Gedicht des Tages
Ihr Wälder, seid gegrüßt, vom letzten Grün bekleidet,
Du gelblich Laub, zerstreut auf diese Wiesenflur,
Du letzter schöner Tag! – Dem Herzen, welches leidet,
Stellt sich so lieblich dar die Trauer der Natur.
Nachdenklich folgt mein Schritt dem unbesuchten Steige,
Und gerne mag ich schaun hinauf zum letztenmal
Ins blasse Sonnenlicht, das mählich durchs Gezweige
Die Nacht vor meinem Fuß durchdringt mit seinem Strahl.
Aus dem verhüllten Aug in diesen Herbstestagen,
Der sterbenden Natur ein größrer Reiz entflieht;
Das letzte Lächeln ists vom Freund, ein Abschiedsagen
Von Lippen, die der Tod nun bald auf ewig schließt.
Zu scheiden so bereit vom Horizont des Lebens,
Der Hoffnung langen Strom betrauernd, der verfloss,
Noch einmal umgekehrt, betracht ich, ach, vergebens
Die Güter, die es gab und die ich nicht genoss.
Natur, so hold und sanft; o Erd, o Sonn, o Tale,
Wie wurde nicht um euch mein Aug am Grabe feucht!
So durftig ist die Luft, das Licht so rein vom Strahle,
Dem Blick des Sterbenden so schön die Sonne deucht.
Ja, leeren möcht ich jetzt den Becher bis zur Hefe,
Aus dem ich Nektar oft, doch oft die Galle trank;
Vielleicht, dass ich zuletzt ein Tröpfchen Honig träfe,
Das in des Lebens Kelch etwa zu Grunde sank.
Vielleicht doch wollte mir die Zukunft aufbewahren
Die Wiederkehr zum Glück, dess Hoffnung mir entschwand;
Vielleicht noch hätt ein Geist aus diesen fremden Scharen
Erwidert meinen Gruß, den er zuletzt verstand.
Die Blume fällt und lässt dem Westen ihre Düfte,
Ans Leben und ans Licht ist dies ihr Lebewohl.
So sterb ich, und mein Geist verhaucht sich in die Lüfte,
Dem Tone gleich, der trüb und süß der Brust entquoll.
(Schwab)
Alphonse de Lamartine (1790-1869)
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