Das Zitat der Woche
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Über den Selbstzweck der Musik
Aristoteles
Die gegenwärtig üblichen Lehrgegenstände schwanken hin und her. Es sind im wesentlichen vier Dinge, in denen man zu unterrichten pflegt: Grammatik,Turnen, Musik und gelegentlich das Zeichnen; die Grammatik und das Zeichnen als nützlich fürs Leben und vielfältig anwendbar, die Gymnastik als Übung zur Tapferkeit.
Bei der Musik erheben sich Fragen: die meisten interessieren sich für sie um des Vergnügens willen, ursprünglich aber galt sie als ein Stück Erziehung, weil die Natur selbst danach strebt, wie oftmals gesagt, nicht nur richtig tätig zu sein, sondern auch in edler Weise Muße üben zu können.
Denn dies ist der Ursprung von allem, um einmal mehr davon zu reden. Wenn man nämlich beides braucht, so ist doch die Muße wünschenswerter als die Arbeit; sie ist das Ziel, und man muß sich fragen, was man in der Muße tun soll. Spielen soll man nicht, denn dann müßte das Spiel das Ziel unseres Lebens sein. Wenn dies ausgeschlossen ist und man eher bei der Arbeit zuweilen spielen soll (denn der Arbeitende bedarf der Erholung, das Spiel dient eben dazu, und bekanntlich ist die Arbeit mit Mühe und Anspannung verknüpft), so muß man die Spiele gestatten, aber den Gebrauch genau kontrollieren, um sie als eine Art von Arznei anzuwenden. Denn eine solche Bewegung der Seele ist eine Lockerung und eine lustvolle Erholung.
Die Muße scheint aber ihre Lust und die Glückseligkeit und das selige Leben in sich selbst zu haben. Dies kommt nicht den Arbeitenden zu, sondern jenen, die Muße haben. Denn der Arbeitende arbeitet auf ein Ziel hin, das noch nicht erreicht ist, die Glückseligkeit ist aber ein Ziel und ist nach allgemeiner Ansicht nicht mit Schmerz, sondern mit Lust verbunden.
Freilich fassen nicht alle diese Lust in derselben Weise auf, sondern jeder für sich nach seiner Art, der Beste aber wählt die beste und die vom Schönsten her entspringende. So ist klar, daß man auch für das Leben in der Muße bestimmte Dinge lernen und sich aneignen muß, und daß diese Lehr- und Bildungsgegenstände selbstzwecklich sind; jene dagegen, die mit der Arbeit zu tun haben, dienen der Notdurft und einem fremden Zweck.
So haben denn auch die Früheren die Musik zur Bildung gerechnet, aber nicht als notwendig (denn das ist sie nicht), noch als nützlich, wie die Grammatik für den Geschäftsverkehr, für die Hausverwaltung, zur weitern Ausbildung und zu vielen politischen Aufgaben; auch das Zeichnen scheint ja nützlich zu sein, um die Arbeiten der Handwerker besser beurteilen zu können; ebenso ist die Gymnastik nützlich für Gesundheit und Kraft. Aber keins von beiden entsteht doch aus der Musik. Es bleibt also, daß sie für das Leben in der Muße bestimmt ist, und darauf pflegt sie auch bezogen zu werden. Denn man ordnet sie dort ein, wo man das Leben der Edlen vermutet.
So hat Homer gedichtet: «sondern wen man zum festlichen Mahle laden soll», und dann nennt er andere, «die den Sänger rufen», der «alle ergötzt». Und anderswo nennt Odysseus jenes das beste Leben, wenn die Menschen sich erfreuen und «die speisenden Gäste im Haus den Sänger hören, der Reihe nach hingelagert».
(Aus Aristoteles: «Politik» – Achtes Buch)
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