Gedicht des Tages
Die schlafende Venus
Die Sonne hatte kaum den Mittag heiß gemacht,
Als Venus ganz ermattet ihr eine Höhl erwählet,
Wo weder Schlaf noch Ruh noch kühler Schatten fehlet
Und wo ein Rebenblatt gab dunkelgrüne Nacht,
In die ein linder West mit sanftem Rauschen spielte
Und so der Göttin Herz und müde Seele kühlte.
Sie warf die Sternen-Pracht, die Glieder in das Gras;
Der Blumen höchster Wunsch war so gedrückt zu werden,
Die Nelke schien Feur, die Ros ein Stern der Erden,
Die Veilg ein blau Saphir, die Lilg ein Spiegelglat,
Und Venus goldnes Haupt entschlief nur auf Narzissen.
Jasminen legten sich zu Pfühl und Unterkissen:
So lag die Lust der Welt ohn alle Kleider bloß,
Indem die volle Brust die Trauben Nachbar nannte
Und der belebte Schnee von zwei Rubinen brannte.
Hold, Freude, Lieb und Gunst ruht in der Schönen Schoß,
Der süß geschwollne Mund war etwas aufgeschlossen…
(17.Jh.)
Claudianus (ca. 370-400)
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