Beeindruckendes 50-Nummern-Jubiläum
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Die Literaturzeitschrift «Entwürfe»
Nummer 50 / 2007
Walter Eigenmann
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Wenn in unserer Wegschmeiβ-Gesellschaft solche Undinge wie eine Literatur-Zeitschrift länger als ein paar Jährchen überleben, muss man von einem unerhörten Wunder reden. Und es bleibt ein Geheimnis, wie die «Entwürfe»-Leute ihr jeweils weit über 100 Buchseiten schweres, mit ausschlieβlich moderner Literatur gefülltes Textpaket immer monothematisch auf so hohem Niveau seit über zwölf Jahren vier Mal jährlich unters kleine Schweizer Völkchen zu mischen vermögen – aber Tatsache ist: «Entwürfe» hat inzwischen das halbe Hundert voll.
Das kann allein nicht am (durchaus überlebenswichtigen) Sponsoring von Öffentlichkeiten wie «Pro Helvetia» oder «Migros Kulturprozent» liegen, und auch nicht an der (überdurchschnittlich) langen «Mitglieder- und Gönner-Liste» (Gönner ist man ab 200 Franken) oder an dem (ebenfalls überdurchschnittlich) hohen Einzel-Preis von fast 20 Franken.
Vielleicht liegt es aber daran, dass «Entwürfe» keine Literaturzeitschrift ist. Sondern eine «Zeitschrift für Literatur». Und auch die 50. Nummer macht da keine Ausnahme: Graphisch zurückhaltend, schier langweilig, viele Buchstaben halt – aber fulminant in der Substanz! Alle Macht und Raum dem Text, das wird auf jeder Seite deutlich. Auch der (eindrückliche, eigentlich grausige) Szenen-Abstecher von Photograph Koni Nordmann zum «Moskauer Tiermarkt» oder die illustrativen Variationen von Rémy Markowitsch über die «Option Zwiebel» ändern an dem Eindruck nichts, dass es den «Entwürfen» nicht ums Bild, sondern allein ums Wort geht. Und zwar in jeder Ausgabe um ein einziges – diesmal heiβt es «Markt».
Dass man den «Markt»-Begriff (sogar ausgerechnet in der Schweiz…) auch literarisch füllen kann, und sehr facettenreich, ja poetisch füllen kann, beweist dieses 50er Heft. Dabei offenbart sich «das Feld des Mercatus» als ein in der Tat erstaunlich «weites und buntes» (Editorial). Was beispielsweise der Österreicher Alexander Preisinger zum «Narrativen im Mythos Markt» befindet, nämlich «dass die wahren Werte nur noch Warenwerte sind», und dass inzwischen das «neoliberale Bild des homo oeconomicus als selbstleitender imaginierter Entwurf» nicht mehr als Gegensatz, sondern «vielmehr als integraler Bestandteil der conditio humana» verstanden werde, kommt belletristisch u.a. daher in Kürzestprosa wie «Markt III» der Freiburger Kinderbuch-Autorin Annette Pehnt:
«Björn hat gesagt, ich soll offen sein und mich nicht auf einen Typ versteifen, ich soll auf den freien Markt. (…) Komm, ich helf dir, hat er gesagt, Steffi und Ingrid haben auch geholfen, und am nächsten Donnerstag stand in der Zeitung auf Seite 22: Ruhier attr. Er sucht schlanke naturverbundene Sie zum Träumen und mehr. Naturverbunden, weil du gern an der frischen Luft bist, hat Steffi stolz gesagt. Sie fragten mich jeden Tag, ob schon jemand geantwortet hätte. Ich habe die Briefe nie abgeholt. Dann kam im September der Chef und und legte mir die Hand auf die Schulter und drückte sehr sanft den Knochen, der zwischen Hals und Schulter eine Schale formt, und seitdem bin ich nicht mehr im Büro. Eine Frage der Konjunktur, hat der Chef gesagt, ausschliesslich. Die Gesetze des Marktes.»
Bliebe da noch unbedingt die «Entwürfe»-Lyrik des 50. Heftes anzuführen. Denn seit je her räumt man diesem literarischen Stiefkind verdienstvollerweise gebührend Platz ein. Und auch wenn die Qualität hier schwankt bzw. die thematische Vorgabe diesmal sehr unterschiedlich eingelöst wurde – z.B. hätte auf die (mit sprachlicher Eloquenz die inhaltliche Plakativität kaschierenden) Gedichte der Zürcherin Dorothee Kohler verzichtet werden können -, so ist v.a. der traditionelle «auβerdem»-Teil hervorragend bestückt mit einer Reihe von früheren und diesjährigen Gewinner-Texten des «Heinz-Weder-Preises für Lyrik». Eindrücklich beispielsweise das Schaffen der Hauptpreisträgerin Lisa Elsässer-Arnold (Walenstadt):
das lautlose kreisen
kein flügelschlag
und nur im fallen
ist etwas von dir
mit drin dir
brechen dabei die arme
in der nachahmung
Wird es weitere fünfzig «Entwürfe» geben? Die Herausgeber schlagen in ihrer neuesten Nummer unmissverständlich Alarm: «Nun sind die Reserven aufgebraucht, die Abozahlen stagnieren, ‘Entwürfe’ steht unmittelbar vor dem Abgrund, wenn es nicht gelingt, wieder ein kleines Finanzpolster anzulegen.»
Ein wahrer Jammer, wenn eine vieljährige, quasi schweizerische literarische Institution wie «Entwürfe», in der einst heutige Berühmtheiten wie Peter Weber, Ruth Schweikert, Peter Stamm u.v.a. ihre erste Chance zur Publikation erhielten, vom «Markt» (!) verschwände…
Entwürfe Nr.50/2007, Zeitschrift für Literatur / Markt, 128 Seiten, Verein “entwürfe für literatur” Zürich, ISBN 978-3-906729-56-5, CHF 19.-
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