Das Zitat der Woche
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Der (lange?) Abschied vom Kulturauftrag
Wolfgang Böhler
Es gibt im Diskurs zur Kultur Wörter, die viel Schaden anrichten. Eines davon ist «Kulturauftrag». Es suggeriert, dass Kultur im Grunde genommen so etwas wie der Blinddarm im ökonomischen System eines Staates ist, eine Pflichtübung zur Beruhigung der Bürger, die sich nach Höherem sehnen als das, was vermeintlicherweise wirklich zählt, nämlich Geld verdienen, genug Kohle haben, um Krankheiten zu bekämpfen und die Sicherheit des Staates garantieren. Im besten Falle wird Kultur als «weicher Standortfaktor» für die Wirtschaft verstanden. Der «Kulturauftrag» wird von Wirtschafts- und Finanzpolitikern dann als Kröte geschluckt, weil Unternehmen Spitzenkräfte anziehen wollen und dies eher tun können, wenn sie ihnen ein angenehmes Umfeld bieten.
Von der Idee des Kulturauftrags sollte man sich endlich verabschieden, genauso wie von ihren Vettern Kultur als Ausgleichstätigkeit, als musische Gegenwelt, Lifestyle, Savoir-vivre und so weiter. Mit solchen Kategorien − einer seltsamen Mischung aus Romantik als Gegenentwurf zur Industrialisierung und Kultiviertheit als vorzeigbarem Luxusgut − muss aufgeräumt werden. Kultur ist kein Feierabend-Ausgleichsprogramm, kein «weicher Standortfaktor» und genausowenig Teil der Unterhaltungs- und Luxusgüterindustrie wie die Zuliefererindustrie für Maschinenteile, aus denen Roboter gebaut werden, die Schoggistängeli ausspucken.
Die Sprachregelung wird hier entlarvt: Schoggistängeli sind zwar ein der Volksgesundheit abträgliches und auch sonst eher entbehrliches Genussmittel und schaffen keine Folgewerte. Die Industrie rundherum, von der industriellen Fertigung über die Verpackung bis zur Zuliefererkette, wird aber automatisch als «harte» wirtschaftliche Branche betrachtet, deren Förderung und Unterstützung politisch und volkswirtschaftlich unabdingbar ist.
Wie unterschiedlich auf der einen Seite etwa Industrie und Finanzbranche, auf der andern die Kreativwirtschaft wahrgenommen werden, zeigt sich auch im Klang von Berufsbezeichnungen: «Ingenieur», «Anlageberater», «Logistiker», das tönt alles nach soliden Beiträgen zur Erhöhung des Bruttoinlandproduktes und damit wirtschaftlicher Unentbehrlichkeit, auch wenn nur Schoggistängeli produziert oder Investements in den Sand gesetzt werden. «Schauspieler», «Musiklehrperson» oder «Performancekünstler» tönt hingegen wie die Fortsetzung des Müssigganges in dörflichen Vereinstheatern mit anderen Mitteln.
Die unterschiedlichen Sprachregelungen ziehen sich durch fast alle Bereiche: Schoggistängeli-Produzenten, Finanzberater und Turnschuh-Hersteller schaffen Arbeitsplätze und leisten damit einen bedeutenden Beitrag zur Volkswirtschaft, auch wenn das resultierende Produkt volkswirtschaftlich bedenklich ist. Noch nie hat hingegen ein Theaterintendant an einer Bilanzpressekonferenz verkündet, er habe im Bereich Schauspiel oder im Orchester so und so viele Arbeitsplätze geschaffen. Arbeitsplätze heissen in der Kreativindustrie nämlich nicht so. Dort heissen sie «Kostenfaktor».
Diese eingefahrene Art des Sprechens über Kulturarbeit muss als erstes durchbrochen werden, wenn es darum geht, das Bewusstsein dafür zu schärfen, dass ästhetische Arbeit im internationalen Wettbewerb echte harte Wettbewerbsvorteile schafft. Solidere und nachhaltigere als Schoggistängeli oder strukturierte Produkte. ♦
Der Musik-Philosoph Wolfgang Böhler (M.A.) studierte an der Universität Bern Wissenschaftstheorie, Mathematik und Musikwissenschaft, er ist Chefredaktor des Online-Klassik-Magazins «Codex flores», aus dessen Editorial vom 14.3.08 dieser Beitrag stammt; Veröffentlichung mit freundlicher Genehmigung des Autors
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