Johanna Klara Kuppe: Zwei Gedichte

nektarküsse / mit möwenstaccato

Johanna Klara Kuppe

Sand Dünen Meer Strand Wellen Himmel - Johanna Klara Kuppe - Zwei Gedichte - nektarküsse und mit möwenstaccato - Lyrik-Literatur - Glarean Magazin

nektarküsse

wellen / ein ton wächst ins haar / gesang aus
unruhiger tiefe / luft dröhnt / klippen ragen/ möwen
schrei / schäumende gischt / schaudern überläuft
die felsen / treibholz und fleisch / totengesang

 

mit möwenstaccato
an a.

hörst du es? übertönt das
rauschen. die schattenhand in
den dünen. sand rieselt singt.

meine schulter gelehnt an
den zaun. der morgen wirft
seinen hut in die luft. grüßt.

Johanna Klara Kuppe - Glarean MagazinJohanna Klara Kuppe

Geb. 1948 in Wuppertal/D, Erzieherin, Musikalienhändlerin, Lyrik-Veröffentlichungen in Anthologien, Online-Magazinen und Literaturzeitschriften, von 2010 bis 2018 Literaturprojekte mit der Gruppe „HandvollReim“, seit 2003 Lesungen/Themenlesungen, lebt in in der Nähe von Stuttgart

Lesen Sie im GLAREAN MAGAZIN zum Thema Neue Lyrik auch das Gedicht von Clemens Schittko: Wie fängt man sich Wolken ein


Internationaler Kompositions-Wettbewerb für Blasorchester

Zeitgenössische Bläser-Musik

Valley Winds Ensemble USA - Glarean MagazinDas renommierte Konzert-Blasorchester Valley Winds in Massachusetts/US schreibt einen internationalen Kompositionswettbewerb für zeitgenössische Blasmusik aus. Obwohl das Valley Winds eine professionelle Formation ist, sind für diesen Wettbewerb auch Werke mit einem Schwierigkeitsgrad für gute Amateur-Ensembles zugelassen.

Die eingereichten Stücke sollen noch unveröffentlicht sein und eine Dauer von zehn Minuten nicht überschreiten. Einschränkungen hinsichtlich Alter und Nationalität der Komponistinnen und Komponisten bestehen nicht.

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Die Sieger-Werke werden vom Valley Winds welturaufgeführt, der Wettbewerb ist mit total 5’000 $ dotiert. Einsende-Schluss ist am 31. Mai 2021, hier finden sich die weiteren Einzelheiten der Ausschreibung (engl). ♦

Lesen Sie im GLAREAN MAGAZIN zum Thema Blasmusik auch die Humoreske von Franz Trachsel: Semper fidelis

Ausserdem zum Thema Bläser über Saxofour: Oparettet den Jazz (CD)


Internationaler Kompositions-Wettbewerb für Kammermusik

Zeitgenössische „konsonante“ Werke

Musik-Komposition - Kompositionswettbewerbe - Orchesterpartitur - Glarean MagazinDie internationale „Non Proft Music Foundation“ namens Cum Laude Music Awards (CLIMA) schreibt für 2022 einen internationalen Kompositions-Wettbewerb für Kammermusik aus.

Die eingereichten Stücke sollen konsonant (aber nicht zwingend tonal) gestaltet sein, eine Dauer zwischen 3 und 20 Minuten aufweisen, und sie dürfen bereits früher aufgeführt worden sein.

Die Kompositionen können diverse Solo- und Ensemble-Kammermusik-Besetzungen aufweisen. Die eingereichten Werke sollten „darauf abzielen, ein neues Publikum für klassische Musik zu erreichen, und zwar in einer Weise, die die Schaffung eines neuen Publikums für diese Musik anregt“.

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Einsende-Schluss ist am 31. Juli 2021, hier sind die weiteren Details der Ausschreibung nachzulesen. ♦

Lesen Sie im GLAREAN MAGAZIN auch weitere Musik-Ausschreibungen zu internationalen Kompositionswettbewerben

Interessante neue Internet-Links zum Thema Kammermusik:

Internationaler Kompositions-Wettbewerb Piero Farulli 2021

Zeitgenössische Quartett-Musik für Jugendliche

Streichquartett - Kinder und Jugendliche - Kammermusik - Glarean MagazinDie italienische Accademia Nazionale die S. Cecilia und die Scuola di Musica die Fiesole schreiben zum vierten Mal ihren internationalen Kompositionswettbewerb Piero Farulli für Streichquartett aus. Der Wettbewerb hat zum Ziel, ein „praktisch nicht existierendes Repertoire für junge und sehr junge Streichinstrumentalisten anzuregen, um diese zur zeitgenössischen Musikwelt hinzuführen“.

Ausgeschrieben werden zwei gleichwertige Preise: Einer für Kompositionen mit primärer oder mittlerer instrumentaler Schwierigkeit, und einer für Kompositionen mit vorprofessionellem Schwierigkeitsgrad.

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Der Wettbewerb ist mit einem Preisgeld von insgesamt 5’000 Euro dotiert. Einsende-Schluss ist am 30. Juni 2021, hier sind die weiteren Einzelheiten der Ausschreibung zu finden (ital.) ♦

Lesen Sie im GLAREAN MAGAZIN zum Thema Streichquartett auch über die CD Böhmische Kammermusik (Sojka-Streichquartett)

… sowie weitere Ausschreibungen für Kompositionswettbewerbe


Internationaler Kompositions-Wettbewerb Sacrarium 2021

Religiöse Werke für Gesang und Orchester

Kirchenfenster - Jesus Christus - Glasmalerei - Glarean MagazinFür seinen internationalen Kompositionswettbewerb Sacrarium 2021 schreibt der Lemberger Kammerchor (Ukraine) in Zusammenarbeit mit der Lemberger Philharmonischen Gesellschaft religiöse Originalwerke für Kammerchor und Streichorchester aus.

Der Sacrarium-Wettbewerb ist offen für alle Komponistinnen und Komponisten jeden Alters und jeder Nationalität. Der zugrunde gelegte Text kann aus dem alten oder neuen Testament stammen und in englischer oder lateinischer Sprache verwendet werden. Das Stück kann für zwei Kategorien eingereicht werden: a) Sopran (bzw. Mezzosopran) & Sinfonieorchester, oder b) Sopran (bzw Mezzosopran) & Kammerchor & Sinfonieorchester.

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Das eingereichte Werk soll eine Dauer von zwölf Minuten nicht überschreiten, die Partitur muss bis zum 3. April 2021 eingereicht worden sein. Hier finden sich die weiteren Details der Ausschreibung (engl). ♦

Lesen Sie im GLAREAN MAGAZIN zum Thema Klassische Musik auch über die CD von Siegmeth, Hunstein, Wolf: Winterreise nach Franz Schubert

… sowie über weitere Ausschreibungen von Kompositionswettbewerben


Scott Frank: Damengambit (Schach-Spielfilm)

Dramengambit

Stefan Walter

Damengambit (Schach-Film) - Glarean MagazinPlötzlich sind wir cool.
Der Spiegel schreibt, die FAZ, die Zeit.
Da geht es nur um eine Kleinigkeit:
Mädchen sitzt auf Stuhl.

Kleines Waisenkind;
bei all dem Mist, den es er-, überlebt,
bei all der Tragik, die das Drehbuch webt:
Mädchen zieht, gewinnt.

Sympathie genügt.
Anstelle alter Männer, kaltem Rauch,
was sonst gibt das Klischee uns? Glatze? Bauch?
Mädchen strahlt und siegt.

Alle werden schwach.
Vorbei die Eifersucht, der Streit, der Neid,
es ist Zweitausendzwanzig, es wird Zeit:
Eine Frau spielt Schach!


Problem-Schach: Der Studien-Komponist Evgeny Kopylov

Die künstlerische Seite des Schachspiels

von Walter Eigenmann

Das Reich der Schach-Studien ist ein faszinierendes. Zumindest für jene, die dem Königlichen Spiel nicht nur eine sportliche oder eine spieltheoretische, sondern auch eine ästhetisch-künstlerische Seite abgewinnen können. Ein besonders profilierter Vertreter dieser Gattung ist der russische Studien-Komponist Evgeny Kopylov.

Schach-Studie Evgeny Kopylov - Problem-Komponist - Glarean MagazinEvgeny Kopylov (geb. 1973) ist zwar auch im On-The-Board-Turnierschach ein starker Internationaler Meister mit einem seinerzeit maximalen Rating von über 2450 Elo. Aber vor allem als Komponist origineller und schwieriger Schachstudien schafft er immer wieder preisgekrönte Gebilde, deren Komplexität sogar moderne Schachprogramme oft ratlos zurücklassen – zumindest minutenlang…

Vor kurzem gewann Kopylov mit dem „Pobeda-75“-Studienturnier 2020 abermals einen renommierten Preis, und zwar mit dem folgenden Werk:

Weiss am Zug gewinnt

FEN-String: 7Q/B3n1R1/BpR5/5p1P/pb6/6K1/5r2/4q1k1 w
Mausklick in einen Zug oder eine Variante öffnet ein Analyse-Fenster mit PGN-Download


Weiss am Zug gewinnt

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Noch nicht genug Turmopfer? Dann hier gleich nochmals ein Prachtsexemplar, diesmal aus der Schachzeitschrift 64 vor zwei Jahren.
Wer den Lösungszug von einer Engine herausfinden lassen will, braucht etwas mehr Geduld als sonst; normalerweise knacken heutige Schachprogramme solche Endspiel-Stellungen in Bruchteilen einer Sekunde…

FEN-String: 8/6Pr/4pR2/7k/3B1p1P/1B3K2/5p1r/8 w
Mausklick in einen Zug oder eine Variante öffnet ein Analyse-Fenster mit PGN-Download


Insbesondere die traditionellen Alpha-Beta-Engines bekunden mit unserer Nummer Drei im Kopylov-Bunde einige Mühe:

Weiss hält remis

FEN-String: 8/r3P3/4bPKp/8/r7/7k/8/5R2 w
Mausklick in einen Zug oder eine Variante öffnet ein Analyse-Fenster mit PGN-Download


Studieren Sie im Glarean Magazin zum Thema Schachstudien auch das Schach-Osterei 2020

Ausserdem zum Thema schwierige Schach-Knacknüsse: Die „Asterix“-Stellungen aus dem Jahre 2007

Internationaler Kompositions-Wettbewerb der PAS 2021

Gesucht: Hochwertige Stücke für Vibraphon

Vibraphon - Glarean MagazinUm Komponistinnen und Komponisten zu ermutigen, qualitativ hochwertige Werke für Schlaginstrumente zu schreiben, aber vor allem auch im Zusammenhang mit dem 100-jährigen Bestehen des Vibraphons lobt die amerikanische Percussive Arts Society (PAS) einen internationalen Kompositionswettbewerb für Vibraphon aus.

Die eingereichten Stücke dürfen noch nicht aufgeführt und müssen nach dem 1. November 2020 fertiggestellt worden sein. Bearbeitungen werden nicht akzeptiert; Dauer, Niveau und Tonumfang (nicht größer als vier Oktaven) des Werkes sind dem Komponisten überlassen.

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Der Wettbewerb ist mit insgesamt 3’500 $ dotiert, die siegreiche Komposition wird nach Bekanntgabe des Gewinners in den USA aufgeführt. Abgabetermin ist der 1. August 2021, hier finden sich die zusätzlichen Details der Ausschreibung (engl). ♦

Lesen Sie im GLAREAN MAGAZIN zum Thema Schlagwerk/Drums auch über die CD von Martin Grubinger: Drum ‚N Chant


Das Literatur-Zitat der Woche von Daniel Annen

Erzählen von Corona

Daniel Annen

Wer die Welt erzählend – und also fiktional – erfasst, setzt sie zugleich auf Distanz, klebt nicht an ihr. Und trotzdem ist sie in dieser Distanz den Lesenden voll präsent. […]

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In Bezug auf Covid-19 allenfalls zu bedenken: Unter anderem versetzen uns solche Erzählungen immer wieder in neue Situationen, die wir nicht planen können – so wie das winzige Virus uns aus grossartigen Sicherheiten geschmissen hat.

Kann nicht, wer sich erzählend oder lesend in solche neue Situationen einübt und doch miterlebt, wie sie – vielfach vernetzt – aus Vorangegangenem hervorgehen, besser mit ihnen zu Rande kommen? Immerhin ist so unser Vertrauen in die Zukunft geschult… ♦

Aus Daniel Annen: „Corona… – und der Wert der Fiktion, ausgerechnet!“, Editorial im Mitteilungsblatt 2/2020 des Innerschweizer Schriftstellerinnen- und Schriftsteller-Verbandes (ISSV)


Daniel Annen - Schriftsteller - Präsident ISSV - Schwyz - Glarean MagazinDr. phil. Daniel Annen Geb. 1954 in Schwyz/CH, Studium der Germanistik, Musikwissenschaft und Volksliteratur an der Universität Zürich, Dissertation über Meinrad Inglin, Publikationen vor allem zur Schweizer Literatur und Kultur sowie zum Grenzbereich Literatur und Theologie, Mitarbeit bei Schulbüchern und in kulturellen Kommissionen und Vereinsvorständen, zahlreiche Publikationen in Büchern und Zeitschriften, zuletzt „Les Littératures Suisses Entre Faits Et Fiction“ (mit Régine Battiston, Presses Universitaires de Strasbourg 2019), seit 2013 Präsident des ISSV, lebt in Schwyz

Lesen Sie im GLAREAN MAGAZIN auch das Literatur-Zitat der Woche von Hans Magnus Enzensberger: Gedichte werden nie aussterben

… sowie weitere Zitate der Woche


Hugh Nini & Neal Treadwell: Loving – Männer, die sich lieben (Fotoband)

Namenlose Liebe

von Sigrid Grün

Historische Fotografien von Männern, die sich lieben, sind selten, möchte man annehmen. Homosexualität ist erst seit wenigen Jahrzehnten akzeptiert und wird in manchen Ländern der Erde immer noch geächtet und strafrechtlich verfolgt. Trotzdem ist es Hugh Nini und Neal Treadwell gelungen, über 2’800 Fotos von männlichen Paaren zu finden und zu einer Sammlung zusammenzutragen. Eine Auswahl dieser einzigartigen historischen Aufnahmen, ist nun in deutscher Übersetzung als Fotoband erschienen. In „Loving“ werden etwa 350 Bilder, die zwischen 1850 und 1950 entstanden sind, von Männern, die sich lieben in Originalgröße gezeigt.

Der Blick ist bei der Auswahl der Fotos immer das entscheidende Kriterium, schreiben Hugh Nini und Neal Treadwell in ihrem Text „Eine Zufallssammlung“. Als sie vor 20 Jahren bei einem Händler ein Foto von einem schwulen Liebespaar entdeckten, waren sie noch überzeugt davon, eine Seltenheit in Händen zu halten. Doch bald zeigte sich, dass es auch vor über 100 Jahren mehr männliche Liebende als angenommen gab, die ihre Gefühle füreinander bildlich festhalten wollten.

Homosexualität in Zeiten der Diskriminierung

Loving - Männer, die sich lieben - Fotoalbum - Elisabeth Sandmann VerlagIn seinem Vorwort erläutert Régis Schlagdenhauffen, Experte für die Geschichte der Sexualität und Homosexualität sowie Gender Studies und Dozent an der École des Hautes Études en Sciences Sociales (EHESS), wie Homosexualität in Zeiten der Diskriminierung gelebt wurde. Insbesondere in Großstädten wie New York gab es bereits im 19. Jahrhundert eine lebhafte Schwulenszene, die über eigene Codes verfügte, um sich gegenseitig zu erkennen. Auch auf den Fotos im Bildband sind subversive Codes versteckt, die Bezug auf zeittypische Praktiken nehmen. Es gibt zum Beispiel Aufnahmen, die Paare mit einem Sonnenschirm – einem klassischen weiblichen Accessoire – zeigen, Paare, die einen Blumenstrauß halten, wie er auf Hochzeitsfotos üblich ist oder Männer auf einer Mondschaukel, die auf den Honeymoon, die im frühen 19. Jahrhundert in Großbritannien entwickelte Tradition der Flitterwochen, verweist.

Mutige Öffentlichkeit

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In höheren Gesellschaftsschichten war Homosexualität eher akzeptiert als bei Bauern oder Arbeitern. Gesetzlich wurden Schwule trotzdem verfolgt – Oscar Wilde ist ein bekanntes Beispiel dafür. Er verbrachte zwei Jahre in Haft, weil er einen Mann liebte. Bei einer Razzia in einem US-amerikanischen Hotel, die im Februar 1903 stattfand, wurden mehrere Männer verhaftet und wegen „Analverkehrs“ zu Haftstrafen von bis zu 20 Jahren verurteilt.
Die Männer, die auf den Fotos in diesem Bildband zu sehen sind, haben also viel aufs Spiel gesetzt, denn sie mussten ihre Liebe stets geheim halten. Auf einigen Fotos sind – neben den Liebenden – noch weitere Personen zu sehen, etwa Soldaten oder Frauen. Zu diesen müssen die Abgebildeten großes Vertrauen gehabt haben. Ebenso zu den Fotografen und Fotolaboranten, die die Bilder entwickelten.

Vorhang des Lebens gelüftet

Hugh Nini und Neal Treadwell, Loving - Männer die sich lieben - Glarean Magazin
Herausgeber Hugh Nini und Neal Treadwell

Zu sehen sind Aufnahmen von Männern aus jeglichen Gesellschaftsschichten. Wohlhabende Angehörige der Oberschicht, Soldaten, Landarbeiter und Fabrikarbeiter. Die Mehrzahl gehört einer höheren Schicht an – Fotografien konnten sich im 19. Jahrhundert auch nicht alle leisten. Die Sammlung umfasst Bilder aus den USA, Großbritannien, Deutschland, Italien, Frankreich, Kroatien, Bulgarien, Serbien, Australien, Japan, Ungarn, China, Estland, Russland, der Tschechoslowakei und anderen Ländern. Im Bildband sind fast ausschließlich Aufnahmen aus den USA zu sehen.
Im Anhang befindet sich ein Register, in dem auch Notizen verzeichnet sind. Einige Fotos sind auf der Rückseite beschriftet, etwa mit den Worten „Ich schicke dir ein Foto, das wohl den Vorhang von einem kleinen Teil meines Lebens lüftet“. Auf einem anderen Bild findet sich nur die Notiz: „Mein Liebling“.

Schwulsein unter widrigsten Bedingungen

Hugh Nini und Neal Treadwell, Loving - Männer die sich lieben - Beispielseite - Glarean Magazin
„Geringes Repertoire an Posen“: Beispielseite aus „Loving“ von Nini & Treadwell (© Nini-Treadwell Collection „Loving“ by 5 Continents Editions/Elisabeth Sandmann Verlag)

Das Faszinierende an den Aufnahmen sind die bereits erwähnten Blicke, die voller Zuneigung und Liebe sind – und die Gesten und Haltungen, die sich wiederholen. Es scheint ein recht geringes Repertoire an Posen zu geben, in denen sich die Liebenden zeigen. Oft wird ein Arm um den anderen gelegt, manchmal berühren sich die Männer auch nur leicht, wie zufällig, etwa mit den Füßen. Jedes Bild erzählt eine Geschichte. Natürlich kennen wir als Betrachter nicht die Hintergründe, aber die Bilder eröffnen Einblicke in untergegangene Lebenswelten. Cowboys, Matrosen und Soldaten, Fabrikarbeiter, Junge und Alte vor den verschiedensten Hintergründen zeigen, dass die Liebe auch den widrigsten Bedingungen standhielt.

Einzigartiges historisches Dokument

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„Loving“ enthält Zeugnisse der Zuneigung in sepia und schwarz-weiß. Es sind unglaublich berührende Fotos, die man immer wieder betrachten kann, denn sie erzählen von einer „Liebe, die ihren Namen nicht zu nennen wagt“ (Lord Alfred Douglas) – und es auf den Fotos doch getan hat, wenn auch meistens versteckt. Doch Liebe kann man nicht verbergen. Gut, dass Hugh Nini und Neal Treadwell zumindest Teile ihrer wunderbaren Sammlung nun der Öffentlichkeit zugänglich gemacht haben. Dieser Bildband des Elisabeth Sandmann Verlages ist ein einzigartiges historisches Dokument. ♦

Hugh Nini & Neal Treadwell: Loving – Männer, die sich lieben, Fotografien aus den Jahren 1850 bis 1950, 336 Seiten, Elisabeth Sandmann Verlag (Suhrkamp), ISBN 978-3945543825

Lesen Sie im GLAREAN MAGAZIN zum Thema Sexualität auch über Regine Schricker: Ohnmachtsrausch und Liebeswahn – Von der weiblichen Lust am Liebesleid

… sowie in der Rubrik „Heute… vor Jahren“: Ungeheure Träume träumender Ungeheuer – Über „Die Zofen“ von Jean Genet

Weitere Webseiten zum Thema:

Siegmeth, Hunstein, Wolf: Winterreise nach Franz Schubert (Audio-CD)

Gemeinsame Sprache zweier Musikwelten

von Horst-Dieter Radke

Das Wort „Winterreise“ assoziiert sofort mit Franz Schubert, wohingegen die Instrumente, die auf dem Cover des entspr. Albums zu sehen sind, gleich für Irritationen sorgen. Saxophon und Theorbe, anstatt Klavier – kann das gut gehen? Die Rückseite macht dann die negative Vorahnung komplett: „nach Schubert“. Aber, um die negativen Konnotationen nicht zu weit zu treiben: Die Sache ist besser, als sie scheint. Viel besser!

Was als erstes auffällt in dieser neuen „Winterreise“ nach Schubert mit dem Saxophonisten Hugo Siegmeth, dem Lautenisten Axel Wolf und dem Sprecher Stefan Hunstein: Es wird nicht adaptiert. Die Klavierstimme wurde nicht auf Laute und Saxophon aufgeteilt. Beide spielen eigenständig, greifen hier und da Themen aus Schuberts Melodien auf, variieren sie aber frei und verlassen sie auch gern. Manchmal liegt das Aufgreifen des Originals auch hinter dem Vordergründigen, etwa durch den Tonartwechsel. Das zweite, was auffällt, ist dass nicht gesungen wird. Stefan Hunstein spricht die Texte, so wie sie als Gedicht von Wilhelm Müller geschrieben wurden, also auch unter Verzicht mancher Wiederholungen, wie sie die Liedfassung vorsieht.

Keine Berührungsängste

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Man muss Schuberts Winterreise im Original nicht kennen, um dieses Album mit Genuss zu hören. Doch es schadet auch nicht, denn so kann man nach Motiven und Bekanntem fahnden und sich darüber freuen, wie die Musiker die Themen aufgreifen und sich von ihnen lösen. Spannend ist zu hören, wie sich zwei Musiker aus unterschiedlichen musikalischen Welten nicht nur ergänzen, sondern zu einer homogenen, gemeinsamen Musiksprache finden. Das Saxophon und die Bassklarinette, die niemals ihre Herkunft aus dem Jazz leugnen, klingen an manchen Stellen doch sehr klassisch, die Laute dagegen an nicht wenigen Stellen sehr modern, etwa in „Gefror’ne Tränen“.

Musik ohne Gesangsirritation

Franz Schubert - Gemälde von Wilhelm August Rieder 1875 - Glarean Magazin
Inspirator für Neue Musik: Franz Schubert (Gemälde von Wilhelm August Rieder 1875

Überrascht war ich, als mir auffiel, dass ich schon nach wenigen Malen Hören der CD ganze Strophen der Verse im Kopf hatte und auswendig wiederholen konnte. Das ist mir vorher mit der originalen Schubert-Version nie passiert. Da blieb mal diese und jene Zeile hängen, nie aber mehr. Die Melodien schon eher. Möglich, dass dies mit den Wiederholungen, die oft kreuz und quer durch die Strophen gehen, zusammenhängt. Vielleicht auch mit der Musik, die bei Schubert doch die Aufmerksamkeit auf sich zieht, nicht selten sogar dann, wenn das Klavier nur begleitet. Bei dieser Fassung „nach Schubert“ irritiert die Musik nicht beim Gesang. Manchmal unterbricht der Sprecher die Musik abrupt – und lässt sie in den Sprechpausen zwischen den Strophen wieder aufleben. Den „Lindenbaum“, der es ja in vereinfachter Form bis ins Volksliedgut gebracht hat, habe ich natürlich im Kopf. Die fragmentierte Einleitung des Tenorsaxophons liebe ich vom ersten Hören an, auch, wie es die Stimme des Sprechers bei der ersten Strophe führt, die fast ein An-Singen ist.

Alte und neue Version als je Ganzes

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Ich habe versucht, beide Versionen im Vergleich zu hören, also Lied für Lied. Daran habe ich schnell die Lust verloren, so nach dem sechsten oder siebten Lied. Beide Versionen sind als Ganzes zu hören, dann entfalten sie ihre eigene Schönheit und insbesondere die „nach“-Fassung zeigt eine Eigenständigkeit, die nicht den Vergleich mit dem Original suchen muss. Genau genommen ist sie selber ein Original. Dass sie die andere Fassung jedoch verdrängt, muss man nicht befürchten.

Wie man mit altem Material kongenial umgeht und dabei Neues schafft, zeigt dieses Album sehr gut, auch, wie man Welten zusammenführt – etwa Jazz- und Renaissance-Musik. Der fehlende Gesang stört überhaupt nicht. Gesprochen wirkt der Text anders, wird deutlicher wahrgenommen. Müsste ich ein Album als „Album des Jahres“ auszeichnen, wäre es dieses für mich, und dafür müsste ich nicht lange überlegen. ♦

Axel Wolf (Laute), Stefan Hunstein (Sprecher), Hugo Siegmeth (Saxophon): Winterreise nach Schubert, Oehms Classics (Naxos)

Lesen Sie im GLAREAN MAGAZIN zum Thema Schubert und die Moderne auch über Franz Schubert & Jörg Widmann: Oktette

… sowie zum Thema Musikgeschichte: Das 50-Euro-Preisrätsel Musik vom November 2020

Ausserdem zum Thema Crossover-Musik mit Saxophon: Saxofour – Oparettet den Jazz

Weitere Links zum Thema „Winterreise“

Arno Camenisch: Goldene Jahre (Roman)

Was mit der Schweizer Literatur nicht stimmt

von Dominik Riedo

„Literatur setzt sich nur aus scheinbaren Kleinigkeiten zusammen. Scheinbaren – weil das kleinste Detail stets mitentscheidet.“
Karlheinz Deschner

Ich verstehe es einfach nicht. So einfach ist es. Klar: Die Verkaufszahlen sprechen für sich (und zwar tatsächlich, auch in meinem Sinne; siehe unten), und wer beim Lesen glücklich ist, immerhin, dem ist dies an sich Wertung genug. –
Trotzdem verstehe ich es nicht. Denn ich habe im Studium unter Professor von Matt an der Universität Zürich gelernt, dass man gute Literatur durchaus von schlechter unterscheiden kann und dass ausgebildete Germanisten das durchaus auch können sollten. Und drum wohl kann ich es nicht verstehen.
Worum es geht? „Goldene Jahre“, das neue Buch von Arno Camenisch (*1978 in Tavanasa), erschienen im Mai dieses Jahres 2020, stand – wie man der Webseite des Schriftstellers entnehmen kann – wochenlang in den Bestsellerlisten. Es muss sich gut verkauft haben. Vor allem aber war es, als ich es kaufte, für den Deutschen Buchpreis 2020 nominiert, eines von zwanzig Büchern im gesamten deutschen Sprachraum.

Zweiter Frühling zweier Damen

Arno Camenisch - Goldene Jahre - Roman - Engeler VerlagWeil Juroren solcher Preise in der Regel durchaus sachgerecht beurteilen können, dachte ich mir ganz ohne Hintergedanken, ich könnte mir da wieder einmal ein Buch eines Mitautors gönnen, das ich gerne lese werde, wie etwa Daniel Kehlmanns Bücher, die sich ja ebenfalls gut verkaufen und deren Autor auch viele Preise bekommen hat.
Doch was für eine Enttäuschung! Klar, das Buch hat einen griffigen Titel und kommt sogar, anders als man es auf den ersten, vereinfachten Blick erwarten würde, nicht in einem goldenen Kleid daher. Der eher leuchtend grasgrüne Umschlag steht damit geschickt vielmehr für den Frühling als für die späten Jahre des Frauenduos, um das sich in „Goldene Jahre“ alles dreht. Erleben doch die beiden Damen durch das Erzählen, so könnte man sich denken, eine Art zweiten Frühling, und ganz sicher spielt das Buch im Frühling. Nur nicht allzu offensichtlich daherkommen, das unterscheidet Literatur manchmal lohnenswerter Weise vom Journalismus. So denke ich mir zu Beginn auch nichts über die Situation, in der die beiden Frauen im Buch quasi berichten. Es wird sich dann schon noch klären, denke ich, welche dialogische oder erzählerische Situation hier vorliegt.

Gestelzt-unglaubwürdige Sprache

Arno Camenisch - Schriftsteller - Glarean Magazin
Arno Camenisch (*1978)

Aber dazu gleich vorneweg: Die Leserin oder der Leser wird sich bis zum Ende fragen müssen, wenn sie/er sich das fragen will, an wen die beiden Frauen sich hier eigentlich wenden: Es ist kein auf ein Speichermedium gesprochener Brief, kein Bericht einer Radio- oder Fernsehanstalt und sie filmen sich auch nicht selbst zur Erinnerung. Sie erzählen einfach füreinander (nur „einander“ kann ich nicht gut sagen, spricht doch etwa Margrit am Anfang ins Leere hinaus, ohne dass Rosa-Maria schon direkt bei ihr wäre). Und da war es bei mir als Leser schon so weit, dass ich mehr als stutzte: Wenn man sich derart lange kennt wie die beiden Protagonistinnen, und wenn man zusammen seit 51 Jahren einen Kiosk führt, dann beginnt man doch nicht aus dem Nichts heraus folgendermassen zum Gegenüber zu reden: „Eine Freude ist das, wie schön sie leuchtet, sie lächelt, da geht einem grad das Herz auf, wenn wir am Morgen die gelbe Leuchtreklame einschalten, in aller Herrgottsfrühe, wenn noch die letzten Sterne am Himmel sind.“
Abgesehen davon, dass einem wohl nach 51 Jahren im selben Job, so gerne man ihn tut, nicht mehr jeden Tag das Herz aufgeht über dieser Tätigkeit, so falsch ist es, wenn der Autor hier die eine Figur zur anderen – obwohl die in dem Moment wie gesagt nicht mal dort steht – sagen lässt, dass die Leuchtreklame gelb ist. Das wüsste die doch schon lange! Man sagt auf der Baustelle auch nicht: „Gib mir mal den gelben Meter“. Die Farbe ist hierbei total unwichtig (ausser es läge ein anderer roter daneben). Ebenso wüsste ihr Gegenüber im Buch wohl, dass sie dies jeweils sehr früh am Morgen tun und dass dann, zumindest in dem betreffenden Monat, die Sterne teilweise noch am Himmel stehen (und für das ganze Jahr gesehen wäre dies zudem schlicht falsch). Oder noch anders gesagt: Keine alte Kollegin spricht so gestelzt zu ihrer alten Kollegin.

Falsche Erzählsituationen

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Nun könnte man einwenden, es sei nicht ganz sicher, ob beziehungsweise was da alles gesprochen werde, denn das „sie lächelt“ spricht sie kaum aus; sie könnte sich das also bloss bei sich denken. Doch da verteidigt mich der nächste Satz: „Und bald wird es hell, sagt sie“. Sie spricht also wirklich; aber eben: Im ganzen Text kann man nie herauslesen, dass sich die Frauen an einen Dritten wenden würden. Da macht es auch keinen Sinn, dass sie weiter anfügt: „Seit 1969 gibt es uns, bereits, ja, ja, im 69 ist die Leuchtreklame zum allerersten Mal angegangen, in ihrer ganzen Pracht, das ganze Tal ist aufgeleuchtet an diesem Tag, sogar von Brigels runter konnte man die Leuchtreklame sehen, wenn man oben auf der Kante stand, dort wo der steile Hang beginnt, und runterschaute, sah man das Licht auf dem Dach vom Kiosk brennen wie das ewige Liechtli in der Kirche.“ Erstens ist der Vergleich mit dem ewigen Licht in der Kirche nicht gut gewählt, denn dies brennt auch in der Nacht, aber das kann man immerhin noch der Figur zuschreiben; zweitens aber: Wer braucht einer Geschäftspartnerin, die seit 51 Jahren am gleichen Ort arbeitet, die nähere Umgebung noch zu beschreiben? Es ist ihr doch klar, wo genau die betreffende Stelle in Brigels wäre, von dem man die Leuchtreklame sehen kann. Völlig blöd wird es dann, wenn die Margrit gleich darauf dialogisch zu wiederkäuen beginnt: „Ein Bijou von einer Leuchtreklame ist das, sagt die Margrit, im August 1969 ist sie das erste Mal angegangen“. In welcher denkbaren Szene, selbst wenn das Ganze für eine Dritte oder einen Dritten gesprochen wäre, sollte sie das wiederholen? – Die Erzählsituation für das ganze Buch ist schlicht falsch.

„Ein lieber feiner Kerli“

Surselva Tal - Kanton Graubünden Schweiz - Glarean Magazin
„Sogar von Brigels runter konnte man die Leuchtreklame sehen“: Das Surselva Tal im Schweizer Kanton Graubünden

Doch war ich hier noch bereit, das einfach mal zu akzeptieren; es könnte ja sein, dass Camenisch wenigstens ein guter Beobachter der Menschen in dem Bündner Tal, der Surselva, wäre. Aber das musste ich mir ebenso gleich aus dem Kopf schlagen, folgt doch Plattitüde auf Plattitüde. Dass sie bereits 51 Jahre an ihrem Kiosk arbeiten, will die Rosa-Maria gar nicht recht glauben, es komme ihr vor, und hier also die Plattitüde, „als seien wir doch erst gerade gestartet“. Huch, man sieht regelrecht das erstaunte Gesicht über dem abgelebten halben Jahrhundert. Hier stellte sich mir dann eben die Frage: Will der Autor eigentlich einfache Menschen darstellen oder eher tiefsinnige? Wären sie tiefsinnig, würden sie sich bestimmt nicht derart simpel und ohne weitere Gedanken über die Jahre wundern. Wären sie aber einfache Büezer, so reden sie nicht entsprechend.
Tatsächlich sind die Plattitüden wohl auch eher die des Autors. Wird doch im Folgenden dann fast jeder Mann, dem die beiden in der Zeit als Kiosk-Frauen begegnet sind, „ein feiner Bursche“, „ein lieber Kerl“ o. Ä. genannt, so oft, dass es auch nicht mehr ein bestimmtes Wesensmerkmal sein kann, vor allem, da beide Frauen das eine oder andere Mal diese Beschreibung wählen (was traut der Autor diesen Frauen eigentlich alles nicht zu?). Der Astronaut Collins: „der liebe Kerli“; der Radrennfahrer Eddy Merckx: „ein feiner Bursche“; Hugo Koblet (dessen Rennen aber eigentlich vor ihrer Zeit sich abspielten): „ein Hübscher“; sogar der Glasaugen-Columbo aus der TV-Serie ist „charmant“ (und ausgerechnet bei dem sagt die Margrit: „Wenn der hier an unserem schönen Kiosk mit Zapfsäule mit seinem Cabriolet angefahren gekommen wäre, ich weiss nicht, was dann passiert wäre“; als würden sich Frauen nur die ‹Charmanten› auswählen, nicht etwa jene, die richtig sexy sind; ob da einer ein völlig falsches Frauenbild hat?); Roger Moore ist ebenfalls „ein feiner Kerl“; und auch der Ludovic ist – na: was? – „ein feiner Kerl“.

Von dreirädrigen Autos

Isetta BMW - Glarean Magazin
Noch bis in die 1970er Jahre hinein auf Bündner Strassen zu sehen: Die legendäre 3-rädrige Isetta BMW

Ähnlich platt oder falsch die Vergleiche, wie schon beim ewigen Licht: „Das ist wie ein Auto mit drei Rädern“ – gerade die beiden Geschäftspartnerinnen am Kiosk mit Tankstelle seit 1969 sollten wissen, dass es dreirädrige Autos gab und gibt – bis in die 1970er-Jahre hinein war zum Beispiel die BMW Isetta noch oft im Strassenbild zu sehen. Die beiden Frauen aber wollen bloss wissen, dass es in Italien solche Modelle gibt, ohne genauere Kenntnis. Da spielt es im Sinne des Autors auch keine Rolle, dass eine Dreierbeziehung, von der die beiden Frauen reden, als eine solche „über Kreuz“ bezeichnet wird. Eine Liebe ‹übers Kreuz› müsste wohl eher vier Parteien haben, nicht drei.
So verpasst Camenisch auch zuverlässig die Orte, an denen er punkten könnte, etwa seine beiden weiblichen Hauptpersonen betreffend. Klar sagt Margrit einmal, sie wären Exoten gewesen, aber nicht etwa dafür, 1969 als Frauenzweierteam ein Geschäft eröffnet zu haben, sondern für eine Banalität: „Man stelle sich vor, ein Kiosk, sagt die Margrit, und gleich dazu noch eine Zapfsäule, und das im Jahr 1969, das war revolutionär, Exoten waren wir“. Waren doch damals, als die Autobenzintanks noch kleiner waren und der Kilometerverbrauch grösser, die Zapfsäulen an den Strassen in den Schweizer Alpen keine Seltenheit. Und weil man als Besitzer oder Angestellter nicht im Kalten oder im Regen warten konnte, baute man eben einen kleinen Laden oder Kiosk dazu. Sie aber, die beiden Frauen, die gerade sagten, sie seien Exoten gewesen, etwas, was es selten gab, meinen dann noch, dass sie „eine Epoche […] geprägt [hätten] mit unserem Kiosk mit Leuchtreklame, das muss uns jemand zuerst mal nachmachen.“ – Ja, genau: Das gezielte Nachmachen anderer, also das Vorbild-Sein wäre eben gerade die Definition davon, wie man eine Epoche prägt! Hingegen wären sie dann wiederum keine Exoten. Man kann es drehen und wenden wie man will: Es ist schlicht falsch.

Schlechte Roman-Recherchen

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Aber um nochmals auf das zurückzukommen, was Margrit und Rosa-Maria zueinander nach 51 Jahren reden. Meint doch die Margrit zu ihrer Kollegin, mit der sie über ein halbes Jahrhundert dort gearbeitet hat: „Dafür ist der Service top, sagt die Maria, also wer hier tankt, bekommt für einen kleinen Aufpreis auch gleich noch einen Kaffee, den haben wir immer parat“. Ach so, möchte man im Namen der Kollegin sagen, ich weiss: Ich bin seit 51 Jahren mit dabei! Aber Rosa-Maria scheint die Demenz zu haben: „Ausser Kerosin gibt es hier alles, und sobald die Pistole im Tank steckt und die gute Zapfsäule den Most hochpumpt, gehen die Zahlen auf der Anzeige durch und zählen dir auf den Rappen genau, wie viel jemand schon wieder getankt hat.“ Nicht wahr? Ich weiss! Aber es endet keineswegs dort: „Den Kaffee gibt’s, wie bereits gesagt, obendrauf, der ist gratuit“. Nicht wahr?! (Ausser dass er zuvor noch „einen kleinen Aufpreis“ kostete!)

Wirklichkeit falsch wiedergegeben

Tour de Suisse - Radrennen im Bündnerland - Glarean Magazin
Radrennen im Gebirge: Mehrmals auch durch die Bündner Surselva

Je nun, wir aber sind weiter beim Autor Camenisch, der sich offensichtlich auch nicht gut informiert über Themen, die er nicht kennt. So meint er etwa, bei einer Tour de Suisse sollte an allen Orten, die befahren würden und heikel sind, die Strassen vorher neu geteert werden; man wolle doch die Fahrer nicht gefährden. Dabei ist das so nicht der Fall; im Gegenteil: Oft werden Strecken ausgewählt, auf denen der Belag im Rang etwas ausmachen kann, bei dem also fahrerisches Geschick gefragt ist. Zudem soll bei Camenisch die Tour de Suisse nur ein einziges Mal in der Surselva vorbeigekommen sein, wenn man doch leicht nachschauen kann, dass dies seit 1969 mehrmals der Fall war.
Dem Autor aber scheint so etwas egal zu sein; in einem Interview wundert er sich sogar, dass es das Fruchtbonbon ‹Sanagol›, das 2020 im Buch noch gelutscht wird, seit 2002 nicht mehr gibt. Da ist dann auch das Lob der NZZ ein leeres, wenn sie schreibt, der Autor halte in seinen Büchern getreu fest, welche Welten alles verschwänden: Wer diese so total falsch darstellt, tut den verschwundenen Welten keinen Gefallen, sondern lässt sie eher noch mehr verschwinden, weil man sich ihrer nach der Lektüre vermutlich falsch erinnert (und es wäre ein Leichtes gewesen, die Fruchtbonbons nur bis ins Jahr 2002 zu erwähnen).

„Leg dich nicht mit den Sternen an“

Stützte wissenschaftlich das heliozentrische Weltbild von Kopernikus: Galileo Galilei
Stützte wissenschaftlich das heliozentrische Weltbild von Kopernikus: Galileo Galilei

Da erstaunt es dann schon nicht mehr, dass der Autor selbst innerhalb der Geschichten Unlogisches berichtet: Einerseits schauen die beiden Damen immer in die Unterhaltungsmagazine, die bei ihnen ausliegen. Und zwar quer durchs Sortiment. Sie sind stolz drauf, vieles anzubieten und selbst zu kennen. Und dennoch wissen sie nicht, was ein Elektrovelo ist, ja, dass es überhaupt existiert, als das erste Mal eine ganze Gruppe älterer Damen damit an ihnen vorbeirauscht – also nicht etwa Exoten, sondern zu einem Zeitpunkt, als das eBike schon gang und gäbe gewesen sein musste (eine Gruppe älterer Damen).
Da mag es den meisten Leserinnen und Lesern schon gar nicht mehr auffallen, dass sich der Autor an einer Stelle, Seite 69, eigentlich endgültig selbst erledigt: „Schau dir den Galileo an, als der behauptete, die Welt sei eine Kugel und nicht eine Scheibe, hätte man ihm am liebsten die Zunge rausgeschnitten. Ja, mit den Sternen sollte man sich nicht anlegen.“ –
Hat der Mensch denn keine Bildung? Dass die Welt eine Kugel ist, wusste man seit der Antike. Galileo hat lediglich das Kopernikanische Weltbild verteidigen wollen, dass die Erde sich um die Sonne drehe und nicht umgekehrt. Da hätte dann der zweite Satz von den Sternen auch Sinn gemacht – nicht aber auf die Flacherde bezogen! Und nochmals: Klar könnte das den Figuren absichtlich in den Mund gelegt worden sein. Aber dann traut der Autor den beiden Frauen wirklich nichts zu – und vor allem glaube ich das bei all den anderen Fehlern einfach nicht.

„Winter lang wie Autobahnen“

Winter lang wie Autobahnen - Arno Camenisch - Glarean Magazin
„Winter lang wie Autobahnen“ (Arno Camenisch)

Ach, danach quälte ich mich durchs Buch. Mal sind „Winter lang wie Autobahnen“ – also ein Zeitmass wird durch ein Längenmass ausgedrückt. Klar könnte das eben einer Figur geschuldet sein; aber es hiesse den beiden Frauen als Erzähler echt nicht viel zuzutrauen, wenn man sie wirklich alle die Banalitäten und falschen Vergleiche sagen liesse, durch die sie wie etwas dümmliche Menschen herüberkommen. Oder sollte das sogar das Ziel sein?
Denn meine Frage nach der Erzählsituation wird in der Mitte des Buches definitiv gelöst. Da kommt die Margrit „mit einer Blechbüchse in der Hand aus dem Kiosk, schau dir dieses schöne Foto an“. Sie zeigt es daraufhin Rosa – und nur Rosa. Also wird wirklich nicht nach aussen berichtet, sondern es spricht eine Frau zur anderen. Doch kann man an dieser Stelle eine Demenz auch ausschliessen: Zu gut erinnern sich beide an die 51 Jahre. Warum aber dann das Foto zeigen, als der Kiosk im Schnee versank? Erinnern sich doch beide ungefragt daran: „Als hätten die Heiligen uns den schönen Kiosk weggezaubert, sagt die Rosa-Maria.“ Und: „Da haben wir schon noch gestaunt, sagt die Margrit, als wir am Morgen über die Brücke kamen“. Kann man sich diesen Dialog zwischen zwei Kolleginnen vorstellen, die seit 51 Jahren jeden Tag nebeneinander arbeiten und alles miteinander erleben?
Ach, wie soll man danach zu Ende lesen… Ich habe noch Klischees rausgesucht. Und man sage mir nicht, dass dies alles Wahrheiten sein könnten; natürlich können sie das; aber in dieser Masse sind es eben wirklich nur noch Klischees: Da kauft der Pfarrer Sexhefte; da nehmen die beiden Frauen keine Tausendernoten an; da leidet der Kiosk an einer Umfahrungsstrasse, wodurch die Kundschaft wegbleibt (aber andererseits seien sie die Zentrale des Dorfes!); der Fotograf aus dem Städtli hat ein Glasauge (haha); Rosa-Maria trägt eine Brille mit Goldrand; seit den neunziger Jahren gibt es keine richtigen Winter mehr; und obwohl sie vor einer Kurve ein Schild aufstellen, passieren regelmässig Unfälle (man sieht regelrecht die komikhafte Situation in einem Trickfilm); und „wenn die Wetterfrösche in den Nachrichten sagen, dass es am nächsten Tag schneie, dann schiffet es meistens“; und selbstverständlich finden die beiden Frauen, dass Autos ohne Benzinmotor keine richtigen Autos seien.

Metaphorische Spagate voller Klischees

Roman-Klischee - Pfarrer kauft Sexheftchen am Kiosk - Glarean Magazin
Das Roman-Klischee vom Pfarrer, der am Kiosk Sexheftchen kauft…

Aber auch das gebe ich auf und blättere durchs Buch nur noch für deutliche Fehler: Etwa, dass Camenisch im Jahr 1989 eine Kanu-Weltmeisterschaft in Tavanasa stattfinden lässt. Nein! Es waren die Junioren da, und das fand 1990 statt. Klar, die beiden Frauen könnten sich im Jahr getäuscht haben, aber der Autor lässt sie auch noch sich vergewissern: „Das weiss ich noch genau, wir hatten nämlich in jenem Sommer unser 20jähriges Jubiläum. Stimmt, sagt die Margrit und nickt, zum 20Jährigen hat uns der Kosmos das beste Jahr geschenkt“. –
Ach genau, esoterisch veranlagt sind die Frauen auch noch. Warum? Weil das für Frauen typisch ist?! Aber Camenisch lässt sie ja obendrein noch glauben, dass wenn „einer mit dem Schlauch [im Auto] drin“ losfahre, dann gäbe „das eine Explosion“. Und rechnen können sie als von einem Mann geschaffene Figuren in einem Roman auch nicht: „Oh, wenn man mit zwanzig anfängt, ist man einundfünfzig Jahre später knapp siebzig“!
Aber auch sprachlich greifen sie, etwa bei Metaphern, voll daneben. Also auch das mag ihnen der Autor nicht gönnen oder er merkt es selbst keineswegs: „Da haben wir bereits ziemliche Spagate gesehen vor unserem schönen Kiosk, wenn es darum ging, etwas am Preis zu schrauben.“ Wie bitte? Was soll da ein Spagat sein? Sie wollen bloss etwas billiger. Nichts sonst. Bei einem metaphorischen Spagat versucht man eben mit viel Mühe, zwei gegensätzliche Positionen zu überbrücken. Hier wollen die Kunden nur etwas billiger haben, basta. Da erstaunt die fasche Verwendung von „Jet-Set“ wahrlich nicht mehr: „Jet-Set, sagt die Rosa-Maria, wenn eben jemand etwas über die Stränge schlägt und von einer Party zur nächsten schwebt.“ Denn: nein, mit Jet-Set ist eine bestimmte Gesellschaftsschicht gemeint. Dass die sich mehr Partys leisten können ist klar, aber nicht automatisch gemeint.

Der „Dichter des Dorfes“?

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Vielleicht hätte Arno Camenisch besser daran getan, das Kiosk-Sterben als eigene persönliche Erinnerung zu deklarieren, statt zwei Frauenfiguren einzuführen, deren sich Frauen eigentlich schämen müssen. Zudem wären dann die falsch erinnerten Zeitereignisse nicht so wichtig. Und wie er sich im jetzt gedruckten Buch noch selbst einbringt, ist einfach nur peinlich. Da kommt er auf den Seiten 44 bis 47 vor als „der Sohn vom Tini“, der „Poet“ (!) geworden ist, aber trotzdem „ein lieber Kerl“ geblieben sei, der immer freundlich grüsst. Auf Seite 46 ist er dann der Sohn von Bernadetta, „also die Mutter vom Dichter“ (!), die es, ach, „in der Tat nicht“ etwa „einfach“ gehabt hat. Jaja. Und Seite 71 zitiert Camenisch sich dann gleich noch selber, weil er ja „der Dichter“ des Dorfes ist (obwohl er längst nicht mehr dort wohnt).

Welpenschutz bei der Literaturkritik

Jährlich erhalten 15 Nachwuchsschriftsteller die Möglichkeit zu einem 3-jährigen Studiengang "Literarisches Schreiben": Das Schweizerische Literaturinstitut in Biel
Jährlich erhalten 15 Nachwuchsschriftsteller die Möglichkeit zu einem 3-jährigen Studiengang „Literarisches Schreiben“: Das Schweizerische Literaturinstitut in Biel

Als ich mit dieser Beurteilung bis hierhin gekommen bin, erfahre ich, dass Arno Camenisch nicht in die Short List des Deutschen Buchpreises aufgenommen worden ist. Ich atme etwas auf: Die Juroren sind also wie gedacht nicht völlig verblendet (wenn ich auch die Aufnahme in die Long List nach wie vor nicht verstehe – vielleicht braucht es einen bestimmten Schweiz-Anteil bei den Kandidaten; wenn aber alle am Schweizerischen Literaturinstitut in Biel Ausgebildeten so schreiben, ist es mit der Schweizer Schreibkunst nicht weit her – und immerhin wird Camenisch von der Anstalt immer wieder als Musterabgänger herumgereicht, was einiges über das Literaturinstitut aussagt). Auch nicht durch die Auflagenzahlen verblendet (die man dem Buch übrigens – Autor und Verleger haben sich wahrlich gefunden – nicht entnehmen kann; der Klappentext weist übrigens bei der Inhaltsangabe ebenfalls mehrere Fehler auf; zudem übersieht der Verleger, der in Personalunion Lektor des Buches ist, solche Fehler wie „der Präsident Bahamas“ [recte: der Bahamas]).
Doch spricht der Instant-Erfolg (Verkaufszahlen, Besten-Listen; Longlist) und die bereits kurz danach abnehmende Anerkennung (nicht auf der Shortlist; nicht mehr auf den Besten-Listen; angedeutete Verrisse im Berner ‹Bund› [„da steht einer in der Literaturkritik unter Welpenschutz, schreibt jedes Jahr den gleichen Roman, und keiner sagt was?“; 19.09.2020)] ja auch für sich: Der Jahrhundertroman „Ulysses“ verkaufte sich in den ersten Jahren kaum, während Colin Ross einer der bestverkauften Schriftsteller in den 1920er-Jahren war. – Wer? Genau!

Unkritisches Lesen als Defekt im Leben

Bleibt für den zustimmenden Leser und die zustimmende Leserin noch das scheinbare Glück beim Lesen. Aber Achtung: Da die Sprache das entscheidende Kriterium in einem Sprachkunstwerk ist, das sogar alles andere mitenthält, ist Kitsch, also sind Klischees und ständig sich wiederholende Floskeln nicht bloss eine ästhetische Kategorie, sondern auch eine ethische, eine geschichtskritische, eine lebenskritische Kategorie. Gefühle, Bewusstseinszustände, das Denken und Handeln, ja, ein ganzes Menschendasein kann verkitscht sein.
Wer solch ein Buch wie „Goldene Jahre“ von Arno Camenisch unkritisch liest und sich darüber freut, dem sitzt der Defekt letztlich im Leben. Oder der anerzieht sich einen solchen mit der Lektüre. Und das ist eigentlich ebenso schlimm wie die Verbreitung von Fake News. Dafür schäme ich mich als Schweizer Kollege.

Eine Dorfwelt ohne Dorf

Die Tavanasa-Bahnstation bei Breil/Brigels in der Surselva
Die Tavanasa-Bahnstation bei Breil/Brigels in der Surselva

Und deswegen greife ich hier auch zur metaphorischen Feder: Wenn die Kritiker solch einen Roman loben, muss man doch mal aufzeigen, was unter anderem daran alles falsch ist. Heisst es doch unter anderem über dieses Buch, der Kiosk sei in dieser Geschichte wirklich die Zentrale im Dorf. Das lässt sich aus dem Roman aber gerade nicht schliessen: In der ganzen Erzählzeit kommt kein Kunde vorbei (nur in Erinnerungen). Oder andere meinen, Camenisch sei ein „sprachgewaltiger Schriftsteller“. Sprachgewaltig? Wer auf einer halben Seite die beiden Frauen drei Mal als sich ‹schüttelnd› beschreibt! Also so: „Es schüttelt sie“; und zwei Zeilen weiter: „Die Margrit schüttelt es vor Lachen“; zwei Zeilen weiter: „es schüttelt sie“ – und nein, das lässt sich definitiv nicht mehr auf die Figuren schieben.
Aber auch ein weiteres Lob stimmt da nicht: Camenisch beschreibe die Dorfwelt eines Dorfes der Surselva wie kaum einer: Dabei kommt das Dorf praktisch nicht vor; der Kiosk steht wie in einer leeren Welt. Aber selbst von der Kiosk-Welt, von der überall gelobt wird, der Autor zeige ihr Verschwinden auf, spürt und liest man kaum etwas: Es ist, als wären in diesen 51 Jahren keine Änderungen aufgetreten. Man findet nichts davon, dass heute die Lotterie-Auswertungen digital ablaufen, nichts davon, dass heutzutage wirkliche Kiosk-Besitzer oft klagen, dass sie für Paketdienste die ganzen Pakete zurücknehmen müssen, obwohl an den meisten Orten dazu der Platz fehlt. So steht denn bei den über 70-Jährigen Kioskbesitzerinnen auch nichts und nie etwas von Krankheiten, die sie hindern würden, die harten Schichten durchzustehen.

Was stimmt nicht mit der Schweizer Literatur?

Am Ende beschleicht einen echt das Gefühl: Da hat einer einfach noch kurz was aufgeschrieben, an was er sich beim Kiosk so erinnert, also eine sehr spezifische Erinnerung einer einzelnen Person, verbrämt mit etwas Eigenlob („Der Schnauz ist der Tiger vom Denker“, Seite 71) und mit einigen Geschichten, die wohl cool wirken sollen aber so was von unauthentisch sind, dass man nicht versteht, wie so etwas je gerne gelesen werden könnte.
Und man versteht also nicht, warum solch ein Buch sich gut verkaufen kann und noch weniger, warum es die meisten Kritiker nicht verreissen. Irgend etwas stimmt hier einfach nicht. ♦

Arno Camenisch: Goldene Jahre – Roman, 100 Seiten, Engeler Verlag, ISBN 978-3-906050-36-2


Dr. Dominik Riedo

Geb. 1974 in Luzern/CH, Ausbildung zum Primarlehrer, anschliessend Studium der Germanistik und Philosophie, Promotion und Gymnasiallehrerschaft in Stans und Immensee, 2007-2009 „Kulturminister der Schweiz“ mittels Internet-Wahl aus 25 Kandidaten, diverse kulturpolitische Aktivitäten, zahlreiche belletristische Publikationen in Büchern und Zeitungen, literarische und kulturelle Auszeichnungen, lebt als freier Schriftsteller in Ittigen/Bern

Lesen Sie im GLAREAN MAGAZIN zum Thema Literaturbetrieb auch von Mario Andreotti: Kunst geht nach Brot

… sowie weitere Beiträge von Schweizer Autorinnen und Autoren


Internationale Literatur-Ausschreibung von ETCETERA

Essays, Gedichte und Kurzprosa zum Thema „Umweg“

Literaturausschreibung ETCETERA - Essays Gedichte Kurzprosa - Literatur-Wettbewerbe Glarean MagazinFür ihre Ausgabe im Dezember 2021 nimmt die österreichische Literaturzeitschrift ETCETERA – Herausgeber: Die Literarische Gesellschaft St. Pölten – Essays, Prosa und Lyrikbeiträge entgegen.
Das Heft-Thema lautet „Umwege“: „Was wir über/von Umwege/n lernen, erfahren, beobachten…“.

Die eingereichten Beiträge sollten eine Länge von max. fünf Seiten betragen. Es werden ausschliesslich unveröffentlichte, digitalisierte Zusendungen berücksichtigt.

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Einsende-Schluss ist am 15. September 2021, hier finden sich die weiteren Bestimmungen der Ausschreibung. ♦

Lesen Sie im GLAREAN MAGAZIN auch die weiteren Ausschreibungen für Literaturwettbewerbe

Ausserdem zum Thema Literatur ein Essay von Vera Simon: Was macht ein gutes Gedicht aus?

Das 50-Euro-Preisrätsel Musik im November 2020

Neues Preis-Puzzle zum Thema Musik

Seit vielen Jahren sind sie Tradition im GLAREAN MAGAZIN, die 50-Euro-Preisrätsel.
Heute widmet sich das Buchstaben-Puzzle mal wieder der Musik: Aus allen Sparten und Stilen von der Atonalität bis zur Volksmusik, von der Renaissance bis zum Heavy Metal enthält das neue Kreuzworträtsel geläufige bis seltene Musik-Begriffe.

Wer bis zum 4. Dezember 2020 (20 Uhr) als Erste/r die Komplett-Lösung des nachstehenden Rätsels präsentiert (als Grafik-Datei bzw. -Scan mittels untenstehender „Kommentar“-Funktion), erhält wie immer 50 Euro überwiesen. Korrepondenz wird keine geführt, der Rechtsweg ist ausgeschlossen.

Advent-Musikpuzzle 2020-50-Euro-Kreuzworträtsel - Hinweise - Glarean Magazin
Das 50-Euro-Advent-Musik-Kreuzworträtsel vom 29. November 2020

Zum Ausfüllen einfach die entspr. PDF-Datei herunterladen und ausdrucken.

Wir wünschen viel Rätsel-Glück und Knobel-Spass. Gleichzeitig wünschen wir allen GLAREAN-Leserinnen und -Lesern eine frohe Adventszeit 2020! ♦

Knobeln Sie ausserdem im GLAREAN MAGAZIN weitere 50-Euro-Preisrätsel

Cyrus Lakdawala: Rewire Your Chess Brain (Schach)

Taktik-Training mit Schachkompositionen

von Ralf Binnewirtz

Cyrus Lakdawala, US-amerikanischer Schach-IM und -Trainer mit indischen Wurzeln, ist in den letzten 10 Jahren vor allem als bienenfleißiger Autor hervorgetreten. Rund 50 Bücher sind bereits aus seiner Feder erschienen. In seinem neuesten Werk „Rewire Your Chess Brain“ überrascht er uns mit einer bislang wenig beachteten Trainingsmethode zur Verbesserung der taktischen Fertigkeiten, nämlich dem Lösen von Endspielstudien und Problemen.

Cyrus Lakdawala - Rewire your Chess Brain - Everyman ChessWährend erstere für den genannten Zweck wohl weithin akzeptiert sind, sollen Probleme diesbezüglich kaum zielführend sein – so jedenfalls der mehrheitliche Tenor der Partiespieler. Das Unterfangen des Autors, auch das Schachproblem aus seinem Schattendasein der (scheinbaren) Nutzlosigkeit zu befreien, scheint mir indessen geglückt.

Eine Lanze für das Kunstschach

Lakdawala, der seit jeher ein Faible für das Kunstschach hat, kann jedenfalls auf die positiven Erfahrungen verweisen, die er als Trainer mit seinen Schülern gewonnen hat. In seiner Einführung zum Buch entkräftet er zunächst die Einwände, die standardmäßig gegen Kompositionen zum Zwecke des Schachtrainings vorgebracht werden, und listet auf vollen drei Seiten auf, welche Vorteile das Lösen von Studien und Problemen mit sich bringt.

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Weiter führt er aus, wie der Leser/Löser den größtmöglichen Nutzen aus seinem Buch ziehen kann. So ist es keineswegs erforderlich, bei komplexen Studien und Problemen jenseits des Dreizügers die gesamte Lösung zu finden. Aus seiner Sicht ist es allein der mentale Suchprozess, der – gemäß der Aufforderung des Buchtitels – das Gehirn neu verkabelt!
Natürlich soll sich der Leser jeweils die komplette Lösung mit ihren wesentlichen Motiven und Varianten genau ansehen, um den kreativen Ideen der Komponisten nachzuspüren, um die Fähigkeiten der Visualisierung auszubauen und eingefahrene Denkmuster abzustreifen, um letztlich das Unkonventionelle, Überraschende und unerwartet Schwierige zum neuen Standard der eigenen Denkprozesse am Brett werden zu lassen.

Zauberhafte Endspielstudien

Schach-Mansube 10. Jahrhundert - Matt in 3 Zügen - 1. Th7 - Glarean Magazin
Arabische Schach-Mansube aus dem 10. Jahrhundert: Matt in 3 Zügen 1. Th7+ Sxh7 2. Sc3 Tg1+ 3. Sd1 Txd1#

Ein erstes kürzeres Kapitel „Old School“ zeigt Studien und Probleme aus alter Zeit, die für den Löser einfacher zu bewältigen sind als die Aufgaben der folgenden Kapitel. Diese als Mansuben bekannten Stücke (von Al Adli, Salvio, Greco, Stamma, Ercole del Rio u.a.) dienen vornehmlich der Einstimmung und Aufwärmung.
Ernst wird es in den beiden anschließenden Kapiteln mit Remis- bzw. Gewinnstudien, die gemeinsam gut 240 Seiten umfassen. Die Studien (gleiches gilt für die später behandelten Mattprobleme) sind chronologisch angeordnet, weitere Einordnungen wie nach thematischen Gesichtspunkten oder nach Schwierigkeitsgrad wurden aber nicht vorgenommen.

Probeseite aus Cyrus Lakdawala: Rewire Your Chess Brain
Probeseite aus Cyrus Lakdawala: Rewire Your Chess Brain

Die Lösungen werden jeweils im Anschluss an das Aufgabendiagramm präsentiert, wobei die Lösungsbesprechung 1 bis 4 Seiten umfassen kann. In Abhängigkeit von Länge und Komplexität der Lösung sind ggf. weitere Diagramme gesetzt worden, damit sich die Lösungen „vom Blatt“ nachvollziehen lassen. Auch sind an kritischen Stellen häufig Übungsaufgaben („Exercises“) eingestreut, die den Leser nach der weiteren Vorgehensweise befragen oder mehrere plausible Möglichkeiten zur Auswahl stellen.

Unter den Komponisten findet sich praktisch alles, was in den letzten gut 150 Jahren Rang und Namen hat(te), von den bekannten Klassikern bis zu den Größen der Gegenwart wie Oleg Pervakov, Martin Minski und Steffen Slumstrup Nielsen, der auch ein Vorwort zum Buch beisteuerte.
Einige Remis- und Gewinnstudien sind in der Leseprobe ab Page 54 zu finden – gönnen Sie sich eine Kostprobe!

Unerschöpfliche, rätselhafte Problemwelt

Cyrus Lakdawala - Schach-IM - Schachautor - Glarean Magazin
Internationaler Meister und Autor zahlreicher Schach-Lehrbücher: Cyrus Lakdawala

Die nächsten ca. 200 Buchseiten werden belegt von (orthodoxen) Mattproblemen, die uns, nach ansteigender Zügezahl gruppiert, in separaten Kapiteln begegnen: ausgehend von (wenigen) einzügigen Problemen über Zweizüger, Dreizüger bis hin zu Vier- und Mehrzügern. Ein weiteres Kapitel „Unchess“ versammelt schließlich eine Reihe von außergewöhnlichen, bizarren oder grotesk anmutenden Aufgaben. Die Zweizüger nehmen insofern eine Sonderstellung ein, als sie von den Lesern wohl noch am ehesten zum Selberlösen in Betracht gezogen werden (so die Erwartung des Autors), winkt hier doch ein vergleichsweise schnelles und befriedigendes Löseerlebnis.

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Das bei den Studien Gesagte trifft auch für die Probleme zu, nur die Lösungsbesprechungen sind hier im Schnitt kürzer. Wie zu erwarten, sind die frühen amerikanischen Koryphäen des Problemschachs, Sam Loyd und W. A. Shinkman, vielfach vertreten, überraschenderweise noch häufiger tritt jedoch der deutsche „Rätselonkel“ Fritz Giegold in Erscheinung (dessen zweiter Vorname Emil kurioserweise ständig mitgeführt wird). Offenbar schätzt Lakdawala Probleme mit starkem Rätselcharakter, wo auf den ersten Blick mysteriöse Schlüsselzüge, unerwartete Wendungen und originelle Pointen das Geschehen dominieren. Die Partiespieler werden es fraglos positiv aufnehmen, dass der Autor den mehrheitlich unbeliebten Problemjargon auf ein erträgliches Minimum beschränkt hat.

In den Diagrammüberschriften (Angaben zu Autor, Quelle, etc.) stößt man gelegentlich auf fehlerhafte bzw. fehlende Angaben („Unknown source“), die meist mit geringem Aufwand hätten korrigiert/ergänzt werden können. Auch wenn dies für das vorgesehene Trainingsprogramm unerheblich erscheinen mag, hätte ich mir an dieser Stelle eine profundere Arbeit des Autors gewünscht.1)

Nun wartet ein wenig Denksport auf Sie: nachstehend zwei Probleme aus dem Buch, die Ihnen hoffentlich zusagen (Mausklick auf einen Zug oder eine Variante öffnet ein Analyse-Fenster / A mouse click on a move or line opens an analysis window):




Das folgende kleine Vexierstück aus dem „Unchess“-Kapitel werden Sie sicherlich selbst lösen wollen, die Stellung mit der kompletten schwarzen „Homebase“-Position ist ja durchaus einladend. Zur Erinnerung: Im Hilfsmatt zieht Schwarz an und beide Parteien kooperieren, um das gemeinsame Ziel – das Matt des schwarzen Königs – in der geforderten Zügezahl zu erreichen.


Adäquate Zugaben

Zum Ende des Buchs finden sich zwei kurze Kapitel: „Life simulates Art“ zeigt erstaunliche Fragmente von Turnierpartien, die komponierten Studien nahekommen, und in „The Wunderkind“ stellt der Autors einen seiner Schüler vor, den 13-jährigen IM Christopher Yoo, der auch ein begabter Studienkomponist ist: fünf seiner Studien, darunter zwei Urdrucke, gibt es zu bewundern. Ein Index der Komponisten und Spieler beschließt das Werk.

Lehrreich – unterhaltsam – lesefreundlich

Lakdawala hat mit seiner neuen Publikation nicht nur eine vortreffliche Einführung in das Kunstschach vorgelegt. Er propagiert damit auch eine wirkungsvolle Methode für das häusliche Taktik-Training, die für den Kampf am Brett eine verbesserte Visualisierung verborgener Möglichkeiten, eine erweiterte Mustererkennung im Hinblick auf Gewinn- und Mattführungen, aber auch auf versteckte Verteidigungsressourcen verspricht.

Cyrus Lakdawala - Rewire Your Chess Brain - Inhaltsverzeichnis Everyman Chess - Schach-Rezensionen Glarean Magazin
Das Inhaltsverzeichnis von „Rewire Your Chess Brain“

Insbesondere Lakdawalas anregender Stil und differenzierte Diktion verdienen eine „ehrende Erwähnung“ (um im Problemjargon zu bleiben). Seine variable und geistreich-witzige, in ihrer Art unnachahmliche Kommentierung macht die Lektüre zu einem Vergnügen, gelegentliche Zitate aus Literatur und Film, von Problemfreunden oder aus seiner Facebook-Gruppe verleihen zusätzliche Würze. Und sein Schreibtalent befähigt ihn, seinen Lesern auch komplexe Aufgaben im lockeren Unterhaltungsmodus nahezubringen. Die Lösungsbesprechungen, die auf Anfänger ohne Vorkenntnisse im Problemschach zugeschnitten sind, könnten in ihrer Ausführlichkeit unübertroffen sein. Dazu verleiht ein großzügiges, übersichtliches Layout beste Lesefreundlichkeit.

Übungsbuch mit Unterhaltungswert

Insgesamt ist dies ein Lehr-, Lese- und Übungsbuch von hohem Unterhaltungswert, mit einer Auswahl von insgesamt 326 meist hochklassigen und häufig diffizilen Aufgaben. Die oben erwähnten kleinen Schwächen könnten in einer zweiten Auflage leicht ausgeräumt werden. Daher eine nachdrückliche Empfehlung meinerseits: Nehmen Sie die Herausforderung an und verdrahten Sie Ihre kleinen grauen Zellen neu – Sie werden es nicht bereuen!

1)Offenbar hat sich der Autor weder der verfügbaren Problemdatenbanken bedient (wie der Schwalbe-PDB, der YACPDB  oder der Albrecht-Sammlung ) noch der einschlägigen deutschen Problemliteratur: Seine „Bibliography“ (S. 5) verzeichnet nur englischsprachige Titel.

Ich habe eine (sicherlich noch unvollständige) Errata-Liste zu den Problemen erstellt, dabei lediglich Angaben geprüft, die mir suspekt erschienen oder offensichtlich lückenhaft sind. ♦

Cyrus Lakdawala: Rewire Your Chess Brain – Endgame Studies and Mating Problems to Enhance Your Tactical Ability, 528 Seiten, Everyman Chess, ISBN 978-1-78194-569-8

Lesen Sie im GLAREAN MAGAZIN zum Thema Schachprobleme auch über das „Schach-Problem“ Heft Nummer 4-2018 von Chessbase

… sowie über ein weiteres Lehrbuch des Schach-Autoren Cyrus Lakdawala: Winning Ugly in Chess