Das Zitat der Woche
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Von den Geschlechtern
Immanuel Kant
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In alle Maschinen, durch die mit kleiner Kraft ebensoviel ausgerichtet werden soll als durch andere mit großer, muß Kunst gelegt sein. Daher kann man schon zum voraus annehmen: daß die Vorsorge der Natur in die Organisierung des weiblichen Teils mehr Kunst gelegt haben wird als in die des männlichen, weil sie den Mann mit größerer Kraft ausstattete als das Weib, um beide zur innigsten leiblichen Vereinigung, doch auch als vernünftige Wesen zu dem ihr am meisten angelegenen Zwecke, nämlich der Erhaltung der Art, zusammenzubringen, und überdem sie in jener Qualität (als vernünftige Tiere) mit gesellschaftlichen Neigungen versah, ihre Geschlechtsgemeinschaft in einer häuslichen Verbindung fortdauernd zu machen.
Zur Einheit und Unauflöslichkeit einer Verbindung ist das beliebige zusammentreten zweier Personen nicht hinreichend; ein Teil mußte dem andern unterworfen und wechselseitig einer dem andern irgendworin überlegen sein, um ihn beherrschen oder regieren zu können. Denn in der Gleichheit der Ansprüche zweier, die einander nicht entbehren können, bewirkt die Selbstliebe lauter Zank. Ein Teil muß im Fortgange der Kultur auf heterogene Art überlegen sein: der Mann dem Weibe durch sein körperliches Vermögen und seinen Mut, das Weib aber dem Manne durch ihre Naturgabe, sich der Neigung des Mannes zu ihr zu bemeistern: da hingegen im noch unzivilisierten Zustande die Überlegenheit bloß auf der Seite des letzteren ist. – Daher ist in der Anthropologie die weibliche Eigentümlichkeit mehr als die des männlichen Geschlechts ein Studium für den Philosophen. Im rohen Naturzustande kann man sie ebensowenig erkennen als die der Holzäpfel und Holzbirnen, deren Mannigfaltigkeit sich nur durch Pfropfen oder Inokulieren entdeckt, denn die Kultur bringt diese weiblichen Beschaffenheiten nicht hinein, sondern veranlaßt sie nur, sich zu entwickeln und unter begünstigenden Umständen kennbar zu machen.
Diese Weiblichkeiten heißen Schwächen. Man spaßt darüber; Toren treiben damit ihren Spott, Vernünftige aber sehen sehr gut, daß sie gerade die Hebezeuge sind, die Männlichkeit zu lenken und sie zu jener ihrer Absicht zu gebrauchen. Der Mann ist leicht zu erforschen, die Frau verrät ihr Geheimnis nicht, obgleich anderer ihres (wegen ihrer Redseligkeit) schlecht bei ihr verwahrt ist. Er liebt den Hausfrieden und unterwirft sich gern ihrem Regiment, um sich nur in seinen Geschäften nicht behindert zu sehen; sie scheut den Hauskrieg nicht, den sie mit der Zunge führt und zu welchem Beruf die Natur ihr Redseligkeit und affektvolle Beredtheit gab, die den Mann entwaffnet. Er fußt sich auf das Recht des Stärkeren, im Hause zu befehlen, weil er es gegen äußere Feinde schützen muß; sie auf das Recht des Schwächeren: vom männlichen Teil gegen Männer geschützt zu werden, und macht durch Tränen der Erbitterung den Mann wehrlos, indem sie ihm seine Ungroßmütigkeit vorrückt.
Im rohen Naturzustande ist das freilich anders. Das Weib ist da ein Haustier. Der Mann geht mit Waffen in der Hand voran, und das Weib folgt ihm mit dem Gepäck seines Hausrats beladen. Aber selbst da, wo eine barbarische bürgerliche Verfassung Vielweiberei gesetzlich macht, weiß das am meisten begünstigte Weib in ihrem Zwinger (Harem genannt) über den Mann die Herrschaft zu erringen, und dieser hat seine liebe Not, sich in dem Zank vieler um eine (welche ihn beherrschen soll) erträglicherweise Ruhe zu schaffen.
Aus Immanuel Kant, Anthropologie in pragmatischer Hinsicht, Königsberg 1798
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