 – Pos. Opfer“;
2b1r3/5pkp/6p1/4P3/QppqPP2/5RPP/6BK/8 b – – bm c3; id „ERET 054 – Endspiel“;
r2q1rk1/1p2bpp1/p1b2n1p/8/5B2/2NB4/PP1Q1PPP/3R1RK1 w – – bm Bxh6; id „ERET 055 – Laeuferopfer h6“;
r2qr1k1/pp2bpp1/2pp3p/4nbN1/2P4P/4BP2/PPPQ2P1/1K1R1B1R w – – bm Be2; id „ERET 056 – Zwischenzug“;
r2qr1k1/pp1bbp2/n5p1/2pPp2p/8/P2PP1PP/1P2N1BK/R1BQ1R2 w – – bm d6; id „ERET 057 – Abtausch“;
8/8/R7/1b4k1/5p2/1B3r2/7P/7K w – – bm h4; id „ERET 058 – Endspiel“;
rq6/5k2/p3pP1p/3p2p1/6PP/1PB1Q3/2P5/1K6 w – – bm Qd3; id „ERET 059 – Endspiel“;
q2B2k1/pb4bp/4p1p1/2p1N3/2PnpP2/PP3B2/6PP/2RQ2K1 b – – bm Qxd8; id „ERET 060 – Koenigsangriff“;
4rrk1/pp4pp/3p4/3P3b/2PpPp1q/1Q5P/PB4B1/R4RK1 b – – bm Rf6; id „ERET 061 – Koenigsangriff“;
rr1nb1k1/2q1b1pp/pn1p1p2/1p1PpNPP/4P3/1PP1BN2/2B2P2/R2QR1K1 w – – bm g6; id „ERET 062 – Starke Felder“;
r3k2r/4qn2/p1p1b2p/6pB/P1p5/2P5/5PPP/RQ2R1K1 b kq – bm Kf8; id „ERET 063 – Verteidigung“;
8/1pp5/p3k1pp/8/P1p2PPP/2P2K2/1P3R2/5r2 b – – am Rxf2; id „ERET 064 – Endspiel“;
1r3rk1/2qbppbp/3p1np1/nP1P2B1/2p2P2/2N1P2P/1P1NB1P1/R2Q1RK1 b – – bm Qb6; id „ERET 065 – Zwischenzug“;
8/2pN1k2/p4p1p/Pn1R4/3b4/6Pp/1P3K1P/8 w – – bm Ke1; id „ERET 066 – Endspiel“;
5r1k/1p4bp/3p1q2/1NpP1b2/1pP2p2/1Q5P/1P1KBP2/r2RN2R b – – bm f3; id „ERET 067 – Raeumung“;
r3kb1r/pbq2ppp/1pn1p3/2p1P3/1nP5/1P3NP1/PB1N1PBP/R2Q1RK1 w kq – bm a3; id „ERET 068 – Offene Linie“;
5rk1/n2qbpp1/pp2p1p1/3pP1P1/PP1P3P/2rNPN2/R7/1Q3RK1 w – – bm h5; id „ERET 069 – Koenigsangriff“;
r5k1/1bqp1rpp/p1n1p3/1p4p1/1b2PP2/2NBB1P1/PPPQ4/2KR3R w – – bm a3; id „ERET 070 – Starke Felder“;
1r4k1/1nq3pp/pp1pp1r1/8/PPP2P2/6P1/5N1P/2RQR1K1 w – – bm f5; id „ERET 071 – Ablenkung“;
q5k1/p2p2bp/1p1p2r1/2p1np2/6p1/1PP2PP1/P2PQ1KP/4R1NR b – – bm Qd5; id „ERET 072 – Zentralisierung“;
r4rk1/ppp2ppp/1nnb4/8/1P1P3q/PBN1B2P/4bPP1/R2QR1K1 w – – bm Qxe2; id „ERET 073 – Mobilitaet“;
1r3k2/2N2pp1/1pR2n1p/4p3/8/1P1K1P2/P5PP/8 w – – bm Kc4; id „ERET 074 – Endspiel“;
6r1/6r1/2p1k1pp/p1pbP2q/Pp1p1PpP/1P1P2NR/1KPQ3R/8 b – – bm Qf5; id „ERET 075 – Festung“;
r1b1kb1r/1p1npppp/p2p1n2/6B1/3NPP2/q1N5/P1PQ2PP/1R2KB1R w Kkq – bm Bxf6; id „ERET 076 – Entwicklung“;
r3r1k1/1bq2ppp/p1p2n2/3ppPP1/4P3/1PbB4/PBP1Q2P/R4R1K w – – bm gxf6; id „ERET 077 – Rochadeangriff“;
r4rk1/ppq3pp/2p1Pn2/4p1Q1/8/2N5/PP4PP/2KR1R2 w – – bm Rxf6; id „ERET 078 – Freibauer“;
r1bqr1k1/3n1ppp/p2p1b2/3N1PP1/1p1B1P2/1P6/1PP1Q2P/2KR2R1 w – – bm Qxe8; id „ERET 079 – Damenopfer“;
5rk1/1ppbq1pp/3p3r/pP1PppbB/2P5/P1BP4/5PPP/3QRRK1 b – – bm Bc1; id „ERET 080 – Raeumung“;
r3r1kb/p2bp2p/1q1p1npB/5NQ1/2p1P1P1/2N2P2/PPP5/2KR3R w – – bm Bg7; id „ERET 081 – Koenigsangriff“;
8/3P4/1p3b1p/p7/P7/1P3NPP/4p1K1/3k4 w – – bm g4; id „ERET 082 – Endspiel“;
3q1rk1/7p/rp1n4/p1pPbp2/P1P2pb1/1QN4P/1B2B1P1/1R3RK1 w – – bm Nb5; id „ERET 083 – Abtausch“;
4r1k1/1r1np3/1pqp1ppB/p7/2b1P1PQ/2P2P2/P3B2R/3R2K1 w – – bm Bg7; id „ERET 084 – Koenigsangriff“;
r4rk1/q4bb1/p1R4p/3pN1p1/8/2N3P1/P4PP1/3QR1K1 w – – bm Ng4; id „ERET 085 – Abtausch“;
r3k2r/pp2pp1p/8/q2Pb3/2P5/4p3/B1Q2PPP/2R2RK1 w kq – bm c5; id „ERET 086 – Qualitaetsopfer“;
r3r1k1/1bnq1pbn/p2p2p1/1p1P3p/2p1PP1B/P1N2B1P/1PQN2P1/3RR1K1 w – – bm e5; id „ERET 087 – Raeumung“;
8/4k3/p2p2p1/P1pPn2p/1pP1P2P/1P1NK1P1/8/8 w – – bm g4; id „ERET 088 – Endspiel“;
8/2P1P3/b1B2p2/1pPRp3/2k3P1/P4pK1/nP3p1p/N7 w – – bm e8N; id „ERET 089 – Unterverwandlung“;
4K1k1/8/1p5p/1Pp3b1/8/1P3P2/P1B2P2/8 w – – bm f4; id „ERET 090 – Endspiel“;
8/6p1/3k4/3p1p1p/p2K1P1P/4P1P1/P7/8 b – – bm g6, Kc6; id „ERET 091 – Endspiel“;
r1b2rk1/ppp3p1/4p2p/4Qpq1/3P4/2PB4/PPK2PPP/R6R b – – am Qxg2; id „ERET 092 – Vergifteter Bauer“;
2b1r3/r2ppN2/8/1p1p1k2/pP1P4/2P3R1/PP3PP1/2K5 w – – bm Nd6; id „ERET 093 – Endspiel“;
2k2Br1/p6b/Pq1r4/1p2p1b1/1Ppp2p1/Q1P3N1/5RPP/R3N1K1 b – – bm Rf6; id „ERET 094 – Damenopfer“;
r2qk2r/ppp1b1pp/2n1p3/3pP1n1/3P2b1/2PB1NN1/PP4PP/R1BQK2R w KQkq – bm Nxg5; id „ERET 095 – Damenopfer“;
8/8/4p1Pk/1rp1K1p1/4P1P1/1nP2Q2/p2b1P2/8 w – – bm Kf6; id „ERET 096 – Endspiel“;
2k5/p7/Pp1p1b2/1P1P1p2/2P2P1p/3K3P/5B2/8 w – – bm c5; id „ERET 097 – Endspiel“;
8/6pp/5k2/1p1r4/4R3/7P/5PP1/5K2 w – – am Ke2; id „ERET 098 – Endspiel“;
3q1r1k/4RPp1/p6p/2pn4/2P5/1P6/P3Q2P/6K1 w – – bm Re8; id „ERET 099 – Endspiel“;
rn2k2r/3pbppp/p3p3/8/Nq1Nn3/4B1P1/PP3P1P/R2Q1RK1 w k – bm Nf5; id „ERET 100 – Initiative“;
r1b1kb1N/pppnq1pB/8/3p4/3P4/8/PPPK1nPP/RNB1R3 b q – bm Ne5; id „ERET 101 – Entwicklung“;
N4rk1/pp1b1ppp/n3p1n1/3pP1Q1/1P1N4/8/1PP2PPP/q1B1KB1R b K – bm Nxb4; id „ERET 102 – Koenigsangriff“;
4k1br/1K1p1n1r/2p2pN1/P2p1N2/2P3pP/5B2/P2P4/8 w – – bm Kc8; id „ERET 103 – Zugzwang“;
r1bqkb1r/ppp3pp/2np4/3N1p2/3pnB2/5N2/PPP1QPPP/2KR1B1R b kq – bm Ne7; id „ERET 104 – Entwicklung“;
r3kb1r/pbqp1pp1/1pn1pn1p/8/3PP3/2PB1N2/3N1PPP/R1BQR1K1 w kq – bm e5; id „ERET 105 – Starke Felder“;
r2r2k1/pq2bppp/1np1bN2/1p2B1P1/5Q2/P4P2/1PP4P/2KR1B1R b – – bm Bxf6; id „ERET 106 – Koenigssicherheit“;
1r1r2k1/2pq3p/4p3/2Q1Pp2/1PNn1R2/P5P1/5P1P/4R2K b – – bm Rb5; id „ERET 107 – Verteidigung“;
8/5p1p/3P1k2/p1P2n2/3rp3/1B6/P4R2/6K1 w – – bm Ba4; id „ERET 108 – Endspiel“;
2rbrnk1/1b3p2/p2pp3/1p4PQ/1PqBPP2/P1NR4/2P4P/5RK1 b – – bm Qxd4; id „ERET 109 – Entlastung“;
4r1k1/1bq2r1p/p2p1np1/3Pppb1/P1P5/1N3P2/1R2B1PP/1Q1R2BK w – – bm c5; id „ERET 110 – Freibauer“;
8/8/8/8/4kp2/1R6/P2q1PPK/8 w – – bm a3; id „ERET 111 – Festung“;

Lesen Sie im Glarean Magazin zum Thema „Teststellungen für Engines“ auch:Nightmare 2″ – 30 Albträume für Schachprogramme
… sowie aus der Reihe Brilliant Correspondence Chess Moves den 3. „Brillanten“ (BCCM) vom Dezember 2017

Computerschach: Shredder 13 erschienen

Neue Auflage eines Urgesteins

von Walter Eigenmann

Der deutsche Programmierer Stefan Meyer-Kahlen zählt zu den grossen Innovatoren der internationalen Schach-Programmierung. 1993 startete er mit der Arbeit an seinem Shredder-Projekt, das von Anfang an Schach-Interface und -Engine beinhaltete, um dann viele Jahre lang mit seiner Software die Computerschach-Weltmeisterschaften und viele andere internationale Turnier-Events massgeblich mit zu gestalten bzw. mehrere Male sogar haushoch zu dominieren. Kommt hinzu: Wenn heute die globale Computerschach-Welt sich über einen Interface-Standard freuen kann, der plattformübergreifend die freie und betont simple Einbindung von hunderten verschiedener Schach-Engines erlaubt, so hat sie das ebenfalls Meyer-Kahlen zu verdanken, der im Jahre 2000 federführend – teils gegen erbitterten „Widerstand“ der damaligen Interface-Platzhirschen Chessbase und Winboard – gemeinsam mit Roland Huber das sog. UCI-Protokoll entwickelte, welches sich längst als wichtigste Engine-Grundlage aller bedeutenden Graphical User Interfaces (GUI’s) von „Aquarium“ und „Arena“ über „Fritz“ und „HIARCS“ bis hin zu „SCID“ und „Shredder“ etablierte.

Shredder-Programmierer Stefan Meyer-Kahlen
Shredder-Programmierer Stefan Meyer-Kahlen

In den letzten Jahren wurde es allerdings ruhiger um den Programmierer Meyer-Kahlen, und weil 2009 die letzte Shredder-Version 12 auf dem Markt gekommen war, aber danach jahrelang Funkstille herrschte, glaubten auch seine hartgesottenen Fans nicht mehr wirklich an ein Comeback des 48-jährigen Düsseldorfer Schachsoftware-Entwicklers. Denn die Spielstärke moderner Engines wie „Stockfish“, „Komodo“, „Houdini“, „Fritz“ u.a. hatte sich inzwischen mit einer solchen Rasanz erhöht, dass der Anschluss eines Dino’s wie Shredder schlicht undenkbar schien. Vor einigen Wochen hat Meyer-Kahlen nun alle Skeptiker Lügen gestraft: Er stellte seinen Shredder-UCI-Motor in einer von Grund auf neu programmierten 13. Version vor.

In Sachen Graphical User Interface nichts Neues…

Holt man sich als Besitzer der Vorgänger-Version also das 13. Shredder-Interface nach Download & Installation – eine CD-Version wird nicht verkauft – auf den Bildschirm, bemerkt man sofort – nichts! Irritierend: An der Oberfläche scheint sich auch nach so vielen Jahren der Entwicklung praktisch nichts getan zu haben (von ein bisschen Grafik-Politur abgesehen), wie eine Gegenüberstellung beweist:

vergleich-startbildschirme-glarean-magazin
Links das Shredder-Interface aus dem Jahre 2009, rechts jenes von 2016… (Vergrösserte Darstellung)

Schaut man dann dem neuen GUI näher unter die Haube, fördert auch das leider nur wenig Neues zutage: Alle Menüs verblieben am selben Ort mit den praktisch selben Funktionen und dem selben Outfit, nur marginale Änderungen mochte der Programmierer seiner visuellen Schnittstelle zwischen User und Engine gönnen. So ist beispielsweise der Menüpunkt „Engineoptionen“ bei der neuen Engine sichtlich abgespeckt worden:

shredder-13-engineoptionen

…während sich die 12er Engine noch mit deutlich mehr Parametern durch den Anwender beeinflussen liess:

shredder-12-engineoptionen

Power-User des Shredder-Motores werden das also wohl nicht als Entschlackung, sondern vielmehr als Verarmung einstufen… Was aber hier wiederum sofort positiv auffällt: Die neue Engine kann nun auch mit dem modernen Syzygy-Endspiel-Tabellarium umgehen, womit sie im Verbund mit den seit je her unterstützten Nalimov-Tablebases sowie den nativen „Shredderbases“ Zugriff auf gleich drei unterschiedlich konzipierte Endgame-Bases hat. Da das Shredder-Interface ausserdem via FEN-Export den sekundenschnellen Homepage-Zugriff auf die kompletten „Sechssteiner“ offeriert, greift der neue Shredder den Endspiel-Forschern unter den Computerschach-Anwendern kräftig unter die Arme.

Neue Trainings-Optionen

Im Zeitalter der buchstäblich übermenschlichen schachlichen Dominanz der heutigen Engine-Software gegenüber dem Menschen (inkl. der Top-10 der Weltspitze) haben alle modernen Schach-Interfaces das stufenweise Runterschrauben der maschinellen Spielstärke auf das taktisch relativ primitive Niveau des Menschenschachs bzw. die vielfältigsten interaktiven Trainingsmöglichkeiten in petto. Auch Shredder hat nun in seiner 13. Version einen sog. „Trainings-Modus“ integriert: Im „Eröffnungstraining“ spielt der Anwender gezielt die klassischen Eröffnungspositionen gegen das Programm aus, während im „Endspieltraining“ das Spiel des Users ab ausgewählten Konstellationen – vom „Mattsetzen“ mit diversem Material über Positionen mit „Ungleichen Figuren“ und „Figuren gegen Bauern“ bis hin zu den „Praktische Endspielen“ – vorsieht.
Ein bekanntes, aber wegen seiner Exklusivität durchaus auch hier nochmals erwähnenswertes Shredder-Feature ist der sog. „Triple-Brain“-Modus: Zwei (möglichst unterschiedliche, aber spielstarke) Engines werden bei der gleichzeitigen Analyse juriert von einem internen „dritten Gehirn“, das als Entscheidermodul aufgrund seiner prozentualen Bewertungsskala darüber befindet, welcher Zug die beste Alternative darstellt.
Der Schreibende schätzt persönlich noch eine dritte Shredder-Spezialität, die bei der interaktiven Analyse sehr hilfreich sein kann, nämlich die sog. „Stellungswert-Bestimmung“: Der Anwender kann jeder Stellung manuell einen Wert zuweisen bzw. direkt in die Notation schreiben, was dann Shredder bei der gesamten Analyse mit berücksichtigt, um so Zeit&Speicher für die weitere Berechnung in Summierung des ganzen Variantenbaumes  zu sparen.

Shredder im internationalen Vergleich

shredder-13-vorgabe-optionen-glarean-magazin
Hübsches neues Trainings-Feature bei Shredder 13: Der User hat sofort für Vorgabe-Partien eine ganze Palette von Konstellationen verfügbar – hier z.B. eine Drei-Züge-Vorgabe mit Weiss

Was kann das aktuelle Shredder-GUI sonst noch, was andere nicht können? Eigentlich nichts – oder positiv formuliert: Shredder 13 kann alles, was von einer modernen Schach-Schnittstelle verlangt wird. Standard sind da u.a: Organisation von div. Engine-Turnierformen, automatisierte Stellungs- & Partien-Analysen, Intergrierung und Optimierung von Opening-Books, Einbindung und Anpassung unterschiedlichster Engines, differenziertes Layout-Angebot, Zugstatistiken & Partienprofil, div. Notationsformen, Endspiele-Abruf direkt aus dem GUI heraus,  u.v.a. (Eine Übersicht auf alle Shredder-Optionen findet sich hier).
Doch das alles sind heutzutage selbstverständliche Basics. Andere bekannte Oberflächen wie „Fritz“, „Aquarium“, „Arena“ oder „SCID“ bieten für deutlich weniger Geld (bzw. überhaupt kostenlos) in allen oben genannten Bereichen deutlich mehr. Obwohl also insgesamt Shredders Graphical User Interface sichtlich zurückgeblieben ist und den hohen Pauschal-Verkaufspreis von 100 Euro für das Gesamtpaket DeepShredder13-GUI&Engine eigentlich kaum legitimiert, muss doch eines ebenfalls deutlich gesagt sein: Shredder gehört noch immer zu den stabilsten Oberflächen des gesamten Computerschach-Zirkus‘. Im Gegensatz zu manch anderer Software der Shredder-Konkurrenz habe ich in den letzten Jahren trotz regelmässiger Beschäftigung mit dem Programm nicht einen einzigen (!) Absturz erlebt mit Shredder, während sonstige GUI’s bei schlampig programmierten Engines oder sonstiger Hardware-Unpässlichkeit sich durchaus zwischendurch mal mit Freezed-Screens verabschieden. Die Integration unterschiedlichster Motoren und Memory-Konstellationen hat Meyer-Kahlen vorbildlich gelöst; Engine-Kollisionen, Turnier-Abbrüche, Speicher-Konflikte, Protokoll-Schwächen u.a. kann man getrost vergessen. Shredder mag (für manche: zu) spartanisch daherkommen, aber Verlässlichkeit ist gerade bei Schach-Software eine der höchsten Tugenden…

Extrem starker Shredder-Motor

Das zweite Standbein eines Gesamtpaketes wie „Shredder“ ist neben dem GUI natürlich die eigene Engine, der rechnende Motor. Und wenn schon die Oberfläche kein Kaufargument hat, so doch unbedingt diese „DeepShredder“-UCI-Engine 13, dies sei gleich vorweggenommen. Der Shredder-Programmierer hat seinem – nach eigenem Bekunden komplett neu geschriebenen – Motor in der Zwischenzeit eine Steigerung der Spielstärke von sage und schreibe zwischen 250-300 Ranking-Punkten verpasst (je nach Liste) und die Engine auf mind. Platz 5 der einschlägigen „Weltranglisten“ gehievt – siehe u.a. die CCRL-Computer-Rangliste oder auch die „Glarean“-Engine-Rangliste.

Die beiden Grundlagen dieses schachlichen Erfolges sind nach meinem ersten Eindruck bzw. ersten Untersuchungen einerseits die enorm gesteigerte taktische Durchschlagskraft und andererseits die nochmals erhöhte Endspielstärke.
Ein paar Beispiele (auf AMD FX-8350 / 4 GHz / 1024 MB Hash / 4 Cores / Fritz-15-GUI), die man hier auch nachspielen und als PGN-Files downloaden kann:

Die 12. Shredder-Version ebenso wie die meisten anderen Spitzenprogramme sind in der nachfolgenden Stellung blind für das Hauptmotiv Zweite/Siebte Reihe – im Gegensatz zum neuen Shredder 13, der den Schlüsselzug Dxd7 nach wenigen Sekunden auf den Screen bringt:

shredder-piket-smirin-glarean-magazin
Piket – Smirin 1993 ( r2r2q1/2Rn2bk/b2N2pp/pQ2p3/4Pp2/B4N1P/5PP1/2R3K1 w )

Analysis by Deep Shredder 13 x64:
31.Dxd7 Txd7 32.Txd7 Tb8 33.Tcc7 Kh8 34.Sh4 Kh7 35.Sdf5 Tb1+ 36.Kh2 gxf5 37.Sxf5 Th1+ 38.Kxh1 Db3 39.Txg7+ Kh8 40.Sxh6 Db1+
+/= (0.54 ++)  Tiefe: 27/43   00:00:04  24358kN
+- (2.41 ++)  Tiefe: 28/59   00:00:44  296MN, tb=456

Shredder 13 vermeldet in der folgenden Stellung das Matt ebenfalls praktisch sofort (wenn auch nicht mit korrekter Anzahl der Züge):

shredder-matt-in-15-glarean-magazin
VanBreukelen 1990: Matt in 15 ( 8/3P3k/n2K3p/2p1n3/1b4N1/2p1p1P1/8/3B4 w )

Analysis by Deep Shredder 13 x64:
1.Sf6+ Kg7 2.Sh5+ Kg6 3.Lc2+ Kxh5 4.d8D Sc4+ 5.Kd5 Kg4 6.Dh4+ Kf3 7.Kxc4 Kf2 8.Df4+ Kg2 9.Le4+ Kh2 10.Dxe3 Kh3 11.Df2 Kg4 12.Df4+ Kh3 13.Dh4#
= (0.08 ++)  Tiefe: 24/42   00:00:02  15938kN, tb=17098
+- (#13)  Tiefe: 36/65   00:00:16  133MN, tb=285316

In einer Computer-Partie vor einigen  Jahr ergab sich folgende Stellung, die ein Pseudo-Läuferopfer enthält, das Weiss nachhaltige Initiative sichert. Deep Shredder 13 tut sich mit dem Lösungszug Lh6 wesentlich leichter als fast alle seine Konkurrenten:

shredder-nn-compgame-glarean-magazin
N.N. CompGame 2011 ( r2qkb1r/pp2nppb/2n1p3/1B1p3N/3N2PP/2P5/PP3P2/R1BQK2R w KQkq )

Analysis by Deep Shredder 13 x64:
14.Lh6 Le4 15.f3 Txh6 16.fxe4 e5 17.Sb3 a6 18.Le2 Td6 19.Dc2 d4 20.0-0-0 Tc8 21.Thf1 Sb4 22.Dd2
= (-0.24 ++)  Tiefe: 17/35   00:00:01  7586kN
= (-0.14 –)  Tiefe: 27/54   00:00:42  285MN

Ein äusserst druckvolles Mittelspiel

In der praktischen Engine-Partie spielt der neue Motor insgesamt äusserst druckvoll im späteren Mittelspiel und vermag herausgespielte Vorteile gewinnbringend ins Endspiel zu transferieren, wo dann die hervorragenden Tablebase-Anbindungen zum Tragen kommen; zwei illustrative Beispiele (Intel i7-4790 / 4 Cores / 1024 MB Hash / 5-moves-Book / 15min pro Engine):

Deep Shredder 13 – Stockfish 8
1. e4 e5 2. Nf3 Nc6 3. Bb5 Nge7 4. Nc3 d6 5. d4 Bd7 6. d5 Nb8 7. Qe2 a6 8. Bxd7+ Nxd7 9. Be3 g6 10. O-O-O Bg7 11. g4 b5 12. a3 h5 13. gxh5 Rxh5 14. h4 Qb8 15. Ng5 b4 16. axb4 Qxb4 17. Rd3 Bf6 18. Qf3 Rb8 19. Nd1 Qb7 20. Kb1 a5 21. Ra3 c6 22. Rb3 Qc7 23. dxc6 Nxc6 24. Rxb8+ Qxb8 25. Nc3 Bxg5 26. hxg5 Rxh1+ 27. Qxh1 Nb4 28. b3 Qc7 29. Kb2 Nc5 30. Qh8+ Ke7 31. Qa8 Ne6 32. Nd5+ Nxd5 33. exd5 Nd4 34. c3 Ne2 35. Qc6 Qxc6 36. dxc6 d5 37. Bc5+ Kd8 38. Bb6+ Kc8 39. Bxa5 d4 40. c4 d3 41. b4  1-0

Komodo 10.2 – Deep Shredder 13
1. e4 c5 2. c3 Nf6 3. e5 Nd5 4. g3 d6 5. exd6 e6 6. Nf3 Bxd6 7. d4 Nc6 8. dxc5 Bxc5 9. Bg2 O-O 10. O-O b6 11. c4 Nf6 12. a3 a5 13. Nc3 Ba6 14. b3 Qe7 15. Qc2 Bb7 16. Bb2 Rad8 17. Na4 Nd4 18. Nxd4 Bxg2 19. Kxg2 Bxd4 20. Bxd4 Rxd4 21. Rfd1 Qb7+ 22. f3 Rxd1 23. Rxd1 b5 24. Nc3 bxc4 25. bxc4 Qc6 26. Qe2 Qc5 27. Nb5 g6 28. Qd3 Rc8 29. Qc3 e5 30. a4 Kg7 31. Nd6 Rc6 32. Qd3 h5 33. h3 h4 34. g4 Rb6 35. Rd2 Rb4 36. Qa3 Kg8 37. Rd1 Qb6 38. Qc3 Rxa4 39. Qc2 Qb4 40. Qf2 Qb8 41. Qc2 Rb4 42. Qc3 Rb2+ 43. Kg1 Rb3 44. Qxe5 Rxf3 45. Rf1 Nd7 46. Qd5 Qb6+ 47. Kg2 Rg3+ 48. Kh1 Rxh3+ 49. Kg2 Rg3+ 50. Kh1 Qe3 51. Qxf7+ Kh8 52. Qf4 Qxf4 53. Rxf4 Ne5 54. Nf7+ Nxf7 55. Rxf7 Rxg4 56. Rc7 a4 57. Kh2 g5 58. c5 Rc4 59. Ra7 Rxc5 60. Rxa4 Kg7 61. Ra6 Rc2+ 62. Kh3 Rc3+ 63. Kg2 h3+ 64. Kh2 Kf7 65. Ra8 g4 66. Rh8 Rc2+ 0-1

Stefan Meyer-Kahlen als Engine-Programmierer beeindruckend zurückgekehrt

Fazit-Rezensionen_Glarean Magazin
Die neue Schach-Software „Deep Shredder 13“ ist als Gesamtpaket mit gemischten Gefühlen zu beurteilen. Einerseits ist bedauerlich, dass der Programmierer offenbar seine sämtlichen zeitlichen und programmiertechnischen Ressourcen über Jahre hinweg praktisch ausschliesslich für den neuen Motor und nicht auch für eine Aktualisierung, Modernisierung und Erweiterung seiner m.E. veralteten Oberfläche genutzt hat. Andererseits zeichnen das spröde, ja fast rudimentäre Shredder-GUI auch Stabilität und intuitive Einfachheit der Menü-Strukturierung aus; in Verbindung mit ein paar exklusiven Shredder-Features mag dies das verstaubte Interface aufwiegen. Ich persönlich kann guten Gewissens weder einen Kauf empfehlen noch von einem Kauf abraten – der Leser/Anwender mag entscheiden, welchen der Aspekte er angesichts eines doch stolzen Kaufpreises wie stark gewichtet.

Zusammengefasst: Shredder 13 ist als Gesamtpaket mit gemischten Gefühlen zu beurteilen. Einerseits ist bedauerlich, dass der Programmierer offenbar seine sämtlichen zeitlichen und programmiertechnischen Ressourcen über Jahre hinweg praktisch ausschliesslich für den neuen Motor und nicht auch für eine Aktualisierung, Modernisierung und Erweiterung seiner m.E. veralteten Oberfläche genutzt hat. Andererseits zeichnen das spröde, ja fast rudimentäre Shredder-GUI auch Stabilität und intuitive Einfachheit der Menü-Strukturierung aus; in Verbindung mit ein paar exklusiven Shredder-Features mag dies das verstaubte Interface aufwiegen. Ich persönlich kann guten Gewissens weder einen Kauf empfehlen noch von einem Kauf abraten – der Leser/Anwender mag entscheiden, welchen der Aspekte er angesichts eines doch stolzen Kaufpreises wie stark gewichtet. (Eventuell wäre der Shredder-Macher gut beraten, seine neue Engine losgekoppelt mit deutlich nach unten korrigiertem Verkaufspreis anzubieten, wie das seine nächsten kommerziellen Konkurrenten Komodo und Houdini ja so erfolgreich vormachen?)
Fest steht jedenfalls aber, dass sich Stefan Meyer-Kahlen als Engine-Programmierer beeindruckend zurück gemeldet hat und schachlich nun wieder in den Top-Five mitmischt. Wenn künftige Shredder-Versionen in Sachen Oberfläche aufholen und auch die Engine weiterhin gepusht wird, dürfte Shredder dereinst wieder das werden, was er lange Jahre hindurch war: Eines der Referenz-Programme im Computerschach. ♦

Stefan Meyer-Kahlen: Deep Shredder 13, Schach-Software (Online-Download) 2016

Lesen Sie im Glarean Magazin auch über den Shredder-Konkurrenten „Fritz“:
Fritz der Fünfzehnte erschienen

… sowie zum Thema Schach-Datenbanken:
Die Corr-Database 2011 (Chessbase)

Computerschach: Chessbase 14 erschienen

„Chessbase“ goes Analysis

von Walter Eigenmann

Das Datenbank-Flaggschiff der deutschen Schach-Firma Chessbase erfuhr kürzlich eine neue, seine 14. Fassung. Die renommierteste (und kostspieligste) Software der traditionsreichen Hamburger Schachprogramm-Schmiede, nämlich eben „Chessbase“, legt diesmal – neben diversen Neuerungen – den Schwerpunkt auf die schachanalytischen Seiten des Partien-Sammelns und -Verwertens.
Um ein erstes Fazit meiner Besichtigung von „Chessbase 14“ gleich vorwegzunehmen: Das Programm keineswegs kaufen müssen all jene Adepten des Königlichen Spiels, die einfach ein paar hunderttausend Partien verwalten, ihre Sammlung nach Dubletten absuchen, Spielernamen vereinheitlichen, Eröffnungsbücher zusammenstellen, nach Kombinationen oder Patzereien fahnden oder ihre eigenen On-the-board-Verbrechen auf Verbesserungen hin durchleuchten wollen. Das sind heutzutage Basics des Daten-Handlings, und hierzu genügen auch durchaus qualitätsvolle Freeware‘s wie z.B. „SCID“ oder „Arena“ sowie ein paar starke Gratis-Engines wie „Stockfish“ oder „Gull“ – dafür wäre ein 380 Euro teures Premium-Paket wie „Chessbase“ der reine schachliche (und finanzielle) Overkill.
Wer hingegen in die höheren, in professionelle Sphären des modernen Umganges mit Schach-Datenbanken und deren globale Online- bzw. Cloud-Einbindung eingeweiht sein bzw. bleiben möchte, für den ist CB-14 tatsächlich eine Option.

Diverse Neuerungen in Chessbase 14

Chessbase 14 - Schach-Datenbank
Chessbase 14 – Schach-Datenbank

Ob dabei nun all den Verbesserungen und Novitäten, die der Hersteller selber für seine neue Software reklamiert, auch tatsächlich jener Stellenwert zukommt, die einen Kauf nahelegen, lasse ich dahingestellt. Denn Chessbase führt in seiner Werbung für CB-14 einiges an, das man so oder ähnlich auch bei vergleichbaren Konkurrenz-Produkten findet. Manches aber ist im frischgebackenen „Chessbase“ so neu- bzw. so einzigartig, dass das Paket enorm attraktiv wird. Wie immer bei neuen Features in bekannten Programmen entscheidet ja aber auch das subjektiv begründete Anwender-Profil über „Sinn und Unsinn“ eben dieser neuen Optionen.
Im einzelnen sieht die entspr. Novitäten-Liste bei „Chessbase 14“ durchaus beeindruckend aus:

Wichtiger Bestandteil des Partien-Filters in
Wichtiger Bestandteil des Partien-Filters in „Chessbase“: Die differenzierte „Manöver-Suche“ gestattet auch das Herausfiltern komplexer Mehrfach-Zugfolgen.

♦ Eingabemodus zur Erfassung von Partien: Chessbase kann nun auf einen „speziellen Eingabemodus“ beim Partien-Erfassen gesetzt werden, wobei der Variantendialog immer auftaucht und ein neuer „modusfreier Dialog“ zur Eingabe der Bedenkzeit verfügbar ist. Beim Feature „Neue Partie“ behält das Programm gemäss Hersteller „mehr Turnierinformationen“.
♦ Die schnelle Orientierung in umfangreich kommentierten Partien wird in CB-14 durch stärkere farbige Markierung der Haupt-, Unter- und Nebenvarianten verbessert, wobei Varianten auf gleicher Ebene auch die gleiche Farbe haben; Alternativen sind so besser aufzuspüren.
♦ Kommentar-Diagramme können bei CB-14 jetzt direkt in die Notation eingebettet werden. Auch die bekannten „Trainingsfragen“, nicht zuletzt im Schulschach häufig angewandtes Feature von „Chessbase“, werden durch die direkte Einbindung von Diagrammen aufgewertet: Eine Trainingsfrage besteht aus einem Diagramm und Lösungslinks, die man anklicken kann, sowie Hilfen, die in die Notation eingebettet sind.
♦ Das Speichern & Ersetzen von Partien wird ab „Chessbase 14“ nun neu geregelt. Denn bisher haben alle CB-Versionen beim „Speichern“ die neue Partie-Version ans Ende der jeweiligen Partienliste in den Datenbanken angehängt, und „Ersetzen“ hat die Partie ohne Duplizierung einfach ersetzt. Für langjährige „Chessbase“-User ist also die folgende radikale Änderung wichtig:  Eine Partie „Speichern“ heisst nun, dass man die bestehende Version der Partie ersetzt, während man mit „Als neue Partie speichern“ die Partie an eine beliebige Datenbank anhängen kann, wobei ein Shortcut es erlaubt, Datenbanken auszuwählen, die man vor kurzem genutzt hat.
Interessant ist in diesem Zusammenhang auch, dass Chessbase sein natives Datenbank-Format „CBH“ optimiert hat, um „sehr schnelles Speichern (=Ersetzen) von Partien in grossen Datenbanken“ zu ermöglichen.
♦ Seit „Chessbase 13“ ist die (teils differenzierte) Web-Anbindung von Datenbanken ja herausragende Option – und „Chessbase 14“ rüstet in dieser Sparte nochmals nach: Es gibt jetzt die neue Cloud-Funktion „Cloud Clip“. Originalton Chessbase: „Hier werden Partien von ChessBase.com, Fritz.Chessbase.com und Tactics.Chessbase.com automatisch gespeichert, wenn man mit seinem ChessBase Account angemeldet ist. Das ist besonders in Verbindung mit der Chessbase-Nachrichtenseite nützlich: Wenn Sie auf eine Partie klicken, während Sie einen Artikel auf Chessbase.com oder Chessbase.de lesen, dann steht die Partie schon in ChessBase 14 zur Verfügung. Download ist nicht mehr notwendig.“
♦ Längst fällig war meiner Ansicht nach der generalisierte Log-in zu allen CB-Account-Funktionen
♦ Die jüngste Chessbase-Software (z.b. „Fritz“ und „Chessbase“) setzt auf Microsoft‘s „DirectXI“ auf, was „Ansicht und Geschwindigkeit von 3D-Brettern bedeutend verbessert“, wie Chessbase meint.
♦ Neu ist in „Chessbase 14“ die Möglichkeit, die persönlichen Suchmasken des Anwenders zu speichern – eine Option, die der Schreibende schon lange in „Chessbase“ vermisste.
♦ Neu ist ebenfalls, dass auch die Online-Datenbank beim Nachspielen einer Partie automatisch aktualisiert wird.
♦ „Chessbase“ exportiert jetzt Diagramm-Listen auch als Word-Datei, womit zeitsparend umfangreiches Trainings-Material generiert werden kann.

„Chessbase“ goes Analysis

Physiker, Programmierer, Chessbase-Gründer, Schach-Fan: Matthias Wüllenweber
Physiker, Programmierer, Chessbase-Gründer, Schach-Fan: Matthias Wüllenweber

Dies alles sind neue Optionen, die den Alltag von Schach-Power-Usern durchaus verbessern können – und auch Optionen, die man in vergleichbarer kommerzieller Software (z.B.  „Chess Assistant“ bzw. „Aquarium“) teilweise vergeblich sucht. In Verbindung mit den bereits bekannten Online-„Chessbase“-Möglichkeiten haben die beiden Hauptprogrammierer Matthias Wüllenweber und Matthias Feist sich offensichtlich sehr Mühe gegeben, das Einsatzgebiet (und damit auch den Mehrwert) ihrer neuen Software zu erweitern.
Die eigentlichen beiden Novitäten-Highlights von „Chessbase 14“ liegen aber auf einem Gebiet, das man eigentlich zuerst gar nicht mit einem Datenbank-Programm assoziiert bzw. das man bis jetzt eher bei expliziten Engine-Interfaces wie „Fritz“ oder „Shredder“ oder „Arena“ u.a. beheimatet wähnte, nämlich der Partien-Analyse. Nun hatten zwar schon die „Chessbase“-Vorgänger rudimentäre analytische Automationen, beispielsweise die sog. „Tiefe Analyse“ und die „Cloud-Analyse“ (inkl. das seit CB-13 bekannte „Let‘s Check“), doch jetzt geht die Version 14 dem Anwender mit zwei bemerkenswerten weiteren Optionen zur Hand: Der sog. „Taktischen Analyse“ sowie der sog. „Assisted Analyses“.

Die Taktische Analyse

Lassen wir vorausgehend Chessbase selber zu Worte kommen darüber, was unter dem neuen Feature „Taktische Analyse“ zu verstehen sei:
„Taktische Analyse ist die umfassendste automatische Partienanalyse, die es gibt. Sie arbeitet mit den folgenden schachlichen Mitteln:

♦ Eröffnungstheorie
♦ Starke Züge, Kombinationen, Opfer und Doppelangriffe
♦ Fehler, Patzer und kritische Momente, in denen sich die Bewertung ändert
♦ Schwache Züge, die in der Partie nicht gespielt wurden (Warum kann ich da nicht nehmen?) und oft taktisch widerlegt werden können
♦ Drohungen und Angriffsmotive
♦ Verteidigungsideen
♦ Initiative
♦ Angriff
♦ Manöver und Figurenstellung
♦ Kompensation
♦ Endspielklassifikation
♦ Unlogische Partieergebnisse
♦ Partien werden mit Varianten, Sprache, Schachsymbolen und Diagrammen kommentiert.“

Soweit die Chessbase-eigene Werbung – und wie sieht das in realiter aus? Ich habe mal die 8. Partie der aktuell laufenden Schach-Weltmeisterschaft 2016 zwischen Weltmeister M. Carlsen und Herausforderer S. Karjakin in New York genommen – siehe folgende PGN…

… und sie dieser „Taktischen Analyse“ unterzogen mit folgenden Rahmenbedingungen: Intel i7-4790 CPU / 3.6 GHz / 5s pro Zug / Stockfish8 / 4 Cores / 2 GB Hash / Nalimov-EGT / LiveBook

Nach knapp 15 Minuten des Backward-Berechnens generierte das Programm folgenden Output (wobei das Layout des Prints noch der Überarbeitung bedürfte):

Stockfish-Analyse mit Chessbase 14 - Screenshot / PDF-Ausdruck
Stockfish-Analyse mit Chessbase 14 – Screenshot / PDF-Ausdruck
Stockfish-Analyse mit Chessbase 14 - Screenshot / PDF-Ausdruck (2)
Stockfish-Analyse mit Chessbase 14 – Screenshot / PDF-Ausdruck (2)

Wie man sieht, resultiert aus dieser vollautomatischen Untersuchung ein Notations-Bild, das der professionellen Kommentierung durch Grossmeister in Schach-Büchern und -Zeitschriften verblüffend nahe kommt: Klare Variantengliederung, die schachlichen Hotspots mit Diagrammen strukturiert, die Verbalisierungen prägnant-treffend (und farblich hervorgehoben), Einbeziehung von Eventualzügen bzw. Alternativen, Abwechslung der Semantik usw.

Stellt man diesem Output jenen gegenüber, den das zweite bekannte Chesbase-Flaggschiff „Fritz“  unter identischen Bedingungen (bis auf die „Referenz-Datenbank“) mittels der sog. „Vollanalyse“ nach ca. 19 Min. zeitigt, ergibt sich ein deutlich kargeres, hinsichtlich der langweiligen verbalen Wiederholungen sogar merklich schlechteres Bild:

Stockfish-Analyse mit Fritz 15 - Screenshot / PDF-Ausdruck
Stockfish-Analyse mit Fritz 15 – Screenshot / PDF-Ausdruck

Zur Entschuldigung von „Fritz“ – hier in seiner aktuellen 15. Version – muss natürlich erwähnt werden, dass „Fritz“ im Gegensatz zu „Chessbase“ seit jeher als Engine-Interface und nicht als Datenbank konzipiert wurde; die beiden Programme haben unterschiedliche Philosophien und je unterschiedliche Stärken.

Chessbase auf dem Weg zur vollautomatischen Buch-Analyse

Fazit bezüglich der „Taktischen Analyse“ bei „Chessbase 14“: Wenn die Entwickler dieses neue Feature weiter professionalisieren und u.a. insbesondere seine Semantik noch vielfältiger, differenzierter, origineller, also irgendwie „menschlicher“ gestalten, dann ist der Tag nicht mehr fern, da ganze Partien-Bücher praktisch vollautomatisch, ohne schachliche Mithilfe des Menschen – der ja ohnehin taktisch höchst fehleranfällig kommentiert – generiert werden können. Nimmt man noch die im Computerschach-Zeitalter immer häufigere Auffassung hinzu, dass es eigentlich keine (vom Menschen zu entdeckende) „Schachstrategie“ mehr gibt, sondern nur noch „nicht ganz durchgerechnete Taktik“, dann steht der Überschwemmung des Schachbücher-Marktes mit rein maschinell erzeugten Partien-Sammlungen bald nichts mehr im Wege. Ein erschreckendes Szenario, mit hunderten von arbeitslosen Grossmeistern & Schach-Autoren und -Verlagen, eine Verarmung der gesamten Schachszene? Oder doch eine Erweiterung, eine Vertiefung, ja Professionalisierung des Umganges mit Schachpartien? Die Zukunft wird es zeigen…

Der „Analyse-Assistent“

Während die „Taktische Analyse“ vollautomatisch abläuft und vom Menschen nur wenige Klicks des Voreinstellens benötigt, kommt das zweite Analyse-Instrument des neuen „Chessbase 14“ als komplett interaktives Features daher: die sog. „Assisted Analysis“. Hier steht die kommentierende Visualisierung der schachlichen Verflechtungen im Vordergrund: Kandidatenzüge werden farblich differenziert, durch pures Anklicken je hierarchisch dargestellt, erwartete Gegenzüge werden mit Pfeilen kenntlich gemacht, die Best-Moves pro Stellung sind mit einfachen Figuren-Mausklicks live visualisierbar, u.a.

Das Hauptfenster der sog. Assisted Analysis mit ihrer hierarchischen Colorierung von (hier Springer-) Kandidatenzügen.
Das Hauptfenster der sog. Assisted Analysis mit ihrer hierarchischen Colorierung von (hier Springer-) Kandidatenzügen.

Das Potential dieses interaktiv „assistierten“ Werkzeuges dürfte insbesondere die Fernschach-Spieler unter den „Chessbase“-Nutzern interessieren, hier sehe ich eines der hauptsächlichen Anwendungsfelder. Möglicherweise ist diese Ausweitung des persönlichen Analysierens, das die Zugauswahl differenziert bei gleichzeitiger taktischer Balance, eine der Möglichkeiten, dem drohenden „Remis-Tod“ des Spitzen-Fernschachs entgegenzutreten. Geht man davon aus, dass das moderne Grossmeister-Fernschach ohne Software-Unterstützung heute undenkbar ist, eröffnen solche neuen Programmier-Ansätze durchaus auch neue Perspektiven.
Wen die Details dieser neuen „Assisted Analyses“ näher interessieren, dem sei das Youtube-Video empfohlen, das Programmierer Matthias Wüllenweber selber ins Netz gestellt hat.

„Chessbase 14“: Kaufen oder nicht kaufen?

Das jüngste Programm aus dem Hause Chessbase ist nicht gratis: Der Download des Standard-Pakets schlägt mit 100 Euro zu Buche, für das „Startpaket“ will Chessbase 190 Euro, und das vollumfängliche „Premium“ reisst ein fettes Loch von sogar fast 400 Euro ins Portemonnaie.
Wie eingangs erwähnt: Otto Normalverbraucher braucht dieses hochprofessionelle Programm, dessen Feature-Reichtum und -Vielfalt seinesgleichen sucht, keineswegs: Allein die Einarbeitungszeit in eine so komplexe Software steht in keinem Verhältnis zum realen Nutzen, den ein durchschnittlicher Vereinspieler mit seinen 1600 Elo-Punkten je daraus ziehen könnte. (Wobei „Chessbase“ im Vergleich etwa zu seinem traditionellen Markt-Kontrahenten „Chess Assistant“ meines Erachtens immer noch sehr viel User-freundlicher daherkommt). Dem „gewöhnlichen“ Schachspieler reicht irgend eine der „Fritz“-Versionen 11 bis 15 oder eines der zahlreichen Freeware-GUI‘s mit ihrer relativ simplen PGN-  bzw. Gratis-Engine-Anbindung völlig.

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Neben seinen bisherigen Möglichkeiten, die mittlerweile kaum mehr Wünsche offenlassen hinsichtlich eines professionellen Handlings von Schachpartien zeichnet sich mit dem jüngsten „Chessbase 14“ ein willkommener Trend ab weg vom rein technischen Verwalten von Schach-Partien hin zu den schachanalytischen Aspekten des Umgangs mit nicht nur dem mittlerweile unüberschaubaren Fundus an Gratis-Partienmaterial, sondern auch mit allen Bereichen der privaten Beschäftigung mit Schach. Mit „Chessbase 14“ schickt sich Schach-Software endgültig an, zum ebenbürtigen Partner des Menschen zu werden. Auf die weitere Entwicklung dieses Zweiges der Schach-Programmierung darf man gespannt sein…

Das weltweit grosse Heer der ambitionierten Turnier-Spieler hingegen wird sich auch „Chessbase 14“ unter den Weihnachtsbaum 2016 legen wollen. Denn neben seinen bisherigen Möglichkeiten, die mittlerweile kaum mehr Wünsche offenlassen hinsichtlich eines professionellen Handlings mit Schachpartien, zeichnet sich mit „Chessbase 14“ ein willkommener Trend ab weg vom rein technischen Verwalten von Schach-Partien hin zu den schachanalytischen Aspekten des Umgangs mit nicht nur dem mittlerweile unüberschaubaren Fundus an Gratis-Partienmaterial, sondern auch mit allen Bereichen der privaten Beschäftigung mit Schach. Mit „Chessbase 14“ schickt sich Schach-Software endgültig an, zum ebenbürtigen Partner des Menschen zu werden. Auf die weitere Entwicklung dieses Zweiges der Schachprogrammierung darf man gespannt sein…♦

Matthias Wüllenweber, Matthias Feist: Chessbase 14 – Schach-Datenbank, DVD & Online-Download

Lesen Sie im Glarean Magazin zum Thema (Anti-)Computerschach auch über Lyudmil Tsvetkov: Human vs Machine

Computerschach: Fritz 15 erschienen

Fritz der Fünfzehnte

von Mario Ziegler

Mit dem Slogan „Neuer Fritz, neuer Freund“ wirbt die Hamburger Software-Firma ChessBase für das neueste Pferd in ihrem Stall, die aktuelle Version des Schachprogramms Fritz. Wer sich ernsthaft mit Schach beschäftigt und dabei den Computer nicht völlig vernachlässigt, wird bereits eigene Erfahrungen mit der einen oder anderen Vorgängerversion gemacht haben – nicht umsonst ist der seit 1991 existierende Fritz das verbreitetste Schachprogramm überhaupt.
In meiner nachfolgenden Besprechung werde ich mich folglich nicht auf die unzähligen nützlichen Funktionen beziehen, die Fritz 15 mit seinen Vorgängern gemeinsam hat. Es ist völlig unstrittig, dass ein Schachfreund, der noch keinen einen älteren Fritz besitzt, bei Fritz 15 bedenkenlos zugreifen kann. Wie sieht es aber aus, wenn man schon die Vorgängerversion auf dem heimischen PC installiert hat? Lohnt sich auch dann der Umstieg trotz erheblichen Kaufpreises?

„Fritz“ massiv in Richtung Internet

Zunächst etwas zu den Testbedingungen, die in der immer komplexer werdenden Technikwelt des 21. Jahrhunderts zunehmende Bedeutung gewinnen. Ich habe Fritz (und natürlich auch die zum Vergleich herangezogene Engine Houdini 4) auf einem AMD FX-8320 Eight-Core Prozessor mit 32 GB RAM und Windows 8.1 betrieben.

Gleich der Startbildschirm fällt auf – alles so anders und ungewohnt:

Ungewohnter Startbildschirm des neuen "Fritz 15"
Ungewohnter Startbildschirm des neuen „Fritz 15“

Bereits dieser Bildschirm macht deutlich, wohin es vermutlich in der Zukunft bei Fritz noch stärker gehen wird: Gefragt sind die Angebote im Internet, sei es als Trainingsfeatures, sei es in Form von Cloud-Datenbanken. Auch der Videobereich ist selbstverständlich von Interesse, erhält man hier doch Zugriff auf die zahlreichen Videolektionen und Übertragungen, die ChessBase mittlerweile dem Premium-Nutzer zur Verfügung stellt. Im Leistungspaket von Fritz 15 sind 6 Monate kostenloser Premium-Zugang enthalten.

Startbildschirm der ChessBase-Mediathek von "Fritz 15"
Startbildschirm der ChessBase-Mediathek von „Fritz 15“

Doch auch über diesen Aspekt möchte ich mich nicht weiter auslassen, auch wenn die spielerischen und didaktischen Möglichkeiten des ChessBase-Servers Playchess sicher für viele Nutzer ein entscheidendes Kriterium darstellen werden. Aber diese Möglichkeiten können natürlich auch auf anderem Wege als durch den Erwerb von Fritz 15 erworben werden. Was bringt Fritz also selbst Neues mit sich?

„Rybka“-Programmierer für „Fritz“-Motor verantwortlich

Sofort springt der Name des Programmierers ins Auge. Vasik Rajlich, internationaler Schachmeister und durch die Erfolge seines früheren Programms Rybka weithin in der Szene bekannt, zeichnet für den „Motor“ von Fritz 15 verantwortlich. Nach den Plagiatsvorwürfen gegen ihn im Zusammenhang mit der angeblichen Verwendung des Codes zweier anderer Engines für Rybka und der nachfolgenden Aberkennung der Computerschach-Weltmeisterschaften 2006-2010 durch die International Computer Games Association war es still um Rajlich geworden. Nun meldet er sich also mit einer neuen prestigeträchtigen Engine zurück.
Die Spielstärke des Programms liegt bei… keine Ahnung! Die Rangliste des Schwedischen Schachcomputervereins SSDF führte Fritz 15 zum Zeitpunkt der Abfassung dieser Rezension noch nicht, und ich als absoluter Nicht-Schachcomputer-Experte masse mir nicht an, durch irgendwelche Tests eine Angabe über die Spielstärke des Programms machen zu wollen. Bei Elozahlen jenseits der 3300 (!!), die die SSDF-Liste für die Spitzenprogramme vermerkt, dürften hier kleine Unterschiede auch allenfalls für die absolute Weltspitze im Nah- oder Fernschach von Interesse sein. Im Übrigen verweise ich auf die Rezension des Kollegen Uwe Bekemann auf dem Schach-Ticker vom 23. Januar 2016, wo auf diese Frage näher eingegangen wird. Ich fand es lediglich interessant, dass bei einer längeren Daueranalyse (Rechenzeit ca. eine Stunde) einer Partie zweier „alter Meister“ Fritz 15 zu deutlich anderen Bewertungen kam als mein Houdini 4:

"Fritz"-Analysebildschirm bei Spassky-Simagin
„Fritz“-Analysebildschirm bei Spassky-Simagin

In dieser Situation wählte Simagin die Umgruppierung 36…Ld8, die etwa Mark Dworetzki und Artur Jussupow mit einem Rufzeichen schmücken: „Wie kann Schwarz die Position verstärken? Verfrüht wäre 36…h4? 37.g4. Simagin findet einen ausgezeichneten Plan. Er führt seinen Läufer nach c7 und baut damit eine Dame-Läufer-Batterie auf, die dem weissen König gefährlich werden kann. Die Bauerndurchbrüche gewinnen danach an Kraft.“ (aus: Positionelles Schach – Wie man sein Stellungsgefühl trainiert, Hombrechtikon/Zürich, Olms 1996).
Wie zu sehen, ziehen beide Engines den Zug 36…Ld8 in Betracht, favorisieren aber jeweils einen anderen. Interessant ist nun, dass Fritz 15 mit immerhin nennenswertem Abstand von 0,14 Bauerneinheiten die sofortige Transformation der Stellung durch 36…cxb4 vorschlägt, während Houdini diesen Zug noch nicht einmal unter seinen Top 5 führt. Und wer hat nun Recht – sofern man das überhaupt sagen kann? Ich griff Fritz‘ Vorschlag auf, liess Schwarz auf b4 nehmen und kam nach wenigen Zügen, über die beide Engines sich einig waren, zu folgender Stellung:

"Fritz"-Analysebildschirm bei Spassky-Simagin
„Fritz“-Analysebildschirm bei Spassky-Simagin

Hier liess ich die Engines wiederum eine Stunde rechnen, und siehe da, Houdini schwenkte auf die Linie von Fritz ein und sah Schwarz nun ebenfalls merklich im Vorteil. Achtungserfolg für Fritz, aber ich betone noch einmal, dass ich damit keinerlei Aussage über die Spielstärke oder Analysefähigkeit der Engines treffen möchte. Für den normalsterblichen Schachspieler sind beide sicherlich absolut erste Wahl.

„Freund“-Modus passt sich dem Menschen an

Das Spiel gegen Fritz hat angesichts der Spielstärke heutiger Computer nur noch den Charakter eines Trainings: Eine Chance hat man als Mensch (vielleicht von Magnus Carlsen und wenigen Anderen abgesehen) sowieso nicht mehr. Umso wichtiger ist es heute, dem Menschen nicht die Lust am Spiel zu verderben, ihm also eine Chance zu lassen. Bereits seit langem beinhaltet Fritz den „Freund“-Modus, der sich der Stärke des menschlichen Partners anpasst. Nun lässt Fritz auch eine Signallampe leuchten, sobald er einen Fehler einstreut (im folgenden Screenshot liess Sf3-d2 natürlich den Figurengewinn durch …f5-f4 zu).

Die blinkende Lampe am unteren Rand weist auf den taktischen Fehler hin
Die blinkende Lampe am unteren Rand weist auf den taktischen Fehler hin

Auf Grund der Ergebnisse aus diesen Partien berechnet das Programm eine Wertungszahl des Menschen für die verschiedenen Partiephasen:

Auswertung zweier Freundschaftspartien. Offensichtlich gibt es noch Steigerungspotential...
Auswertung zweier Freundschaftspartien. Offensichtlich gibt es noch Steigerungspotential…

Wie aussagekräftig diese Statistik nun ist, muss jeder für sich entscheiden, denn logischerweise sagt eine schwache Wertungszahl im Mittelspiel noch nicht viel aus (hat man taktisch gepatzt oder eine strategische Stellung misshandelt?).

Trainingsfunktionen bei „Fritz 15“

Die Trainingsfunktionen von Fritz sind zahlreich. An neuen Elementen ist mir besonders das Rechentraining aufgefallen, wo – analog zur praktischen Partie – die Variante im Kopf berechnet werden muss. Die Züge werden per Maus eingegeben, auf dem Bildschirm aber nicht angezeigt.

Stellung der Partie Bowdler-Philidor, London 1788. Na, wie war denn gleich noch mal die Variante nach Sxh7?
Stellung der Partie Bowdler-Philidor, London 1788. Na, wie war denn gleich noch mal die Variante nach Sxh7?

Nach Beendigung des Trainings nimmt das Programm eine Bewertung der Berechnung vor.

Ein weiteres nettes Feature ist die Vorgabepartie:

Auch wenn ein Mehrbauer (oder auch mal ein -springer?) gegen Fritz noch lange keine Sieggarantie bedeutet, vermittelt er doch ein gutes Gefühl...
Auch wenn ein Mehrbauer (oder auch mal ein -springer?) gegen Fritz noch lange keine Sieggarantie bedeutet, vermittelt er doch ein gutes Gefühl…
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Für wen lohnt sich die Neuanschaffung des jüngsten, des 15. „Fritz“-Schachpaketes? Hier sehe ich die Zielgruppe diesmal nicht so sehr bei den „Profis“, die von Neuerungen bei früheren Versionen wie etwa der Cloud sicher eher profitierten als die Hobby- und Vereinsspieler. Doch gerade für diese stellt Fritz 15 etliche interessante neue Funktionen bereit, die für das Training eingesetzt werden können oder auch einfach nur Spass machen. Wer nicht sowieso schon eine aktuellere Software aus dem Haus ChessBase besitzt, kann angesichts der Möglichkeiten, die der Playchess-Server und die Mediathek bieten, bei einem Kauf ohnehin nicht viel falsch machen.

Zum Schluss also wie immer die Gretchenfrage: Für wen lohnt sich die Neuanschaffung? Hier sehe ich die Zielgruppe diesmal nicht so sehr bei den „Profis“, die von Neuerungen bei früheren Versionen wie etwa der Cloud sicher eher profitierten als die Hobby- und Vereinsspieler. Doch gerade für diese stellt Fritz 15 etliche interessante neue Funktionen bereit, die für das Training eingesetzt werden können oder auch einfach nur Spass machen. Wer nicht sowieso schon eine aktuellere Software aus dem Haus ChessBase besitzt, kann angesichts der Möglichkeiten, die der Playchess-Server und die Mediathek bieten, bei einem Kauf ohnehin nicht viel falsch machen. ♦

Fritz 15, DVD-Schach-Software, ChessBase, ISBN 978-3-86681-483-7

Lesen Sie im Glarean Magazin auch über die neue Schach-DVD von ChessBase:
Fritz-Trainer Vol. 10 – Mikhail Botvinnik