Glarean Magazin

Kür der Allgemeinbildung: Das Bilder-Rätsel

Posted in Essays & Aufsätze, Grafik, Rätsel, Rebus, Walter Eigenmann by Walter Eigenmann on 24. September 2007

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Der Rebus – Magie des Zeich(n)ens

Walter Eigenmann

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Das «klassische» Bilderrätsel, zumal das im 18. und 19. Jahrhundert in Europa verbreitete, – auch unter dem Begriff «Rebus» bekannt – zählt zu jenen «Denksport-Arten», die vom Betrachter bzw. Löser oft ein hohes Maβ an Logik, Allgemeinbildung, Assoziationsfähigkeit und Abstraktionsvermögen, aber auch gehörigen Sinn fürs Pittoreske, ja Surreale verlangen. Auf höchstem Niveau wird der Rebus, wo er sowohl zeichnerisch mit Kunstanspruch daherkommt als auch explizit nach Sinn-Sprüchen, Sprichwörtern oder anderen moralischen Sentenzen sucht, gleichsam zur «modernen» Hieroglyphe, deren Semiotik und Semantik aufzuschlüsseln oft nur in vielstündiger Arbeit gelingt – wenn überhaupt.

Beispiel eines simplen, aber zeichnerisch reizvollen Rebus aus dem vorletzten Jahrhundert; Gesuchter Begriff: «Eine angesehene Person»

Die Beschäftigung mit dieser nicht erst seit dem vorletzten Jahrhundert (v.a. im romanischen Raum) verbreiteten, sondern schon in der Antike nachweisbaren Form des «Dechiffrierens» sinnvoll geordneter Bild- und Buchstaben-Elemente ist also meilenweit entfernt davon, bloβ «die Zeit totzuschlagen». Denn die zu transponierenden Inhalte des klassischen Rebus waren zwar oft unterhaltsamer, aber meistens vielmehr (oder zumindest auch) politischer, gesellschaftlicher, ja gar religiöser Art. Im Gegensatz zum heutigen, in seiner Verbreitung dem früheren Rebus vergleichbaren Kreuzwort- gesellt sich beim Bilder-Rätsel zum rein sprachlich-lexikalischen Kontext noch das Lautmalerische und das Zeichen-sprachliche – die ganze komplexe Welt des Piktographischen. Damit hat der anspruchsvolle Rebus (vom späten Mittelalter bis ins frühe 20. Jahrhundert) mit der primitiven Zeichensprache z.B. schriftunkundiger Naturvölker nur noch wenig gemeinsam.

Zu einer regelrechten Mode, die praktisch den gesamten gesellschaftlichen Bereich der Zeit «abdeckte», wurde der Rebus in der Renaissance. Angeregt von der damals aufstrebenden, die gelehrte (Humanismus-)Welt sofort faszinierende Ägyptologie bzw. Hieroglyphik entstand eine gewaltige Fülle von Bild-Wort-Zeichen-Buchstaben-Fügungen, welche von der Familie bis zum Staat, von der Erotik bis zur hohen Politik fast alles an Höfischem und Gehobenem, aber nicht immer «Salonfähigem» chiffrierte.

Melchior Mattsbergers «Biblische Figur-Sprüche» (1732)

Der Rebus wurde also zu weit mehr als einer gelehrten Spielerei, und bald prangten auf allen möglichen Kunstgegenständen, Pfortensäulen und Medaillen der Renaissance solche Rätsel-Inschriften. Das 17. und 18. Jahrhundert weitete den Rebus dann sogar religiös aus zur «Geistlichen Herzenseinbildung» (z.B. beim Augsburger Autor Melchior Mattsperger), welche biblische Inhalte rebusartig «übersetzte» – zur «Erbauung und frommen Unterrichtung der Jugend».

Anhand des folgenden, mittelschweren, in der Komposition aber repräsentativen Rebus aus der seinerzeit berühmten Postille «Über Land und Meer» – ihr sind praktisch alle unsere Grafiken dieses Artikels entnommen – sei nachstehend beispielhaft untersucht, wie ein Rebus zusammengesetzt ist – und wie man ihn knackt:.

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rebus_exkurs.jpg

Das Rätsel ist mit seinen drei Zeilen und deren deutlich abgegrenzten Bildmotiven (3-4-3) graphisch klar strukturiert, und obwohl es kaum «Sprach-liches» (Wörter&Buchstaben), sondern fast ausschlieβlich «Bild-haftes» (Figuren und Zeichen) aufweist (was die Lösung gemeinhin erschwert),  lassen sich seine Elemente gut isolieren und damit leichter analysieren:

advo.jpg
Der halbierte Adler (= Ad) und die zwei Buchstaben vo = Advo…

katzen.jpg
DieKatzen ohne das Z (durchstrichen) = katen —> Advokaten

oresund.jpg
Das liegende Fragezeichen als Brücke über den Fluss zwischen Malmö und Kopenhagen = Öresund; das anführende Apostroph (nach Kopenhagen) als häufiges Auslassungszeichen im Rebus = und

soldaten.jpg
= Soldaten

k-s-ind.jpg
Das Kind mit dem auslassenden Apostroph bzw. dem ersetzenden s = sind

des.jpg
Die Musiknote = des

teufels.jpg
Der Teufel mit angefügtem s = Teufels

spiegel.jpg
Der Spiegel mit den beiden durchstrrichenen Buchstaben g und l = Spiel…

kamera.jpg
Die Kamera mit dem auslassenden Apostroph am Schluss = …kamer… —> Spielkamer…

aden.jpg
Unterhalb von Sanaa am Golf = …aden —> Spielkameraden

Die Lösung lautet also:  «Advokaten und Soldaten sind des Teufels Spielkameraden»

Wie immer in einem anspruchsvolleren Rebus wechseln sich auch hier leicht ersichtliche Bild-Motive (z.B. «Soldaten») und schwierigere, nicht ohne Recherche-Arbeit zu enträtselnde Verschlüsselungen (z.B. Öres«und»brücke) ab. Mit etwas Hartnäckigkeit und Allgemeinbildung (nicht zuletzt auf dem Gebiete der gängigsten alten Sinn- und Moralsprüche…) ist aber auch in unserer Zeit jedes noch so künstlerisch-abstrakte Bilderrätsel aus dem 19. Jahrhundert decodierbar. Wobei nicht vergessen werden sollte, dass seinerzeit weder genaue Landkarten noch Google bekannt waren…

Lehnen Sie sich also mal entspannt zurück und widmen Sie Ihren ganzen Scharfsinn der folgenden Knacknuss. Gesucht ist einmal mehr ein «Spruch zur Erbauung und Belehrung» – viel Erfolg…

rebus-19jahrh-glarean-magazin.jpg

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Der Rebus als «intellektuelle Kunst»

Die Hochblüte des Rebus als eigentliche «Kunstgattung», welche weder gesellschaftliche noch moralische Legitimation benötigte und sowohl inhaltlich wie formal völlig autark auftrat, datiert im zweiten Drittel des 19. Jahrhunderts. Die Rasanz der Presse-Entwicklung in Europa, v.a. die enorme Verbreitung der sog. «Illustrirten» förderte die Beliebtheit dieser Rätsel-Form aus Bildern, Zahlen und Buchstaben ungemein. Ganze Rebus-Almanache lagen nun plötzlich in den Buchhandlungen – das moderne Sudoku-Fieber unserer Tage lässt grüβen…

Auch hier: Oft ist das grafisch-malerische Primat vor inhaltlicher Komplexität anzutreffen (Mitte 19. Jh.)

Möglich war jetzt die gesamte Zeichen-Palette, über welche sich das aufgeklärte Lesepublikum des gehobenen Bürgertums als semantischen Konsens verständigte. (Denn Voraussetzung für eine sinnvolle Rebus-Lektüre ist u.a. selbstverständlich, dass Verfasser und «Leser» dieselbe Lautschrift benutzen; was für den deutschen Rebus-Löser schnell entschlüsselbar ist, wird dem Andersprachigen zum kontextlosen Kauderwelsch.) Die Konstruktion dieser illustrierten Denksportaufgaben folgte keinem Regel-Kanon mehr, die immer komplizierter, vertrackter werdenden  graphischen Kabinettstückchen erwuchsen der bildungs-beflissenen Mittelschicht zur intellektuellen Kurzweil erster Güte. Der Schwierigkeitsgrad eines Rebus ist, sobald in ihm das Bildzeichen als die tragende Zeichen-Art fungiert, wesentlich abhängig von der Technik, wie seine Elemente komponiert sind: Je einheitlicher seine «Sinnträger», desto «sinnfälliger», sprich einfacher die Lösung; je variabler die Gestaltung seines Materials ausfällt, desto schwieriger, gleichsam «esoterischer» wird es, die Bild(er)figuren und Schriftzeichen auch inhaltlich aufeinander zu beziehen. Ein zusätzlich verwirrendes Moment gesellt sich in der Optik hinzu.

Die sog. Allgemeine Illustrirte Zeitung «Über Land und Meer» war nur eine der vielen Postillen im vorletzten Jahrhundert, welche das Bilderrätsel als noblen Zeitvertreib breiter gebildeter Schichten etablierten

Vielfach sind es graphische bzw. ästhetische und nicht «lesetechnische» Gesichtspunkte, welche die Anordnung bzw. Gröβe der verschiedenen Elemente bestimmen. (Insgesamt dürfte beim klassischen Bilderrätsel die Lösung dort vereinfacht sein, wo die nichtfigürlichen, also die Wort und Buchstaben-Bestandteile gegenüber den figürlichen Elementen überwiegen.)

Jeder Rebus mit qualitativem Anspruch ist eine semiotische «Welt für sich», Dinge enthaltend, die bekannt sind, und die man doch nicht kennt – wenn Kenntnis hier nämlich «sinnstiftender Zusammenhang» meint. Diese nur scheinbar fehlende Ordnung ist vom «Lesenden» erst herzustellen, das Surreale im Bilderrätsel bedarf zwingend des Lösungssatzes. Letzterer ist oft genug trivial bis läppisch – und doch decodiert er je einen ganzen Kosmos.

Zum Schluss dieses kleinen Tractatus über ein uraltes Kulturphänomen, das bis heute nichts von seiner Faszination eingebüβt hat – und  zum Beispiel in der modernen Plakat-Werbung eine bedeutende Rolle spielt! – noch ein besonders schönes Rebus-Exemplar, das ebenfalls aus der berühmten Illustrierten «Über Land und Meer» stammt und wahrhaft detektivischen Spürsinn abverlangt… ♦

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