Glarean Magazin

Das Zitat der Woche

Posted in Eike von Savigny, Essays & Aufsätze, Sprache, Zitat der Woche by Walter Eigenmann on 3. November 2008

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Vom Berichten und Überzeugen

Eike von Savigny

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Warum können wir mit Berichten, daß p, Leute davon überzeugen, daß p der Fall ist? Indem wir berichten, daß p, übernehmen wir Verantwortung; und wir werden zuverlässig, weil wir Kosten vermeiden müssen. Weil wir zuverlässig sind, treffen unsere Berichte gewöhnlich zu; Leute, die sich auf sie verlassen, werden gewöhnlich nicht enttäuscht. Deshalb gewöhnen sie sich daran, uns zu trauen. Wenn wir die Überzeugungsbildung entscheidungstheoretisch betrachen, ist die Mechanik des Überzeugens sogar noch direkter: Die Adressaten werden von p in einem Grade überzeugt, hoch genug, um sich darauf zu verlassen, weil wir durch die Übernahme der Verantwortung ihr Risiko minimieren.

Eike von Savigny

Aber schauen wir doch genau hin, wie das vor sich geht. Weil unsere Äußerungen ihre konventionalen Ergebnisse haben, können wir sie benutzen, um unsere Motive zu verfolgen. Daß unsere Äußerungen deshalb Berichte wären, weil wir sie aus dem Motiv tun, Adressaten zu überzeugen, hieße das Pferd beim Schwanze aufzäumen. Darauf muß ich bestehen und kann dann gern zugeben, daß unsere Sprache ganz anders aussähe, wenn wir sie nicht ständig benutzten, um unsere Adressaten zu überzeugen – sie würde anders aussehen, weil sie ein ganz andersartiges System von Äußerungsbedeutungsregeln darstellen würde. Würden wir nicht ständig unsere Mitmenschen über Tatsachen informieren, deren Zeugen sie nicht selbst gewesen sind, dann würden wir ein ganz anderes Leben führen; vor allen Dingen würde unser Wissen von Generation zu Generation nur in äußerst kleinen Schritten anwachsen, beschränkt auf das, was man vormachen oder zeigen kann. Vielleicht würden wir irgendwo in der Mittleren Steinzeit leben. Natürlich würde unsere Sprache sehr von unserer jetzigen abstechen, wenn wir überhaupt eine hätten. Also ist die Tatsache, daß wir unsere Sprache zum Überzeugen benutzen, dafür mitverantwortlich, daß wir gerade diese Sprache haben. Riskanter ausgedrückt: Diese Tatsache ist mitverantwortlich dafür, daß unsere Sprache so ist, wie sie ist; weniger riskant: mitverantwortlich dafür, daß wir gerade so mit einer solchen Sprache überlebt haben. Der Geschlechtsverkehr beruht auf bestimmten physiologischen und psychologischen Grundlagen. Diese Grundlagen sind nicht deshalb gerade so, weil sie für das Streben nach Glück benutzt werden. Umgekehrt, sie werden für das Streben nach Glück benutzt, weil sie gerade so sind. Trotzdem würden sie uns fehlen, wenn wir sie nicht ständig für das Streben nach Glück benutzen würden – aus dem einfachen Grunde, daß wir sonst ausgestorben wären. ♦

(Aus Eike von Savigny: Zum Begriff der Sprache, Konvention, Bedeutung, Zeichen, Reclam Verlag 1983)

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