Glarean Magazin

Gedicht des Tages

Posted in Gedicht des Tages, Jakob Balde, Literatur, Lyrik, Schach by Walter Eigenmann on 4. November 2007

Das Schachspiel

Warum schlagen wir noch Bücher und Blätter auf?
Alle Lehre Sokrats über die Nichtigkeit
Unsres Erdegedrängs lehret im Spiel uns hier
Ein mit Puppen besetztes Brett.

Siehst du, Freund, wie das Glück Würden und Ämter teilt?
Wie’s die Plätze bestimmt? Wie sie im Wechsel sind?
Freund, so spielen auch wir selber ein Spiel des Glücks,
Ungleich, aber im Ausgang gleich.

Mächtig steht ein Heer gegen das andere auf;
Hier Trojaner und hier tapferer Griechen Reih’n,
Stark mit Türmen verwacht. Mutige Ritter stehn
Bei den Türmen. Es schweigt das Heer.

Wartend schweiget das Feld: denn die Gebieter sind
Noch im Kampfe mit sich, sinnen Entwürfe. Furcht
Und die Ehre gebeut. Jetzo beginnt die Schlacht.
Arme Bauern, in euren Reih’n.

Schau, sie fallen dahin. Siehe, mit ihrem Blut
Wird der Lorbeer erkauft. Ihre Gefilde mäht,
Ihre Hütte beraubt jeder der Streitenden:
Sie nur haben die Schuld verübt.

Doch wer springet hervor? Listiger Springer, du ?
Aus der Mitte des Heers, über die Köpfe der
Kämpfer? Willst du zurück, Parther! Es hüte sïch
Vor dir Schwarzem das ganze Feld.

Und doch wünschet sich auch keiner den Tod von dir,
Narr und Läufer! Du hast eine beträchtliche
Zunft in unserer Welt; Narren und Läufern stehn
Häuser offen und Hof und Zelt.

Sieh, die Königin regt als Amazone sich,
Geht, wie ihr es beliebt; Damen ist viel erlaubt.
Vor ihr weichet hinweg Ritter und Elephant,
Bauer, Porus und Hannibal.

Alles weichet der Macht weiblicher Krieger, die
Viel begehren und viel wagen; sie kennen nicht
Das Zuviele. Die jetzt ihren Gemahl beschützt
Ist’s, die jetzo den Herrn verrät.

Schach dem Könige! Tritt, höchster Gebieter, selbst
Von dem Platze der Ruh! Traue die Majestät
Nicht Beamten allein, nicht der Gemahlin an!
Aber leider, es ist zu spät.

Schach dem Könige, Schach! – Siehe, geendet sind
Unsre Züge; du siehst Ritter und Bauer jetzt,
König, Springer und Narr hier in der Büchse Grab
Durch- und übereinander ruhn.

Also gehet die Welt: Liktor und Konsul geht
In die Büchse, der Held und der Besiegte.
Du vollführe dein Amt; spiele des Lebens Spiel,
Das ein Höherer durch dich spielt.
                                                                               (Herder)

Jakob Balde (1604-1668)

jakob-balde.jpg

Wie ist Ihre Meinung zu diesem Beitrag?

Trage deine Daten unten ein oder klicke ein Icon um dich einzuloggen:

WordPress.com-Logo

Du kommentierst mit Deinem WordPress.com-Konto. Abmelden / Ändern )

Twitter-Bild

Du kommentierst mit Deinem Twitter-Konto. Abmelden / Ändern )

Facebook-Foto

Du kommentierst mit Deinem Facebook-Konto. Abmelden / Ändern )

Google+ Foto

Du kommentierst mit Deinem Google+-Konto. Abmelden / Ändern )

Verbinde mit %s

Folgen

Erhalte jeden neuen Beitrag in deinen Posteingang.

Schließe dich 102 Followern an