Beat Ringger: «Die Zukunft der Demokratie»
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Wege aus dem Kapitalismus
Walter Eigenmann
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In seinem Vorwort zur eben im Zürcher Rotpunkt-Verlag erschienenen Essay-Sammlung«Zukunft der Demokratie – Das postkapitalistische Projekt» steckt Urs Marti, Professor für Politische Philosophie in Zürich, den Denk-Rahmen des Bandes betont breit aus. Denn, so Marti: «Dass die Reichen immer reicher werden und die Armen immer ärmer, ist ein Befund, dem zu widersprechen mittlerweile auch überzeugten Anhängern des Kapitalismus schwerfällt. In dem Maß, wie er sich bestätigt, wird klar, dass der Kapitalismus unfähig ist, die von ihm gegebenen Versprechen zu halten. Die ungleiche Verteilung des Wohlstands – und damit auch der Chancen, ein selbstbestimmtes Leben zu führen – gehört zu den großen Problemen der Gegenwart; ein weiteres ist die Unfähigkeit des Kapitalismus, der Zerstörung der natürlichen Lebensgrundlagen Einhalt zu gebieten. Der Kapitalismus als private Aneignung der Welt steht im Widerspruch zu den großen Prinzipien der Moderne: Der demokratischen Mitbestimmung einerseits, die notwendigerweise auch die kollektive Nutzung der Ressourcen einschließt, der individuellen Selbstbestimmung und Selbstverwirklichung andererseits, die heute im Namen der unerbittlichen Gesetze des Marktes für die überwiegende Mehrheit der Weltbevölkerung faktisch negiert werden.»
Demgegenüber aber auch: «Viele werden dem Urteil zustimmen, der Kapitalismus sei unökonomisch im Gebrauch von Ressourcen und ungerecht in deren Verteilung. Dennoch werden sie die Frage, ob die Überwindung des Kapitalismus eine realistische Perspektive sei, verneinen. Tatsächlich sind die Erfahrungen des zo. Jahrhunderts ernüchternd. Das sozialdemokratische Projekt einer Zähmung des Kapitalismus ist nicht zuletzt deshalb gescheitert, weil kaum ernsthaft versucht worden ist, demokratische Kontrolle auf den Bereich der Wirtschaft auszudehnen. Sozialistische Projekte, den Kapitalismus durch ein anderes System zu ersetzen, haben statt mehr Freiheit neue Formen totaler Herrschaft geschaffen.»
Zwischen diesen beiden realpolitischen Befunden verlaufen nun die thematischen Stränge der sieben umfangreichen Aufsätze dieses Bandes, wobei die Autorinnen&Autoren Urs Marti (geb. 1948, Politologe an der Universität Zürich), Katrin Meyer (geb. 1962, Philosophin an der Universität Basel), Patricia Purtschert (geb. 1973, Kulturwissenschaftlerin in Basel), Willi Eberle (geb. 1948, Gewerkschafter in Zürich), Hans Schäppi (geb. 1942, Vorstandsmitglied von «Sans Papier» in Basel), Beat Ringger (geb.1955, Zentralsekretär der Schweizer Gewerkschaft VPOD) und Sarah Schilliger (geb. 1979, Soziologin an der Universität Basel) sich einig sind in ihrem aufklärerischen Bestreben, welches der Vorwort-Verfasser programmatisch (und dezidiert an Marx&Engels anknüpfend) umreißt: «So groß die Unzufriedenheit der Menschen mit den bestehenden Zuständen in den Gesellschaften der Gegenwart auch sein mag, so setzt sie doch so lange keine revolutionären Energien frei, wie die Mechanismen kapitalistischer Fremdbestimmung nicht durchschaut werden und das Wissen um die Veränderbarkeit der Verhältnisse fehlt. Mit dem vorliegenden Buch wollen die Autorinnen und Autoren beitragen zur Überwindung jenes Irrationalismus, der den Kapitalismus zum Schicksal erklärt, die Frage nach vernünftigen Alternativen tabuisiert und dem Projekt revolutionärer Veränderung die Legitimität abspricht.»
Diese Anthologie ist eine provokante Bestandesaufnahme und zugleich ein ideologisches Granulat jener modernen antikapitalistischen Denk-Strömungen, die – von aller Patina eines spätmarxistischen Revoluzzertums befreit – durchaus den humanistischen Utopie-Entwurf mit realpolitischer Praktikabilität verschmilzt, wobei der «Projekt»-Charakter eben dieses alternativen Entwurfes von völlig unterschiedlichen Blickwinkeln aus angegangen wird (siehe dazu auch das nachstehende Inhaltsverzeichnis). Eine sehr notwendige Sammlung, die – eigentlich gewidmet auch der differenzierteren Identitätsfindung der aktuellen linken Bewegungen – genau richtig kommt in unseren Zeiten des omnipräsenten, dabei schamlosest monetär grundierten Rechtspopulismus’ und einer global unverbrämt-ruinösen Bankenwirtschaft. ■
Beat Ringger (Hrsg): Zukunft der Demokratie – Das postkapitalistische Projekt, Rotpunkt Verlag, 260 Seiten, ISBN 3-85869-366-9
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